Der mucoperiostlappenfreie vertikale Kammsplit mit dem Piezotome

Die vertikale Kieferkammspaltung und horizontale Distraktion ist ein zuverlässiges Verfahren, um bei zu geringer Kieferkammbreite eine Implantatinsertion zu ermöglichen. Die knöcherne Regeneration erfolgt hier exakt nach dem Muster der natürlichen Knochenbruchheilung. Bisherige Operationstechniken sehen jedoch die Präparation eines Mucoperiostlappens sowie eine minimale Kieferkammbreite von zumindest 3 mm vor. Mit der Entwicklung des Piezotome-gestützten mucoperiostlappenfreien Crest-Split-Verfahrens der TKW-Research-Group konnte nun die Indikationsstellung auf Kieferkammbreiten ab 1 mm ausgeweitet werden.
Der zahntragende Teil von Ober- und Unterkiefer – der knöcherne Alveolarkamm – ist eine Folge des Zahnwurzelwachstums im Rahmen der ersten Bisshebung zwischen dem 6. und 14. Lebensjahr (Abb. 1 grüner Pfeil). Nach Zahnextraktion oder Zahnverlust verliert der zahnlose Alveolarkammabschnitt seine biologische Funktion und atrophiert (Abb. 1 oranger Pfeil). Hierbei folgt er einem generalisierten Atrophiemuster [1, 2]. In der ersten Atrophiephase erfolgt die zentripetale Atrophie mit einem signifikanten Breiten- und nur geringen Höhenverlust (Abb. 2), gefolgt von der Phase der vertikalen Atrophie, deren Endpunkt das Zurückbleiben lediglich des Ober- und Unterkieferkörpers darstellt (Abb. 1 oranger Pfeil). Da der zahnfreie Alveolarkammabschnitt über das Parodontalligament des Zahnes nicht mehr belastet wird, kommt es nicht nur zu einer progredienten Atrophie, auch die Dichte des knöchernen Blutgefäßsystems nimmt dramatisch ab. Hinzu kommen noch Knochendefekte in Breite und Höhe als Folge einer vorbestehenden Parodontalerkrankung und/oder der chirurgischen Zahnentfernung mit ungeeigneten Mitteln (rotierende Instrumente anstelle hochpräziser ultraschallchirurgischer Periotome).
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Abb. 1: Wachstumsschema des Alveolarkammes. Grüner Pfeil: Der Alveolarkamm wächst infolge des Wurzelwachstums der bleibenden Zähne. Oranger Pfeil: gehen in einem Kieferabschnitt Zähne verloren, kommt es zuerst zu einer lateralen und dann vertikalen Atrophie.
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Abb. 2: Atrophie Schema.
Grundsätzlich erfolgt die Heilung jedweder Knochenverletzung nach dem biologischen Prinzip der Knochenbruchheilung als vorläufiges Endresultat Jahrmillionen währender Evolution [3, 4]. Ob hierbei ein mechanisches Trauma in Form eines Kieferbruches oder einer iatrogenen Schädigung (Zahnextraktion, chirurgische Zahnentfernung, gesamte Augmentationschirurgie, Implantatinsertion etc.) vorliegt, ist dem lebenden Organismus und Organsystem „Knochen“ nicht bekannt. Somit sind vielfach geäußerte und auch publizierte Meinungen über Knochenregenerationsvorgänge in der dentalen Augmentationschirurgie völlig irrelevant.
Erfolgreiche Augmentationschirurgie muss die ehernen und unabänderlichen Gesetze der Biologie und Physiologie respektieren, um optimale Ergebnisse zu erzielen. Das gilt unabhängig von den eingesetzten Techniken und Materialien.
Die erste und wichtigste biologische Forderung, die der Augmentationschirurg zwingend zu erfüllen hat, ist die ausreichende Immobilisierung des Augmentationssitus, um die alles entscheidende Grundlage für eine erfolgreiche Knochenregeneration/-heilung zu schaffen. Nur eine absolute Ruhigstellung des Operationssitus – wie in der Allgemeinchirurgie grundlegend bekannt – gewährleistet ein suffizientes Einsprießen von Blutgefäßen in den Augmentationssitus [5]. Besonders im stomatognathen System ist dies nahezu unmöglich auch nur ansatzweise zu erfüllen. Der Patient muss kommunizieren und Flüssigkeit und Nahrung aufnehmen. Eine intermaxilläre Fixation über einen Zeitraum von 6 bis 8 Wochen würde einen Teil der Forderungen nach Immobilisierung des Augmentationssitus zwar erfüllen, ist jedoch aus oralhygienischen und Akzeptanzgründen seitens des Patienten nicht durchführbar. Auch beseitigt es vor allem im Unterkieferseitenzahnbereich nicht das Problem ständig wechselnder Zug- und Druckbelastungen des augmentierten Alveolarkammes durch den übermächtigen Zungenmuskel und die Wangenmuskulatur. Einzig aus dem Grund ausreichender Immobilisierung des Augmentationssitus und dadurch Gewährleistung einer suffizienten ungestörten Angiogenese ist die Augmentationstechnik „tHUCSL-INTRALIFT“ so erfolgreich [6]. Lediglich die Druckunterschiede in der Kieferhöhle wirken bei der Atmung auf den Augmentationsbereich ein. Es treten keine Störungen durch die Wangenmuskulatur, wie bei der lateralen Fenstertechnik, auf.
Sind die biologischen Grundlagen für eine ungestörte Angiogenese [5] als Grundvoraussetzung jeglichen Heilungs- und Regenerationsvorganges geschaffen, muss in weiterer Folge ebenso zwingend die Forderung nach einem intakten Periost als alleinigem Träger der Knochenregeneration erfüllt werden [7-9]. Wird Periost vom Knochen abgelöst und zudem noch durch Schlitzorgien zur Mobilisierung des Weichteillappens zerstört, werden auch die Ernährung des Knochens und das konstante Remodelling unterbrochen. Die funktionelle Einheit „Periost-Knochen“ wird iatrogen zerstört. Das Aufbringen von GBR-Membranen ist hierbei zwingend notwendig, da vom zerstörten Periost her keine Regeneration mehr erfolgen kann. Weiter entfernte intakte Periostareale müssen die notwendigen Wachstumsfaktoren (bmP-2, Osteonectin, Osteocalcin etc.) und Osteoblasten „liefern“ [7-9]. Dies geschieht mit massiven Einbußen beim Augmentationserfolg. Periostfreier Knochen per se kann weder heilen noch regenerieren [7]. Intaktes Periost darf nicht durch GBR-Membranen in seiner alleinigen Funktion zur Ernährung und Regeneration blockiert werden.
Um die biologisch zwingenden Forderungen nach größtmöglicher Immobilisierung des Augmentationssitus für eine optimale Angiogenese und nach Möglichkeit die Unversehrtheit des biologischphysiologischen Systems „Periost-Knochen“ zu gewährleisten, rückt die Entwicklung und Anwendung minimalinvasiver, mucoperiostlappenfreier Operationstechniken in den Focus des erfolgreichen Augmentationschirurgen und Implantologen. Wie bei der transgingivalen Implantatinsertion mit Stanztechnik bei ausreichender Knochenhöhe und -breite sollten augmentationschirurgische Verfahren nach Möglichkeit ohne Ablösung des Periosts vom Knochen erfolgen, um höchstmögliche Immobilisierung zu garantieren und eine Devitalisierung oder Minderernährung des Kieferknochens zu vermeiden.
Neben der fehlenden subantralen Alveolarkammhöhe im OK Molaren- und Prämolarenbereich, die einen tHUCSL-INTRALIFT notwendig macht [6], trifft der Implantologe ebenso häufig auf eine insuffiziente Knochenbreite im OK-Frontzahn- und Unterkiefer-Prämolaren- und Molarenbereich, die eine direkte Implantatinsertion unmöglich macht.
Waren in diesen Indikationsstellungen zur Kieferkammverbreiterung bis vor kurzem noch Onlay-Plastiken mit autologen Knochenblöcken state-ofthe- art, können diese Techniken mit Einführung der Ultraschallchirurgie nunmehr als obsolet betrachtet werden. Die moderne Ultraschallchirurgie ermöglicht eine bisher unerreichte Präzision bei knochenverlustfreien Osteotomien bei gleichzeitiger maximaler Weichgewebsschonung vor allem des Knochenregenerators Periost [12].
Die Technik des vertikalen Kieferkamm-Splits und horizontaler Distraktion mit und ohne simultane Implantatinsertion ist zwar schon länger bekannt [13], jedoch ermöglicht erst die Ultraschallchirurgie ein für auch ungeübte Augmentationschirurgen einfach zu erlernendes und zu beherrschendes Crest-Split-Verfahren [14]. Weiterhin schreiben diverse Verfahren jedoch ein Ablösen eines bukkalen Mucoperiostlappens vor, was im Falle einer Komplettfraktur des distrahierten Knochensegmentes zu einem Gesamtmisserfolg der Operationstechnik führt, und sind auf Kieferkammbreiten erst ab 3 mm beschränkt.
Erst mit der Einführung der leistungsstarken Ultraschallchirurgiegeräte „Piezotome II“, „Piezotome SOLO“ und „Implant Center II“ (Satelec-ACTEON, Mettmann) gelang der TKW-Forschungsgruppe die Entwicklung des mucoperiostlappenfreien Kammsplits mit horizontaler Distraktion selbst bei Kieferkammbreiten von nur 1 mm [15].
Eine laufende prospektive Multicenter-Studie soll evaluieren, wie hoch die kumulative Erfolgsrate des mucoperiostlappenfreien TKW-Crest-Splits ist und welche prozeduralen Knochenverluste mit dieser Methode auftreten.
Material und Methode
Bisher wurden bei 127 Patienten 138 mucoperiostlappenfreie TKW-Crest-Splits mit Piezotome II, Piezotome SOLO oder Implant Center II ab einer Kieferkammbreite von 0,9 mm durchgeführt (Oberkiefer: n = 49, Unterkiefer: n = 89) und insgesamt 284 Implantate einzeitig oder zweizeitig gesetzt. Erhoben wurden intraoperativ die Kieferkammbreite, Osteotomietiefe und mesiodistale Osteotomielänge, simultane oder zweizeitige Implantatinsertion, Art des verwendeten Biomaterials zur Spaltauffüllung und die Breite der auftretenden Dehiszenzen nach Wundverschluss.
Der Verlauf post OP wurde klinisch und röntgenologisch kontrolliert und die Implantate im Oberkiefer jeweils nach 4 bis 5 Monaten, im Unterkiefer nach 3 bis 4 Monaten prothetisch versorgt. Über den Zeitraum von 2 bis 4 Jahren wurden die prothetisch versorgten Implantate jeweils klinisch und radiologisch dokumentiert.
Ausblick
Die ausführlichen Untersuchungsergebnisse anhand aussagekräftiger Bilder und eine kritische Diskussion der Technik finden Sie in Teil 2 des Artikels in unserer Juni-Ausgabe.
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Abb. 3: TKW-CS-Verfahren für Piezotome Schritt 1: Es erfolgt eine Mucoperiostincision lediglich exakt an der Spitze des atrophen Alevolarkammes. Das Mucoperiost wird nur so weit aufgeklappt, bis die Spitze des Alveolarkammes eindeutig identifi ziert werden kann (üblicherweise ca. 1 mm nach bukkal und lingual).
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Abb. 4: TKW-CS-Verfahren für Piezotome Schritt 2: Knochenverlustfreie vertikale Osteotomie mit CS 1-Spitze.
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Abb. 5: TKW-CS-Verfahren für Piezotome Schritt 3: Initiale Aufweitung des Osteotomiespaltes mit CS 2.
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Abb. 6: TKW-CS-Verfahren für Piezotome Schritt 4: Bukkale mesiale und distale Entlastungsosteotomien zur Bildung des knöchernen „Türfl ügels“ mit CS 3. Dieser Arbeitsschritt ist essentiell für den Gesamterfolg und ist vertikal von zentral nach bukkal (von „innen“ nach „außen“) auszuführen, da von bukkal kein Zugang zum Kieferknochen besteht. Werden die bukkalen Entlastungsosteotomien nicht angelegt, kann keine horizontale Distraktion durchgeführt werden bzw. der Knochen zerbricht beim Distrahieren völlig unkontrolliert in zahllose Fragmente.
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Abb. 7: TKW-CS-Verfahren für Piezotome Schritt 5: Horizontale Distraktion und Aufweitung auf 2 mm mit CS 4.
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Abb. 8: TKW-CS-Verfahren für Piezotome Schritt 6: Horizontale Distraktion und Aufweitung auf 3 mm mit CS 5.
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Abb. 9: TKW-CS-Verfahren für Piezotome Schritt 7: Finale horizontale Distraktion und Aufweitung des Distraktionsspaltes auf 4 mm mit CS 6.
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Abb. 10: Primärstabile Implantatinsertion und Auffüllen des Osteotomiespaltes mit Biomaterial, Wundverschluss.