Implantologie allgemein

Was ist ein nachhaltig vernünftiger Therapieansatz?

Frühestmöglicher Implantationszeitpunkt bei Adoleszenten

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Dieser Artikel soll realistisch darstellen, welche Problematiken bei Patientenfällen mit früher Implantation bei Adoleszenten in der täglichen Praxis auftreten.

Nachdem bei den Kindern die ersten Zähne durchgebrochen sind, bringen zumeist die Eltern die Kleinen mit in die Zahnarztpraxis, um bestenfalls jeglichen Angstmomenten für die Zukunft vorzubeugen. Dann tauchen auch Fragen auf wie: „Mein Kind ist nun schon 3 Jahre, wieso sind noch nicht alle Zähne da?“

Diese Situation gibt es auch später mit dem Zahnwechsel, wenn nach dem Verlust der Milchzähne plötzlich nichts nachwächst. Manchmal bemerken es die Kinder bzw. Jugendlichen selbst oder die Teams der Zahnarztpraxen während der jährlichen Kontrolle der Zähne und des Kauapparates.

Optimal ist es in den ersten 5–15 Lebensjahren natürlich, wenn der Zahnarzt/die Zahnärztin des Vertrauens für dieses Thema sensibilisiert ist und mit dem Fachgebiet der Kieferorthopädie eng zusammengearbeitet. Steht dann die Diagnose einer Nichtanlage oder geht gar durch ein Trauma in diesem Alter ein bleibender Zahn (zumeist in der Front) verloren, beginnen die Fragen und Probleme rund um den richtigen Therapieansatz.

Die Möglichkeiten sind eigentlich alle klar beschrieben, und es gibt auch genügend wissenschaftlichen Background [1]. Probleme können hier zunächst durch den Patienten, in diesen Fällen insbesondere durch die erziehungs- und damit entscheidungsberechtigten Eltern entstehen. Aber auch die realistischen Erfahrungen und der empathische Umgang mit dem Thema durch das Behandlerteam haben hier großen Einfluss.

Ein Therapieentscheid hängt in der heutigen medial geprägten Welt neben der Angst vor bleibenden ästhetischen Problemen bei den Kindern oder Jugendlichen auch von oftmals nicht realistischen Vorstellungen der „Therapieentscheider“ (Eltern) ab. Und diese reichen von „Kann man den zerbrochenen Zahn nicht einfach wieder einbauen?“ über „Kann man die Lücke nicht mit Schienen einfach zusammenziehen?“ und „Das müsste doch sofortimplantiert werden, darüber habe ich im Internet gelesen!“ bis hin zu „Eine herausnehmbare Spange kommt bei meinem Kind nicht in Frage – da gibt es doch bessere Lösungen!“.

Das Behandlerteam ist also gefragt, mit dem Patienten und den Eltern den individuell besten Therapieweg herauszufinden und diesen auch zu beherrschen. Dieser ist gerade im jungen Alter von vielen Lebenseinflüssen abhängig und passt eben nicht immer in z.B. sportliche Aktivitäten, musikalische Aktivitäten oder in die ganz normale pubertäre Entwicklung.

5 verschiedene Ausgangslagen 

Diese Auswahl stellt an Fällen aus der Praxis die Vielfalt der Probleme deutlich dar. Die beiden ersten Fälle wurden während der kieferorthopädischen Therapie bis zum 18. Lebensjahr ästhetisch therapeutisch über die Bebänderung geführt und am Ende (auch unter Einbeziehung von Milchzähnen wie in Fall 2, eine 13-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage Abb. 2a bis e) definitiv implantatprothetisch versorgt. Speziell in Fall 1, eine 16-jährige Patientin mit multiplen Nichtanlagen (Abb. 1a bis e), mussten zur Fixierung kieferorthopädischer Apparaturen schon im Alter von 16 Jahren Implantate in Regio 43 und 44 inseriert und langzeitprothetisch mit Einzelkronen aus metallbasierten PEEK therapiert werden.

  • Abb. 1a: 16-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage 2006
  • Abb. 1b: 16-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage 2006.
  • Abb. 1a: 16-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage 2006
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 1b: 16-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage 2006.
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 1c: Klinischer Zustand 2018.
  • Abb. 1d: 1. Implantation UK 2006.
  • Abb. 1c: Klinischer Zustand 2018.
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 1d: 1. Implantation UK 2006.
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 1e: Kontrolle OPG von 2019.
  • Abb. 2a: 13-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage 2011.
  • Abb. 1e: Kontrolle OPG von 2019.
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 2a: 13-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage 2011.
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 2b: 13-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage 2011.
  • Abb. 2c: Klinischer Zustand 5 Jahre nach Behandlungsabschluss.
  • Abb. 2b: 13-jährige Patientin mit multipler Nichtanlage 2011.
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 2c: Klinischer Zustand 5 Jahre nach Behandlungsabschluss.
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 2d: 5 Jahre in situ.
  • Abb. 2e: OPG 2021.
  • Abb. 2d: 5 Jahre in situ.
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 2e: OPG 2021.
    © Praxis DENTALE MVZ

Tetsch [1] hat 2020 ausgesprochen umfangreich und ausführlich die Thematik von Implantationen im wachsenden Kiefer aufgearbeitet. Diese Therapien verlangen die Beachtung mannigfaltiger Aspekte im Wachstum junger Menschen in den zunächst 3 chronologischen Altersabschnitten Kind, Adoleszenz und junger Erwachsener.

Und selbstverständlich bedarf es bei solchen Therapien einer längeren Beschäftigung und Erfahrung mit Begriffen wie Wachstumsschub, Wachstumsprognose, Inaktivitätsatrophie und antizipierte Implantologie in diesen Altersgruppen. Außerdem scheint uns der äußerst enge Kontakt mit dem Fachgebiet der Kieferorthopädie essenziell. Wir glauben, dass ein frühestmöglicher Implantationszeitpunkt eines Menschen nicht definiert werden kann.

  • Abb. 3a: 11 Implantation 1996 im Alter von 17,5
Jahren.

  • Abb. 3a: 11 Implantation 1996 im Alter von 17,5 Jahren.
    © Praxis DENTALE MVZ
Es bedarf immer eines ausführlichen Konsils zwischen Patient bzw. Eltern, Behandelnden, klinischem Befund und Therapievarianten unter Beachtung von Leidensdruck und psychosozialen sowie psychomedialen Einflüssen. Fall 3, 11 Implantation im Alter von 17,5 Jahren (Abb. 3a bis e), zeigt, dass im gerade abgeschlossenen Kieferwachstumsprozess mit einer antizipierten Implantation im korrekten dreidimensionalen Raum des Zahnes 11 ein schöner Erfolg erzielt werden konnte. Gleichzeitig mussten wir jedoch nach 16 Jahren feststellen, dass Wachstum und Veränderungen des Menschen keine in Stein gemeißelte Wahrheiten sind.
  • Abb. 3b: Zustand im Jahr 2012 nach 16 Jahren.
  • Abb. 3c: Klinischer Zustand mit keramischen Abutment und neuer Krone.
  • Abb. 3b: Zustand im Jahr 2012 nach 16 Jahren.
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 3c: Klinischer Zustand mit keramischen Abutment und neuer Krone.
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 3d: Klinischer Zustand mit keramischen Abutment und neuer Krone.
  • Abb. 3e: Klinischer Zustand mit keramischen Abutment und neuer Krone.
  • Abb. 3d: Klinischer Zustand mit keramischen Abutment und neuer Krone.
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 3e: Klinischer Zustand mit keramischen Abutment und neuer Krone.
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 4a: Patientin 2023 implantiert 2005 im Alter von 18 Jahren

  • Abb. 4a: Patientin 2023 implantiert 2005 im Alter von 18 Jahren
    © Praxis DENTALE MVZ
Gerade im Kauorgan mit den dort auftretenden Belastungen gibt es fließende und immer wiederkehrende Veränderungen. War die Implantation gut antizipiert, kann auch später leicht korrigiert werden, wie dies in Fall 4, Implantation im Alter von 18 Jahren (Abb. 4a bis c), nicht möglich sein wird. Abschließend möchten wir den unseres Erachtens viel zu ehrgeizigen und nicht antizipiert durchdachten Behandlungsfall 5 (Abb. 5a bis f) darstellen.
  • Abb. 4b: Patientin 2023 implantiert 2005 im Alter von 18 Jahren
  • Abb. 4c: Nach einer notwendigen kieferorthopädischen
kleineren Ausformung des Oberkiefers wird
wegen der viel zu weit vestibulären Positionierung
des Implantates nur eine sehr komplexe Therapie
möglich sein, wenn die Patientin ein nachhaltiges,
ästhetische schönes Ergebnis wünschen sollte.
  • Abb. 4b: Patientin 2023 implantiert 2005 im Alter von 18 Jahren
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 4c: Nach einer notwendigen kieferorthopädischen kleineren Ausformung des Oberkiefers wird wegen der viel zu weit vestibulären Positionierung des Implantates nur eine sehr komplexe Therapie möglich sein, wenn die Patientin ein nachhaltiges, ästhetische schönes Ergebnis wünschen sollte.
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 5a: Patientin 1994, implantiert im Alter von
14 Jahren.
  • Abb. 5b: Klinischer Zustand 24 Jahre später (2018).
  • Abb. 5a: Patientin 1994, implantiert im Alter von 14 Jahren.
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 5b: Klinischer Zustand 24 Jahre später (2018).
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 5c: Röntgenologische Zustand 24 Jahre später
(2018).
  • Abb. 5d: KFO-Therapie.
  • Abb. 5c: Röntgenologische Zustand 24 Jahre später (2018).
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 5d: KFO-Therapie.
    © Praxis DENTALE MVZ

  • Abb. 5e: Abschließendes OPG.
  • Abb. 5f: Klinische Situation.
  • Abb. 5e: Abschließendes OPG.
    © Praxis DENTALE MVZ
  • Abb. 5f: Klinische Situation.
    © Praxis DENTALE MVZ

Hier wurde im gerade erreichten Adoleszenzalter mit 14 Jahren im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung ein Mädchen implantiert. Ich war damals Teilnehmer und konnte die Prozedur als „Implantologieeinsteiger“ miterleben.

Abgesehen von den Umständen solcher Live-OPs in der Nachwendezeit fehlte alles, was wir heute für eine vernünftig geplante Implantologie als Standard fordern. Durch einen Zufall zeigte ein Kollgege 24 Jahre später im Rahmen einer Fortbildungsveranstaltung ein Bild (Abb. 5a). Wir bestellten die Patientin ein. Sie stand schon seit einigen Jahren unter einem verständlichen Leidensdruck.

Kein Kollege hat sich an mögliche Lösungsgedanken getraut. Nach sehr ausführlichem Gespräch, Befundung des gesamten aktuellen stomatognathen Systems entschieden wir uns mit unserer Kieferorthopädin zu einer Kompletttherapie: zurück auf Start!

Der Patientin wurden sehr ausführlich alle Therapieschritte erläutert und alle Konsequenzen beschrieben. Nach reichlicher Überlegung und Rücksprache mit ihrer Familie stimmte sie unserem Therapieansatz zu.

Auflösen des Brückenverbandes im Oberkiefer links und Unterkiefer rechts, kieferorthopädische Ausformung des Oberkiefers mit gezielter notwendiger Lückengestaltung, Explantation 12 und 22 mit gleichzeitiger Augmentation der Regionen 12 und 22, nach 5 Monaten Implantation in Regio 12, 22, 24, 26 und 46. Nach der Einheilzeit von 3 Monaten langzeitprothetische Versorgung der Implantate mit PEEK-Kronen und gleichzeitige Entbänderung des Oberkiefers. Nach weiteren knapp 3 Monaten erfolgte abschließend die komplexe prothetische Versorgung im Ober- und Unterkiefer.

Fazit

Wir wollen mit diesem Artikel unsere Sicht und Vorgehensweisen bei Nichtanlagen und unfallbedingtem Zahnverlust im Kindes- und Adoleszenzalter darstellen. Basierend auch auf den mannigfaltigen wissenschaftlichen Erkenntnissen, die Kollege Dr. Jan Tetsch [1] bereits erarbeitete. Unsere grundsätzliche Entscheidung zu implantatprothetischen Versorgungen fällt deshalb bei derartigen oben beschriebenen Diagnosen immer im Konzil mit der Kieferorthopädie und den Patienten (Eltern) sowie in der Regel um das 18. Lebensjahr.


Literatur:

[1] Tetsch, Jan M.Sc., M.Sc. ZMK 1–2, 2020 (36) 41–47