Implantologie allgemein

Interaktion unterschiedlichster Medikamente

Risikopatienten in der Zahnmedizin

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Die wachsende Anzahl an multimorbiden und polypharmazierten Patienten bewirkt ein schwer einschätzbares Risiko in der Zahnmedizin. Die individuelle Interaktion von Medikamenten kann einen Einfluss auf die erfolgreiche Implantation und Osseointegration haben. Hierbei spielen u. a. Antiresorptiva eine wichtige Rolle. Des Weiteren bewirken antikoagulative Medikamente ein anderes Operationsmanagement, um die Komplikationsrate so niedrig wie möglich zu halten.

Mit Blick auf globale demografische Studien wird deutlich, dass die Lebenserwartung von Menschen aus Industrieländern stetig weiter ansteigt. Gleichzeitig senkt sich die Mortalitätsrate unter anderem durch die Verbesserung bei der Behandlung von Krankheiten und der Entwicklung von potenteren Medikamenten. Das Resultat ist ein jährlich größer werdender Anteil an älteren Menschen.

Untersuchungen zeigen, dass sich die Zahl der Personen, die 60 Jahre oder älter sind, von 2017 bis 2050 voraussichtlich mehr als verdoppeln und bis 2100 mehr als verdreifachen wird. In Europa sind bereits mehr als 25% der Bevölkerung älter als 60 Jahre; dieser Wert wird sich bis 2050 auf 35% steigern [1].

Außerdem nimmt die Zahl der Patienten, die Medikamente einnehmen, immer weiter zu. Zu unterscheiden ist hierbei zwischen betagten und hochbetagten mit Lebensalterassoziierten Einschränkungen, Menschen mit mehreren systemischen Krankheiten (multimorbide Patienten) und Menschen, die eine Vielzahl von Medikamenten einnehmen (Polypharmazie).

In Deutschland nehmen etwa 42% der über 65-Jährigen 5 oder mehr Medikamente gleichzeitig ein – Tendenz steigend. Davon sollen 20 – 25% potenziell inadäquate Medikamente erhalten, also Medikamente, deren Verordnung mit einem überhöhten Risiko für Nebenwirkungen im Vergleich zum klinischen Nutzen einhergeht [2,3].

Als Risikopatienten gelten diejenigen, bei denen sich durch lokale oder systemische Erkrankungen bzw. Veränderungen bestimmte pathophysiologische Aspekte verändern. Bei diesen ist die Komplikationsrate bei zahnärztlichen Eingriffen erhöht. Damit auch diese Patienten sicher durch den zahnmedizinischen Alltag geführt werden können und für eine sichere sowie erfolgreiche Behandlung, sind spezielle Kenntnisse und mitunter besondere Vorgehensweisen sowie Vorsichtsmaßnahmen notwendig.

Dieser Artikel gibt einen Überblick über die aktuelle Studienlage zu ausgewählten Risikogruppen und eine praxisnahe Einschätzung zum Komplikationsmanagement. Hierfür wurden unter anderem Artikel der Autoren zusammengefügt, um einen Überblick über die komplexen Themen zu erhalten.

Folgende Risikogruppen in der Zahnarztpraxis werden besprochen:

  1. Patienten mit antikoagulativen Medikamenten
  2. Patienten mit antiresorptiven Medikamenten
  3. Patienten mit weiteren Medikamenten wie nichtsteroidale Antiphlogistika (NSAIDs), Antihypertensiva, Protonenpumpenhemmer und selektive Serotonin-Wiederaufnahmehemmer

Der antikoagulierte Patient

Der Umgang mit antikoagulierten Patienten ist gerade bei zahnärztlich-chirurgischen Maßnahmen eine Herausforderung. Durch die aktuelle S3-Leitlinie: „Zahnärztliche Chirurgie unter oraler Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung“ wird dem Praktiker eine sehr gute Hilfestellung zur Behandlungsplanung und Umsetzung gegeben.

In Deutschland wird schätzungsweise 1% der Bevölkerung mit antikoagulierenden Medikamenten behandelt [4]. Während früher eine Dominanz des Cumarinderivats Phenprocoumon (Marcumar®) zu erkennen war, wurden in den vergangenen Jahren jedoch häufiger die neuen oralen Antikoagulantien (NOAK) verordnet. Die NOAKs bzw. nicht-Vitamin-K-abhängigen oralen Antikoagulantien wurden als Alternative zu den Cumarinen entwickelt. Der größte Vorteil der NOAKs gegenüber den Cumarinen ist für die betroffenen Patienten die unveränderte Dosierung der Tabletten ohne regelmäßige Gerinnungskontrollen.

Hauptindikationen aller antikoagulativ wirkenden Medikamente sind Vorhofflimmern, koronare Herzkrankheiten, tiefe Beinvenenthrombosen und mechanische Herzklappen. Ebenfalls werden Blutgerinnungshemmer prophylaktisch zur Vermeidung von thrombembolischen Ereignissen prä-, intra- und postoperativ bei Eingriffen am Herzen (Herzkathetereingriffe, Herz-Lungen-Maschine) sowie zur Dialyse verabreicht.

Einen Überblick über die aktuellen Medikamente mit Handelsnamen gibt Tabelle 1, die aus der aktuellen Leitlinie [5] übernommen und modifiziert wurde. Hier wird empfohlen, das Blutungsrisiko schon vor der Zahnentfernung zu bewerten, einzuschätzen und eine Strategie für die Wundversorgung zu entwickeln. Falls sich das Risiko eines Eingriffs unverhältnismäßig erhöht (z.B. bei infizierten Wunden/Abszessen im Bereich des Mundbodens, Sinus maxillaris und im retromaxillären Raum) sollte die Behandlung durch Fachzahnärzte für Oralchirurgie/Fachärzte für Mund-, Kiefer- und Gesichtschirurgie bzw. durch Fachkliniken unter stationären Kautelen erfolgen [5].

SubstanzHandelsnameWirkmechanismusIndikation
Phenprocoumon, WarfarinMarcumar®, Falithrom®, Coumadin® und GenerikaBindung an das Enzym â€žVitamin-K-Epoxid-Reduktase“ und Hemmung der Carboxylierung von GlutamatRezidivprophylaxe von Thrombosen, Vorhofflimmern bei Vorliegen künstlicher Herzklappen und Gefäßprothesen, bei koronaren Herzerkrankungen
Dabigatran (NAOK)Pradaxa®Kompetitive und reversible Bindung an Thrombin; hierdurch Blockade der Umwandlung von Fibrinogen zu FibrinPrimärprävention von venösen thromboembolischen Ereignissen nach Hüft- oder Kniegelenkersatz; Prävention von Schlaganfall; Behandlung tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien
Rivaroxaban (NAOK)Xarelto®Direkte, reversible und selektive Inhibition des Faktors Xasiehe Dabigatran (NAOK)
Apixaban (NAOK)Eliquis®Direkte, reversible und selektive Inhibition des Faktors Xasiehe Dabigatran (NAOK)
Edoxaban (NAOK)Lixiana®Direkte und reversible Inhibition des Faktors XaPrävention von Schlaganfall und systemischer Embolie; Behandlung tiefer Venenthrombosen und Lungenembolien
AcetylsalicylsäureAspirin®, ASS® und GenerikaCOX-1-Hemmung und Inhibition 
Thromoxan-A2-Synthese
Koronare Herzkrankheit (KHK) Prophylaxe von transistorischen ischämischen Attacken (TIA) und Hirninfarkten; bei der arteriellen peripheren Verschlusskrankheit
Thienopyridine (Clopidogrel, Prasugrel)Isocover®, Plavix®, Efient®Irreversible Inhibition des thrombozytären ADP-P2Y12-RezeptorsDuale Therapie in Kombination mit ASS im Rahmen von Koronarinterventionen sowie beim akuten Koronarsyndrom; Sekundärprophylaxe nach ischämischem Insult und Myokardinfarkt; bei der peripheren Verschlusskrankheit
P2Y12 – Antagonisten (Ticagrelor)Brilique®Reversible Inhibition des thrombozytären ADP-P2Y12-RezeptorsDuale Therapie in Kombination mit ASS zur Verhinderung atherothrombotischer Ereignisse wie Herzinfarkt oder Apoplex

Tab. 1: Übersicht über die gängigsten antikoagulativen Medikamente mit Handelsnamen (ohne Generika).

Obwohl generell zahnärztlichchirurgische Eingriffe mit nur einem geringen Risiko einer schwerwiegenden Nachblutung bewerten werden, empfinden häufig ältere Patienten allein den Gedanken an eine Nachblutung in der Mundhöhle als Gefahr, hilflos und ggf. in der Nacht sich selbst überlassen zu sein. Diese Angst kann Auslöser sein, dass notwendige chirurgische Eingriff abgelehnt oder verzögert werden.

Präoperative Kautelen

Dies sind alle Maßnahmen, die vor dem Eingriff stattfinden sollten. „Die Patienten unter oraler Antikoagulation/Thrombozytenaggregationshemmung sollen vor der Operation über mögliche Nachblutungen, über Verhaltensmaßnahmen bei Blutung und über ein prolongiertes Nachsorgeintervall aufgeklärt werden“ [5]. Eine Verbandsplatte ist in vielen Fällen eine zusätzliche Sicherheit, die nach der Zahnentfernung als Druckverband im Mund eingegliedert werden kann.

  • Abb. 1: Eine aus einer Alginatabformung hergestellte Tiefziehschiene, bei der die
zu entfernenden Zähne radiert wurden. Es empfiehlt sich, eine nicht biegsame
und starre Tiefziehschiene zu benutzen.

  • Abb. 1: Eine aus einer Alginatabformung hergestellte Tiefziehschiene, bei der die zu entfernenden Zähne radiert wurden. Es empfiehlt sich, eine nicht biegsame und starre Tiefziehschiene zu benutzen.
    © Dr. Wolff
Mithilfe einer einfachen Alginatabformung mit anschließender Radierung der zu entfernenden Zähne im Labor lässt sich eine Tiefziehschiene einfach und schnell herstellen. Es empfiehlt sich, eine nicht biegsame und starre Tiefziehschiene zu benutzen (Abb. 1).

Auf eine Periostschlitzung zur konventionellen plastischen Kieferkammdeckung sollte unbedingt verzichtet werden, da diese zu unkalkulierbaren und schwer zu beherrschenden, parenchymatösen Nachblutungen führen kann. Vielmehr kann die adaptierende Naht durch eine Verbandsplatte, die mit einer Vaseline-bestückten Tamponade unterfüttert ist, zum Abdecken der teilweise offenen Alveolen ergänzt werden.

Phenprocoumon, Warfarin:

Der INR-Wert für eine Extraktion eines oder mehrerer Zähne sowie unkomplizierte Osteotomien kann laut Leitlinie und Publikationen zwischen 2,0 und 3,5 liegen. Die persönlichen klinischen Erfahrungen der Autoren tendieren hier aber zu wesentlich niedrigeren INR-Werten, die eher unter 2,0 liegen, und einem Management, dass diese Patienten/-innen am OP-Tag früh morgens und in der OP-Woche eher montags oder dienstags behandelt werden.

Damit minimiert sich das Risiko einer Nachblutung in der Nacht und am Wochenende. Wenn jedoch umfangreiche chirurgische Sanierungen durchgeführt werden müssen, empfiehlt es sich, die betroffenen Patienten/-innen an erfahrene Chirurgen unter eventuell stationären Bedingungen zu überweisen. Ein „Bridging“ mit Heparin ist nicht mehr State of the Art, da sich in aktuellen Studien ein höheres Blutungsrisiko bei einer Umstellung der Medikamente [5] oder auch eine höhere Morbiditätsrate zeigt [6].

Dabigatran (NAOK) und Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban (NAOK): 

Hier empfiehlt es sich, den behandelnden Arzt des/der Patienten/-in über den anstehenden Eingriff zu informieren und auf seine Empfehlungen hin den/die Patienten/-in zu betreuen. Wenn der Operationszeitpunkt in möglichst großem Abstand zur nächsten regulären Einnahme des Medikaments liegt, ist dies ebenfalls von Vorteil [5].

Falls jedoch ein höheres Blutungsrisiko zu erwarten ist, sollten geplante zahnärztlich-chirurgische Eingriffe nicht früher als 12 – 24 Stunden nach der letzten Einnahme erfolgen und dringliche Eingriffe auch eher Spezialisten bzw. einer Fachklinik zugeführt werden. Sobald sichergestellt werden kann, dass keine Nachblutungen aufgetreten sind, sollte die Einnahme von Dabigatran wieder erfolgen.

Zusammengefasst kann man die oben genannten Empfehlungen auch für die Medikamente Rivaroxaban, Apixaban, Edoxaban übernehmen, bis auf die Tatsache, dass diese bei einfachen, zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen im komprimierbaren Bereich weitergeführt werden sollten.

Acetylsalicylsäure: 

Viele ältere Patienten/-innen nehmen Acetylsalicylsäure (ASS) als Apoplexprophylaxe nach transitorischen ischämischen Attacken (TIA) und nach Hirninfarkten ein. Häufig ist dieses nur als „Herz-ASS“ oder „ASS“ geläufig. Bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen soll die niedrig dosierte Monotherapie mit Acetylsalicylsäure im Rahmen der Primär- und Sekundärprophylaxe weitergeführt werden [5].

Jedoch ist der/die Patient/-in in diesen Fällen häufig verunsichert und gibt nicht selten am Tag des Eingriffs an, dass er/sie vorsichtshalber seit ein paar Tagen das ASS abgesetzt hätte. Eine präoperative Aufklärung und ein dezidierter Hinweis „ASS nicht absetzen!“ ist hier von besonderer Bedeutung.

Clopidogrel: 

„Bei einfachen, zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen im komprimierbaren Bereich sollte die Monotherapie mit Clopidogrel weitergeführt werden“, so die Leitlinie. Und weiter: „Bei zahnärztlich-chirurgischen Eingriffen mit höherem Blutungsrisiko unter Monotherapie mit Clopidogrel sollte eine Behandlung durch Spezialisten/Fachkliniken erwogen werden“ [5]. Falls jedoch der/die Patient/-in eine duale Thrombozytenaggregationshemmung bzw. eine Tripletherapie erhält, empfiehlt es sich, die duale medikamentöse Therapie nicht zu unterbrechen und somit den/die Patienten/-in sicherheitshalber dem Spezialisten bzw. einer Fachklinik zuzuführen.

Intraoperative Kautelen

Bei der Zahnentfernung ist es von Vorteil, den Zahn minimalinvasiv zu entfernen und wenn möglich auf große Knochenabtragungen zur Osteotomie des Zahnes zu verzichten. Selbst bei subcrestaler Zahnfraktur hilft es, den Zahn an sich zu teilen und in einzelnen Stücken zu bergen.

Hierbei kann die Anwendung der Ultraschallchirurgie Vorteile bieten. Wenn eine Osteotomie des Knochens unumgänglich ist, sollte diese zur Vermeidung von residualen Wurzelresten (Radix relicta) erfolgen. Die Lappenbildung sollte zunächst auf die keratinisierte und fixierte Mukosa begrenzt bleiben und ohne Periostschlitzung erfolgen.

Nach der Zahnentfernung kann so der Mukoperiostlappen sehr gut zurück an seine ursprüngliche Lage mit Nähten adaptiert werden. Vor der Wundnaht sollten aber scharfe Knochenkanten bzw. Alveolenkanten mittels modellierender Osteotomie sorgsam geglättet werden, um eine spätere Mukosaperforation mit dem Risiko einer späten Nachblutung zu vermeiden.

Gerade weil es hierbei von besonderer Bedeutung ist, einerseits keine scharfen Knochenkanten stehen zu lassen, andererseits aber auch keine Defektkonsolidierung durch zu umfängliche Abtragung zu bahnen, erfordert diese Maßnahme angemessene Aufmerksamkeit und auch OP-Zeit, die vorher einkalkuliert werden soll. Bedingt durch diesen Knochenabtrag nähern sich die Wundränder des Mukoperiostlappens auch ohne Periostschlitzung gut an.

Ein zentraler Punkt im Rahmen der Zahnentfernung ist auch die saubere Kürettage der Alveole; deshalb soll sie eine separate Erwähnung finden. Jede (lokale) Infektion wird vom Organismus mit einer mehr oder weniger ausgeprägten Hyperämie (Mehrdurchblutung) beantwortet. Häufig ist deshalb belassenes Granulationsgewebe der Grund für eine postoperative Nachblutung.

Da das Granulationsgewebe sehr gut durchblutet ist, wird bei dessen Entfernung meistens eine stärkere Blutung erwartet als bei der Zahnentfernung selbst. Nach Entfernung sollte eine saubere knöcherne Alveole sichtbar sein. Auch bei diesem Teilschritt des Eingriffs kann die Anwendung der Ultraschallchirurgie von Vorteil sein.

Neben der Risikominderung für eine Nachblutung werden auch die Rate an chronischen Ostitiden verringert und das Ausmaß der Ossifikation verbessert. Vor dem Nahtverschluss der Wunde können ggf. hämostyptische Maßnahmen erfolgen. Eine intraoperative Blutung kann häufig bereits mit einer Knochenverbolzung kontrolliert werden.

Daneben steht eine Vielzahl an blutstillenden Hämostyptika zur Verfügung (unter anderem: Fibrin- und Histoacrylkleber, lokale antifibrinolytische Lösungen wie Tranexamsäure, Kollageneinlagen, Gelatineschwämme und Cyanoacrylate) [5]. Bewährt haben sich in der Praxis insbesondere resorbierbares hämostyptisches Kollagen bzw. Kollagenzylinder zur lockeren Einlage in die Alveolen.

Eine ebenfalls sehr gute blutstillende Wirkung wird beispielsweise mit dem resorbierbaren Hämostyptikum Tabotamp® erreicht. Jedoch ist anzumerken, dass die Kosten von Tabotamp® oder ähnlichen Produkten wesentlich höher liegen als von Kollageneinlagen.

Aus diesem Grund können Kollagen oder Gelatineschwämmchen zur Primärverwendung und Tabotamp® oder Vergleichbares bei vorhandenem Nachblutungsmanagement zur Sekundärverwendung empfohlen werden. Die supportive Anwendung eines Hämostyptikums steht in enger inhaltlicher Beziehung zum vorhergehenden Kapitel.

Bei Vorliegen einer akuten (peri-)apikalen Ostitis bzw. Parodontitis oder einem enossalen Abszess sollte auf eine allogene Einlage in die Alveole gänzlich verzichtet werden. Grund ist das Risiko einer bakteriellen Besiedlung mit der Ausbildung einer Alveolitis, die wiederum Auslöser einer Nachblutung werden kann.

Bei chronischen periapikalen oder periradikulären Infektionen muss man vor dem Einbringen eines Hämostyptikums ganz besonderen Wert auf die akribische Revision des periapikalen/periradikulären Gewebes legen. Ggf. kann in diesen Fällen auch die Anwendung eines Antibiotikabestückten Kollagens angeraten sein.

Die Nahtversorgung der Alveole sollte nach jedem zahnärztlich-chirurgischen Eingriff bei antikoagulierten Patienten erfolgen, also auch nach einer reinen Extraktion ohne Weichgewebeeröffnung, da diese auch zur Stabilisierung des Blutkoagels beiträgt. Außerdem wird das ggf. eingebrachte hämostyptische Material fixiert und es nähern sich die Wundränder aneinander an, so dass eine geringere Wundfläche resultiert.

Gerade bei stark antikoagulierten Patienten/-innen sollte auf eine Periostschlitzung verzichtet werden, da dadurch eine Einblutung in das umliegende Gewebe entsteht, die einer Kompression durch die Verbandsplatte nicht mehr zugänglich ist. Einblutungen und daraus resultierende Schwellungen können bei Beteiligung des Mundbodens lebensbedrohlich werden.

Abschließend sollte als zusätzliche Kompression der Wunde eine Verbandsplatte über die Wundfläche eingebracht werden. Es hat sich gezeigt, dass Hohlräume unter der Verbandsplatte mittels in beispielsweise Aureomycin®-Salbe getränkte Gazestreifen als Tamponaden ausgefüllt werden können. Somit kommt es zwischen Wundfläche und Verbandsplatte zu einer zusätzlichen Kompression.

Andererseits ist streng darauf zu achten, dass eine Verbandsplatte insbesondere an deren Rändern, aber auch auf der anliegenden Fläche nicht zu Weichgewebetraumatisierungen im Sinne von Druckstellen führt. Dies kann durch die individuelle Fertigung, eine intraoperative Anpassung und Gazetamponaden als Zwischenpuffer zuverlässig vermieden werden [7].

Eine oft unterschätzte, aber gut wirksame Methode, um Nachblutungsereignisse zu verringern, ist die lokale Verwendung von Tranexamsäure. Ihr Vorteil ist, dass die Verwendung als Mundspüllösung nach chirurgischen Eingriffen das Blutungsrisiko signifikant senkt, ohne dass die antikoagulative Medikation und systemische Wirkung des/der Patienten/-in verändert wird [5].

Empfehlung der Leitlinie: „Bei antikoagulierten (Vitamin-K-Antagonisten) Patienten kann eine 2- bis 7-tägige Mundspülung (4-mal pro Tag) mit 5%iger Tranexamsäure in Abhängigkeit vom zu erwartenden Blutungsrisiko in Erwägung gezogen werden, um Nachblutungsereignisse zu vermeiden.“

„Auch bei Patienten unter Thrombozytenaggregationshemmung kann die Mundspülung mit Tranexamsäure positive Effekte zwecks Vermeidung von Nachblutungen haben“ [5]. Aus Sicht praktischer Empfehlungen geben die Autoren folgenden Hinweis zum Schluss: Im Handel ist Tranexamsäure auch als Tablette (Cyklokapron®) erhältlich. Diese Tablette kann – allerdings als Off-Label-Use – zerkleinert werden und mit Wasser zur Vermischung als Mundspüllösung in der Praxis verwendet werden.

Antiresorptiva

Bisphosphonate werden in der Medizin erfolgreich zur Behandlung der Osteoporose und ossären Metastasierung solider Tumoren eingesetzt. Einerseits bewirken Bisphosphonate über eine effektive Hemmung der Osteoklastenaktivität eine positive Knochenbilanz und somit eine Reduktion der Knochenresorption. Anderseits führen sie aber zu einer verminderten Knochenneubildungs- und -umbaurate („bone remodeling“), die unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Kiefernekrose führen kann.

Auch für das Medikament Denosumab (ein monoklonaler Antikörper) werden ähnliche Raten an Kiefernekrosen beschrieben wie für die klassische Gruppe der Bisphosphonate, so dass der Begriff der Antiresorptiva-assoziierten Kiefernekrose (AR-ONJ) eingeführt wurde. Eine Zusammenfassung der relevanten Medikamente ist in Tabelle 2 erkennbar.

SubstanzHandelsnameONJPrävalenz
Pamidronat/PamidronsäureAredia®ja++
Alendronat/AlendronsäureFosamax®, Fosavance®ja+
Risedronat/RisedronsäureActonel®ja+
Ibandronat/IbandronsäureBonviva®ja6 mg (+), 50 mg -
Zoledronat/ZoledronäureAclasta®ja++
DenosumabProlia® & XGEVA®ja++
BevacizumabAvastin®ja+
SunitinibSutent®ja?
TrastazumabHerceptin®ja?
AfliberceptZaltrap®ja?

Tab. 2: Zusammenfassung relevanter Medikamente, die zu einer Antiresorptivaassoziierte Kiefernekrose (AR-ONJ) führen können.

Da diesen Medikamenten die Gemeinsamkeit der antiresorptiven Eigenschaften im Knochenmetabolismus zugrunde liegt bzw. sie osteoprotektive Eigenschaften aufweisen, wurde der Begriff der Bisphosphonat-assoziierten Kiefernekrose durch den Terminus Antiresorptiva-assoziierte Kiefernekrose abgelöst. Die angloamerikanische Begrifflichkeit der Medikamenten-assoziierten Kiefernekrose beschreibt dabei dieselbe Entität und umfasst insbesondere neue Medikamentenstoffgruppen wie z.B. Bevazicumab (Avastin®), wobei diese sehr viel seltener mit einer Kiefernekrose assoziiert sind. Als Hauptfaktor für die Entstehung einer Antiresorptivaassoziierten Kiefernekrose werden die Koinzidenz von Bakterieneinwanderung durch lokale Weichgewebeentzündung (Parodontitis) oder eine offene Weichteilknochenwunde (Extraktionsalveole, Prothesendruckstelle) einerseits und die Hemmung der Knochenresorption andererseits angesehen.

Der physiologische Schutzmechanismus des Knochens gegen eine Infektion – die Knochenresorption – bleibt aus, und somit steht das Knochengewebe dann schutzlos der Entzündung gegenüber. Schon die einmalige Einnahme eines antiresorptiven Medikaments kann ursächlich für eine spätere Kiefernekrose sein. Hierbei ist allerdings anzumerken, dass dies selten ist und meist ein langsam über die Zeit ansteigendes Kiefernekroserisiko entsteht.

Das Bisphosphonatmolekül selbst bindet sich relativ stabil an das Hydroxylapatit des Knochens. Die daraus resultierende unkalkulierbare lange Verweilzeit des Medikaments (Halbwertszeit) erklärt die Herausforderung des Medikaments. In der Regel bedarf es einer kumulativen Dosis, so dass sich auch nach jahrelangen symptomlosen Mundschleimhautverhältnissen eine Kiefernekrose entwickeln kann (Abb. 2 und 3).

  • Abb. 2: Kiefernekrose.
  • Abb. 3: Kiefernekrose.
  • Abb. 2: Kiefernekrose.
    © Dr. Wolff
  • Abb. 3: Kiefernekrose.
    © Dr. Wolff

Obwohl diese Halbwertszeit bei Denosumab wesentlich kürzer ist, zeigen sich klinisch keine relevanten Unterschiede bezüglich des individuellen Kiefernekrosenrisikos. Dies widerspricht zwar der Plausibilität, gibt uns aber derzeit auf, auch bei diesen Patienten/-innen über die Denosumab-Medikation hinaus Sicherheitskautelen walten zu lassen. Der korrekte Umgang mit diesen Patienten gliedert sich wie folgt:

1. Prophylaxe vor Antiresorptivatherapie

Der/die Patient/-in sollte vor der Behandlung mit Antiresorptiva über das Risiko einer Kiefernekrose unterrichtet werden (inklusive Einschätzung des Risikoprofils anhand von Medikation und Begleitfaktoren). Damit das individuelle Risiko korrekt eingeschätzt werden kann, sind mehrere Betrachtungsweisen notwendig. Zur Verbesserung und Vereinfachung der interdisziplinären Kommunikation dient z.B. der konsentierte Laufzettel [8].

„Von zahnärztlicher Seite sollten vor Beginn einer Therapie mit antiresorptiven Medikamenten eine Fokussuche, eine prothetische Anpassung sowie eine Sanierung von Infektionen und Bakterieneintrittspforten im Mund-Kiefer-Bereich begonnen werden. Eine prophylaktische Entfernung prognoselimitierter, aber erhaltungswürdiger Zähne sollte nicht erfolgen.

Gleiches gilt für verlagerte Zähne ohne Hinweis auf Schlupfwinkelinfektionen sowie für die chirurgische Therapie apikaler Osteolysen ohne klinische Symptome einer Infektion. Insgesamt umfasst die Sanierung des Zahnstatus bzw. der Mundhöhle Maßnahmen, die auch ohne die o.g. Medikationen sinnvoll und notwendig sind, hier aber zur Risikominderung einer AR-ONJ dienen und deshalb von hoher Bedeutung sind“ [9].

2. Prävention unter und nach Antiresorptivatherapie

Vor einer chirurgischen Intervention erhält der Patient eine (ggf. prolongierte) perioperative, systemische antibiotische Abschirmung mindestens ab dem Tag vor der Operation und bis zum Abklingen klinischer Zeichen einer Keimbelastung. Hier hat sich das Antibiotikum Amoxicillin, 1 g 3-mal täglich, oder (bei Penicillinallergie) Clindamycin, 600 mg 3-mal täglich, bewährt.

Die Operation sollte minimalinvasiv und atraumatisch erfolgen (Vermeidung von thermischen oder mechanischen Läsionen des knöchernen Gewebes). Falls augenscheinlich und/oder palpatorisch scharfe Knochenkanten erkennbar sind, sollten diese sorgfältig abgetragen bzw. geglättet werden. Dies dient zur Vermeidung sekundärer Mukosaperforationen, da die Knochenkanten nicht hinreichend durch spontanes Bone Remodeling „geglättet“ werden.

Zur atraumatischen Glättung der scharfen Knochenkanten hat sich die minimalinvasive Piezochirurgie bewährt. Auch bei einer „einfachen“ Zahnentfernung ist eine „Aufklappung“ bzw. eine Lappenbildung notwendig. Der Lappen kann je nach Operationsgebiet mit oder ohne Entlastungen gebildet werden, sollte aber immer spannungsfrei adaptierbar sein im Sinne einer primären plastischen Deckung.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Tim F. Wolff - Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz