Komplett metallfreie Versorgung

Der Wunsch nach einer metallfreien Versorgung mit Keramikimplantaten wird immer häufiger geäußert. Im vorliegenden Fallbericht wird beschrieben, wie man komplett metallfrei mit einem synthetischen Knochenaufbaumaterial und acht Keramikimplantaten nach Socket/Ridge Preservation und Kieferkammaufbau einen Patienten erfolgreich therapieren kann.
Die Ergebnisse einiger klinischer Studien über einteilige Zirkoniumdioxidimplantate sind vielversprechend und mit denen über Titanimplantate vergleichbar: Es wird von Erfolgsraten über 95 % berichtet. Klinische und experimentelle Studien zeigen, dass nach der Zahnextraktion durchschnittlich 40-60% der ursprünglichen Höhe und Breite des Alveolarkammes durch eine Kammatrophie während den ersten sechs Monaten verloren gehen. Diese atrophischen Veränderungen erschweren die anschließende Versorgung mit Implantaten, da das Volumen von restlichem Knochen- und Weichgewebe teilweise ungenügend ist.
Eine Sofortimplantation in seit Jahren bestehende Entzündungsprozesse oder parodontal geschädigte Areale ist riskant und kann zum Implantatverlust führen. Die verzögerte Implantation mit vorheriger Rekonstruktion der Implantatinsertionsstellen und fehlenden Knochenarealen ist ein sicherer Weg, um dem Körper die Zeit zu geben, die Entzündungsprozesse in den Griff zu bekommen.
Über eine Socket/Ridge Preservation mit Knochenaufbaumaterial als minimalinvasive Methode kann man diese Strukturen erhalten, dabei bleibt das Knochenniveau, d.h. Höhe und Breite und die Strukturen (Papillen) erhalten. Bereiche mit horizontalen und vertikalen Knochendefiziten kann man auch ohne eine Titanmesh oder Membran aufbauen.
Bei diesem Vorgehen wird kein primärer Wundverschluss durch Mobilisierung eines Lappens oder einer Weichgewebstransplantation benötigt – dies bedeutet für den Patienten weniger Beschwerden und Komplikationen.
Im folgenden Fallbericht wird beschrieben, wie man komplett metallfrei mit einem synthetischen Knochenaufbaumaterial und acht Keramikimplantaten nach Socket/Ridge Preservation und Kieferkammaufbau einen Patienten therapieren kann. Die Eigenschaften des Materials führten zu einer ausgeprägten Knochenregeneration, was eine Implantation nach einer 3,5-monatigen Heilungsphase ermöglicht.
Synthetische Knochenaufbaumaterialien sind osteokonduktiv, biokompatibel und frei von jedem Risiko einer Übertragung von Infektionen oder Krankheiten, zugleich sind sie in unbeschränkten Mengen verfügbar. Diese Materialien finden eine hohe Akzeptanz bei den Patienten, nicht so die tierischen Produkte. Einer der vielversprechendsten Gruppen besteht aus Kalziumphosphat-Keramik, im Speziellen werden solche aus Tricalciumphosphat (TCP) verwendet.
Bei dem im Fallbeispiel verwendeten Material handelt es sich um ein Beta-Tricalciumphosphat (?-TCP; DentOss TCP, Demedi-Dent), das innerhalb von vier bis sechs Monaten zu einem vitalen implantierbaren Knochen umgewandelt wird. Es besitzt eine hochvernetzte Porosität, welche die dreidimensionale Regeneration des Knochens steuert und die vollständige Penetration mit mesenchymalen Stammzellen und Osteoprogenitorzellen ermöglicht.
Diese Eigenschaft ermöglicht ein vereinfachtes und schonendes OP-Protokoll ohne Lappenpräparation mit offener Wundheilung, d.h. keine Membran oder Titanmesh, bei großen Defekten reicht eine Papillen-Adaptationsnaht völlig aus. Durch die exponierte Einheilung stellen sich keine Infektionen, vorzeitige Resorption und/oder das Einwachsen von Weichgewebe ein.
Fallbericht
Es wird im Folgenden die Behandlung eines 53-jährigen Patienten beschrieben, der ein parodontal geschädigtes Gebiss mit nicht erhaltungswürdigen Zähnen im Oberkiefer und im 3. Quadranten im Unterkiefer aufwies. Die Zähne hatten nicht nur erhöhte Lockerungsgrade II-III, sondern auch insuffiziente Wurzelfüllungen mit Zystenbildungen Zahn 15, 12 und 11.
Beratung und Planung
Nach gründlicher klinischer und radiologischer Untersuchung (Abb. 1-3) hat man sich zu einer verzögerten Implantation mit Keramikimplantaten und gleichzeitigem neuem Ersatz der benachbarten Zähne durch eine Vollkeramikversorgung entschieden. Im Oberkiefer sollen die Zähne 15, 14, 12, 11, 24 entfernt werden, die Socket/Ridge Preservation wurde mit DentOss TCP fein (0,1-0,5 mm) geplant. Im Unterkiefer sollen die Zähne 34 und 37 entfernt und gleichzeitig der Kieferkamm regio 34-37 mit DentOss TCP grob (0,5-1,0 mm) aufgebaut werden.
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Abb. 1: Röntgenologische Ausgangssituation.
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Abb. 1a: Röntgenologische Ausgangssituation – DVT.
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Abb. 2: Klinische Ausgangssituation im Oberkiefer.
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Abb. 3: Klinische Ausgangssituation im Unterkiefer.
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Im Oberkiefer wurden fünf Implantate (15, 14, 12, 11, 24) und im Unterkiefer drei Implantate (34-36) geplant. Eine Versorgung des Zahnes 37 wurde vom Patienten nicht gewünscht. Oberkiefer-Abdrücke für ein Langzeitprovisorium wurden im Vorfeld genommen, da im Oberkiefer die Lücken bzw. das ästhetische Erscheinungsbild optimiert werden sollten.
Im Unterkiefer soll der 3. Quadrant erstmal unversorgt bleiben. Präoperative Abdeckung mit Clindamycin 600 mg alle acht Stunden zwei Tage vor dem Eingriff und bis zu 5 Tage danach und Ibuprofen 600 mg bei Bedarf.
OP: Socket/Ridge Preservation im Ober- und Unterkiefer
Nach Entfernung der alten Kronen (Abb. 4) wurden die fünf Zähne im Oberkiefer atraumatisch extrahiert (Abb. 5). Nach gründlicher Wundreinigung mittels scharfem Löffel und Kugelfräse wurden die Alveolen nach der Extraktion mit einem synthetischen Knochenaufbaumaterial (DentOss TCP fein 0,1-0,5mm) befüllt (Abb. 6). Das Material wurde schrittweise mit einem Löffel/Schaufel eingebracht und mit einem kleinen Stopfer leicht kondensiert, bis das Gingivaniveau erreicht war.
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Abb. 5: Atraumatische Extraktion im Oberkiefer.
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Abb. 6: Auffüllung der Alveolen mit synthetischem Knochenaufbaumaterial.
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Die provisorische Versorgung wurde eingesetzt. Die Einheilung des Materials erfolgt offen, da sich das Material mit dem Blut verbindet und einen natürlichen Koagel bildet. Kontrolle ein Tag nach dem Eingriff (Abb. 7) und vier Tage nach Socket (Abb. 8). Die Situation nach zwei Monaten zeigt Abbildung 8a.
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Abb. 8: Vier Tage nach Socket Preservation.
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Abb. 8a: Zustand zwei Monate nach Socket Preservation.
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Im Unterkiefer wurden die Zähne 34 und 37 (Abb. 9 und 9a) extrahiert. Es wurde ein Kieferkammschnitt gesetzt, der atrophierte Kieferkamm zwischen 34 und 37 wurde mit Hilfe einer Kugelfräse aufgefrischt. Nach gründlicher Wundreinigung mittels scharfem Löffel und Kugelfräse erfolgte der Aufbau mit einem synthetischen Knochenaufbaumaterial (DentOss TCP grob 0,5 - 1,0 mm) (Abb. 10).
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Abb. 9: Situation im Unterkiefer.
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Abb. 9a: Zustand nach Extraktion.
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Abb. 10: Aufbau mit synthetischem Knochenaufbaumaterial im Unterkiefer.
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Das Gewebe wurde mit dem Soft Brushing Kit gedehnt. Dieser Bereich kann größtenteils offen einheilen, es wurden fünf Papillen-Adaptationsnähte zur Stabilisierung gesetzt (Abb. 10a). Das Material wird durch das Blut so stabil, dass ein Verwenden von einem Titanmesh überflüssig ist.
Wundkontrolle nach einem Tag (Abb. 11) und vier Tagen (Abb. 12). Im Oberkiefer wurden insgesamt 3 g feines (0,1-0,5 mm) und im Unterkiefer 4 g grobes (0,5-1,0 mm) DentOss TCP verwendet. Ein Röntgenbild zur Kontrolle wurde ein Tag nach dem Eingriff erstellt (OPG, Abb. 13).
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Abb. 12: Wundkontrolle nach vier Tagen.
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Abb. 13: OPG ein Tag nach dem Eingriff.
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Das Material besteht aus Beta-Tricalciumphosphat-Granulaten (ß-TCP). Durch das Einbringen der Granulate in die blutende Alveole entsteht eine formbare Masse aus aneinanderhaftenden Partikeln, die im Defekt modelliert werden kann und sich beim Kontakt mit Blut stabilisiert. Dadurch entsteht ein stabiles, osteokonduktives und poröses Gerüst für die Knochenregeneration.
Die aufgefüllte Stelle verheilt offen ohne primären Wundverschluss. Die Heilung nach der Operation verlief komplikationslos. Durch die biomechanischen Eigenschaften des Knochenaufbaumaterials wurde eine schrittweise Epithel-Proliferation über die aufgefüllte Stelle ermöglicht und nach 3,5 Monaten war die Stelle mit neu gebildetem keratinisierten Epithelgewebe bedeckt (Abb. 14-15).
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Abb. 14: Situation 3,5 Monate nach Socket Preservation im Oberkiefer.
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Abb. 14a: Situation 3,5 Monate nach Socket Preservation im Oberkiefer.
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Abb. 15: Nach 3,5 Monaten Einheilphase.
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Implantation im Ober- und Unterkiefer am 3.9.2020 Situation nach 3,5 Monaten Heilphase im Oberkiefer (Abb. 14-15) und Unterkiefer (Abb. 16). Das Bindegewebe war gut durchblutetet und frei von Anzeichen einer Entzündung.
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Abb. 16: 3,5 Monate nach Socket Preservation im Unterkiefer.
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Die Bereiche, indem das Langzeitprovisorium Kontakt hatte, sah man leichte rötliche Stellen (Druckstellen) (Abb. 14). Die ß-TCP-Partikel waren mit neu gebildetem Knochen in Kontakt oder umschlossen (Abb. 17).
Acht Implantate (5 x SDS 1.1 und 3 x SDS 2.0, SDS Swiss Dental Solutions AG, CH-Kreuzlingen) von 3,8 bis 5,4 mm Durchmesser und 11 bis 17 mm Länge wurden an den optimalen Positionen eingesetzt. Sie wiesen eine ausgezeichnete Primärstabilität aus. Im Oberkiefer wurde eine resorbierbare Naht (SABAsorb rapid) und im Unterkiefer eine nicht-resorbierbare (SABApol) benutzt.
Das Gewebe wurde mit Hilfe eines Dioden-Lasers konturiert (Abb. 18) und die einteiligen 1.1-Implantate direkt präpariert (Abb. 19). Klinische Kontrolle nach der Implantation ein Tag danach im Oberkiefer (Abb. 20), im Unterkiefer (Abb. 21) und radiologisch (Abb. 22). Die klinische und radiologische Untersuchung zeigte nach zwei Monaten ein erfolgreiches Gesamtergebnis bezüglich den biologischen, funktionellen und ästhetischen Parametern (Abb. 22-24).
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Abb. 18: Laser-Modellation mit Diodenlaser.
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Abb. 19: Präparation der Implantate.
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Abb. 20: Klinische Kontrolle ein Tag post OP im Oberkiefer.
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Abb. 21: Klinische Kontrolle ein Tag post OP im Unterkiefer.
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Abb. 22: Röntgenologische Kontrolle ein Tag post OP.
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Abb. 23: Oberkiefer zwei Monate nach OP.
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Abb. 23a: Unterkiefer zwei Monate nach OP.
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Abb. 24: Röntgen zwei Monate nach Implantation.
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DentOss ist radioopak, d.h. bis zum vollständigen Umbau, der bis zu einem Jahr dauern kann, in Abhängigkeit von der Patientenkonstitution, der Größe des Defektes und der verwendeten Granulat-Größe (grob oder fein), noch im Röntgenbild sichtbar. Klinisch ist im Augmentationsbereich vitaler Knochen sichtbar. Nach knapp drei Monaten erfolgte die finale Präparation im Oberkiefer.
Im Unterkiefer bekamen die 2.0-Implantate Aufbauten und wurden ebenfalls präpariert (Abb. 25 und 25a). Die Implantat-Abformung wurde durchgeführt und die Gerüstanprobe eine Woche danach durchgeführt (Abb. 26).
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Abb. 25: Finale Präparation im Oberkiefer.
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Abb. 25a: Finale Präparation im Unterkiefer.
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Abb. 26: Gerüstanprobe eine Woche später.
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Der definitive Zahnersatz wurde am 21.12.20 mit RelyX fest eingesetzt (Abb. 27 und 27a). Klinisches Bild nach fünf Monaten (Abb. 28) und ein Jahr nach Socket/Ridge Preservation (Abb. 29).
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Abb. 27: Der definitive Zahnersatz in situ.
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Abb. 27a: Unterkiefer-Zahnersatz in situ.
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Abb. 28: Klinisches Bild fünf Monate später.
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Abb. 29: Situation ein Jahr nach Socket Preservation.
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Schlussfolgerung
Der vorliegende Fallbericht zeigt, wie man komplett metallfrei mit einem synthetischen Knochenaufbaumaterial und Keramikimplantaten in einer erfolgversprechenden Weise mit vorhersehbaren Resultaten nach Socket/Ridge Preservation und dem Aufbau von Knochendefiziten einen Patienten versorgen kann. Die Eigenschaften des Materials führten zu einer ausgeprägten Knochenregeneration, was zum Verzicht von Titanmesh oder metallischem Abstandshalter führte und eine Implantation nach einer viermonatigen Heilungszeit ermöglichte. Aus klinischer Sicht ist es ebenfalls von Bedeutung, dass durch die biomechanischen Eigenschaften des Knochenaufbaumaterials ein minimalinvasiver Eingriff ermöglicht wird, der keinen primären Wundverschluss erfordert.
Bei der offenen Wundheilung ist die Compliance des Patienten sehr wichtig, da die OP-Region geschont werden muss. Die speziellen Verhaltensregeln müssen eingehalten werden, da die Wundheilung – wie wir wissen – bei jedem anders verläuft. Die Struktur des Kieferkamms bleibt erhalten und eine ausreichende Menge von neu geformtem keratinisierten Weichgewebe wird gebildet, wodurch eine optimale Ästhetik und eine langzeitige Stabilität der Implantatversorgung erreicht werden.