Die implantologische Versorgung bei multiplen Allergien

Schon 2010 dokumentierte das „Weißbuch Allergie in Deutschland“ einen dramatischen Anstieg von Allergien unter den Bundesbürgern [1]. 20 bis 30 Millionen Menschen sollen demnach in Deutschland an Allergien leiden. Eine veröffentlichte Untersuchung aus dem Jahr 2013 bestätigt diesen Trend: Bei etwa 36 % der Frauen und 24 % der Männer in Deutschland wird im Laufe des Lebens eine allergische Erkrankung diagnostiziert [2]. Die Biokompatibilität und Verträglichkeit von zahnmedizinischen Werkstoffen rückt auch hinsichtlich dieser Daten immer mehr in den Fokus, da Patienten vermehrt den Wunsch nach einer Versorgung mit biokompatiblen Materialien äußern.
Titan als Goldstandard?
Die korrosive Eigenschaft von Titanimplantaten, die mit einem veränderten Zellstoffwechsel einhergeht, wurde schon mehrfach nachgewiesen [3-6]. Dies könnte eine relevante Rolle in Bezug auf Periimplantitis und Implantatverlust spielen [7]. Die Suche nach metallfreien Alternativen für die Medizin hat bereits begonnen. Beim Verlust von Hüftprothesen ist das Phänomen der aseptischen Osteolyse durch Titanpartikel schon seit Längerem bekannt. In diesen Fällen wurde eine erhöhte Titankonzentration im Blut nachgewiesen, was zu entzündlichen Prozessen und Organschädigungen führen kann [8,9]. Das Ausmaß der klinischen Relevanz ist momentan noch nicht abzusehen. 2014 zeigte eine Studie, dass Patienten mit multiplen Allergien hinsichtlich Knie- und Hüftprothesen aus Metall zu mehr Komplikationen neigten [10]. In der Endoprothetik kommt aufgrund dessen vermehrt Zirkonoxid zum Einsatz. Gerade bei diesen Patienten könnten Dentalimplantate aus Zirkonoxid auch eine entsprechende Alternative für die Zahnmedizin sein. Klinische Studien zeigen lokal und systemisch keine Toxizität von Zirkonoxid, wonach das Material als biokompatibel zu betrachten ist [11-13]. Im Folgenden soll anhand eines klinischen Falls gezeigt werden, bei welchen Patienten aufgrund der Studienlage eine Implantation mit einem Zirkonoxidimplantat in Erwägung gezogen werden kann.
Der klinische Fall
Eine 39-jährige Patientin wurde mit Aufbissbeschwerden im ersten Quadranten in der zahnärztlichen Praxis vorstellig. Anamnestisch berichtete die Patientin von multiplen Allergien auf Penizillin, Pflaster, Pollen, Tierhaare, Hausstaub und Schimmelpilz. Sie klagte in diesem Zusammenhang symptomatisch über Asthma bronchiale und Heuschnupfen. Bei der klinischen Untersuchung zeigte sich, dass Zahn 15 frakturiert war. Eine Scherbelastung am palatinalen Höcker hatte zu einer tief subkrestalen Fraktur geführt. Funktionsstörungen im stomatognathen System wurden nicht diagnostiziert. Der Zahn 15 wurde als nicht erhaltungsfähig eingestuft und in der Folge knochenschonend extrahiert. In einem separaten Termin wurde die Patientin über die verschiedenen Möglichkeiten einer Versorgung der entstandenen Lücke in regio 15 aufgeklärt. Im Rahmen der Beratung kristallisierte sich der Patientenwunsch nach einer festsitzenden implantologischen Versorgung heraus. Dabei legte der behandelnde Zahnarzt hinsichtlich der Erkenntnisse bezüglich Hüft- und Knieprothesen aus Metall bei multiplen Allergien [10] Wert auf eine biokompatible Versorgung. Dieser Therapieansatz entsprach dem Wunsch der Patientin nach einer metallfreien Versorgung. Die Hochleistungskeramik Zirkonoxid zeigt im Vergleich zu den gängigen Titanimplantaten in der oralen Implantologie keine Unterschiede in der Osseointegration [14-16]. Die gingivale Einheilung und die Reaktion des Weichgewebes auf Zirkonoxid wird von Wissenschaftlern und Klinikern im Vergleich zu Titanimplantaten und -aufbauten sogar als besser eingestuft [17,18]. Für die Versorgung wurde das Keramikimplantat ceramic. implant (vitaclinical, VITA Zahnfabrik, Bad Säckingen, Deutschland) ausgewählt. Das aus Yttrium-stabilisiertem Zirkonoxid gefertigte Implantat ist bereits über fünf Jahre klinisch dokumentiert worden und bietet so dem Praktiker und der Patientin die nötige Sicherheit. Die Einjahresdaten wurden 2016 bereits publiziert [19]. Eine Materialunverträglichkeit wurde durch einen Allergietest dermatologisch ausgeschlossen. Für die chirurgische und prothetische Planung mit dem einteiligen Keramikimplantat wurde ein DVT erstellt. Die Implantation erfolgte im Sinne einer Spätimplantation sechs Monate nach der Extraktion.
Das chirurgische Protokoll
Nach lokaler Anästhesie wurde der Kieferknochen in regio 15 mittels Kieferkammschnitt und mukoperiostaler Lappenbildung freigelegt. Der Lappen wurde mesio-vestibulär von 16 vertikal entlastet (Abb. 1). Die geplante Insertionsstelle wurde daraufhin mit einem Rosenbohrer markiert (Abb. 2). Anschließend konnte mit einem Pilotbohrer (pilot.drill) die initiale Bohrung auf die geplante Tiefe durchgeführt (Abb. 3) und die prothetische Einschubrichtung mit einem Parallelisierungsstab (paralleling. pin) kontrolliert werden (Abb. 4). Ein Profilbohrer (profile. drill) ermöglichte danach eine kontrollierte Erweiterung des Implantatbetts (Abb. 5). Zur Schonung des Knochens und der Gewindespitzen und zur Erzielung einer optimalen Geometrie wurde zur finalen Präparation des Implantatbettes ein Gewindeschneider (thread.cutter) eingesetzt (Abb. 6). Das ceramic. implant (Länge: 10 mm; Durchmesser: 4 mm) wurde nun mit dem Eindrehinstrument (insertion.mount) mit einer niedrigen Drehzahl von 12 U/Min inseriert (Abb. 7), wobei das Gewinde komplett versenkt werden konnte (Abb. 8). Die Primärstabilität betrug abschließend 35 Ncm (Abb. 9). Zur Ausformung der gingivalen Strukturen und für ein vorhersehbares Pontic Design wurde das Implantat mit einem individuellen Gingivaformer, der im Vorfeld im CAD/CAM-Verfahren aus einem Hochleistungskunststoff hergestellt worden war, versehen und der Wundverschluss mit Einzelknopfnähten vorgenommen (Abb. 10).
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Abb. 1: Durch einen Kieferkammschnitt und Lappenbildung wurde regio 15 chirurgisch eröffnet.
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Abb. 2: Mit einem Rosenbohrer wurde die Insertionsstelle initial markiert.
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Abb. 3: Die Pilotbohrung wurde mit dem pilot.drill auf die geplante Tiefe gebracht.
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Abb. 4: Die prothetische Einschubrichtung wurde mit dem paralleling.pin überprüft.
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Abb. 5: Mit dem profile.drill wurde das Knochenbett entsprechend dem Implantatdurchmesser ausgeformt.
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Abb 6: Der thread.cutter sorgte für eine abschließende knöcherne Anpassung an die Gewindearchitektur.
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Abb. 7: Das ceramic.implant wurde mit niedriger Drehzahl auf die geplante Tiefe gebracht.
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Abb. 8: Nach Abschluss der Insertion war die komplette Gewindestruktur im Knochen versenkt.
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Abb. 9: Dank der knochenverdichtenden Gewindestruktur betrug die Primärstabilität 35 Ncm.
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Abb. 10: Der Mukoperiostlappen wurde sorgfältig und spannungsfrei mit Einzelknopfnähten adaptiert.
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Im Verlauf der Ein- und Wundheilung gab es keine Anzeichen für eine Unverträglichkeit. Nach einer Abheilzeit von drei Monaten zeigte sich nach der Entfernung des Gingivaformers eine entzündungsfreie periimplantäre Weichgewebssituation (Abb. 11). Die Gingivaadaption bis zur marginalen Schulter entlang des hochglanzpolierten Implantathalses war vergleichbar mit natürlichen Zähnen. Der Implantatpfosten wurde mit einer Bürste und einer herkömmlichen Polierpaste gereinigt. Die Übertragungskappe (impression. transfer) wurde lagestabil auf den Implantatpfosten gesteckt. Ein Klick beim Einrasten signalisierte dabei die korrekte Passung bündig zur marginalen Implantatstufe. Im Anschluss erfolgte die geschlossene Fixationsabformung mit Polyether (Permadyne Garant, 3M ESPE, Seefeld). Nach der Abformung und erneuter Versorgung des Implantatpfostens mit dem Gingivaformer wurde das Implantatanalog (lab.replica) in der fixierten Übertragungskappe positioniert. Auch hier gab ein Klicken Auskunft über den präzisen Sitz. Ein Meistermodell mit scanbarer Gingivamaske aus Silikon wurde aus Superhartgips hergestellt und mit einem Laborscanner digitalisiert. Eine vollkeramische Krone aus Glaskeramik wurde auf dieser Grundlage CAD/CAM-gestützt hergestellt, individuell charakterisiert (Abb. 12) und definitiv selbstadhäsiv eingegliedert. Bei den Kontrolluntersuchungen zeigten sich keinerlei Anzeichen für eine Unverträglichkeit. Röntgenologisch waren nach drei Monaten keine Auffälligkeiten erkennbar (Abb. 15), die gingivale Architektur zeigte sich reiz- und entzündungsfrei. Auch rezessive Prozesse konnten klinisch nicht festgestellt werden (Abb. 13 und 14).
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Abb. 11: Nach dreimonatiger Einheilung mit einem PMMA-Gingivaformer zeigt sich ein optimales Emergenzprofil.
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Abb. 12: Zur Versorgung des Implantats wurde eine Glaskeramikkrone CAD/CAM-gestützt hergestellt.
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Abb. 13: Das finale klinische Ergebnis fügte sich harmonisch in die Restzahnsubstanz ein.
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Abb. 14: Von vestibulär zeigte sich eine symptomlose gingivale Architektur.
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Abb. 15: Das Röntgenkontrollbild zeigte nach drei Monaten keine Auffälligkeiten und die optimale Nutzung des Knochenangebots.
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Fazit
Es ist bereits bekannt, dass eine Titanunverträglichkeit gegenüber oralen Implantaten möglich ist [7]. Die Risikokonstellationen bezüglich korrosiver Titanimplante und einer Unverträglichkeit sind allerdings keineswegs abschließend geklärt und momentaner Forschungsgegenstand. Bisher gibt es hierzu noch keine klinische Evidenz. Einen ersten Anhaltspunkt für dentale Implantologen in der Praxis können Forschungsergebnisse aus der endoprothetischen Orthopädie geben. Endoprothesen aus Metall neigten laut einer Studie bei multiplen Allergien zu mehr Komplikationen [10]. Eine zuverlässige und standardisierte Unverträglichkeitsdiagnostik existiert allerdings noch nicht. Hier sind Forschungsarbeit und weitere Studien notwendig, um Praktikern und Patienten prognostisch abschließend Sicherheit zu geben.