Die neue Ära in der Implantologie

Dentale Implantatsysteme werden stetig weiterentwickelt. Insbesondere Implantatmaterialien, Makrodesigns und Oberflächenstrukturen standen in den letzten Jahrzehnten im Fokus. Auf diese Weise wurden die Primärstabilität und die Osseointegration kontinuierlich verbessert. Die runde Grundform der Implantate und die Aufbereitung des Implantat-Lagers wurden im Laufe der Zeit jedoch kaum verändert [1-3].
Seit Brånemark werden die Implantatlager mit runden Spiralbohrern präpariert, gefolgt von der Insertion runder Schraubenimplantate. Alternative Aufbereitungsprotokolle mit unrunden „low-speed“ Werkzeugen gefolgt von unrunden Implantatkörpern eröffnen einen gänzlich neuen Blickwinkel auf die Primärstabilität und Osseointegration. Eine schonendere Knochenaufbereitung und ein triovales Dentalimplantat, ermöglichen rotatorische Funktionszonen mit erhöhter Primärstabilität und gleichzeitigem Erhalt der bukkalen Lamelle. Auf diese Weise können vermutlich die Vorhersehbarkeit und die Erfolgsrate erhöht werden [3,4]. Die meisten konventionellen chirurgischen Konzepte basieren darauf, dass der Behandler während des Bohrvorgangs die Knochenqualität evaluiert oder dies mit Hilfe eines Zusatzinstruments durchführt. Die bisherigen Aufbereitungsinstrumente arbeiten entweder komprimierend oder schneidend.
Chirurgisches Konzept
Das neue chirurgische Aufbereitungsprotokoll für das Nobel Biocare N1TM System soll dem Behandler die Evaluation der Knochenqualität abnehmen. Dies soll durch die Aufbereitungswerkzeuge erfolgen und auf diese Weise zu reproduzierbarerer Primärstabilität führen. Ergänzend dazu sorgen die „low-speed Tools“ für eine deutlich schonendere Knochenaufbereitung. Die einzelnen Schritte sind im Folgenden näher erläutert.
Direct
Das neue Aufbereitungsprotokoll des Nobel Biocare N1TM Systems sieht im ersten Schritt „Direct“ die Positionierung der Endlage des Implantates vor. Der OsseoDirectorTM ermöglicht mit Wasserkühlung und „high-speed“ durch seine seitwärtsschneidenden Eigenschaften auch entsprechende Lageveränderungen während der Pilotbohrung.
Shape
Das Herzstück stellt jedoch das Einmalinstrument Osseo-ShaperTM 1 dar. Der OsseoShaperTM 1 gewährleistet während seines knochenschonenden Eindrehens mit 50 U/min ohne Wasserkühlung die Komprimierung des weichen Knochens, das Schneiden harter Knochenstrukturen und die Evaluation der Knochenqualität. Ist der implantatco-packed OsseoShaperTM 1 bis 40 Ncm knochenbündig in seiner Endlage, lässt sich unmittelbar im Anschluss das Implantat final inserieren. Sollte der OsseoShaperTM 1 in seltenen Fällen nicht in der finalen Endlage sein, kommt der OsseoShaperTM 2 zum Einsatz. Dieser ist rein schneidend konfiguriert und ermöglicht bei 50 U/min ebenfalls ohne Wasserkühlung eine schonende finale Aufbereitung des Knochenlagers.
Place
Nachdem die Osteotomie in Durchmesser, Länge und Form optimiert an das jeweilige N1TM Implantat vorbereitet wurde, kann das N1TM Implantat inseriert werden. Dank seiner Eigenschaften ist das N1TM Implantat für Sofortimplantation und -belastung auch in Extraktionsalveolen geeignet. Die TiUltraTM Oberfläche fördert eine schnelle Osseointegration, was auch bei gedeckter Einheilung eine frühe funktionelle Belastung ermöglicht [3,4]. Zusätzlich ermöglicht das sehr effektive Osteotomie-Protokoll eine sehr effizientes chirurgisches Tray. Dies ist nicht nur intraoperativ durch Übersichtlichkeit und Handlichkeit von Vorteil, es unterstützt zusätzlich die Aufbereitung und Resterilisation durch das Fachpersonal. Abbildung 1 zeigt den Ablauf des neuen Protokolls Direct – Shape – Place. Zusätzlich ermöglicht das sehr effektive Osteotomie-Protokoll eine sehr effizientes chirurgisches Tray.
Prothetisches Konzept
Nach der Insertion des Nobel Biocare N1TM Implantats kann intraoperativ entschieden werden, ob die prothetische Versorgung auf Bone-Level oder auf Tissue-Level erfolgen soll. Ergibt sich während der Insertion unerwartet eine zu niedrige Primärstabilität oder die Notwendigkeit einer umfangreichen Augmentation, kann das Nobel Biocare N1TM Implantat klassisch als Bone-Level-Implantat gedeckt einheilen. Ist die Primärstabilität ausreichend, kann das Nobel Biocare N1TM Implantat mit Hilfe der neuen Nobel Biocare N1TM Base in ein Tissue-Level-Implantat „konvertiert“ werden.
Dank der neuen triovalen konischen Implantat-Abutment-Verbindung (IAV) TCC kann das Nobel Biocare N1TM Implantat in Kombination mit der Nobel Biocare N1TM Base als virtuell einteiliges Tissue-Level-Implantat versorgt werden. Über drei verschiedene Gingivahöhen der Nobel Biocare N1TM Base lässt sich die Tissue-Level-Konfiguration perfekt auf die Hart- und Weichgewebsverhältnisse anpassen und das „one Abutment one Time Konzept“ umsetzen. Beeindruckend, dass diese Vielfalt mit nur einem Implantatsystem möglich ist. Alle Abutments der triovalen konischen IAV TCC zentrieren sich bei der Eingliederung und Fixierung selbst, sodass keine Fehlpositionierungen möglich sind.
Auch vermeidet der rotatorische Formschluss eine Lockerung und in Kombination mit der konischen Gestaltung lassen sich Mikrobewegungen vermeiden und eine erhöhte Dichtigkeit erzielen. Die Nobel Biocare N1TM Base ist steril verpackt und mit der XealTM Oberfläche versehen, welche eine MucointegrationTM fördert. Das schlanke Emergenzprofil erzielt eine langfristige Gewebestabilität und Ästhetik unter Erhalt der prothetischen Flexibilität.
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Abb. 1: Systemkomponenten und chirurgisches Tray.
© Dr. Scherg
Das gesamte Konzept bietet eine konstante Implantatwandstärke über 360° und das günstige Platform-Switching für ein exzellentes Weichgewebsmanagement (Abb. 2). Alle Nobel Biocare N1TM TCC Abutments erreichen ihren finalen Form- und Kraftschluss bei lediglich 20 Ncm und ermöglichen so schlanke prothetische Komponenten.
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Abb. 2: Links: Prothetische Komponenten, rechts: triovale konische Verbindung (TCC).
© Dr. Scherg
Ausgangssituation Patientenfall
Ein 69-jähriger Patient, Nichtraucher und ohne Vorerkrankungen, stellte sich mit Aufbißschmerzen am bereits wurzelbehandelten, druck- und klopfempfindlichen Prämolar 24 vor. Röntgenologisch wies der Zahn eine leichte apikale Aufhellung unklarer Genese auf (Abb. 3). Der Zahn war im Brückenverbund mit den Zähnen 26 und 27.
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Abb. 3: Ausgangssituation.
© Dr. Scherg
In einem Aufklärungsgespräch wurden dem Patienten die Behandlungsoptionen und -alternativen nach Entfernung des Zahns 24 erklärt. Der Patient entschied sich für implantatgetragene Kronen auf 24 und 25.
Chirurgisches Vorgehen
Die Extraktion von Zahn 24 wurde atraumatisch durchgeführt, um den bukkalen Knochen zu erhalten. Anschließend wurde die Extraktionsalveole kürettiert und das Granulationsgewebe entfernt.
Zunächst erfolgte die initiale Implantatpositionsvorgabe mit dem OsseoDirectorTM, welche die endgültige Implantatposition definiert. Im nächsten Schritt erfolgte die weitere Präparation mit dem OsseoShaperTM 1 mit niedriger Geschwindigkeit und Verzicht auf Kühlung. Da dieser unterhalb von 40 Ncm in Endlage kam, war die Osteotomie hier bereits beendet. Als nächstes erfolgte in regio 24 die Implantatinsertion (Nobel Biocare N1TM TCC RP 4,0 x 13 mm) mit 37 Ncm. Die gesamte Konzeption der Sofortimplantation können sowohl das Weich- als auch das Hartgewebe erhalten. Der Aufbereitung entsprechend des Implantatprotokolls schloss sich die leicht nach palatinal orientierte Platzierung des Implantats in die frische Extraktionsalveole an (Abb. 4).
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Abb. 4: Implantatinsertion.
© Dr. Scherg -
Abb. 6: Weichgewebsmanagement (Nobel Biocare, creos™ mucogain).
© Dr. Scherg
In regio 25 betrug die Restknochenhöhe etwa 7 mm. Hier wurde ein interner Sinuslift vorgenommen, um eine Implantatlänge von 9 mm nutzen zu können. Das Implantat (Nobel Biocare N1TM TCC RP 4,0 x 9 mm) ist formkongruent mit 30 Ncm in das vorbereitete Implantatbett inseriert worden.
Zusätzlich erfolgte eine bukkale Weichgewebe-Verdickung durch eine resorbierbare Kollagenmatrix (Nobel Biocare, creosTM mucogain) (Abb. 6).
Implantatprothetik
Um ein ideales Emergenzprofil für eine optimale Ästhetik bei stabilen biologischen Verhältnissen zu erreichen, wurden beide Implantate mit der Nobel Biocare N1TM Base (RP, 1,75 mm) versorgt (Abb. 5). Zusätzlich erfolgte intraoperativ im digitalen Workflow (3Shape TRIOS 4) der Intraoralscan und die Herstellung der provisorischen Implantatkronen (Abb. 7 und 8). Der Patient konnte innerhalb von vier Monaten mit der definitiven Restauration NobelProcera® Zirconia Implant Crown N1TM Base versorgt werden (Abb. 9 bis 11).
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Abb. 5: Versorgung mit Nobel Biocare N1™ Base Xeal™ Xeal TCC RP 1,75 mm.
© Dr. Scherg -
Abb. 7: Intraoperativer Intraoralscan für die provisorische Versorgung.
© Dr. Scherg
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Abb. 8a und b: Provisorische Versorgung.
© Dr. Scherg -
Abb. 8b.
© Dr. Scherg
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Abb. 9: Digitaler Workflow für die Endversorgung (3Shape TRIOS 4).
© Dr. Scherg -
Abb. 10: Die definitive Versorgung ist fertig zur Eingliederung.
© Dr. Scherg
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Abb. 11: Die definitiven implantatgetragenen Kronen unmittelbar nach dem Verschrauben im Mund des Patienten.
© Dr. Scherg -
Abb. 12: Die klinische Situation nach sechs Monaten.
© Dr. Scherg
Diese zentral gefertigte monolithische Zirkonkeramik kann ohne Klebebasis direkt auf die Base Plattform verschraubt werden. Sechs Monate nach Abschluss der Behandlung ist die Situation klinisch sowie radiologisch stabil und der Erhalt der buccalen Knochenlamelle nachweisbar (Abb. 12 bis 14).
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Abb. 13: Die radiologische Situation nach sechs Monaten (Implantatposition 24).
© Dr. Scherg -
Abb. 14: Die radiologische Situation nach sechs Monaten (Implantatposition 25).
© Dr. Scherg
Eine erste klinische Auswertung aus der Praxis
In der Zahnarztpraxis Dr. Stefan Scherg in Karlstadt konnten seit dem Marktstart des Nobel Biocare N1TM Implantats 170 Nobel Biocare N1TM Implantate bei 93 Patienten nachuntersucht werden. Hierbei wurden 32 Implantate mit einem Durchmesser von 3,5 mm und 138 Implantate mit einem Durchmesser von 4,0 mm inseriert. Es wurden 93 Implantate im Oberkiefer und 77 Implantate im Unterkiefer implantiert. Bei 64 der Nobel Biocare N1TM Implantate wurde das Konzept der Sofortimplantation eingesetzt. Bei 43 Implantaten wurde ein interner Sinuslift durchgeführt und bei 53 Implantaten musste lateral oder vertikal augmentiert werden. Prothetisch handelte es sich bei 64 Implantaten um Einzelzahnversorgungen und das neue Konzept der Nobel Biocare N1TM Base kam bei 46 Versorgungen zum Einsatz.
Wie häufig muss der OsseoShaperTM 2 eingesetzt werden?
Bei der Auswertung der OsseoShaperTM Anwendungen wurde zwischen dem aktiven und passiven „Stoppen“ der Osseo-ShaperTM unterschieden. Beim aktiven „Stoppen“ wurde der OsseoShaperTM aktiv durch den Behandler gestoppt. Bei einem passiven „Stoppen“ erfolgte das Ende des „Shape Vorgangs“ durch den Chirurgiemotor bei einem Drehmoment von 40 Ncm. Bei 98 (71 OK / 27 UK) der insgesamt 170 inserierten Nobel Biocare N1TM Implantate wurde der OsseoShaperTM 1 aktiv durch den Operateur „gestoppt“. Das passive „Stoppen“ durch den Chirurgiemotor“ stellte sich bei 68 (20 OK / 48 UK) ein. Interessanterweise konnte der OsseoShaperTM 1 bei lediglich 1 Oberkieferfall und 13 Unterkieferfällen nicht vollständig eingedreht werden. Aufaddiert musste bei nur 14 von insgesamt 170 inserierten Nobel Biocare N1TM Implantaten der OsseoShaperTM 2 verwendet werden. Die gesamten Daten sind in Tabelle 1 dargestellt. Hieraus folgt, dass über ein breites Spektrum an Fällen und Situationen bis auf 8,24 % der Fälle auf die Verwendung des OsseoShaperTM 2 verzichtet werden konnte. In 91,76 % aller Fälle wurden für die Osteotomie nur zwei Schritte benötigt – Direct & Shape. Die stets neuen OsseoShaperTM gewährleisten ausnahmslos eine optimale Schärfe der Schneiden und haben ein effizientes OP-Tray zur Folge.
Diskussion
Neue mechanische triovale Komponenten ermöglichen ganz neuartige Osteotomien. Die Implantatbettpräparation erfolgt mit derart niedriger Rotationsgeschwindigkeit, dass die Notwendigkeit einer Wasserkühlung entfällt. Diese Präparation mit einer sehr geringen Wärmeentwicklung im Knochen erhält nicht nur die Vitalität der Osteozyten, sondern sorgt auch für ein Verbleiben sämtlicher Zytokine und Interleukine am Ort der Osseointegration. Die Präparation mit triovalen Komponenten führt zu einer verbesserten Osteogenese und einer beschleunigten Osseointegration [5]. Die triovalen Implantate können eine verbesserte Primärstabilität durch ein höheres Insertiondrehmoment gewährleisten, ohne den Druck auf den umliegenden Knochen zu erhöhen. Dies kann durch die tiefere Penetrationstiefe der Implantatgewinde in den Knochen im Vergleich zu rundförmigen Implantaten erklärt werden [4]. Das N1TM Implantat-System zeigt mit neuen triovalen Aufbereitungswerkzeugen und Implantaten, dass es möglich ist, im klinischen Praxisalltag nach einer Positionsbohrung über 90 % der Implantate mit lediglich einem Aufbereitungsschritt bei reproduzierbarer Primärstabilität zu inserieren.