Anwendung allogener Knochenblöcke in der Implantologie am Beispiel einer singulären Oberkiefer-Schaltlücke

Klinische Situationen mit horizontalem und gleichzeitig vertikalem Knochenabbau stellen den implantologisch tätigen Zahnarzt sowie den Oralchirurgen vor allem im spongiösen Oberkiefer vor Herausforderungen, vor allem wenn sich der Operationssitus in der Front befindet und man das Restgebiss sowohl gesund als auch ästhetisch höchst ansprechend vorfindet. In folgenden Artikel soll an einem solchen Beispiel der Einsatz allogener Knochenblöcke demonstriert werden.
Möglichkeiten des Knochenaufbaus
Klassisch teilt man sowohl die Hart- als auch die Weichgewebsdefekte des Kieferkamms nach vertikalen (normale Kammbreite, reduzierte Kammhöhe), horizontalen (reduzierte Kammbreite, normale Kammhöhe) und kombiniert vertikal-horizontalen (reduzierte Kammbreite, reduzierte Kammhöhe) Defekten ein. Außerdem ist in Hinsicht auf eine Implantatinsertion die Qualität des Knochens von Bedeutung, die nach Misch (modifiziert) in folgende Grade eingeteilt wird:
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In folgende Grade wird eingeteilt.
Mit dem Ziel, in die betreffende Region ein Implantat zu inserieren, ist das oberste Gebot, vorhandene Gewebedefekte im Sinne einer restitutio ad integrum zu decken und weitere operationstechnisch bedingte Gewebedefekte zu vermeiden. Dazu dient die atraumatische Extraktion nicht erhaltungswürdiger Zähne in der Region mit Erhalt der vestibulären Knochenlamelle. Beim Weichgewebs- und Hartgewebsmanagement bietet sich die Socket preservation an.
Gelingt es trotz größter Bemühungen in puncto Prävention von Gewebedefekten nicht, die Atrophie zu vermeiden, stehen unterschiedliche Möglichkeiten des Knochen- bzw. Weichgewebeaufbaus zur Verfügung, um eine sichere Implantatinsertion durchführen zu können.
Ein Grundprinzip des knöchernen Gewebeaufbaus stellt dabei die GBR (Guided Bone Regeneration) dar. Bei diesem Verfahren, das bei kleineren zwei- und dreiwandigen Defekten auch alleinig angewendet werden kann, werden autologe Knochenspäne aus eventuellen Osteotomien/Osteoplastiken bzw. autologe mit xenogenen Partikeln (Botiss Materials®) gemischt oder alleinig allogene Späne (DIZG, Osteograft®) angelagert und mit einer resorbierbaren Membran (z. B. Botiss Collprotect ®, Ossix Plus®) gedeckt, um eine knöcherne Defektheilung zu ermöglichen, anstelle der Proliferation von Epithel und Bindegewebe in den knöchernen Defekt. Um horizontale Hartgewebedefekte zu decken, stehen vor allem im Unterkiefer Methoden wie Bone Splitting oder Bone Spreading zur Verfügung, wobei auch hier Restbreiten des Kamms von 3 mm zur Verfügung stehen sollten. Vorteilig ist anzumerken, dass hier eine Verdichtung der Spongiosa stattfindet, wenn D3-Qualität vorliegt. Die Alternative dazu stellt die Auflagerungsosteoplastik mittels Knochenblöcken dar. Dabei kann zwischen autogenen und allogenen Blöcken unterschieden werden. Bei autogenen Blöcken, die den Vorteil haben, dass keine Spenderproblematik besteht, ist der Patient jedoch einer zweiten OP zur Entnahme des Transplantates ausgesetzt (aus dem Ramus mandibulae respektive aus dem Beckenkamm bei kompletten Kieferrekonstruktionen).
Daher werden allogene Blöcke (humanes Spendermaterial) meist vom Patienten besser akzeptiert. Es entfällt die Entnahme-OP mit all ihren Risiken. Damit kann das Verfahren in diesem Sinne als minimalinvasiv eingestuft werden. Vor allem die Osteokonduktion werde durch allogene Blöcke initialisiert.
Um vertikale Hartgewebedefekte zu decken, stehen ebenfalls so genannte J-Grafts zur Verfügung. Außerdem sind neben Knochen verbessernden Maßnahmen auch im Oberkiefer Verfahren wie der klassische interne oder externe Sinuslift etabliert. Weniger verbreitet dagegen ist die Distraktionsosteogenese. Bei diesem Verfahren wird weder Fremdmaterial eingebracht, noch wird Material entnommen, jedoch muss im Unterkiefer eine Mindesthöhe von 6 bis 7 mm Knochen oberhalb des Nervus alveolaris inferior vorhanden sein; unter solchen Voraussetzungen wäre heutzutage auch die Insertion von kurzen Implantaten (kleiner 8 mm) als Alternativlösung zu diskutieren.
Letztendlich sollte der implantologisch tätige Zahnarzt nicht nur die Verfahren des Hartgewebeaufbaus beherrschen, sondern auch mit dem Weichgewebsmanagement vertraut sein. An dieser Stelle sei nur auf das freie Schleimhauttransplantat bzw. das Bindegewebstransplantat verwiesen.
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Vorgehen bei Transplantation allogener Knochenblöcke.
Klinisches Fallbeispiel: Allogener Knochenblock und Implantation in regio 11
Die im Folgenden vorgestellte Patientin wurde an unsere Praxis überwiesen mit dem Wunsch, die Frontzahnlücke in regio 11 implantologisch zu versorgen (Abb. 1). Der Zahn ging in der Jugendzeit durch einen Unfall verloren und die Lücke wurde mit Hilfe einer Adhäsivbrücke versorgt. Die Patientin war jedoch mit der Ästhetik der Brückenversorgung aufgrund des fortschreitenden vertikalen und horizontalen Knochenabbaus (Abb. 2) unzufrieden und wünschte eine implantologische Versorgung. Die Insertion eines Implantates ist jedoch aufgrund des Knochenabbaus nur zweizeitig möglich und setzt einen Knochenaufbau voraus. Die Patientin hatte sich schnell für einen Knochenaufbau mit Hilfe eines allogenen Knochenblockes entschieden, da so ein zweiter Operationssitus und dessen Komplikationen vermieden werden konnten.
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Abb. 1: Ausgangssituation präoperativ mit starkem vertikalen Knochenabbau.
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Abb. 2: Ausgangssituation präoperativ mit horizontalem Knochenabbau.
Die hier anzutreffende Situation, d.h. eine Schaltlücke der Oberkieferfront bei ästhetisch sensibilisierten Patienten mit hoher Lachlinie, stellt die schwierigste Indikation für allogene Knochenblöcke dar und sollte nur vom erfahrenen Operateur durchgeführt werden.
In der Oberkieferfront liegt meist ein D2- bis D3-Knochen vor mit einem gut vaskularisierten Lagergewebe, welches optimale Voraussetzung für die Nutration des avitalen und avaskulären allogenen Knochenblockes bietet.
Nach umfangreicher Aufklärung der Patientin, Erhebung einer ausführlichen Anamnese und eingehenden Diagnostik mittels DVT sowie präoperativer PZR erfolgte der erste operative Eingriff. Die antibiotische Abschirmung des Eingriffs erfolgte mit Amoxicillin 3 x täglich 1.000 mg und Metronidazol 3 x täglich 400 mg über acht Tage, wobei einen Tag präoperativ mit der Einnahme begonnen wurde. Der Eingriff fand unter Leitungs- und Infi ltrationsanästhesie (Articain & Adrenalin 1:100000) statt. Zunächst erfolgte die Darstellung des Operationssitus über einen krestalen Zugangsschnitt, vestibuläre Entlastungsinzisionen beidseitig und Bildung eines Mukoperiostlappens (Abb. 3). Anschließend erfolgt eine Modellation des ortsanständigen Knochens zur Schaffung einer körperlich passenden Aufl age für das Transplantat. Außerdem wird zur Anregung der Durchblutung und damit auch zur besseren Durchblutung des Blockes der Knochen dekortikalisiert bzw. angekörnt. Letztendlich sollte ein muldenförmiges Lager entstehen. Der allogene Block (DZG/Osteograft®) wird nun nach Herstellerangaben vorbehandelt (Entlüften im Vakuum, Rehydratisieren in physiologischer Kochsalzlösung für mindestens 15 Minuten) und anschließend mittels rotierender Instrumente formkongruent zum Lager gefräst. Die absolute Formkongruenz und Passgenauigkeit wird mittels PA-Sonde an den Rändern kontrolliert (die Sonde sollte sich dabei nicht zwischen Lager und Block schieben lassen).
Ein neuer vielversprechender Ansatz stellt das Bone- Builder-Konzept dar, d. h. nach DVT-Analyse wird mit entsprechender Software ein Dummy CAD/CAM gefräst, dessen Form anschließend von einer Osteograft®-Fräse im Kopierschleifverfahren auf den allogenen Block übertragen wird. Damit entfällt die z. T. sehr zeitaufwendige manuelle Anpassung des Blocks am Patienten sowie das Vorbereiten des Transplantatbettes (nur Ankörnung durchführen). Die Firma Botiss bietet zudem an, sollte man nicht über CAD/CAM-Systeme und Osteograft®-Fräsen verfügen, den Block nach dem DVT-Datensatz in Form zu schleifen.
Nach Anlagerung des Blocks wird dieser in der Regel mit zwei Osteosyntheseschrauben fixiert, um eine absolute Lage- und Rotationsstabilität zu gewährleisten. In diesem Fall (Abb. 4) wurde jedoch aufgrund des J-Graft-Designs und der dadurch bedingten Verkeilung nur eine Schraube eingesetzt.
Das gesamte Augmentationsgebiet wird anschließend mit allogenen Knochenspänen (z. B. Osteograft®, Botiss Dental) auskonturiert (Abb. 4) und mit einer resorbierbaren Kollagenmembran (Botiss Dental) gedeckt. Im Anschluss erfolgt der speicheldichte Wundverschluss, dabei ist der Lappen mittels Periostschlitzung zu vergrößern. In der viermonatigen Einheilphase können Komplikationen über die vorzeitige Exposition des Knochenblocks zur Mundhöhle entstehen. Diese haben jedoch ihre Ursache entweder in der insuffizienten plastischen Deckung (keine Splitflap-Technik respektive submuköse Vestibulumplastiken) oder in einer ungenügenden Weichgewebsdicke oberhalb des aufgelagerten Knochenblocks. Deshalb sollte vor allem im Unterkiefer bei dünnen Gingivaverhältnissen eine simultane Weichgewebsvermehrung mit Hilfe von Bindegewebstransplantaten im Einzelfall erwogen werden.
Man erkennt in den Abbildungen 5 und 6 deutlich die Verbesserung der Knochendimension im Vergleich zum Ausgangsbefund (Abb. 1 und 2).
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Abb. 4: Augmentation mit allogenem Knochenblock, fixiert mit einer Osteosyntheseschraube.
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Abb. 5: Situation nach Einheilung des Blockes, vollständiger Ausgleich des Knochenniveaus in vertikaler Ebene.
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Abb. 6: Situation nach Einheilung des Blockes, vollständiger Ausgleich des Knochenniveaus in horizontaler Ebene.
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Abb. 7: Implantation.
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Abb. 8: Auf Knochenniveau inseriertes Implantat.
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Abb. 9: Hohe Primärstabilität des Implantates, ermittelt über Periotest.
Vier Monate nach Auflagerungsplastik erfolgt der Reentry- Eingriff. Die Osteosyntheseschraube wird entfernt, simultan erfolgt die Implantation eines MIS-C1-Implantates D 4,3 / L 13 mm (Abb. 7 und 8) mit hoher Primärstabilität (> 40 Ncm, Periotest Abb. 9). Zusätzlich kann eine erneute Konturierung mit allogenen Knochenspänen erfolgen.
Nach Wundverschluss kann bei hoher Primärstabilität (40 Ncm) nach acht Wochen die prothetische Versorgung erfolgen. Wird bei der Insertion des Implantates keine hohe Primärstabilität aufgrund spongiöser Knochenverhältnisse erzielt, wird eine klassische Einheilphase von drei bis vier Monaten bevorzugt. Die Abbildungen 12 bis 14 zeigen die Eingliederung des Langzeitprovisoriums zur Ausformung des Weichgewebes. Im Anschluss erfolgt die definitive prothetische Versorgung mit einer keramisch individuell verblendeten Einzelkrone angefertigt vom überweisenden Kollegen.
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Abb. 10: Dichter Wundverschluss zur gedeckten Einheilung des Implantates.
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Abb. 11: Implantatfreilegung.
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Abb. 12: Langzeitprovisorium zur Ausformung der Gingiva.
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Abb. 13: Eingegliedertes Langzeitprovisorium vor Farbkorrektur.
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Abb. 14: Eingegliedertes Langzeitprovisorium vor Farbkorrektur.
Um optimale Resultate zu erhalten, sollte die prothetische Versorgung sowie die chirurgische Behandlung vom selben Behandlerteam durchgeführt werden. Positiv wirkt sich zudem eine individuelle Farbbestimmung durch einen mit Keramik erfahrenen Zahntechniker aus.
Fazit
Bei allogener Knochenblockaugmentation kann ein vergleichbar gutes Ergebnis wie bei autologen Transplantaten erzielt werden, ohne einen zweiten chirurgischen Eingriff zu riskieren.
Bei der Menge von über 600 in unserem Behandlerteam durchgeführten Knochenblöcken mit einer Erfolgsquote von 93 % seit 2004 stellt sich die Frage, ob der autogene Block seine Rolle als Goldstandard aufrechterhalten kann. Jedoch sollte die Indikation kritisch gestellt werden und eine hohe Compliance des Patienten vorliegen. Ferner sollte der chirurgisch tätige Zahnarzt bereits über mehrjährige Erfahrungen auf den Gebieten der Implantation, Augmentation, Parodontologie und des plastischen Weichgewebsmanagements verfügen.
Literatur beim Verfasser.