Implantatrestauration im Seitenzahnbereich des atrophierten Unterkiefers
Moderne implantatprothetische Therapien basieren auf einem Zusammenspiel analoger Arbeitsschritte und digitaler Prozesse. Zunehmend werden die Bausteine miteinander verknüpft und so ein durchdachter, effizienter Workflow ermöglicht. Beispielhaft stellt der Autor im Artikel ein in seinem implantologischen Alltag bewährtes Vorgehen anhand eines Patientenfalles dar – von der Planung der Implantatpositionen auf Basis eines dreidimensionalen Bildes über den chirurgischen Eingriff mit pilotierter Bohrschablone bis zur Herstellung der patientenindividuellen Abutments und zum Einsetzen vollkeramischer Restaurationen.
In der digitalen Zahnmedizin sind die Implantologie und die Implantatprothetik zwei Bereiche, bei denen sich die Arbeitsabläufe in den vergangenen Jahren signifikant verändert haben. Von der Diagnostik und Planung bis zum Herstellen der prothetischen Restauration lassen sich viele Schritte digital vornehmen. Theoretisch ist heutzutage in bestimmten Indikationen ein komplett digitaler Workflow möglich, bei dem keine physischen Arbeitsunterlagen mehr benötigt werden.
Außer der eigentlichen zahnärztlich-chirurgischen Arbeit erfolgen alle Arbeitsschritte nur digital. In den meisten Situationen des implantologischen Arbeitsalltags ist es jedoch die intelligente Verknüpfung von analogen Abläufen und digitalen Prozessen, die auf sicherem Weg zum Ziel führt. So lässt sich der Zeitaufwand in der Zahnarztpraxis und im Dentallabor deutlich reduzieren.
Zudem ist die verringerte Anzahl von Behandlungssitzungen als Vorteil zu nennen ebenso wie die aufgrund digitaler Möglichkeiten reduzierte Invasivität der Eingriffe, z. B. durch das Vermeiden von aufwendigen Augmentationen. Im Fokus der nachfolgenden Fallbeschreibung steht die effiziente Umsetzung einer implantatprothetischen Therapie durch die Integration digitaler Prozesse in den bewährten Arbeitsablauf.
Vorgeschichte des Patienten
Der 52-jährige Patient ist im Ober- und Unterkiefer prothetisch festsitzend versorgt (Abb. 1). Vor etwa 10 Jahren wurden aufgrund ausgedehnter parodontaler sowie endodontischer Läsionen u. a. die Zähne 36 und 37 extrahiert. Die Brücke, die dem Lückenschluss diente, musste aufgrund des Verlustes von Pfeilerzahn 38 entfernt werden. Der Kieferkamm in regio 35/37 war stark atrophiert (Inaktivitätsatrophie) mit einem deutlichen Verlust der Zone an keratinisierter Mukosa. Der schmale Kieferkamm hatte keine knöcherne Unterlage und die Kieferkammschleimhaut dadurch einen mehr als 5 mm auslenkbaren Abschnitt (Abb. 2).
Geplant wurde eine festsitzende Restauration auf zwei Implantaten in regio 36 und 37. Das gewählte Implantatsystem (Astra Tech Profile EV, Dentsply Sirona, Bensheim) ist für den atrophierten Kieferkamm gut geeignet. Das Implantatdesign weist eine nach vestibulär abgeschrägte Geometrie auf, die mit dem bukkalen Kieferkammverlauf formkongruent ist. Somit ist das Risiko bukkal freiliegender Gewindegänge auf ein Minimum reduziert; es können ideale Voraussetzungen für einen Langzeiterfolg geschaffen werden. Im vorliegenden Fall sollten der messerscharf zulaufende Unterkieferkamm um ca. 2 mm nivelliert und nach der Implantation eine bukkale Auflagerung zum Erreichen eines konvexen, anatomisch geformten Kieferkamms angeschlossen werden.
Planung und Implantatbettaufbereitung mithilfe digitaler Technologien
Um eine Schnittstelle zum digitalen Workflow zu ermöglichen und zugleich eine dreidimensionale Darstellung des Kiefers zu erhalten, ist die Situation mit einer Cone-Beam-Computertomografie (CBCT) erfasst worden. Mittels dreidimensionaler Diagnostik wurden die Defektmorphologie metrisch exakt erfasst, die Implantatpositionen prothetisch optimiert geplant und eine pilotierte Bohrschablone (Simplant) erstellt (Abb. 3-5). Durch die Metallhülsen in der Bohrschablone lassen sich über Pilotbohrungen entsprechend der Planung die Implantate in Position und Angulation sowie vertikaler Tiefe definieren (Abb. 6). Nach dem Einsetzen der Bohrschablone in den Mund wurde mit dem Pilotbohrer in langsamer Drehzahl die Knochenoberfläche durch die Schleimhaut gekörnt (Abb. 7).
Freilegung des Kieferkammes
Um nach der Pilotbohrung einen Zugang zum Kieferkamm zu erhalten, wurde eine bukkale Schnittführung im Sinne einer Vestibulumplastik nach Kazanjian gewählt. Ziel war es, die Zone keratinisierter Mukosa zu verbreitern und die Dehiszenzgefahr während der Einheilphase zu reduzieren. Die Präparation des Split-Flap erfolgte mittels Laser. Bei dieser minimalinvasiven Art der Präparation ist die Schleimhaut gespannt und die Eindringtiefe des Lasers relativ niedrig gewählt. Etwa 5 mm unterhalb des Kieferkammes konnte dann mit dem Skalpell das Periost durchtrennt und der bukkale Split-Flap zum Aufklappen der Mukosa bis in Höhe der lingualen Grenze des Kieferkammes gebildet werden. Mit einem kleinen Raspatorium wurde ein Full-Flap präpariert, indem das Periost nach apikal verschoben und ein Periostschlauch gebildet worden ist. Nach der vollständigen Freilegung zeigte sich das Ausmaß der Atrophie.
Der knöcherne Kieferkamm stellte sich extrem schmal dar und fiel – ähnlich einem Dachfirst – schräg nach vestibulär ab. Diese Geometrie ist bezeichnend für einen stark atrophierten Kieferkamm. An diese abgeschrägte Fläche des Kieferkammes wird sich später das knochenadaptive Profile-Implantat optimal anpassen.
Implantatbettaufbereitung
Es folgte die Präparation des Implantatbettes. Hierfür wurde die Bohrschablone erneut eingebracht und die Bohrung mit dem Tiefenbohrer bis zum Anschlag des Tiefenmess-Stopps (Bohrschablone) aufbereitet. Implantatposition, Achsneigung und vertikale Tiefen sind festgelegt (Abb. 8), sodass die definitive Aufbereitung der Implantatkavitäten entsprechend dem Bohrprotokoll frei Hand erfolgen konnte. Die scharfen Bohrer des Implantatsystems wurden bei geringer Drehzahl (80 bis 100 U/min) ohne Wasserkühlung verwendet und hierbei Knochenspäne gesammelt. Um die Anhaftung des Fibrinnetzes zwischen Knochen- und Implantatoberfläche zu optimieren, ist mit Eigenblut (Thrombozyten-Konzentrat, wachstumsfaktorenreiches Plasma PRGF) gearbeitet worden.
Insertion der Implantate und knochenaufbauende Maßnahmen
Die beiden Implantate in den Längen 7 mm und 9 mm (Astra Tech Profile EV) wurden inseriert (Abb. 9 und 10). Das Design der Implantatschulter passte sich bukkal optimal dem abgeschrägten Kieferkamm an, sodass eine zusätzliche Augmentation zum Abdecken freiliegender bukkaler Schraubengänge umgangen werden konnte. Die finale Insertion erfolgte mit dem Handinstrument. Beide Implantate waren leicht subkrestal positioniert. Die abgeschrägte Kontur der Implantatschulter stand bukkal in Relation zum Knochenniveau (Abb. 11). Es wurde eine hohe Primärstabilität erzielt. Die Gingivaformer zum Verschluss der Implantate sind selbstzentrierend und passen somit nur in einer Position auf das Implantat.
Vor dem Augmentieren wurde der Schleimhautlappen im Bereich der Gingivaformer derart geschlitzt, dass sich das Weichgewebe um die Schrauben legt. Mit dem während der Implantatbettaufbereitung gesammeltem Eigenknochen erfolgten aufbauende Maßnahmen im vestibulären Bereich (Abb. 12). Ziel ist es, optimale Voraussetzungen für eine reguläre Kontur des Kieferkammes zu schaffen. Nach dem Auflegen einer dünnen Schicht Knochenersatzmaterial bildete eine Membran aus PRGF den Abschluss. Die Membran wurde vestibulär unter den präparierten Periostschlauch und krestal unter den Mukosarand gelegt. Beim Nahtverschluss wurde das Periost am Mukosarand vernäht, sodass die Naht später die Grenze zwischen der beweglichen und der festen Mukosa darstellt.
Prothetische Umsetzung im digitalen Workflow
Die Einheilung verlief komplikationslos (Abb. 13). Nach wenigen Wochen präsentierten sich zwei osseointegrierte Implantate und ein leicht konvexer Verlauf des bukkalen Alveolarkamms. Die Einheilzeit betrug vier Monate. Beim nächsten Behandlungstermin wurden die Abformpfosten auf die Implantate geschraubt (Abb. 14) und so die Implantatpositionen fixiert sowie die Situation mit offenem, individuellem Abformlöffel abgeformt (Abb. 15). Nach dem Herstellen des Meistermodells und der Modellation eines Wax-ups wurde ein digitaler Datensatz für die Herstellung der patientenindividuellen CAD/CAM-Abutments an das Fertigungszentrum Atlantis übermittelt.
Herstellung der Abutments
Die Abutmentgestaltung erfolgte auf Basis der VAD-Software (Virtual Abutment Design), die von der idealen Formgebung der Krone ausgeht und Parameter wie umgebende Zähne sowie Weichgewebeanatomie berücksichtigt. Die Verbindung zwischen Abutment und Krone wurde auf Gingivaniveau gestaltet, sodass etwaige Zementreste das Ergebnis nicht gefährden konnten. Im Design- und Fertigungszentrum von Atlantis wurden entsprechend der patientenindividuellen Situation die beiden Abutments virtuell modelliert. Das prothetische Arbeitsteam bekam über das Web-Portal eine CAD-Ansicht zur Kontrolle bzw. Freigabe des Abutmentdesigns zugesandt. Etwaige Änderungen der virtuellen Konstruktion können gegebenenfalls im 3D-Editor erfolgen. Als Materialien für die Umsetzung der Abutments wurde in diesem Fall Titan gewählt.
Wenige Tage nach Datenfreigabe wurden die industriell gefertigten patientenindividuellen Abutments dem Dentallabor zugestellt (Abb. 16-18). Die Passung auf dem Modell war hervorragend. Es war keine Nacharbeit notwendig. Insbesondere im basalen Bereich sollten CAD/CAM-Abutments unangetastet bleiben; jedwede Nacharbeit (z. B. Politur) kann das Ergebnis beeinträchtigen. Die Titan-Oberfläche hat im Bereich des Emergenzprofils eine definierte Restrauigkeit, welche eine epitheliale Anhaftung des Weichgewebes unterstützt.
Zusätzlich zu den Abutments wurde ein desinfizierbarer Übertragungsschlüssel bzw. Index-Schlüssel (Atlantis-InsertionGuide, Dentsply Sirona) geliefert. Dieser hält das Abutment beim Einsetzen in den Mund im korrekten Winkel und in der vorgesehenen Ausrichtung zum Implantat. Das präzisionsgefertigte Hilfsmittel wird mittels 3D-Druck aus Kunststoff hergestellt (Abb. 17). Die Atlantis-VAD-Software (Virtual Atlantis Design) errechnet auf Basis der vorhandenen Abutment-Designdaten die Geometrie.
Herstellung der Kronen
Während bei Atlantis die Abutments gefertigt worden sind, konnten im Dentallabor parallel dazu die vollkeramischen Kronen hergestellt werden. Diese effiziente Möglichkeit für die Herstellung einer implantatprothetischen Restauration wird mit dem sogenannten Core-File-Datensatz geboten. Das Fertigungszentrum stellt einen Atlantis-Core-File-Datensatz zur Verfügung, der die Außenkontur des Abutments sowie alle relevanten Informationen zum Weichgewebe und zu den Nachbarzähnen wiedergibt. Nach dem Import der Core-File-Datei in die CAD-Software des Labors lag ein digitales Arbeitsmodell zur Konstruktion der Kronen vor. Beide Kronen wurden monolithisch aus einem Zirkonoxidblank gefräst und anschließend mit der Maltechnik individualisiert. Zum Einsetztermin wurden der Praxis die beiden CAD/CAM-Abutments, die beiden vollkeramischen Kronen sowie der Übertragungsschlüssel aus Kunststoff (Abb. 19) übergeben.
Einsetzen der implantatprothetischen Restaurationen
Nach dem Entfernen der Deckschrauben auf den Implantaten regio 36/37 konnten die Abutments eingesetzt werden. Für die präzise Übertragung vom Modell in den Patientenmund fungierte der Atlantis-InsertionGuide (Abb. 20). Zunächst wurde der Schlüssel auf die Nachbarzähne gesetzt und die korrekte Passform geprüft. Der ‚Guide‘ sollte passgenau, fest und sicher sitzen, sodass Irritationen des Weichgewebes ausgeschlossen werden. Anschließend wurden die Abutments in den InsertionGuide integriert. Ein leichter Widerstand signalisierte die korrekte Position.
Nun wurde der Schlüssel mit Abutments eingesetzt und die Abutmentschraube behutsam angezogen. Nach Abnahme des Übertragungsschlüssels konnten die Abutments mit entsprechendem Drehmoment am Implantat festgezogen (Abb. 21) und der Schraubenkopf mit Teflonband und Komposit verschlossen werden (Abb. 22). Die vollkeramischen Restaurationen wurden im gewohnten Vorgehen zementiert (Abb. 23). Abschließend erfolgte eine gründliche Inspektion, insbesondere im Bereich der Klebefuge. Ein Röntgenbild bestätigte die exakte Eingliederung der Abutments und Kronen (Abb. 24).
Zusammenfassung
Vorgestellt wurde ein möglicher implantatprothetischer Behandlungsablauf, bei dem digitale Technologien mit analogen Arbeitsschritten im engen Dialog stehen. Die Produkte und Prozessketten sind gut aufeinander abgestimmt, sodass ein komfortabler Ablauf möglich ist.
- Diagnostik und Planung: DIGITAL am dreidimensionalen Bild mit Planungssoftware (Simplant)
- Pilotierte Bohrschablone: DIGITAL im 3D-Druckverfahren (Simplant)
- Chirurgischer Eingriff: ANALOG mit pilotierter Bohrschablone (Implantatsystem: Astra Tech Profile EV, Dentsply Sirona)
- Abformung: ANALOG, die Möglichkeit der digitalen intraoralen Datenerfassung besteht (z. B. Primescan, Dentsply Sirona)
- Abutmentherstellung: DIGITAL im Fertigungszentrum (Atlantis) in Abstimmung mit Praxis und Labor
- Kronenherstellung: DIGITAL im Labor auf Basis der Core-File-Datei von Atlantis
- Eingliederung: ANALOG mit DIGITAL gefertigtem Index-Schlüssel (Atlantis-InsertionGuide).
Die Integration digitaler Prozesse in implantatprothetische Therapien ermöglicht einen komfortablen, sicheren Arbeitsablauf in Zahnarztpraxis und Dentallabor. Vorteilhaft sind u. a. die Effizienz und das Reduzieren notwendiger Behandlungstermine sowie die in vielen Indikationen geringere Invasivität des chirurgischen Eingriffs. Die Abstimmung zwischen den Teammitgliedern erfolgt auf Basis digitaler Technologien effizienter und zielgerichteter.