Implantologie allgemein


Implantat-Therapie bei nicht abgeschlossenem Wachstum nach Zahnverlust oder bei Nichtanlagen

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Implantat-prothetische Versorgungen im Wachstum sind immer noch umstritten. Implantate wachsen ankylotisch ein und nehmen am weiteren Wachstum nicht mehr Teil. Dies führt im Wachstumsverlauf, der bis über das 30. Lebensjahr hinaus gehen kann, zu Infraokklusionen und entsprechenden Defiziten im marginalen Durchtrittsprofil. Dennoch kann solch eine Implantation sinnvoll sein, wenn die Voraussetzungen sich ohne funktionelle Therapie deutlich verschlechtern und eine spätere Implantation aufwendige Therapien und trotzdem nur mäßige ästhetische Ergebnisse zur Folge haben.

Es muss differenziert werden zwischen den Indikationen „Zahnverlust“ und „Zahnnichtanlage“. Beim Fall eines Zahnverlustes zeigt sich zunächst dentitionsbedingt eine reguläre Entwicklung des Alveolarfortsatzes. Nach dem Zahnverlust kommt es schließlich zur Atrophie mit entsprechendem Hart- und Weichgewebeverlust in Höhe und Breite.

Bei Zahnnichtanlagen fehlen entweder die zweite Dentition oder sogar die erste und die zweite Dentition. Bei vollkommener Agenesie wie bei einigen Syndromen ist kein Alveolarfortsatz ausgebildet.

Beim Fehlen der zweiten Dentition ist der Alveolarfortsatz entsprechend der Ausbildung durch die erste Dentition der Milchzähne ausgeprägt. Bei solitären kleinen Lücken wie bei oberen seitlichen Schneidezähnen kann der vertikale Knochen durch die Nachbarzähne regulär ausgeprägt sein, die Kieferbreite hat jedoch eine monokortikale Struktur. Je mehr Zähne nebeneinander nicht angelegt sind, umso größer ist die nur rudimentäre Ausbildung des Alveolarfortsatzes.

Therapieplanung bei jungen Patienten

Die implantatprothetische Therapie ist ein integraler Bestandteil der modernen Zahnheilkunde. Eine Altersobergrenze wird nicht festgelegt. Bei der Altersuntergrenze gehen jedoch die Lehrmeinungen weit auseinander und sind für die tägliche Praxis oft sehr verwirrend. Zahnnichtanlagen (Abb. 1) mit einer Inzidenz von 5,5% in der Bevölkerung und irreversible Zahnverluste (Abb. 2) sind die Ursachen für fehlende Zähne in der Adoleszenz.

  • Abb. 1: Implantatprothetische Versorgung von Nichtanlagen der Zähne 12, 22.
  • Abb. 2: Irreversibler traumatischer Frontzahnverlust.
  • Abb. 1: Implantatprothetische Versorgung von Nichtanlagen der Zähne 12, 22.
    © Tetsch
  • Abb. 2: Irreversibler traumatischer Frontzahnverlust.
    © Tetsch

Die Prävalenz von Zahnnichtanlagen entsteht meistens im Wechselgebiss, wo ein verzögerter oder kein Zahnwechsel stattfindet. Milchzahnpersistenz und häufig entstehende Infraokklusionen der Milchzähne (Abb. 3) führen zum Verdacht von Zahnnichtanlagen, die dann durch Röntgenbilder bestätigt werden. Bei persistierenden erhaltungswürdigen Milchzähnen (Abb. 4) kann ein Therapiebeginn verzögert werden und die Wachstumsphase zur kieferorthopädischen Vorbehandlung genutzt werden.

  • Abb. 3: Zahnnichtanlagen mit persistierenden Milchzähnen 75 in Infraokklusion und 85 in regulärer Okklusion.
  • Abb. 4: Zahnnichtanlagen mit persistierenden Milchzähnen 75 in Infraokklusion und 85 in regulärer Okklusion.
  • Abb. 3: Zahnnichtanlagen mit persistierenden Milchzähnen 75 in Infraokklusion und 85 in regulärer Okklusion.
    © Tetsch
  • Abb. 4: Zahnnichtanlagen mit persistierenden Milchzähnen 75 in Infraokklusion und 85 in regulärer Okklusion.
    © Tetsch

Das therapeutische Ziel ist eine Gesamtrehabilitation, die einen kieferorthopädischen Lückenschluss, eine adhäsiv-prothetische Therapie, eine Zahntransplantation oder eine implantatprothetische Versorgung umfassen kann. Bei Oligodontien werden auch Kombinationstherapien durchgeführt.

Bei irreversiblen Zahnverlusten ist die Problematik deutlich schwieriger als bei Zahnnichtanlagen, da bei diesen ein größeres Therapiezeitfenster vorliegt. Mit dem Ereignis des Zahnverlustes beginnen physiologische intra- und extraalveoläre Prozesse, die zu einer Veränderung und bei langer Funktionslosigkeit zu einer zunehmenden Verschlechterung der Morphologie des Alveolarfortsatzes führen. Intraalveolär regeneriert nach einem Zahnverlust eine Alveole ohne Socket Preservation nach 120 Tagen vollständig.

  • Abb. 5a: Irreversibler Frontzahnverlust der Zähne 11 und 21.

  • Abb. 5a: Irreversibler Frontzahnverlust der Zähne 11 und 21.
    © Tetsch
Durch geschickte Gestaltung der provisorischen Versorgung können Hart- und Weichgewebe zunächst sogar vermehrt und somit ein ideales Implantatlager durch die regenerativen Vorgänge geschaffen werden (Abb. 5a bis c). Zeitgleich mit den intraalveolären Regenerationsprozessen beginnen aber auch die extraalveolären Atrophievorgänge, die bis zu 63% der Breite des Alveolarfortsatzes und 11% der Kieferhöhe innerhalb des ersten Jahres nach Zahnverlust betragen können (Abb. 6a und b). Je nach Zeitpunkt des Zahnverlustes und Dauer der therapielosen Zeit wird der vertikale Atrophieeffekt noch verstärkt.
  • Abb. 5b: Intraalveoläre physiologische Regeneration und Knochengewinnung
nach 6 Wochen.
  • Abb. 5c: Intraalveoläre physiologische Regeneration und Knochengewinnung
nach 12 Wochen.
  • Abb. 5b: Intraalveoläre physiologische Regeneration und Knochengewinnung nach 6 Wochen.
    © Tetsch
  • Abb. 5c: Intraalveoläre physiologische Regeneration und Knochengewinnung nach 12 Wochen.
    © Tetsch

  • Abb. 6a: Extraalveoläre laterale Atrophie 6 Wochen nach Zahnverlust.
  • Abb. 6b: Extraalveoläre laterale Atrophie 12 Wochen nach Zahnverlust.
  • Abb. 6a: Extraalveoläre laterale Atrophie 6 Wochen nach Zahnverlust.
    © Tetsch
  • Abb. 6b: Extraalveoläre laterale Atrophie 12 Wochen nach Zahnverlust.
    © Tetsch

Die Nachbarzähne wandern in der weiteren Dentition zur Kauebene und entwickeln so den Alveolarfortsatz weiter aus, während die Atrophie dem Wachstum entgegengesetzt verläuft. Frühzeitige Therapieeinleitungen sind sowohl bei Zahnaplasien als auch bei Zahnverlusten sinnvoll. Bei Nichtanlagen fehlt die dentitionsbedingte Ausbildung des Alveolarfortsatzes, so dass die morphologischen Veränderungen des Alveolarfortsatzes durch einen Zahnverlust ausbleiben.

Frühzeitige kieferorthopädische Maßnahmen können die spontane Mesialwanderung der Zähne verhindern. Diese kann zwar zu einem Lückenschluss führen, aber gleichzeitig auch die Kieferrelation verändern.

Absenkungen des Bisses und CMD-Symptomatiken sind mögliche spätere Folgen. Beim Zahnwechsel und Verdacht auf Nichtanlagen sollte eine interdisziplinäre Therapieplanung zwischen Kinder- oder Allgemeinzahnarzt, Kieferorthopäden, Implantologen und Prothetiker erfolgen.

Für eine sinnvolle individuelle Therapie stehen mittlerweile AWMF-Leitlinien zur Verfügung, die bei der Therapiewahl eine gute Hilfestellung sind. Bei der Wahl der Therapie sollte frühzeitig mit der kieferorthopädischen Einleitung begonnen werden. Hierbei können die Wachstumsschübe im Zahndurchbruch genutzt werden, um die Zähne an die geplante Position zu bewegen.

Je später die kieferorthopädische Vorbehandlung beginnt, umso langwieriger ist die Therapie. Bei den AWMF-Leitlinien stehen für die Zahnverluste nach Trauma die Leitlinie 083-004 und die 083-040 für den Implantationszeitpunkt zur Verfügung. Die Leitlinie 083-040 wurde eigentlich für die Zielgruppe der Erwachsenen entwickelt, kann aber in ihren Aussagen in Teilen auch auf die Adoleszenz übertragen werden.

Für die Behandlung von Zahnnichtanlagen bietet die AWMF-Leitlinie 083-024 eine große Hilfestellung bei der Wahl der therapeutischen Vorgehensweise. In dieser Leitlinie werden auch die Altersgruppen II und III* bearbeitet, so dass ein frühzeitiger Therapiebeginn möglich ist.

Prospektive Implantation nach dem 5D-Prinzip 

Zwischen dem irreversiblen Zahnverlust und einem implantatprothetischen Therapiebeginn können je nach Zeitpunkt des Traumas viele Jahre ohne Behandlung bestehen. Die dadurch bedingte Inaktivitätsatrophie führt zu deutlichen Verschlechterungen der morphologischen Voraussetzungen und gleichzeitig oftmals zu einer Verschlechterung der Lebensqualität mit psychischen Belastungen der Adoleszenten besonders in der pubertären Phase. Aus diesem Grund wurde die frühzeitige implantatprothetische Versorgung nach dem 5D-Konzept entwickelt.

Ziel ist es, die Adoleszenten frühzeitig zu rehabilitieren, der Atrophie entgegenzuwirken und nach Wachstumsabschluss kontralaterale Symmetrien zu erzielen. Dafür werden die von Buser, Martin und Belser 2004 aufgestellten Regeln zur dreidimensionalen Positionierung von Implantaten in der ästhetischen Zone so modifiziert, dass das ausstehende Wachstum antizipiert wird und das Emergenzprofil erst nach Abschluss des Wachstums symmetrisch zum kontralateralen Zahn ist. Besonders die Vertikalposition ist problematisch, da die Implantatposition trotz vieler Augmentationsmöglichkeiten nicht deutlich über den Limbus alveolaris der Nachbarzähne augmentiert werden kann.

Troeltzsch et al. geben als maximale Augmentation 3,7 mm mit partikulärem Material an. In der prothetischen Phase ist marginal zunächst ein Überschuss, der sich durch weiteres Wachstum der Nachbarzähne angleicht.

  • Abb. 7a: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter
von 14 Jahren; positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.

  • Abb. 7a: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter von 14 Jahren; positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
    © Tetsch
Veränderungen und Anpassungen der prothetischen Versorgung, die zunächst eine positive Stufe des Emergenzprofils zeigt, sind eingeplant und Teil des Konzeptes (Abb. 7a bis c und Abb. 8a bis d). Chirurgische Korrekturen erfolgen nach erfolgter Implantation in der Regel nicht mehr.
  • Abb. 7b: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter
von 19 Jahren (geänderte Prothetik); positiver Überschuss im Emergenzprofil für
weiteres Wachstum.
  • Abb. 7c: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter
von 23 Jahren (geänderte Prothetik); positiver Überschuss im Emergenzprofil für
weiteres Wachstum.
  • Abb. 7b: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter von 19 Jahren (geänderte Prothetik); positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
    © Tetsch
  • Abb. 7c: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter von 23 Jahren (geänderte Prothetik); positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
    © Tetsch

  • Abb. 8a: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter
von 16 Jahren; positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
  • Abb. 8b: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter
von 19 Jahren; Infraokklusion durch Wachstum der Nachbarzähne; positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
  • Abb. 8a: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter von 16 Jahren; positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
    © Tetsch
  • Abb. 8b: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter von 19 Jahren; Infraokklusion durch Wachstum der Nachbarzähne; positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
    © Tetsch

  • Abb. 8c: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter
von 19 Jahren; geänderte prothetische Versorgung; positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
  • Abb. 8d: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter
von 32 Jahren; Krone dem weiteren Wachstum angepasst.
  • Abb. 8c: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter von 19 Jahren; geänderte prothetische Versorgung; positiver Überschuss im Emergenzprofil für weiteres Wachstum.
    © Tetsch
  • Abb. 8d: Prospektive Implantation mit Antizipieren des Restwachstums im Alter von 32 Jahren; Krone dem weiteren Wachstum angepasst.
    © Tetsch

Ergebnisse aus der Praxis

Einer Metaanalyse von Terheyden und Wüsthoff von 2014 zufolge liegen die Überlebensraten von Implantaten in der Alterskategorie I (Kinder) bei 72,4%, in der Alterskategorie II (Adoleszenz) bei 93% und in der Alterskategorie III (junge Erwachsene) bei 97,4%. Diese Ergebnisse haben zu einer Überprüfung unserer eigenen Klientel in der Praxis geführt: Im Zeitraum von 1996 bis 2022 wurden in unserer Praxis 17.928 Implantate bei 5.363 Patienten inseriert und im impdat® Programm dokumentiert. 10.071 Implantate wurden bei 2.991 weiblichen Patienten und 7.857 bei 2.372 männlichen Patienten inseriert.

Das Patientenalter zum Implantationszeitpunkt lag zwischen 12 und 96 Jahren. Die primäre Erfolgsquote bei 744 Primärverlusten in der Einheilungsphase betrug im Gesamtkollektiv 95,85%. Dies entspricht dem Ergebnis der gängigen Literatur in den entsprechenden Indikationen und Therapieformen.

Seit 1996 werden in unserer Praxis auch Implantate in der Alterskategorie 2 und 3 sowie bei jungen Adulten zwischen dem 12. und 20. Lebensjahr eingesetzt – entgegen der allgemeinen Lehrmeinung zur implantatprothetischen Versorgung. Bei 238 Patienten wurden 481 Implantate in den Indikationen Zahnaplasien und Zahnverluste inseriert; 248 Implantate bei männlichen und 233 Implantate bei weiblichen Patienten. Die Liegedauer beträgt zwischen 1 und 26 Jahren, die mittlere Liegedauer liegt bei 12,83 Jahren.

Die Indikation Zahnnichtanlagen umfasste 166 Patienten mit 389 Implantaten und die Indikation Zahnverlust oder Trauma 72 Patienten mit 92 Implantaten. Die primäre Erfolgsquote des Gesamtklientels betrug bei 20 Verlusten 95,84% in der Alterskategorie 2 und 3 sowie bei jungen Adulten zwischen dem 12. und 20. Lebensjahr und liegt somit genau in der primären Erfolgsquote des Gesamtkollektivs der Praxis, über den Zahlen in der Literatur. Die Differenzierung nach Zahnverlusten und Zahnaplasien ergab bei den Zahnverlusten eine primäre Erfolgsquote von 96,74% (89 von 92) und bei den Zahnnichtanlagen von 95,62% (372 von 389). 

Überlebensraten (survival rate) und Erfolgsraten (success rate) sind nicht identisch. Die Erfolgsrate der objektiven klinischen und röntgenologischen Kriterien sowie das subjektive Gefallen der Patienten werden in weiteren Studien publiziert. Änderungen und Neuanfertigungen des Zahnersatzes bei Implantation im Wachstum sind Teil des in der Praxis entwickelten Konzepts der prospektiven Implantation mit Antizipieren des ausstehenden Wachstums und nicht als Komplikation anzusehen.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Jan Tetsch M.Sc., M.Sc. - Felix Tetsch - Nick Tetsch