Der digitale Workflow in der Implantologie

Die zahlreichen Möglichkeiten der digitalen Zahnheilkunde finden immer häufiger Anwendung in der täglichen Praxis. Neben der präoperativen Diagnostik bieten die präoperative Planung, die digitale Abformung, die geführte Chirurgie sowie die CAD/CAM-Prothetik vielseitige Möglichkeiten für die Patientenversorgung. Gleichzeitig bestehen die Risiken mancher Behandlungen weiterhin; sie können durch moderne Techniken nicht vollständig eliminiert werden. Deshalb müssen wir wissen, wie wir damit umgehen.
In dem hier vorgestellten Fall erschien der Patient mit Beschwerden an Zahn 21 in unserer Praxis. Der Zahn war mobil (Lockerungsgrad II), quer frakturiert und nicht erhaltungswürdig (Abb. 1-4). Die erste Entscheidung die getroffen werde musste, war die Art der Behandlung und der provisorischen Versorgung. Zahn 22 war überkront und Zahn 11 ein Implantat. Die Versorgung mit einer Brücke wäre keine optimale Lösung gewesen. Wir wollten die Verankerungsarten nicht kombinieren und Zahn 22 war in seiner Wertigkeit als Pfeiler für eine Zahn-Implantat getragene Brücke nicht hoch genug. Deshalb haben wir uns für den Ersatz von 21 durch ein Implantat mit sofortiger Versorgung ohne Funktion entschieden. Eine Maryland-Brücke wäre nicht an den Nachbarkronen zu befestigen und eine Interimsprothese erachteten wir auch als suboptimale Lösung.
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Abb. 1: Präoperatives Röntgen.
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Abb. 2: Klinische Ausgangssituation.
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Abb. 3: Frakturierter Zahn 21 okklusal.
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Abb. 4: Frakturierter Zahn 21 frontal.
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Fallbeschreibung
Nach entsprechender Diagnostik mit DVT wurde eine Bohrschablone hergestellt und eine provisorische Krone gefräst (Abb. 5ac). Als Abutment wurde ein Titanabutment ausgewählt. Nach Extraktion des Zahnes und Inspektion der Alveole wurden alle Osteotomien durch die Schablone durchgeführt. Das Design der Schablone erlaubt optimale Adaptation und ständige Inspektion der OP-Region. Die Bohrhülsen können klein dimensioniert gewählt werden, was in engeren Lücken von großem Vorteil ist. Die Bohrer für geführte Chirurgie sind an zwei gegenüberliegenden Seiten abgeflacht und erlauben Kühlung während der Bohrung. Die Bohrer schließen bündig mit der Bohrhülse und durch den Stopp ist eine Überpräparation unmöglich. Zugleich kann der Operateur leicht kontrollieren, ob er die gewünschte Tiefe erreicht hat. Die Insertion des Implantates erfolgte ebenso durch die Bohrschablone. Mit demselben Stopp des Einbringpfostens konnte die genaue Platzierung des Implantates gewährleistet werden (Abb. 7-10). Alles in allem zeigte sich dieses System als sehr einfach zu verwenden und zuverlässig in Bezug auf die Durchführung der Osteotomien und die Insertion des Implantates.
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Abb. 5a: CAD-Provisorium okklusal.
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Abb. 5b: CAD-Provisorium frontal mit Implantatachse.
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Abb. 5c: CAD-Provisorium palatinal.
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Abb. 6: Extraktionsalveole.
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Abb. 7: Die vorbereitete Bohrschablone.
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Abb. 8: Osteotomiebohrer mit apikalem Stopp und abgefl achten Seiten für die Kühlung.
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Abb. 9: Insertion des Implantates durch die Schablone.
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Abb. 10: Definitive Positionierung des Implantates.
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Nach Implantation wurde das Abutment eingeschraubt und das Provisorium angepasst. Dieser Schritt war unvermeidbar, weil man präoperativ nicht festlegen kann, wie die Antirotationsgeometrie des Implantates ausgerichtet wird. Die Befestigung der provisorischen Krone am Abutment erfolgte mit Komposit (Abb. 11-12). Das verwendete System weist ein Platform Switching auf. Zusammen mit dem konkaven Abutment bietet es viel Platz für Weichgewebe krestal. Dieser Platz ist auch notwendig, damit man später das Weichgewebe manipulieren kann, um ein optimales ästhetisches Ergebnis zu erreichen.
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Abb. 11: Provisorisches Abutment in situ.
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Abb. 12: Provisorische CAM-Krone.
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Das Provisorium wurde eingeschraubt und aus der Okkasion genommen. Der Spalt zwischen Implantat und Innenwand der Alveole wurden mit einem nichtresorbierbaren Material aufgefüllt. Das Implantat wurde 1 mm unterhalb der bukkalen Lamelle und 2 mm unterhalb der approximalen Knochenhöhe (IHB: interproximal height of bone) gesetzt. Es wurde darauf geachtet, dass das Implantat unterhalb dem Niveau des Implantats 11 liegt, um die Alveole dort möglichst gut zu unterstützen (Abb. 13 und 14).
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Abb. 13: Provisorium in situ und aus der Funktion.
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Abb. 14: Röntgen postoperativ.
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Chancen und Risiken der Sofortimplantation
Die Sofortimplantation mit Sofortversorgung bietet die besten Voraussetzungen für eine optimale Ästhetik. Gleichzeitig birgt sie das höchste Risiko für eine Implantatlockerung, da es zwangsläufig belastet wird ? direkt oder indirekt. Der Patient darf für mindestens acht Wochen nicht darauf kauen und nur weiche Kost zu sich nehmen. Die Literatur empfiehlt eine Sofortimplantation bei einer Primärstabilität ab 40Ncm. Trotzdem ist nicht vorher festzulegen, wie stark die anfängliche Stabilität in den ersten Wochen nach Implantation abnimmt. Wenn also diese Stabilität, unabhängig davon wie hoch sie anfänglich war, in den ersten vier Wochen gegen Null geht, wird das Implantat nicht einheilen. Das ist unabhängig vom Implantationszeitpunkt und der provisorischen Versorgung. Diese Gefahr besteht immer. Auch die Wahl des richtigen Implantatdesigns für die jeweilige Situation ist sehr wichtig. Wir haben uns für ein System mit aggressivem Gewinde apikal entschieden. Zeitgleich hat dieses System koronal einen kleinen Durchmesser (dreieckig), wodurch mehr Platz für Knochen geboten wird ? dort wo wir ihn am meisten benötigen.
Das Insertionsdrehmoment war 55-60 Ncm. Ein höherer Drehmoment kann zu Drucknekrosen führen und ebenso zu einem Verlust. Größere Durchmesser haben sich auch als falsche Entscheidung herausgestellt.
Vier Wochen nach Implantation erschien der Patient mit Beschwerden erneut in der Praxis. Das Implantat zeigte eine Lockerung von Grad I. Die Kontrolle der Abutmentschraube zeigte keine Lockerung. Offensichtlich war das Implantat locker. Wie so oft in solchen Fällen hatte der Patient keine Schmerzen oder Entzündungszeichen. Das Implantat wurde entfernt und die Alveole sondiert. Es zeigte sich weder eine Perforation oder Defekt der bukkalen Lamelle noch Infiltration von Weichgewebe in die Alveole.
Re-Implantation nach vier Wochen
Wir haben uns für die erneute Implantation nach vier Wochen entschieden, dieses Mal mit Lappenbildung. Dafür wurde ein Dreieckslappen gebildet unter Schonung der medialen Papille zum Implantat 11. Distal wurde die Papille zu 22 gehoben, wohl wissend dass dort die Gefahr einer Rezession hoch ist. Wir wollten allerdings sicher den Defekt sehen und gegebenenfalls augmentieren. Ein Lappen ohne Hebung der distalen Papille hätte krestal eine Breite von 5 mm und Dehiszenzen wären dort sehr wahrscheinlich. Für die Implantation wurde dieselbe Bohrschablone benutzt (Abb. 15 und 16). Das Implantat sollte in derselben Position inseriert werden. Das neue Implantat war 0,3 mm breiter mit einem durchgehenden Gewinde bis zum Hals. Die Prothetik war exakt gleich, was uns später erlauben würde, dieselbe provisorische Krone zu benutzen. Der Lappen wurde plastisch verschlossen.
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Abb. 15: Klinische Situation vor der zweiten Implantation.
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Abb. 16: Lappenbildung bei der zweiten Implantation.
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Freilegung und Abformung
Die Freilegung erfolgte nach 12 Wochen. Es wurde kein Lappen gehoben, sondern gestanzt. Die Quantität und Qualität der keratinisierten Gingiva war sehr hoch. Mithilfe der ersten provisorischen Krone wurde das richtige Emergenzprofil erschaffen. Wir haben dieselbe provisorische Krone benutzt. Die Abformung erfolgte direkt nach der Freilegung. Die Scan-Körper des Systems sind sehr schlank und vorteilhaft für die digitale Abformung. So ist es nicht notwendig großflächig aufzuklappen, um einen breiten Pfosten einzuschrauben (Abb. 17-19). Die 3D-gedruckten Modelle können nach diesem Austrittsprofil hergestellt werden oder es kann nach CAD das gewünschte Emergenzprofil gedruckt werden. Mittlerweile können 3D-Modelle auch mit Gingivamaske gedruckt werden.
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Abb. 17: Freilegung.
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Abb. 18a: Scankörper für die digitale Abformung.
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Abb. 18b: Digitale Abformung.
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Abb. 19a: Provisorium in situ, Weichgewebskonditionierung.
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Abb. 19b: CAD-Planung der Krone.
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Für die Modelle wurde das präoperative Emergenzprofil benutzt. Dies war identisch mit dem der provisorischen Krone. Bei der Abutmenteinprobe wurde kontrolliert, ob es Diskrepanzen zwischen Emergenzprofil des Provisoriums und der definitiven Versorgung gibt. Die fertige Krone wurde extraoral zementiert und anschließend eingeschraubt.
Wie befürchtet ist es am Zahn 22 zu einer Rezession gekommen als Folge der Lappenhebung bei der zweiten Operation. Auf dem Röntgenbild bei der Abutmenteinprobe ist sichtbar, dass wir dort an IHB verloren haben. Die Entscheidung bei der Freilegung keinen Lappen oder die Papille zu heben war richtig, weil wir sonst mit ästhetisch ausgeprägten Rezessionen zu rechnen hätten. Der Versuch diese Rezession an 22 mit Weichgewebe zu augmentieren ist sehr riskant, wenn nicht sogar kontraindiziert. Sowohl freie Schleimhauttransplantate als auch Tunnelierungstechniken sind kaum vorhersagbar in dieser Situation. Es ist praktischer und einfacher eine neue Krone herzustellen und die Ränder paragingival zu setzen (Abb. 20-22).
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Abb. 20: Emergenzprofil nach Provisorium.
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Abb. 21: Abutmenteinprobe.
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Abb. 22: Röntgenkontrolle nach Einprobe.
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Abb. 23: Definitive Versorgung.
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Letztendlich muss der Patient entscheiden, ob er mit der Versorgung zufrieden ist. Wir dürfen die Patienten nicht übertherapieren. Dieser Patient war glücklich keine Lücke zu haben. Die Rezession an 22 hat ihn nicht gestört und durch die niedrige Lachlinie fällt sie auch nicht auf (Abb. 23).
Fazit
Die digitale Zahnheilkunde bietet sehr viele Möglichkeiten, eine Behandlung detailliert zu planen und durchzuführen, schneller und effektiver zu arbeiten sowie kostengünstig zu versorgen. Die digitale Abformung spart uns Zeit. Die CAD/CAM-Herstellung von Zahnersatz ist sehr präzise und zeiteffizient. Alle Schritte sollten miteinander kombiniert werden, damit wir alle Vorteile nutzen können. Nach der digitalen Abformung sollten auch die Planung und das Design von Abutments und Suprakonstruktionen digital erfolgen. Diese können dann vollständig gefräst werden. Das Drucken von 3D-Modellen dient nur der Individualisierung der Farbgebung und nicht der Herstellung der Versorgung, sofern es für die optimale Ästhetik möglich ist.