Allogene Knochenblöcke in der Implantologie Minimalinvasives Vorgehen bei der Rekonstruktion größerer Kieferkammdefekte

Für die Rekonstruktion dreidimensionaler Kieferkammdefekte vor einer Implantation bedient sich die Implantologie zumeist autogener Knochenblocktransplantate aus Beckenkamm, Symphyse oder Ramus ascendens der Mandibula. Dies bedeutet für den Patienten einen zusätzlichen OP-Situs mit zusätzlicher körperlicher Belastung und zusätzlichen Risiken. Um ein zweites OP-Feld zu vermeiden arbeiten wir seit nunmehr fünf Jahren mit einem allogenen Knochenersatzmaterial in Blockform.
Dieses Knochenmaterial (Osteograft Block, DIZG Berlin, Vertrieb über ARGON Medical, Bingen am Rhein) stammt von menschlichen Lebendspendern. Sicherheit aus immunologischer Sicht wird durch eine enge Spenderauswahl im Vorfeld (ausführliche Anamnese und Serologie) sowie durch die industrielle Aufbereitung des Knochenmaterials (Lösungsmittelkonservierung, gamma-Sterilisation) erzielt. Für den klinischen Erfolg sind folgende zehn Faktoren von enormer Bedeutung:
- richtige Indikation / Patientenauswahl
- richtige Vorbereitung des Blockmaterials (Entlüften, Rehydratation)
- entzündungsfreie Umgebung im Empfängerareal
- richtige Vorbereitung des Empfängerareals (Kürettage, Dekortikation)
- formkongruente Anlagerung des Blockes auf den Lagerknochen
- absolut stabile Fixation des Blockes im Lager (mind. zwei Osteosyntheseschrauben)
- Auffüllen von Spaltbereichen mit humanen Spongiosa-Partikeln
- absolut sichere, spannungsfreie Wunddeckung und Naht
- eingehende Instruktion des Patienten, im Augmentationsbereich nicht zu kauen, keine Manipulationen in der Wundregion, vorsichtige Mundhygiene
- vollständiger Verzicht auf herausnehmbare Provisorien.
Bei Blockaugmentationen im Unterkiefer empfehlen wir zusätzlich eine Immobilisierung für 14 Tage durch eine intermaxilläre Verschnürung! Es hat sich ferner gezeigt, dass eine möglichst große Ausdehnung des Lappens, 2 bis 3 Nachbarzähne über die entsprechende Region hinaus, nicht nur mehr Übersicht über das OP-Feld liefert, sondern die Wunddeckung wesentlich erleichtert und die klinischen Resultate verbessert werden. Alle Patienten erhalten zudem eine antibiotische Abschirmung mit Amoxicillin 3 x 1.000 mg und Metronidazol 2 x 400 mg täglich für 8 bis 10 Tage, wobei die Antibiose bereits einen Tag präoperativ begonnen wird.
Dem noch unerfahrenen Kollegen empfehlen wir, allogene Knochenblöcke zunächst ausschließlich im Oberkiefer zu verwenden. Die aus unserer Sicht einfachste Indikationsklasse ist die Schaltlücke in der Oberkieferfront bei ausschließlich lateraler Auflagerung. Der Oberkiefer stellt ein gut vaskularisiertes Lagergewebe zur Verfügung, welches eine sehr gute Nutrition für das avitale und avaskuläre Knochentransplantat bietet. Zudem ist speziell im Oberkiefer und insbesondere bei der rein horizontalen Augmentation die Wunddeckung relativ leicht zu erzielen.
Eine vertikale Augmentation mit allogenen (humanen) Knochenblöcken und eine Anwendung im Unterkiefer (kompaktes, schlecht blutversorgtes Lagergewebe, dünne Schleimhaut, viel Bänderzug) sollte nur von Kollegen durchgeführt werden, die bereits Erfahrung im Umgang mit allogenen und autogenen Knochenblöcken gesammelt haben und darüber hinaus eine sichere Wunddeckung (Periostschlitzung, plastische Untertunnelung, speicheldichte Naht) beherrschen.
Die häufigste Komplikation ist eine frühzeitige Wunddehiszenz mit Exposition des humanen Knochenblockes zur Mundhöhle. Tritt eine Dehiszenz oder Perforation der Schleimhaut in den ersten sechs Wochen nach Auflagerung auf, so wird zunächst versucht, diese erneut zu decken. Eine zusätzliche lokale Reinigung mit Wasser, Chlorhexamed, anti-inflammatorischen oder antibiotischen Salben und antibakteriellen Mundspüllösungen sollte erfolgen.
Der folgende klinische Fall soll exemplarisch die Anwendung allogener Knochenblöcke verdeutlichen und eine Schritt-für-Schritt-Darstellung des klinischen Ablaufs aufzeigen. Weitere klinische Fälle und die Handhabung von Komplikationen im Rahmen der Blockaugmentation können in unserer Buchveröffentlichung „Allogene Knochenblöcke in der zahnärztlichen Implantologie“ (Spitta-Verlag 2010) nachgeschlagen werden.
Klinischer Fall
Bei einer 38-jährigen Patientin wird vom Hauszahnarzt eine implantologische Versorgung der Schaltlücke 35 bis 36 angestrebt. Der Kollege ist selbst implantatchirurgisch versiert und überweist die Patientin lediglich zur Augmentation des dreidimensionaldefizitären Knochens in der entsprechenden Region zu uns an das Deutsche Implantologie Zentrum in Detmold. Bei einer ersten klinischen und radiologischen Beurteilung der Schaltlücke 35 / 36 wird bereits deutlich, dass ein kombiniert vertikal-horizontaler Knochendefekt vorliegt. Der Zahn 35 fehlte bereits seit über zehn Jahren und war durch eine Brücke ersetzt; der distale Brückenpfeiler 36 war bereits wurzelspitzenreseziert und musste schließlich aufgrund anhaltender inflammatorischer Prozesse entfernt werden. Somit war das vorliegende Knochendefizit durch Alveolarfortsatzatrophie im Bereich 35 und durch entzündlich bedingte Gewebedestruktion im Bereich 36 verursacht. Auch die weichgewebliche Situation war folglich kompromittiert: ein krestal vernarbtes Gewebe mit fehlender bukkaler keratinisierter Gingiva erschwert die Herstellung eines funktionell und ästhetisch dauerhaft stabilen implantatprothetischen Ergebnisses. Die Abbildungen 1 und 2 zeigen die klinische Ausgangssituation, Abbildung 3 zeigt den röntgenologischen Ausgangbefund im Orthopantomogramm. Der Patientin wird aufgrund des ausgedehnten hartgeweblichen Defektes zunächst eine Knochenblockaugmentation der Region 35 / 36 mit einem allogenen Knochenblock empfohlen; auch die Rekonstruktion des Weichgewebes wurde in die OP-Planung mit einbezogen. Nach ausreichender Bedenkzeit willigte die Patientin in die geplante Therapie ein.
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Abb. 1: Klinische Ausgangssituation.
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Abb. 2: Klinische Ausgangssituation.
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Abb. 3: Röntgenologischer Ausgangsbefund.
Die Augmentation mit allogenen Knochenblöcken erfolgt immer zweizeitig. Die Implantatinsertion erfolgt nach einer Einheilzeit des Knochenblockes von mindestens vier und höchstens sechs Monaten. Im vorliegenden Fall wurde zunächst die zu augmentierende Region mittels krestaler Schnittführung und mesialer Entlastungsinzision im Sinne eines vollen Mukoperiostlappens eröffnet und dargestellt. Als Anästhesie genügte hier eine Leitungsanästhesie plus bukkale Infiltration von Ultracain DS forte (Sanofi- Aventis, Frankfurt).
Die Abbildung 4 zeigt das bereits gründlich kürettierte und mittels Kugelfräse dekortierte knöcherne Areal 35 / 36. Um eine ausreichende Blutung aus dem Knochenlager zu induzieren, wurden mit einer Lindemann- Fräse zusätzlich Bleeding-Points gesetzt. In die geschaffene Auflagerungsmulde wird der bereits in Form gebrachte und rehydratisierte humane Knochenblock passgenau eingelagert (Abb. 5).
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Abb. 4: Kürettiertes und mittels Kugelfräse dekortiertes knöchernes Areal 35 / 36.
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Abb. 5: Der humane Knochenblock wird passgenau eingelagert.
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Abb. 6: Die Randbereiche werden mit Knochenersatzmaterial aufgefüllt.
Nach stabiler Fixation des Blockes mit zwei Osteosyntheseschrauben wurden von uns die Randbereiche und Spalträume mit partikulärem humanem Knochenersatzmaterial aufgefüllt (Abb. 6).
Um zeitgleich das bedeckende Weichgewebe zu verdicken, wurden aus dem Gaumen der Patientin ein subepitheliales Bindegewebstransplantat entnommen und über dem Knochenblock eingelagert (Abb. 7 bis 9). Der spannungsfreie Wundverschluss gelingt erst nach Periostschlitzung und plastischer Untertunnelung des vestibulären Schleimhautlappens (Abb. 10). Das postoperative Röntgenbild zeigt den spaltfrei aufgelagerten Knochenblock und die Osteosyntheseschrauben in der Region 35 / 36 (Abb. 11). Die Patientin erhält kein Provisorium. Sie wird außerdem instruiert, die augmentierte Region in den nächsten Wochen und Monaten nicht zu belasten.
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Abb. 7: Es wird ein Bindegewebstransplantat aus dem Gaumen entnommen.
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Abb. 8: Das subepitheliale Bindegewebstransplantat.
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Abb. 9: Das Bindegewebstransplantat wird über dem Knochenblock eingelagert.
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Abb. 10: Der spannungsfreie Wundverschluss.
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Abb. 11: Postoperatives Röntgenbild.
Nach einer geschlossenen, komplikationslosen Einheilzeit von sechs Monaten wird das Areal mit identischer Schnittführung eröffnet und es werden zwei MIS-Seven Implantate (MIS Implant Technologies, Minden) (Abb. 13 und 14) mit hoher Primärstabilität von 35 Ncm eingedreht. Die Knochenqualität des Augmentates erweist sich als D2 (nach Misch). Klinisch ist keine Abgrenzung mehr zwischen ortständigem Knochen und Augmentat erkennbar (Abb. 12). Nach einer geschlossenen Einheilzeit der Implantate von drei Monaten ist zunächst eine weitere schleimhautverbessernde Maßnahme notwendig: um eine breite Zone keratinisierter attached Gingiva zu erhalten, wird vor Implantatfreilegung ein freies Schleimhauttransplantat aus der Gaumenregion entnommen und in der Region 35 / 36 eingelagert. Die Empfängerregion wird dafür zuvor im Sinne eines Spaltlappens präpariert. Der gelöste Mukosalappen wird nach apikal verlagert und dort mit resorbierenden Nähten am Periost fixiert (Abb. 15 und 16). Das palatinal herausgeschälte Full-Thickness-Graft (Abb. 17 und 18) wird im Empfängerbett mit Einzelknopfnähten der Stärke 6-0 (Prolene von Ethicon, Norderstedt) gesichert (Abb. 19).
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Abb. 12: Keine sichtbare Abgrenzung zwischen Knochen und Augmentat.
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Abb. 13: Zwei MIS-Implantate werden mit 35 Ncm eingedreht.
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Abb. 14: Zwei MIS-Implantate werden mit 35 Ncm eingedreht.
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Abb. 15: Nach drei Monaten: Mukosalappen wird nach apikal verlagert und mit resorbierbaren Nähten am Periost fixiert.
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Abb. 16: Nach drei Monaten: Mukosalappen wird nach apikal verlagert und mit resorbierbaren Nähten am Periost fixiert.
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Abb. 17: Das palatinal herausgeschälte Full-Thickness-Graft….
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Abb. 18: Das palatinal herausgeschälte Full-Thickness-Graft….
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Abb. 19: … wird im Empfängerbett mit Einzelknopfnähten gesichert.
Die Freilegung der Implantate und deren prothetische Versorgung durch den Hauszahnarzt erfolgten nach einer vierwöchigen Abheilzeit. Die fertige Prothetik zeigen die Bilder 20 bis 22. Es ist eine sehr schöne, breite periimplantäre Zone aus keratinisierter, fest angehefteter Gingiva entstanden, sodass das prothetische Ergebnis aus ästhetischer und insbesondere funktioneller und hygienischer Sicht als äußerst robust und langlebig gelten kann.
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Abb. 20: Abschlussbild.
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Abb. 21: Abschlussbild.
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Abb. 22: Abschlussröntgenbild.
Fazit
Bei richtiger Indikationsstellung und korrektem chirurgischen Vorgehen sowie richtiger Patienteninstruktion und Nachbehandlung können mit Hilfe humaner Knochenblöcke augmentative Ergebnisse erzielt werden, die denen autologer Knochenblöcke überlegen sind. Die Resorption der humanen Knochenblöcke während der vier- bis sechsmonatigen Einheilzeit ist deutlich geringer im Vergleich zu Beckenkammspongiosa und MCB-Transplantaten. Die Schwere und Dauer des operativen Eingriffs werden drastisch reduziert. Ein zweites OP-Feld und damit verbundene Risiken und Entnahmemorbiditäten entfallen komplett. Allerdings sollte der chirurgisch tätige Zahnarzt über Erfahrung in der Blockaugmentation und insbesondere im Weichgewebsmanagement verfügen, um eine sichere Wunddeckung sicherzustellen und kompromittierte Schleimhautsituationen sicher zu handhaben.
Voranmeldung für den Kongress beim DIZ unter: Telefon 0 52 31 / 30 20 55