Knochenmanagement

All-on-4, All-on-6, Sofortversorgung

All-on-6 ? Sofortversorgung in weichem Knochen

Fertigstellung und Einsetzen der Implantat getragenen Brücke.
Fertigstellung und Einsetzen der Implantat getragenen Brücke.

Das All-on-4 Behandlungskonzept stellt eine bewährte Möglichkeit zur sofortigen festsitzenden Versorgung von restbezahnten oder unbezahnten Kiefern dar. Durch die Angulation der distalen Implantate können wichtige anatomische Strukturen (Foramen mentale, Kieferhöhle) geschont und ein prothetisch günstiges Abstützungspolygon ohne größere augmentative Maßnahmen generiert werden. Im vorliegenden Fall ermöglicht ein NobelParallel CC Implantat (Nobel Biocare) die Sofortbelastung eines Oberkiefers im Sinne eines „Emergency-Implantates“ mit einer festsitzenden Brücke und erweist sich in sehr weichem Knochen als gute Alternative bei unterdimensionierter Aufbereitung.

Die Möglichkeit der Sofortversorgung von zahnlosen Patienten mittels 4 Implantaten im Unterkiefer wurde bereits 1979 durch den Zahnarzt Philippe D. Ledermann beschrieben [1].

Prof. Malo zeigt im Unterkiefer Implantat-Überlebensraten von 94,8 % und Zahnersatz-Überlebensraten von 99,2 % über 10 Jahre. In seiner Studie wurden 980 Implantate bei 245 Patienten im Unterkiefer inseriert. Interessanterweise wurden aus seiner Studie keine sog. „Risikopatienten” ausgeschlossen, was die Qualität und Nachhaltigkeit dieses Behandlungskonzeptes unterstreicht [2].

Im Oberkiefer wurden 242 Patienten mit 968 Implantaten nach dem All-on-4™ Behandlungskonzept versorgt. Eine Implantat-Überlebensrate von 98 % über 5 Jahre zeigt, dass eine Sofortversorgung nach dem All-on-4™ Behandlungsprotokoll auch im Oberkiefer eine gute Alternative zu herkömmlichen implantatprothetischen Lösungen darstellt [3].

Falldarstellung

Ein 46-jähriger Patient stellte sich zur Beratung und Weiterbehandlung des Oberkiefers vor. Nach klinischer und röntgenologischer Untersuchung (PSA) zeigte sich eine schwere chronische Parodontitis mit Attachmentverlusten von bis zu 10 mm (Abb. 1). Der Patient klagte über anhaltende Entzündungszeichen der Schleimhaut und über eine Beeinträchtigung beim Kauen von harter Nahrung. Die verblockte Oberkieferbrücke zeigte in toto einen Lockerungsgrad I. Nach eingehender und ausführlicher Beratung wurde eine systematische Parodontitis-Behandlung unter adjuvanter Antibiotikagabe (Amoxicillin und Metronidazol), sowie eine Entfernung von Zähnen und Entzündungsherden durchgeführt. Ein Interimsprovisorium wurde übergangsweise zur Ausheilung und Reevaluation der parodontalen Situation angefertigt (Abb. 2 und 3).

  • Abb. 1: PSA Ausgangssituation
  • Abb. 2: Intraoraler Zustand nach Ausheilung.
  • Abb. 1: PSA Ausgangssituation
  • Abb. 2: Intraoraler Zustand nach Ausheilung.

  • Abb. 3: Übergangsprovisorium (Interims-Teilprothese).
  • Abb. 3: Übergangsprovisorium (Interims-Teilprothese).

Nach einer Ausheilphase von ca. 6 Monaten und einer erneuten Beratung entschloss sich der Patient für eine festsitzende Versorgung des Oberkiefers mit dem Allon- 6 Behandlungskonzept. Damit eine Sofortversorgung realisierbar wird, ist ein Eindrehmoment von mindestens 35 Ncm zu empfehlen [4]. Die Aufklärung des Patienten über die mögliche provisorische Versorgung mittels gaumenbedeckter Totalprothetik während der Einheilphase von ca. 12 Wochen gehört ? falls die nötige Primärstabilität nicht erreicht werden kann ? nach Auffassung der Autoren in ein ausführliches Beratungsgespräch.

Die Implantation erfolgte unter Intubationsnarkose. Aus den DVT-Daten und der Überlagerung des eingescannten Set-Ups wurde eine Bohrschablone für die Festlegung der Vorbohrungen angefertigt.

Zur besseren Abstützung der Bohrschablone wurden Einzelzähne vorerst belassen. Die Bohrschablone wurde zusätzlich mit Anchor-Pins am Kiefer fixiert (Abb. 4). Nach den initialen Vorbohrungen wurde ein Mukoperiostlappen gebildet, scharfe Knochenkanten geglättet und ein Knochenplateau geschaffen (Abb. 5 bis 7). Um eine adäquate Primärstabilität für eine Sofortbelastung zu erreichen, wurden NobelActive 3,5 mm Ø Implantate (Nobel Biocare) geplant. Diese Implantate erreichen durch ihre doppelschneidige, aggressive Gewindekonfiguration und einer unterdimensionierten Implantatbettaufbereitung auch in weichem Knochen eine hohe Primärstabilität. Die fi nale Bohrung bei einer Knochenqualität von 3 besitzt den Durchmesser 2,4 mm / 2,8 mm. Durch zusätzliche Bonecondensing-Maßnahmen konnten Einbringdrehmomente von deutlich über 35 Ncm erreicht werden (Abb. 8 bis 11).

  • Abb. 4: Befestigung der Schablone (coDiagnostiX, Dental Wings) mit Anchor-Pins.
  • Abb. 5: Initiale geführte Vorbohrung (Ø 2 mm).
  • Abb. 4: Befestigung der Schablone (coDiagnostiX, Dental Wings) mit Anchor-Pins.
  • Abb. 5: Initiale geführte Vorbohrung (Ø 2 mm).

  • Abb. 6: Zustand nach den Vorbohrungen.
  • Abb. 7: Knochenglättung und Generierung eines Plateaus.
  • Abb. 6: Zustand nach den Vorbohrungen.
  • Abb. 7: Knochenglättung und Generierung eines Plateaus.

  • Abb. 8: Implantatbettaufbereitung mit Ø 2,4 / 2,8 mm Bohrer.
  • Abb. 9: Kondensation und Aufdehnung des Knochens.
  • Abb. 8: Implantatbettaufbereitung mit Ø 2,4 / 2,8 mm Bohrer.
  • Abb. 9: Kondensation und Aufdehnung des Knochens.

  • Abb. 10: Insertion eines NobelActive Implantates Ø 3,5 mm (Nobel Biocare) in regio 22.
  • Abb. 11: Insertion eines NobelActive Implantates Ø 3,5 mm (Nobel Biocare) in regio 13.
  • Abb. 10: Insertion eines NobelActive Implantates Ø 3,5 mm (Nobel Biocare) in regio 22.
  • Abb. 11: Insertion eines NobelActive Implantates Ø 3,5 mm (Nobel Biocare) in regio 13.

Lediglich das Implantat in regio 12 zeigte eine unzureichende Primärstabilität für eine Sofortbelastung von nur 20 Ncm. Ein NobelActive Implantat mit Durchmesser 4,3 mm hätte jedoch die Kontinuität der vestibulären Lamelle gefährdet, sodass wir uns für ein NobelParallel CC Implantat Ø 3,75 mm (Nobel Biocare) entschieden und dadurch eine Sofortbelastung nach dem Allon-6 Behandlungskonzept realisieren konnten (Abb. 12). Das NobelParallel CC Implantat Ø 3,75 mm weist die gleiche Plattform wie ein NobelActive Implantat Ø 3,5 mm auf (konischer Innensechskant) und ist auf Grund seiner zylindrischen Konfiguration ein optimales Implantat für diese Situation im Sinne eines „Emergency Implantates“.

  • Abb. 12: Insertion eines NobelParallel CC Implantates (Nobel Biocare) Ø 3,75 mm zur Realisierung einer hohen Primärstabilität.
  • Abb. 13a bis c: Knochenaufbau mit autologem und porcinem Knochenmaterial (mp3, OsteoBiol, ADS) unter Anwendung einer volumenstabilen Membran (Bone-Lamina, OsteoBiol, ADS) im Sinne der „Schalentechnik“.
  • Abb. 12: Insertion eines NobelParallel CC Implantates (Nobel Biocare) Ø 3,75 mm zur Realisierung einer hohen Primärstabilität.
  • Abb. 13a bis c: Knochenaufbau mit autologem und porcinem Knochenmaterial (mp3, OsteoBiol, ADS) unter Anwendung einer volumenstabilen Membran (Bone-Lamina, OsteoBiol, ADS) im Sinne der „Schalentechnik“.

Die vestibuläre Knochenlamelle wurde im 2. Quadranten sowohl mit autologem als auch mit porcinem Knochenmaterial sowie einer volumenstabilen, porcinen „Schalenmembran“ (Bone-Lamina, OsteoBiol, ADS) verstärkt (Abb. 13).

Die Multi-Unit Abutments wurden mittels einer Orientierungsschablone ausgesucht und ausgerichtet, sodass die späteren Schraubenkanaleingänge im Bereich der Okklusalflächen (Molarengebiet) und der Oralflächen (Frontzahngebiet) zu liegen kommen. Die Orientierungsschablone stellt ein durchsichtiges Duplikat der definitiven Zahnaufstellung dar. Sofern möglich, empfiehlt sich neben der Abstützung am Gaumen eine Belassung von Einzelzähnen zur besseren Stabilisierung der Orientierungsschablone (Abb. 14).

  • Abb. 14: Orientierungsschablone für die Auswahl der Multi-Unit Abutments.
  • Abb. 15: Healing-Caps aufgeschraubt und vernäht.
  • Abb. 14: Orientierungsschablone für die Auswahl der Multi-Unit Abutments.
  • Abb. 15: Healing-Caps aufgeschraubt und vernäht.

Zur Vorbereitung der Bissnahme und zum leichteren Vernähen der Schleimhaut werden Healing-Caps auf die Multi- Unit Abutments geschraubt. Alle restlichen Zähne werden spätestens zu diesem Zeitpunkt entfernt (Abb. 15).

Durch eine okklusale Verschlüsselungshilfe mittels lichthärtendem Modelliergel (Ceramill Gel, Amann Girrbach) konnte die bereits fertige Aufstellung problemlos in Okklusion gesetzt werden. Das Ziel einer Bissnahme in zentrisch reproduzierbarer Okklusion kann unter ITN-Bedingungen in der Regel gut realisiert werden. Nach mehrmaligem geführtem Öffnen und Schließen wurde ein Biss-Silikon (Metal Bite™, R-Dental) unter die stark ausgeschliffene Zahnaufstellung eingespritzt und der Unterkiefer kontrolliert geschlossen. Nach einer Aushärtezeit von ca. 30 Sekunden werden die Impressionen der Healing-Caps im Silikon überprüft (Abb. 16 bis 18). Die Impressionen ermöglichen die spätere exakte Übertragung in den Artikulator. Die Vertikale sollte bereits durch die Dicke der Silikonbasis festgelegt werden und nicht nachträglich im Artikulator erhöht bzw. verändert werden. Dies führt in der Regel zu Ungenauigkeiten und nachträglichen Einschleifmaßnahmen.

  • Abb. 16a und b: Fertig überführte Zahnaufstellung mit okklusaler Verschlüsselung und einer Gaumenabstützung.
  • Abb. 17: Einfüllen des Metal-Bite Silikons (Metal-Bite™, RDental) in die ausgeschliffene Basis.
  • Abb. 16a und b: Fertig überführte Zahnaufstellung mit okklusaler Verschlüsselung und einer Gaumenabstützung.
  • Abb. 17: Einfüllen des Metal-Bite Silikons (Metal-Bite™, RDental) in die ausgeschliffene Basis.

  • Abb. 18a und b: Kontrolliertes geführtes Schließen der Kiefer und Überprüfung der Impressionen nach dem Aushärten.
  • Abb. 18a und b: Kontrolliertes geführtes Schließen der Kiefer und Überprüfung der Impressionen nach dem Aushärten.

Nach der Bissnahme werden die Healing-Caps entfernt und die Abdruckpfosten auf die Multi-Unit Abutments geschraubt. Die Verblockung der Abdruckpfosten mittels handgebogenem Draht Ø 0,9 mm (federhart) und Modelliergel (Amann Girrbach) stellt einen wichtigen Punkt für die spätere spannungsfreie Passung dar. Ein Membranlöffel der Firma Hager & Werken (Miratray® Implant) ermöglicht eine schnelle und unkomplizierte Durchführung der offenen Abformung mittels Polyether (Impregum™, 3M ESPE) und ist für diese Situation sehr gut geeignet. Die Abformung wird nach dem Aushärten entnommen und auf Abdruckfehler überprüft (Abb. 19 bis 21). Anschließend werden die Healing-Caps wieder aufgeschraubt und der Patient aus der Narkose ausgeleitet.

  • Abb. 19: Aufschrauben der Abdruckpfosten und biegen eines Drahtes Ø 0,9 mm.
  • Abb 20: Verblockung der Abdruckpfosten mit Draht und Modelliergel (Ceramill Gel, Amann Girrbach).
  • Abb. 19: Aufschrauben der Abdruckpfosten und biegen eines Drahtes Ø 0,9 mm.
  • Abb 20: Verblockung der Abdruckpfosten mit Draht und Modelliergel (Ceramill Gel, Amann Girrbach).

  • Abb. 21: Abdruck mit Polyether (Impregum, 3M ESPE) und Miratray Löffel (Hager & Werken).
  • Abb. 22 a bis c: Fertigstellung und Einsetzen der Implantat getragenen Brücke am gleichen Tag.
  • Abb. 21: Abdruck mit Polyether (Impregum, 3M ESPE) und Miratray Löffel (Hager & Werken).
  • Abb. 22 a bis c: Fertigstellung und Einsetzen der Implantat getragenen Brücke am gleichen Tag.

  • Abb. 23: PSA nach Implantation. Man beachte das zylindrische Implantat regio 12 (NobelParallel CC Ø 3,75 mm – Nobel Biocare, Markierung: hellgrün).
  • Abb. 23: PSA nach Implantation. Man beachte das zylindrische Implantat regio 12 (NobelParallel CC Ø 3,75 mm – Nobel Biocare, Markierung: hellgrün).

Die festsitzende Brücke wird bereits am gleichen Tag im Labor für die ersten 6 Wochen durch Einarbeitung eines Glasfaserbandes verstärkt. Bis zur Einarbeitung eines Metallgerüstes nach der 6. Woche verstärkt ein Glasfaserband (Ribbond®, SDS) den Zahnersatz und beugt Frakturen vor. Ein nicht rechtzeitig bemerkter Bruch des Zahnersatzes während der Einheilphase kann zum Verlust von Implantaten führen. Deshalb hat die initiale Verstärkung der Brücke mittels Glasfaserband oder einem Metalldraht hohe Priorität. Der Zahnersatz wird am gleichen Nachmittag des OPTages anprobiert und auf einen spannungsfreien Sitz überprüft. Die Befestigungsschrauben werden sukzessive auf max. 15 Ncm festgezogen, die Okklusion mit Shimstock- und Okklusionspapier überprüft und ggf. noch kleine okklusale Korrekturen durchgeführt. Die Schraubenkanäle werden mit Teflonband und einem provisorischem Füllungsmaterial (Clip Flow®, VOCO GmbH) verschlossen (Abb. 22 und 23).

Der Hauptvorteil des Teflonbandes und des Clip Flow® liegt in der einfachen Entfernung durch das Prophylaxepersonal, um ein adäquates und regelmäßiges Vorsorgeprogramm realisieren zu können.

Nach ca. 6 Wochen wird der Zahnersatz abgeschraubt, die Wundheilung und die Implantat-Einheilung kontrolliert, sowie ein Unterfütterungsabdruck mit einem dünnfließenden A-Silikon durchgeführt (Abb. 24 und 25). Noch am gleichen Tag wird das auf dem Meistermodell vorab angefertigte NEM- oder Titangerüst in die Brücke eingearbeitet, die dann dem Patienten im Verlauf des Nachmittages erneut eingegliedert wird (Abb. 26 bis 28).

  • Abb. 24 a und b: Nach 6-wöchiger Ausheilphase: Unterfütterungsabdruck mit dünnfließendem A-Silikon (thixoForm ultra®, Cumdente).
  • Abb. 25: Zahnfleischsituation 6 Wochen postoperativ.
  • Abb. 24 a und b: Nach 6-wöchiger Ausheilphase: Unterfütterungsabdruck mit dünnfließendem A-Silikon (thixoForm ultra®, Cumdente).
  • Abb. 25: Zahnfleischsituation 6 Wochen postoperativ.

  • Abb. 26: PSA nach Gerüsteinarbeitung.
  • Abb. 27: Aufbiss-Aufnahme (intraoral).
  • Abb. 26: PSA nach Gerüsteinarbeitung.
  • Abb. 27: Aufbiss-Aufnahme (intraoral).

  • Abb. 28a und b: Lachfotos nach Ausheilphase.
  • Abb. 28a und b: Lachfotos nach Ausheilphase.

Die häusliche Mundhygiene wird nochmals instruiert und eine Munddusche zusätzlich empfohlen. Die mindestens halbjährlichen Kontrolluntersuchungen und professionellen Zahn- und Implantatreinigungen, bei denen stets die Brücke abgeschraubt und im Labor gereinigt wird, ergänzen dieses Behandlungskonzept.


Literatur:
  1. Ledermann, P., Complete denture support in edentulous problem mandibles with help from 4 titanium plasma-coated PDL screw implants. SSO Schweiz Monatsschr Zahnheilkd, 1979. 89(11): p. 1137-8
  2. Malo, P. et al., A longitudinal study of the survival of All-on-4 implants in the mandible with up to 10 years of follow-up. Journal of the American Dental Association, 2011. 142(3): p. 310-20
  3. Malo, P., et al., “All-on-4" immediate-function concept for completely edentulous maxillae: a clinical report on the medium (3 years) and long-term (5 years) outcomes. Clinical implant dentistry and related research, 2012. 14 Suppl 1: p. e139-50.
  4. Neugebauer, J., et al., Peri-implant bone organization under immediate loading state. Circularly polarized light analyses: a minipig study. J Periodontol, 2006. 77(2): p. 152-60.
Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Helmut Baader - Dr. Florian Braunschweiger

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Helmut Baader , Dr. Florian Braunschweiger