Die funktionell-ästhetische Restauration eines Frontzahns

Vor jeder Implantattherapie muss geklärt werden, ob die Mehrkosten eines volldigitalen Workflows im Verhältnis stehen zu partiell digitalen Prozessschritten. Der nachfolgende Fall zeigt, dass die Versorgung unter Einbindung eines teildigitalen Workflows sowie patientenindividueller PEEK Gingivaformer und Abformpfosten erfolgreich und kosteneffizient durchgeführt und die periimplantären Gewebestrukturen langfristig erhalten werden konnten.
Eine erfolgreiche Rehabilitation mit Implantaten gelingt nur auf der Grundlage einer sorgfältigen Diagnostik und Planung. Steht am geplanten Implantationsort kein ausreichendes Knochenangebot zur Verfügung, ist eine Augmentation des Alveolarknochens unumgänglich.
Hierbei ermöglichen es vor allem die modernen bildgebenden Verfahren, die Behandlung detailliert zu planen und Therapieschritte effektiver zu gestalten. Doch vor jeder Implantattherapie gilt es zu klären, ob unter dem Aspekt der Effizienz die Mehrkosten eines volldigitalen Workflows im Verhältnis zu partiell digitalen Prozessschritten stehen. Auch das Risiko der Verletzung anatomisch kritischer Strukturen ist dabei abzuwägen.
Behandlungsplanung
Der 61-jährige Patient stellte sich mit einem Frontzahntrauma in regio 11 in der Praxis vor. Er hatte sich beim Holzhacken mit dem Beil unglücklich im Gesicht getroffen. Den dadurch nach palatinal disluzierten Zahn hatte er selbst noch direkt vor Ort reponiert. Eine erste klinische Inspektion an Zahn 11 ergab einen Lockerungsgrad 3 und eine deutliche Schwellung im vestibulären Bereich des Alveolarkamms.
Im Röntgenbild war zudem eine apikale Aufhellung an Zahn 11 zu erkennen, dessen Wurzelspitze 13 Jahre zuvor reseziert worden war [1]. Das parodontale Ligament war abgerissen und gleichzeitig komprimiert.
Nach der klinisch und radiologisch umfassenden Befunderhebung wurde Zahn 11 mit ad ex belegt (Abb. 1 und 2). Nach ausführlicher Patientenaufklärung mit Darlegung der Behandlungsoptionen und ihrer jeweiligen Kosten entschieden sich der Patient und das behandelnde Team für eine implantatprothetische Rekonstruktion im teildigitalen Workflow. Aufgrund der akuten Entzündung und starken Dislokation mit Alveolarkammfraktur fiel die Entscheidung nach Risikoabwägung einer Sofortimplantation zugunsten einer konventionellen Implantattherapie – mit dem Fokus, ein adäquates Hart- und Weichgewebevolumen zu generieren [2].
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Abb. 1: Das Röntgenbild des reponierten, apikal beherdeten Zahnes mit Z.n. WSR vor 13 Jahren.
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Abb. 2: Hülsenmessaufnahme zur Festlegung der Implantatlänge.
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Es erfolgte die Zahnentfernung und nach gründlicher Kürettage die Einbringung eines Kollagenkegels (Parasorb Cone, Resorba), um im Sinne einer Socketpreservation das Blutkoagulum zu unterstützen und die Wundheilung zu verbessern. Eine Valplastprothese diente als temporäre Lösung für den Ersatz des Schneidezahnes. Drei Monate später wurde eine Implantatplanung nach Anfertigung einer Hülsenmessaufnahme mittels Abformung, Modell- und Bohrschablonen durchgeführt.
Auf eine dreidimensionale Planung wurde in diesem Fall verzichtet, da die Vorgeschichte und die Röntgenkontrollaufnahmen einen erheblichen Knocheneinbruch vermuten ließen. Mit der Präparation eines Mukoperiostlappens und Entlastungsschnitten bis tief ins Vestibulum distal von 21 und 12 wurde der Alveolarknochen im OP-Bereich freigelegt. Nach der protokollgerechten Insertion eines CAMLOG® PROGRESSIVE-LINE Implantates (Ø 4,3 mm / L 11 mm) wurde das vertikale Knochendefi zit im Sinne der GBR-Technik aufgebaut.
Das Augmentationsmaterial – porcines Knochenersatzmaterial (MinerOss XP/BioHorizons Camlog) gemischt mit dem intraoperativ gewonnenen Eigenknochen und L-PRF – wurde aufgelagert und mit einer bovinen Barrieremembran (Mem-Lok RCM /Bio-Horizons Camlog), die mit Pins lagestabil fixiert worden war, abgedeckt (Abb. 3-6). Mit dem Ziel, eine langzeitstabile periimplantäre Mukosa zu etablieren, erfolgte eine Weichgewebeverdickung mit einer azellulären dermalen Matrix (NovoMatrix / BioHorizons, Camlog). Nachdem diese passend auf den zu verdickenden Bereich zugeschnitten worden war, wurde sie palatinal in eine präparierte Gewebetasche geschoben und über das verschlossene Implantat bis in die Umschlagfalte geführt.
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Abb. 3: Situation nach Aufklappung.
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Abb. 4: Situation nach Implantatinsertion eines Camlog Progressive Line 4,3 x 11 mm.
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Abb. 5 Aufbau mit Mineross XP und Eigenknochen.
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Abb. 6: Deckung mit Memlok RCM 20 x 30.
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Vor dem primären Wundverschluss wurde eine L-PRF-Membran (Intraspin / Cherrymed) eingebracht, um die initiale Wundheilung im gesamten OP-Bereich zu unterstützen. Der speicheldichte Weichgewebeverschluss erfolgte spannungsfrei mit nichtresorbierbarem, monofilem Nahtmaterial aus Polyamid. Zur antibiotischen Abschirmung erhielt der Patient postoperativ Amoxicillin/Clavulansäure 875/125 mg sowie Ibufl am 600 (Abb. 7-11).
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Abb. 8: Novomatrix in situ mit L-PRF-Membranen an den Rändern.
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Abb. 9: Speicheldichter Verschluss mit 5-0 Resolon.
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Abb. 10: Ansicht von okklusal.
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Abb. 11: Röntgenkontrollbild des Implantates.
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Nach einer regelgerechten Einheilungszeit von 5 Monaten konnte das Implantat freigelegt werden. Simultan zur Freilegungschirurgie sollte das periimplantäre Weichgewebe mittels modifizierter Rolllappentechnik verdickt werden. Vor der wellenförmigen Schnittinzision wurde mithilfe einer diamantierten Kugel die Gingiva über dem Implantat deepithelisiert, das nach vestibulär gestielte Bindegewebe über dem Implantat mobilisiert und angehoben.
In der vestibulären Mukosa wurde über dem Periost eine Tasche mit dem Skalpell scharf präpariert, in die der deepithelisierte Bindegewebeanteil eingeklappt wurde. Intraoperativ erfolgte nun für die Fertigung eines individuellen PEEK-Gingivaformers, der die Mukosa anatomisch ausformen wird, die digitale Erfassung der Implantatposition mittels eines CAMLOG Scanbodies. Nach Einbringen eines zylindrischen Standardgingivaformers wurde das Weichgewebe mit Einzelknopfnähten verschlossen (Abb. 12 und 13).
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Abb. 12: Ansicht von okklusal vor Freilegung nach 5-monatiger Einheilphase.
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Abb. 13: Freilegung mit Bildung eines Rolllappens und Insertion eines Widebody
Standardgingivaformers.
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Der Datensatz wurde zusammen mit den generierten Modelldaten an einen Fertigungsdienstleister (DEDICAM, Camlog) verschickt, wo in enger Abstimmung mit dem Behandler der individuelle PEEK-Gingivaformer mit anatomischem Kronendurchtrittsprofil designt und gefertigt wird. Zeitgleich wird aus demselben Datensatz ein formkongruenter Abformpfosten hergestellt, mit dessen Hilfe später das ausgeformte Kronendurchtrittsprofi l auf das Meistermodell übertragen wird.
Fünfzehn Tage nach der Freilegung wurde der patientenindividuelle PEEK-Gingivaformer [3] eingebracht, um das verdickte periimplantäre Weichgewebe im Sinne des Backward-Plannings mit einem patientenindividuellen Kronendurchtrittsprofil auszuformen. Die Abformung des Weichgewebes und der Implantatposition erfolgte mittels des bereits vorab hergestellten PEEK-Abformpfostens. Vorteilhaft ist bei der Anwendung dieses Abformpfostens, dass das Weichgewebe nicht kollabiert und formkongruent übertragen wird (Abb. 14-17).
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Abb. 14: Ansicht des individuellen PEEK-Gingivaformers.
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Abb. 15: Reizfreie Wundverhältnisse beim Scan, 15 Tage nach Einbringung des individuellen
Gingivaformers.
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Abb. 16: Scan.
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Abb. 17: Abformpfosten für offenen Löffel bei konventioneller Abformung (nur
als Darstellung).
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In Zusammenarbeit mit dem Zahntechniker Bastian Wagner (Wagner Dental Design) wurde mit dem eLAB-System (Emulation S. Hein, Freiburg) die Zahnfarbe ermittelt. Hierbei werden durch die Verwendung von gekreuzter Polarisierung und einer genormten Graukarte für den Weißabgleich in Kombination mit einem speziellen digitalen Spiegelreflexkameraprofil sowie einer digitalen Fotoverarbeitungssoftware standardisierte Aufnahmen und anschließende objektive Analysen ermöglicht. Dieses systematische Konzept mit numerischer Quantifizierung bietet einen effektiven und effizienten Weg für Zahnärzte und Zahntechniker, selbst über große Distanzen eine konsistent optimale optische Integration der Restauration zu erzielen [4] (Abb. 18-21).
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Abb. 18: Farbnahme mit-eLAB Karte und Polfilter.
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Abb. 19: Farbnahme mit eLAB-Karte zum Grauabgleich.
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Abb. 20: Farbnahme mit eLAB-Karte.
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Abb. 21: Farbnahme mittels Zahnfarben.
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Die vestibulär verblendete Zirkonkrone wurde okklusal verschraubt, der Schraubenkanal mit Tefl onband gefüllt und speicheldicht verschlossen (Abb. 22-25). Das Weichgewebe zeigte zum Einsetzzeitpunkt komplett reizlose Wundverhältnisse. Die Rezession distal 21 wurde vom Patienten als nicht störend empfunden, eine chirurgische Korrektur lehnte er ab.
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Abb. 22: Ansicht fertige Krone von distal und frontal.
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Abb. 23: Ansicht fertige Krone von distal und frontal.
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Abb. 24: Röntgenkontrollaufnahme.
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Abb. 25: Ergebnis.
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Diskussion
Ästhetik und Funktion sind entscheidende Faktoren für den langzeitstabilen Erfolg einer Implantatversorgung. Neben der prothetisch korrekten Positionierung des Implantats ist das Erzielen stabiler periimplantärer Gewebestrukturen essenziell. In gewissen Situationen kann bereits aus einem Wax-up und den Röntgendaten eine Therapieplanung abgeleitet werden.
Bei anatomisch schwierigen Indikationen jedoch ist eine 3D-Diagnostik schon aus forensischen Aspekten vorteilhaft. Im vorliegenden Fall diente eine Hülsenmessaufnahme und ein zweidimensionales Röntgenbild zur Identifikation des horizontalen Knochenangebotes. Das Knochenangebot an den Nachbarzähnen war vorhanden, sodass nach Ausheilung der Extraktionsalveole und Einbringen eines Kollagenkegels von einer guten Regeneration des Alveolarknochens ausgegangen werden konnte.
Die Pilotbohrung erfolgte mithilfe einer Orientierungsschablone für die korrekte oro-vestibuläre Platzierung des Implantats. Eine präzise, patientenindividuelle Ausformung des subgingivalen Kronendurchtrittsprofil ist nicht nur für eine adäquate prothetische Restauration relevant, sondern auch für den langzeitstabilen Erhalt der periimplantären Hart- und Weichgewebe. Mit individuellen PEEK-Gingivaformern kann die korrekte dreidimensionale Ausformung des Emergenzprofils sowie ein definierter Übergang der prothetischen Versorgung in das Weichgewebe und eine stabile Mukosa realisiert werden.
Bei der Abformung mit einem formkongruenten Abformpfosten wird die Situation ohne weitere Manipulation des Weichgewebes auf das Meistermodell übertragen. Nach Galibourg et al. [5] ist eine Volumenabnahme des Emergenzprofils (EP) bereits nach 30 Sekunden festzustellen, sofern das EP nicht unterstützt wird.
Kritisch zu hinterfragen ist im Workflow des vorgestellten Falls das vorübergehende, zweiwöchige Einsetzen eines Standardgingivaformers mit anschließendem Austausch gegen den patientenindividuellen Gingivaformer. Dieses Vorgehen wurde gewählt, weil der Produktlaunch der neuen individuellen PEEK-Gingivaformer erst nach der Freilegungs-Chirurgie erfolgte, jedoch auf die patientenindividuelle Ausformung der periimplantären Mukosa großer Wert gelegt wurde.
Steht ein Intraoralscanner zur Verfügung, kann bereits nach dem Einsetzen des Implantats digital abgeformt und beim Fertigungscenter ein individueller PEEK-Gingivaformer designt sowie ohne Mehraufwand ein formkongruenter Abformposten hergestellt werden. Mit diesem digitalen Ansatz werden heute in der Praxis die Aläufe sowie die anatomische Ausformung der Weichgewebe optimiert.
Wird die gesamte Planung digital umgesetzt, können Bohrschablone und der individuelle Gingivaformer aus PEEK [3] präoperativ designt und hergestellt werden. PEEK eignet sich aufgrund seiner hohen Biokompatibilität besonders gut für die temporäre Versorgung. Falls das Implantat für die offene Einheilung eine ausreichend hohe Primärstabilität aufweist, liegt der Gingivaformer schon zum OP-Termin bereit.
Sollten augmentative Maßnahmen erforderlich und eine geschlossene Einheilung favorisiert werden, kann der individuelle Gingivaformer bis zur Freilegung aufbewahrt werden. Erfolgt die Abformung digital, kann der Techniker den Datensatz des PEEK-Gingivaformers direkt verwenden.
Der Scan ist für die Erfassung der definitiven Implantatposition notwendig. Da selbst bei full-guided Implantationen die Implantatachse um 4,1°, apikal um bis zu 1,38 mm und die Implantatschulter um 0,67 mm von der digitalen Planung abweichen kann, sind für die prothetischen Arbeiten eine Abformung und ein Scan der definitiven Implantatposition unerlässlich [6].
Schlussbetrachtung
Moderne digital basierte Systeme ermöglichen eine detaillierte Behandlungsplanung sowie die prächirurgische Anfertigung operativer wie postoperativer Komponenten. Zwar lässt sich damit die Effektivität einer Behandlung steigern, jedoch sollte vor jeder Implantattherapie im Gespräch mit dem Patienten geklärt werden, ob die Mehrkosten für eine volldigitale Versorgung in einem akzeptablen Verhältnis zur Implantation mit lediglich teilweise digitalen Prozessschritten stehen.