Implantologie allgemein

All-on-Four, Osseointegration, Sofortbelastung, Sofortimplantation

Sofortbelasteter Zahnersatz auf vier Implantaten nach unmittelbar vorausgegangener Extraktion – ein Fallbeispiel

Die endgültigen Keramikrestaurationen.
Die endgültigen Keramikrestaurationen.

Bereits im Jahre 1990 entwickelte Prof. Paulo Maló seine Vision, zahnlose und sogar stark atrophische Kiefer festsitzend auf vier Implantaten zu versorgen. Hierbei galt es als absolute Neuerung, die distalen Implantate anguliert zu inserieren und in das bestehende Knochenangebot – ohne augmentative Verfahren im Vorfeld – zu implantieren. In den folgenden Jahrzehnten verwendeten weltweit über zehntausend implantologisch tätige Zahnärzte mit großem Erfolg das „All-on-Four®“-Prinzip. Ein Querschnitt durch die aktuelle Literatur bescheinigt diesem Versorgungssystem optimale Langzeitüberlebensraten und widerlegt die allgemeine Befürchtung des verstärkten marginalen Knochenabbaus an den angulierten Implantaten [1-3]. Das folgende Fallbeispiel erläutert eine Weiterentwicklung dieses Systems. Ein innovatives Implantatsystem verspricht eine bessere Osseointegration sowie eine deutlich verkürzte Gesamtbehandlungszeit.

  • Abb. 1: Das PerioType® Rapid Implantat mit seiner speziellen Gewindegeometrie.

  • Abb. 1: Das PerioType® Rapid Implantat mit seiner speziellen Gewindegeometrie.
Beim 4-comfort®-Konzept wird die Prothetik ebenfalls auf vier Implantaten gestützt. Analog zum „All-on-4®-Prinzip“ werden die distalen Implantate distoanguliert platziert, um das zumeist mindere Knochenangebot effizient auszunutzen. Der klassischen Methode entgegen lässt das PerioType® Rapid-Implantat eine Sofortimplantation mit unmittelbarer Belastung der Implantate zur Aufnahme festsitzender, direkt verschraubter Provisorien zu. Über die spezielle Gewindegeometrie wird eine horizontale Kompaktion des Knochens erreicht, welche in allen Knochenqualitäten (D1-D4) zu hohen Primärstabilitäten führt. Während Einbringung der Implantate kann mit Drehmomenten von bis zu 70 Ncm2 gearbeitet werden, da im Weiteren über eine halbe Rückdrehbewegung die Drehmomente vermindert und somit optimal angepasst werden können. Mittels des 4-comfort®-Prinzips ist es daher möglich, die Patienten selbst nach vorrausgehenden Extraktionen adäquat festsitzend zu versorgen, ohne eine Abheilzeit der Extraktionsalveolen berücksichtigen zu müssen. Die Gesamtbehandlungszeit beträgt hierbei höchstens sechs bis acht Wochen (Abb. 1).

Fallbeschreibung

Erstvorstellung und Behandlungsplanung

Die Patientin wurde Mitte Dezember des vergangenen Jahres erstmals in unserem Hause vorstellig. Allgemeinanamnestisch zeigten sich mit Ausnahme von Allergien auf Nahrungsmittel (Nüsse, Kernobst) und Gräserpollen, sowie chronischen Atemwegserkrankungen keine besonderen Auffälligkeiten. Sie gab an, darüber hinaus keine Regelmedikation einzunehmen und bis zu 10 Zigaretten am Tag zu konsumieren.

Bei der Erhebung der speziellen Anamnese zeigten sich deutliche Mundwinkelrhagaden. Zudem gab die Patientin an, seit geraumer Zeit unter Kiefergelenksbeschwerden und muskulären Verspannungen im Bereich der Kausowie der Subokzipital- und Nackenmuskulatur gelitten zu haben. Die intraorale Befundaufnahme zeigte ein sowohl prothetisch als auch konservierend-parodontologisch unzureichend versorgtes Lückengebiss. Die Zähne 17, 15 und 14 sind allesamt bis auf Gingivaniveau abgebrochen. Die Randschlüsse der Brückenversorgung in der Oberkieferfront sind insuffizient, die prothetischen Pfeilerzähne stark kariös zerstört. Die Brückenversorgung des zweiten Quadranten stellt sich ähnlich kariös dar. Zudem ist die Wurzeloberfläche des Zahnes 26 vollumfänglich in der Mundhöhle exponiert. Die Restbezahnung des Unterkiefers ist ebenfalls stark kariös verändert, die Brückenversorgung des dritten Quadranten gleichermaßen insuffizient. Die Patientin klagte zudem über starke Lockerungsgrade sowie Exsudatsekretion aus den Taschen (Abb. 2 und 3).

  • Abb. 2: Intraorale Situation bei Erstvorstellung: Es zeigt sich neben insuffizienten prothetischen Versorgungen ein Stützzonenverlust. Multiple kariöse Läsionen sind ebenso wie massive Parodontitiden zu erkennen.
  • Abb. 3: Zahnstatus der Patientin zum Zeitpunkt der Erstaufnahme.
  • Abb. 2: Intraorale Situation bei Erstvorstellung: Es zeigt sich neben insuffizienten prothetischen Versorgungen ein Stützzonenverlust. Multiple kariöse Läsionen sind ebenso wie massive Parodontitiden zu erkennen.
  • Abb. 3: Zahnstatus der Patientin zum Zeitpunkt der Erstaufnahme.

  • Abb. 4: Das Orthopanthomogramm bestätigt den Eindruck des klinischen Bildes: Sowohl im Ober- als auch Unterkiefer findet sich ein massiver generalisierter horizontaler Knochenabbau mit vereinzelten vertikalen Einbrüchen. Die Wurzelfüllungen sind allesamt als insuffizient zu erachten. Eine Erhaltungswürdigkeit der Restbezahnung ist aus radiologischer Sicht zu befürworten.
  • Abb. 4: Das Orthopanthomogramm bestätigt den Eindruck des klinischen Bildes: Sowohl im Ober- als auch Unterkiefer findet sich ein massiver generalisierter horizontaler Knochenabbau mit vereinzelten vertikalen Einbrüchen. Die Wurzelfüllungen sind allesamt als insuffizient zu erachten. Eine Erhaltungswürdigkeit der Restbezahnung ist aus radiologischer Sicht zu befürworten.

Das im Rahmen der Erstaufnahme angefertigte OPG entspricht der klinischen Befundaufnahme. Sowohl im Oberals auch im Unterkiefer findet sich ein generalisierter horizontaler Knochenabbau. Die Zähne sind allesamt aus konservierender und parodontologischer Sicht als nicht erhaltungswürdig zu klassifizieren (Abb. 4).

Die Patientin trat mit dem Wunsch nach einer festsitzenden, Implantat getragenen Versorgung an uns heran. Nach eingehender Beratung und Risikoabwägung wurde gemäß des 4-comfort®-Prinzips, sowohl für den Unterals auch für den Oberkiefer, eine verschraubte Vollzirkon- Brücke auf vier Implantaten empfohlen. Über die Auswertung des digitalen Volumentomogramms konnten im Oberkiefer die Regionen 015, 012, 022 und 025 und im Unterkiefer 035, 032, 042 und 045 als optimale Implantatpositionen festgelegt werden (Abb. 5 bis 8).

  • Abb. 5 und 6: DVT-Auswertung zur Implantationsplanung im Oberkiefer.
  • Abb. 7 und 8: DVT-Auswertung zur Implantationsplanung im Unterkiefer.
  • Abb. 5 und 6: DVT-Auswertung zur Implantationsplanung im Oberkiefer.
  • Abb. 7 und 8: DVT-Auswertung zur Implantationsplanung im Unterkiefer.

Das chirurgische Vorgehen

Unter antibiotischer Abdeckung wurden nach Registration der Bisslage und Bisshöhe in Lokalanästhesie zunächst die Zähne des Ober- und Unterkiefers entfernt. Mittels krestaler Schnittführung folgte die Mobilisation der keratinisierten Gingiva zur Freilegung der Alveolarkämme. Im Oberkiefer wurden – wie im Vorfeld geplant – vier Implantate unter Schonung des Sinus maxillaris inseriert und direkt mit entsprechend abgewinkelten Multiunit-Abutments versorgt und die Gingiva um die Multiunit-Abutments adaptiert. Verwendet wurden:

Regio 015: PerioType® Rapid 4,1 x 18 mm
Regio 012: PerioType® Rapid 4,1 x 13 mm
Regio 022: PerioType® Rapid 4,1 x 13 mm
Regio 025: PerioType® Rapid 4,1 x 15 mm

Die anschließende Implantation im Unterkiefer erfolgte analog zum Oberkiefer. Nach Mobilisation der Schleimhaut wurden zunächst beidseits die Nervenaustrittspunkte des Nervus mentalis dargestellt und im weiteren Verlauf ebenfalls die vier Implantate komplikationslos inseriert. Die Implantate wurden ebenso mit ausgewählten Multiunit-Abutments abgedeckt und die Schleimhaut über dem Operationsfeld vernäht. Zum Einsatz kamen:

Regio 035: PerioType® Rapid 4,1 x 18 mm
Regio 032: PerioType® Rapid 3,5 x 15mm
Regio 042: PerioType® Rapid 3,5 x 15 mm
Regio 045: PerioType® Rapid 4,1 x 18mm.

Aufgrund des guten Knochenangebotes konnte sowohl im Ober- als auch im Unterkiefer auf Augmentate und Membrantechnik verzichtet werden. Die Implantate zeigten allesamt eine zufriedenstellende Primärstabilität zur Sofortbelastung. Die Einheilzeit wurde auf sechs Wochen veranschlagt. Zum Abschluss der Implantationsoperation wurden zur Herstellung von verschraubbaren Kieferrelationsschablonen und der festsitzenden Provisorien Präzisionsabformungen des Ober- und Unterkiefers über die Multiunit-Abutments genommen.

Die prothetische Versorgung

  • Abb. 9: Das postoperative Orthopanthomogramm mit aufgeschraubten Kieferrelationsbehelfen: Die Implantate stehen regelrecht in den im Vorfeld bestimmten Positionen. Die nervalen Strukturen des Unterkiefers sowie die Sinus maxillares wurden geschont.

  • Abb. 9: Das postoperative Orthopanthomogramm mit aufgeschraubten Kieferrelationsbehelfen: Die Implantate stehen regelrecht in den im Vorfeld bestimmten Positionen. Die nervalen Strukturen des Unterkiefers sowie die Sinus maxillares wurden geschont.
Nach etwa einstündiger Wartezeit wurden – gemäß der im Vorfeld erfolgten Verschlüsselung der Bisshöhe – die Kieferrelationsschablonen auf die Multiunit-Abutments geschraubt. Das postoperative Orthopanthomogramm bescheinigt eine spaltfreie Präzisionspassung im Ober- und Unterkiefer. Die Implantate stehen regelrecht in den zuvor bestimmten Positionen. Aufgrund großer Verluste innerhalb der vertikalen Kieferrelation wurde die Okklusionsebene der Registrationsschablonen bereits im Labor um vier Millimeter angehoben. Die Situation wurde intraoral mittels Ruheschwebelage überprüft und die festsitzenden Provisorien ebenfalls mit einer Bisshebung um vier Millimeter angefertigt. Das seitliche Gesichtsprofil der Patientin zeigte sich innerhalb dieses Arbeitsschrittes deutlich physiologischer; die einst hängenden Mundwinkel wirkten deutlich angehoben.

Nach weiteren zwei Stunden konnten die gemäß der Registrationsbehelfe angefertigten Provisorien eingeschraubt werden. Der Biss wurde in Statik und Dynamik adjustiert und die Patientin nach Aufklärung über postoperative Verhaltensweisen und Mundhygieneinstruktionen entlassen (Abb. 9).

Sieben Tage nach Implantation wurde die Patientin erneut vorstellig. Aufgrund kleinerer Druckstellen in den distovestibulären Randbereichen wurden die Provisorien im Zuge der Nahtentfernung herausgeschraubt und angepasst. Die Wundheilung verlief zeitgemäß, das Wundgebiet war reizlos. Die Patientin gab an, in den vergangenen Tagen keine Schmerzmedikation benötigt zu haben (Abb. 10 bis 15).

  • Abb. 10 und 11: Situation eine Woche postoperativ: Schleimhautsituation nach Nahtentfernung. Wundheilung ist zeitgemäß, das Wundgebiet reizlos.
  • Abb. 12: Situation eine Woche postoperativ: Verschraubte Provisorien in Okklusion.
  • Abb. 10 und 11: Situation eine Woche postoperativ: Schleimhautsituation nach Nahtentfernung. Wundheilung ist zeitgemäß, das Wundgebiet reizlos.
  • Abb. 12: Situation eine Woche postoperativ: Verschraubte Provisorien in Okklusion.

  • Abb. 13 und 14: Situation eine Woche postoperativ: Aufsicht auf Okklusionsfl äche des Oberkiefers. Aus Stabilitätsgründen und zur Vermeidung von Hebelwirkungen sind die Provisorien lediglich bis in die 5er-Region bezahnt.
  • Abb. 15: Extraorale Situation nach Eingliederung des Provisoriums: die physiologische Kieferrelation ist wieder hergestellt.
  • Abb. 13 und 14: Situation eine Woche postoperativ: Aufsicht auf Okklusionsfl äche des Oberkiefers. Aus Stabilitätsgründen und zur Vermeidung von Hebelwirkungen sind die Provisorien lediglich bis in die 5er-Region bezahnt.
  • Abb. 15: Extraorale Situation nach Eingliederung des Provisoriums: die physiologische Kieferrelation ist wieder hergestellt.

Sechs Wochen nach der Implantationsoperation wurden die Präzisionsabformungen zur Herstellung juveniler Scanvorlagen („Dummies“) sowie der endgültigen Vollzirkon-Versorgungen durchgeführt. Die Patientin zeigte sich mit der neuen Bisssituation ebenso wie mit Zahnform und -farbe sehr zufrieden. Allerdings trat sie mit dem Wunsch an uns heran, die seitlichen Schneidezähne etwas distoangulierter aufzustellen. Die Registration der schädelbezogenen Scharnierachse erfolgte mit Hilfe eines Gesichtsbogens über das festgesetzte Oberkieferprovisorium.

Bereits einige Tage später konnten die „Dummies“ anprobiert werden. Nach erneuter Kontrolle der statischen und dynamischen Okklusion ebenso wie den ästhetischen Gesichtspunkten wurde die Scanvorlage zur Weiterverarbeitung ins Labor übergeben und die Provisorien wieder aufgeschraubt.

Zwei Wochen nach Ästhetikanprobe der Scanvorlage wurden die fertiggestellten Vollzirkon-Brücken eingesetzt. An dieser Stelle ist es besonders wichtig zu erwähnen, dass die Eingliederung solcher Keramikrestaurationen ohne jegliche Spannungen erfolgen sollte. Die Multiunit-Abutments wurden mit einem Drehmoment von 35 Nm² nachjustiert und der Zahnersatz zunächst handfest eingeschraubt. Abschließend erfolgte die finale Einstellung der Okklusion in Statik und Dynamik und die Entlassung der Patientin in einen dreimonatigen Kontrollintervall. Im Zuge der nächsten Kontrolle erfolgt die Nachjustierung des Zahnersatzes mit einem Drehmoment von 20 Ncm².

Die Gesamtbehandlungszeit der Patientin in unserem Hause lag bei knapp acht Wochen.


VERWENDETE MATERIALIEN UND LITERATUR

Abdruckpfosten, Implantate, Abutments
PerioType® Rapid (Clinical House, Duisburg)

Kollagenmembran
creos xeno.protect (Nobel Biocare, Göteborg)

Nahtmaterial
Gore Suture 5.0 (GoreTex – Arizona, USA)

Abformmaterial
Impregum Penta (3M ESPE, Seefeld)

 

DENT IMPLANTOL (19)6 2015, S. 418–423
Dr. med. dent. Richard J. Meissen, MSc

Sofortbelasteter Zahnersatz auf vier Implantaten nach unmittelbar vorausgegangener Extraktion - ein Fallbeispiel


[1]        Maló P., Nobre M.D., Lopes A.: The rehabilitation of completely endentulous maxillae with different degrees of resorption with four or more immediately loaded implants: a 5-year retrospective study and a new classification. Eur J Oral Implantol. 2011 Autumn; 4(3): 227-243
[2]        Babbush C.A., Kutsko G.T., Brokloff, J.: The all-on-four immediate treatment concept with NobelActive implants: a retrospective study. J Oral Implantol. 2011 Aug; 37(4): 431-445
[3]        Agliardi E., Clericó M., Ciancio P., Massironi D.: Immediate loading of full-arch fixed prostheses supported by axial and tilted implants for the treatment of edentulous atrophic mandibles.  Quintessence Int. 2010 Apr: 41(4): 285-293

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Richard J. Meissen M.Sc. - Dr. Nina Wollenweber

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Richard J. Meissen M.Sc. , Dr. Nina Wollenweber