Intraorale Gingivaexpansion mittels selbstquellendem Hydrogelexpander

Eine häufige Limitation der präimplantologischen Knochenaugmentation stellt die defizitäre Weichgewebesituation dar. Die intraorale Weichgewebeexpansion mit neuen Hydrogelexpandern verspricht eine sichere und spannungsfreie Deckung im Rahmen einer Knochenaugmentation zu ermöglichen. In den vorliegenden Fallbeispielen sollen die Einsatzmöglichkeiten der intraoralen Gingivaexpansion kritisch dargestellt und die Indikationsstellungen analysiert werden.
Die dentale Implantation setzt ein suffizientes, ausreichend dimensioniertes, knöchernes Implantatlager voraus. In Folge einer Alveolarkammatrophie wird zur Schaffung eines suffizienten Implantatlagers häufig eine Knochenaugmentation notwendig. Dabei gelten autologe Knochenaugmentate heute immer noch als Goldstandard [1]. Da im intraoralen Bereich fast ausschließlich nicht gefäßgestielte Augmentate verwendet werden, sind diese zum Zeitpunkt der Augmentation von ihren versorgenden Gefäßen getrennt. Die Versorgung mit Sauerstoff und Nährstoffen erfolgt daher bis zur Neovaskularisation des Augmentates per diffusionem aus den umliegenden Gefäßen [2, 3]. Die Neovaskularisation ist zur Vermeidung von Resorptionsvorgängen des Augmentates für den langfristigen Erfolg sowie zur Vermeidung von Infektionen entscheidend [3-5]. Sie erfolgt dabei sowohl von der knöchernen Unterlage, als auch aus den umliegenden Weichgeweben [6]. In dieser initialen Phase nach der Augmentation ist daher eine hohe funktionelle Gefäßdichte um das Augmentat notwendig. Der primäre Wundverschluss sollte daher spannungsfrei zur Vermeidung von Dehiszenzen und Vaskularisationseinschränkungen erfolgen [7]. Gerade bei ausgedehnten Augmentaten stellt dies den Chirurgen jedoch häufig vor ein Problem, da eine spannungsfreie weichgewebige Deckung des Knochens durch den Volumenzuwachs des Augmentates nicht möglich ist. Häufig wird deshalb ein Mukoperiostlappen präpariert und durch eine Periostschlitzung mobilisiert. Dies führt jedoch zu einer Verminderung der Vaskularisation des Mukoperiostlappens [8, 9]. Eine präaugmentative Weichgewebeexpansion ohne vaskuläre Perfusionseinschränkungen wäre zur spannungsfreien Augmentatdeckung denkbar [10]. Erste Versuche am Tiermodell zur Vaskularisation von gedehntem Gewebe sowie die Augmentation unter vorgedehntem Gewebe konnten einen günstigen Effekt auf die Osseointegration und die Resorption von Knochenaugmentaten zeigen [11].
Durch eine Weichgewebeexpansion mit Gewebeexpandern könnte eine Vermehrung von intraoralem Weichgewebe bei einer defizitären Situation erzielt werden. Die Anwendung von Expandern ist in der plastischen Chirurgie bereits bekannt [12, 13]. Technische Probleme verhinderten jedoch bisher die routinemäßige intraorale Verwendung von Expandern. Seit der Miniaturisierung von selbstquellenden Hydrogelexpandern, die keiner externen Befüllung bedürfen, ist auch ein Einsatz im enoralen Bereich denkbar.
Zur klinischen Untersuchung der intraoralen Anwendung von Expandern wurden selbstquellende Hydrogelexpander in subperiostaler Insertionstechnik eingebracht und nach vollständiger Quellung entfernt und untersucht. Weiterhin wurde der Weichgewebezuwachs bei simultaner Knochenaugmentation nach Expanderentfernung beurteilt.
Material und Methoden
Bei der Untersuchung handelt es sich um eine retrospektive Analyse von Patienten (n=14) mit ausgeprägter Knochenresorption im Kieferbereich. In allen Fällen wurden vor einer Knochenaugmentation selbstquellende Expander subperiostal in Lokalanästhesie inseriert und mit einer Schraube gegen Dislokation gesichert. Im Zeitraum der Quellung der Expander wurden postoperative Kontrollen durchgeführt und die Volumenzunahme und der Zustand des zu dehnenden Weichgewebes klinisch überwacht. Das Procedere soll an einem klinischen Beispiel näher erläutert werden:
Patientenfall 1
Bei einem 52-jährigen Patienten kam es nach einer internen Resorption des Zahnes 43 zu einer ausgeprägten knöchernen Defektsituation nach Zahnentfernung (Abb. 1 bis 3). Bei dem Expander (Cupola, Firma Osmed, Ilmenau) handelte es sich um einen Hydrogelexpander mit einer Silikonhülle. Das physiologisch verträgliche Hydrogel bestand aus einem Co-Polymer auf der Basis von Methylmethacrylat und N-Vinylpyrrolidon. Die Silikonhülle war an einer Stelle mit einem Durchmesser von 0,5 mm perforiert, um eine verlangsamte Quellung zu erreichen. Das Ausgangsvolumen des Expanders betrug 0,113 cm3.
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Abb. 1: Patientenfall 1 – Ausgangssituation.
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Abb. 2: Röntgenologischer Ausgangsbefund.
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Abb. 3 a und b: Ausgangssituation nach Zahnentfernung 43.
Nach sulculärer Schnittführung und mesialer Entlastungsinzision wurde der Expander nach subperiostaler Präparation direkt auf dem Knochen unter der zu dehnenden Gingiva platziert und die Wunde mittels Naht verschlossen. Nach 28 Tagen in situ (Abb. 4) wurde der Expander über den Zugangsweg entfernt. Dabei zeigte sich, dass der Expander auf das vierfache des Ausgangsvolumens aufgequollen war (Abb. 5). Dabei kam es zu einer deutlich sichtbaren Dehnung des Weichgewebes im Defektbereich (Abb. 6). Nach Entfernung des Expanders wurde eine Augmentation mit retromolarem Knochen und Membrandeckung durchgeführt. Dabei konnte ein primärer Wundverschluss über dem augmentierten Bereich ohne zusätzliche Periostschlitzung durchgeführt werden. Der postoperative Heilungsverlauf gestaltete sich komplikationslos und eine Implantatversorgung mit prothetischer Versorgung konnte nach Standardprotokoll durchgeführt werden (Abb. 7 und 8).
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Abb. 4: Zustand nach Expansion.
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Abb. 5: Der aufgequollene Gewebeexpander nach 28 Tagen.
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Abb. 6: Das Weichgewebe im Defektbereich wurde deutlich gedehnt.
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Abb. 7: Freilegung des Implantates.
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Abb. 8: Abschlussbild
Patientenfall 2
Bei einem 28-jährigen männlichen Patienten kam es nach Osteotomie der Zähne 35 und 36 zu einer Knochenresorption im linken Unterkiefer. Diese war vor allem durch die vollständige Resorption der bukkalen Lamelle in diesem Bereich gekennzeichnet. Daraufhin erfolgte die Indikationsstellung zur präimplantologischen Knochenaugmentation mit retromolarem autologem Knochen (Abb. 9). Aufgrund der ausgedehnten Defektsituation schien eine primäre Deckung über dem augmentierten Bereich unter Erhalt des ursprünglichen Verlaufs der vestibulären Umschlagfalte nicht wahrscheinlich. Um eine spannungsfreie Weichgewebedeckung nach Augmentation zu erzielen, wurde zur präaugmentativen Gingivaexpansion ein selbstquellender Expander subperiostal platziert. Vorher wurde mittels Templates, die das Volumen und die Dimension vor und nach der Quellung des Expanders darstellen, ein geeigneter Expander gewählt (Abb. 10). Im zeitlichen Verlauf zeigte sich eine deutliche Gingivavermehrung durch Volumenzunahme des Expanders (Abb. 11). Direkt nach der Expanderentfernung erfolgte eine Knochenaugmentation mit retromolarem Knochen, wobei der Wundverschluss über dem Augmentat ohne Periostschlitzung spannungsfrei erfolgen konnte. Im postoperativen Heilungsverlauf zeigten sich keine Dehiszenzen oder Anzeichen für eine Wundinfektion.
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Abb. 9: Zustand vor Einsatz des Expanders.
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Abb. 10a: Die Größe des Gewebeexpanders wird geplant.
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Abb. 10b: Die Größe des Gewebeexpanders wird geplant.
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Abb. 11a: Zustand 7 Tage nach OP.
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Abb. 11b: Zustand 14 Tage post OP.
Ergebnisse
Insgesamt kamen bei den untersuchten Patienten 18 Expander zum Einsatz. Das Patientenalter betrug 46 ± 11,4 a. Dabei wurden elfmal die Form Cupola und siebenmal Expander in Zylinderform verwendet. Bei allen Expandern konnte ein sicheres Quellverhalten festgestellt werden. Die erreichten Volumina nach der Quellung waren jedoch stets nichtsignifi kant (p < 0,05) kleiner als die Herstellerangaben in vitro. Aufgrund der unterschiedlichen Quellgeschwindigkeiten war die intraorale Verweildauer der Expander sehr unterschiedlich. Im Minimum/ Maximum wurden die Expander dabei 18/43 Tage in situ belassen. Dabei wurden 10 Expander im Unterkiefer und 8 im Oberkiefer eingebracht.
In zwei Fällen kam es zu Dehiszenzen im expandierten Bereich mit Exploration des Expanders. Diese wurden daraufhin unmittelbar entfernt. In einem Fall konnte dabei sofort die Augmentation durchgeführt werden, im anderen Fall wurde eine Ausheilung nach Expanderentfernung ohne weitere Maßnahmen angestrebt. In beiden Fällen kam es zur komplikationslosen Ausheilung. Einer der Patienten gab an, trotz eingehender Aufklärung über das postoperative Verhalten, im Expansionszeitraum geraucht zu haben.
In allen Fällen war eine primäre Defektdeckung über dem augmentierten Bereich primär ohne Periostschlitzung möglich. In zwei Fällen kam es im weiteren Heilungsverlauf zu kleinen Dehiszenzen über dem augmentierten Bereich, die aber mittels Naht wieder verschlossen wurden.
Diskussion
Expander werden in der rekonstruktiven und plastischen Chirurgie zur Weichgewebeexpansion erfolgreich eingesetzt [14, 15]. Dabei wird das zu dehnende Weichgewebe dauerhaft unter Spannung gesetzt und durch Zellproliferation ein Gewebezuwachs erzielt [15]. Der intraorale Einsatz von Expandern wurde bereits Anfang der 80er Jahre versucht, klinisch umzusetzen. Aufgrund technischer Probleme kam es dabei sehr häufig zu Misserfolgen. Um eine externe Befüllung der konventionellen Expander zu umgehen, erprobten Austad and Rose [16] selbstquellende Expander. Sie füllten dafür einen Silikonexpander mit einer permeablen Membran mit einer hypertonen Flüssigkeit, der Körperflüssigkeit durch osmolaren Druck aufnahm. Aufgrund von leaks in der permeablen Membran kam es zu Gewebenekrosen und in der Folge zum Misserfolg.
Erst 1993 kam es zur Wiederaufnahme dieser Idee durch Wiese [17], der Hydrogelexpander aus Vinylpyrrolidon verwendete. Diese quellen unter Flüssigkeitsaufnahme selbstständig. Diese Hydrogelexpander ließen sich in nahezu allen erdenklichen Formen herstellen. Die Quellgeschwindigkeit dieser Expander der ersten Generation zeigte jedoch eine für intraorale Anwendungen viel zu hohe Quellgeschwindigkeit. Nach eingehenden Untersuchungen in vitro modifizierte Anwander diese Expander durch eine Ummantelung mit einer Silikonhülle und ermöglichte so eine Steuerung der Quellgeschwindigkeit über die Perforationen in der Silikonhülle. Die hier verwendeten Hydrogelexpander dieser so genannten zweiten Generation wurden bisher vor allem in der plastischen und rekonstruktiven Chirurgie verwendet [18]. Gegenüber herkömmlichen Expandern bieten Hydrogelexpander den Vorteil, dass sie keiner externen Befüllung bedürfen und gute mechanische Eigenschaften aufweisen [17]. Weiterhin lassen sich Hydrogelexpander in beliebiger Form herstellen und können so miniaturisiert eingesetzt werden. Bei dem hier eingesetzten Hydrogelexpander kam es zu keinen technischen Problemen oder Entzündungsreaktionen. Dieses deckt sich mit Untersuchungen von Wiese [19], der die Biokompatibilität von Hydrogelexpandern nachgewiesen hat.
Der hier verwendete Expander zeigte eine Volumenzunahme um das vierfache der Ausgangsgröße. Im Gegensatz zur Quellung in vitro fi el somit die Expansion in vivo geringer aus als in vitro. Dies deckt sich mit Untersuchungen von Stuehmer et al., die ebenfalls einen geringere Quellung in vivo bei Hydrogelexpandern nachgewiesen haben. Dies ist vermutlich auf den Gegendruck des umgebenden Weichgewebes zurückzuführen [20].
Zur Vermeidung vom Verrutschen des Expanders auf dem Knochen durch die Nahrungsaufnahme wurde der Expander mittels einer Osteosyntheseschraube befestigt. Tatsächlich zeigten sich nach der Entfernung des Expanders keine sichtbaren Knochenveränderungen oder ein Verrutschen des Expanders. Dies deckt sich mit Studien von Abrahamsson et al., die im Tiermodell ebenfalls keine Veränderungen des knöchernen Widerlagers im Unterkiefer nachgewiesen haben [21].
Untersuchungen von Dogan et al. [23] weisen sogar auf eine geringere Knochenresorption unter präaugmentativ vermehrtem Weichgewebe hin. Als mögliche Komplikation beim intraoralen Einsatz von Hydrogelexpandern wird das Verrutschen des Expanders sowie die Exploration beschrieben.
Bei einem Patienten kam es zur Exploration des Expanders nach Nikotinkonsum. Derzeit liegen in der Literatur noch keine Untersuchungen zum Zusammenhang von Nikotinkonsum mit intraoraler Gewebeexpansion vor. Gerade aber die klinischen Erfahrungen beim Heilungsverlauf nach Operationen an der Gingiva, legen die Vermutung nahe, dass der chronische Nikotinabusus eine mögliche Kontraindikation zum Einsatz von intraoralen Expandern darstellt.
Im zweiten Fall des explorierten Expanders lag dieser unter dem frenulum labii superioris. Es kam somit zu einer Bewegung der Gingiva im Expansionsbereich. Dies stellt eine mögliche Erklärung für die Exploration dar. So sind auch in der rekonstruktiven und plastischen Chirurgie erhöhte Explorationsraten von Expandern im Bereich von Gelenken beschrieben [22].
Fazit
Die hier vorgestellte Technik der präaugmentativen Weichgewebeexpansion ermöglicht in Fällen von deutlichen Knochenresorptionen einen spannungsfreien Wundverschluss über dem Augmentat ohne Periostschlitzung. Weitere Therapieoptionen bei defizitären intraoralen Weichgewebesituationen sind denkbar und vielversprechend.