Komplexe Sofortimplantation mit sofortiger provisorischer Versorgung und anschließend festsitzender Prothetik

Bei einer prothetischen Rehabilitation der Zähne ist nicht nur die Funktionalität wichtig. Die Ästhetik ist ein Hauptziel, das von Bedeutung ist – nicht nur für den Patienten. Der Anspruch an die ästhetischen Leistungen des Zahnarztes und des Zahntechnikers sind in den letzten Jahren deutlich gestiegen. Dies wird u. a. durch die Fortschritte bei den Materialien und durch Einführung von neuen Techniken, wie z. B. bei Weichgewebsbehandlungen, ermöglicht [1,2].
Die Versorgung mit Zahnimplantaten hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten in der Privatpraxis durchgesetzt und gilt als zuverlässige Therapie zum Ersatz einzelner oder mehrerer fehlender Zähne [3,4]. Die Akzeptanz der Patienten gilt als allgemein bestätigt. So kann der zahnlose Kiefer in verschiedensten Varianten versorgt werden, um die kaufunktionale Rehabilitation zu erreichen. Die Planung kann von festsitzendem Zahnersatz auf vier Implantaten, beschrieben als „All-on-four Konzept“ [5] über herausnehmbare Konstruktionen mit Teleskopen, Stegen oder Lokatoren bis hin zu festen prothetischen Lösungen auf sechs (mit vornehmlich verkürzter Zahnreihe) über acht oder mehr Implantaten erfolgen [6].
Im folgenden Fallbeispiel wird ein Fall mit einer kompletten Oberkiefer- und Unterkiefersanierung dargestellt. Es hat sich bei der Erstvorstellung der Patientin offenbart, dass die letzte zahnärztliche Konsultation 15 Jahre her ist. Entsprechend war das klinische und röntgenologische Bild (DVT Sirona Orthophos XG) bei Erstbefundung. Hier ist also neben der oben beschriebenen ästhetischen Verbesserung, der funktionalen Rehabilitation auch der rein gesundheitliche Aspekt im Vordergrund, die potentiell immunologisch belastenden entzündlichen Prozesse im Mundraum zu beseitigen und einen stabilen Zustand zu erzeugen (9).
Ausgangssituation
Die 30-jährige Patientin stellte sich mit desolatem Gesamtzustand intraoral vor (Abb. 1-3). Sowohl klinisch als auch röntgenologisch war kein Zahn, der sich als stabiler Pfeiler mit entsprechender Wertigkeit darstellte (Abb. 4), zu benennen. Nicht nur die lange Abstinenz des Zahnarztes, sondern auch die mangelnde Mundhygiene lies den Zustand in entsprechendem Maße aussehen. Von Beginn an wurde der Patientin klar formuliert, eine Versorgung hochwertiger, implantologischer Art ist sinnlos, falls die Mundhygiene und die generelle Compliance nicht stark verbessert wird.
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Abb. 1: Ausgangssituation.
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Abb. 2: Ausgangssituation.
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Abb. 3: Ausgangssituation.
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Abb. 4: Keiner der Zähne stellte sich als stabiler Pfeiler mit entsprechender Wertigkeit dar.
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Nach eingehender Beratung und Aufklärung verschiedener Konzepte entschied sich die Patientin für eine längere Sitzung unter Vollnarkose, in der sowohl sofort implantiert als auch eine provisorische Sofortversorgung stattfinden sollte.
In die Planung wurde beidseits ein interner Sinuslift eingeplant, wie auch laterale Augmentationen. Intraoperativ sollte ein manuelles Provisorium auf temporären PEEK-Abutments (Megagen Fuse Abutments) hergestellt werden, um nach Einheilphase eine vollkeramische, festsitzende Versorgung herzustellen.
Chirurgische Phase
Nach schonender Entfernung des Restzahnbestandes (Abb. 5) erfolgte eine auf der Kieferkammmitte gelegene Schnittführung mit distalen Entlastungen (Abb. 6). Im Bereich der Interdentalpapille wurde darauf geachtet, die Schnittführung triangulär nach vestibulär zu gestalten, um eine unnötige Blutung aus dem gut versorgten Gebiet der Papille zu vermeiden [7].
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Abb. 5: Entfernte Zähne und Wurzelreste.
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Abb. 6: Zustand nach Extraktion.
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Nach Darstellung des Kieferkammes und der Modellation der Extraktionsalveolen (Abb. 7 und 8) erfolgte im nächsten Schritt die interne Sinusbodenelevation (Abb. 9). Bei dieser minimalinvasiven Technik werden in röntgenologischen Kontrolluntersuchungen kaum Veränderungen des Bereiches rund um die Implantatspitze beobachtet, sofern kein künstliches Knochenersatzmaterial zusätzlich verwendet wurde [8]. Wie oben beschrieben sind in diesem Beispiel Implantate der Firma Megagen (Any ridge) verwendet worden (Abb. 10). Das Implantatgewinde, welches in diesem Fall eine höhere Aggressivität in seiner Schneidfunktion hat, ist aufgrund der durchschnittlich hohen Primärstabilität gut für Sofortversorgungen geeignet.
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Abb. 7: Knochenmodellation.
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Abb. 8: Knochenmodellation.
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Abb. 9: Interne Sinusbodenelevation.
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Abb. 10: Das Implantat der Wahl: Megagen Any Ridge.
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Nach Insertion, internen Sinusbodenelevationen und lateralen Augmentationen (Botiss Cerabone, Jason Membran) aller sechs Implantate je Kieferhälfte folgte das Inserieren und Anpassen der Fuse Abutments (Megagen), die in einer Angulation von 0, 15 und 25 Grad konfektioniert geliefert werden (Abb. 11-14). Die Herausforderung bei solch einer Implantation ist nicht nur die gewünschte Primärstabilität zu erzielen, sondern auch – insbesondere im Frontbereich – die Angulation der Implantate vorausschauend bezüglich der temporären Prothetik zu gestalten. Nach Wundverschluss mit Einzelknopf-, Kreuz- und fortlaufenden Nähten (Silon monofil 5.0, Chirmax GmbH) um die eingesetzten temporären PEEK-Abutments wurde nun unter Zuhilfenahme einer laborgefertigten Tiefziehfolie ein temporäres, intraoperatives Provisorium (Luxatemp, DMG) hergestellt (Abb. 15-17).
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Abb. 11: Inserierte Megagen Fuse Abutments.
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Abb. 12: Megagen Fuse Abutments mit CHX-Gel.
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Abb. 13: Megagen Fuse Abutments in situ.
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Abb. 14: Die Fuse Abutments (Megagen) werden in einer Angulation von 0, 15 und 25 Grad konfektioniert geliefert.
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Abb. 15: Laterale Augmentation mit Cerabone (Botiss).
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Abb. 16: Tiefziehfolie.
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Abb. 17: Direktes Provisorium intraoperativ.
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Abb. 18: Die postoperative Röntgenkontrolle zeigt keine Auffälligkeiten.
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Die postoperative Röntgenkontrolle ergab keine Auffälligkeiten (Abb. 18).
Prothetische Phase
Nach einer Einheilphase der Implantate von 12 Wochen wurde aufgrund der Komplexität des Falles und der damit verbundenen neuen Situation für die Patientin weitere drei Monate mit einer langzeitprovisorischen Versorgung (TempBasic Zirkonzahn) gearbeitet (Abb. 19). So konnte die Patientin funktionale aber auch ästhetische Veränderungen bemerken und mit dem Behandler-/Technikerteam besprechen.
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Abb. 19: Das Langzeitprovisorium.
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Abb. 20: Megagen Abformpfosten in situ.
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Die Implantatabformung wurde mit einem individualisierten Löffel aus lichthärtendem Kunststoff (Finotray LC, Fino GmbH) und Polyethermaterial in einzeitiger und zweiphasiger Doppelmischtechnik (Impregum, 3M Espe, Seefeld) vorgenommen. Eine geschlossene Abformung (Abformpfosten Megagen) wurde in diesem Fall bevorzugt (Abb. 20).
Nach virtueller Modellation (Zirkonzahn, Italien) (Abb. 21) bestätigte sich die Planung und entsprechende Umsetzbarkeit. Es wurde je Kieferhälfte eine zirkuläre Brücke aus PEEK-Kunststoff (TempBasic Zirkonzahn) hergestellt und mit provisorischem Zement (TempBond) eingesetzt. Nach oben beschriebener, temporärer Tragedauer von drei Monaten wurde nun die letzte prothetische Phase eingeleitet. Hierzu ist nach ausgiebiger Untersuchung und Patientenabsprache die virtuelle Modellation als Situationsmodell angenommen und mit entsprechenden ästhetischen und funktionalen Änderungen modifiziert worden (Abb. 21 und 22).
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Abb. 21: Virtuelle Modellation.
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Abb. 22: Virtuelle Modellation.
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Abb. 23: Finale Situation.
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Das Endergebnis stellte sich als zufriedenstellende Umsetzung einer vollkeramischen (Prettau Zirkonzahn), festsitzenden und in den wirtschaftlichen Voraussetzungen der Patientin gebliebenen Versorgung dar (Abb. 23).
Schlussfolgerung
Ist der Patient gut aufgeklärt und hat seine eigenen Vorstellungen von Funktion, Ästhetik und auch der zulässigen Wirtschaftlichkeit klar definiert, so ist es gut möglich für alle Beteiligten ein zufriedenstellendes Ergebnis zu erreichen. In dem hier vorgestellten Fallbeispiel wurde von Beginn an von der Patientin selbst klar gemacht, dass es sich um festsitzenden Zahnersatz handeln soll mit der weiteren Vorgabe, eine „nicht ganz so kostspielige Variante“ zu planen. Eine weitere Prämisse war die sofortige und feste temporäre Versorgung intraoperativ. Die Vorgabe des festsitzenden Zahnersatzes konnte durch den Vorschlag sechs Implantate zu inserieren umgesetzt werden. Im Oberkiefer wären laut Empfehlung der Konsensuskonferenz Implantologie [10] acht Implantate für festen Zahnersatz zu setzen. Die dadurch erhöhten Gesamtkosten stellten allerdings in diesem Fall eine Einschränkung dar. Aus diesem Grunde wurde die Variante mit sechs Implantaten und verkürzter Zahnreihe gewählt. Bei Besprechung der möglichen Materialien ist aus oben genannten Gründen die Wahl auf das kostengünstigere Prettau gefallen.
Alternativ wäre es aus interdentalhygienischen und funktionalen Gründen möglich gewesen, die Implantatanzahl zu erhöhen und dadurch keine zusammenhängende und einteilige Brückenkonstruktion, sondern mehrere Brückenelemente je Kieferhälfte zu gestalten, um höhere Flexibilität und eine etwas bessere Interdentalhygienefähigkeit zu erreichen.