Komplexe, dreidimensionale Hart- und Weichgewebsrekonstruktion des Oberkiefers mit allogenen Knochenblöcken und xenogener Kollagenmatrix

Für die Rekonstruktion dreidimensionaler Kieferkammdefekte vor einer Implantation bedient sich die Implantologie zumeist autogener Knochenblocktransplantate aus Beckenkamm, Symphyse oder Ramus ascendens der Mandibula. Dies bedeutet für den Patienten einen zusätzlichen OP-Situs mit zusätzlicher körperlicher Belastung und zusätzlichen Risiken. Auch für die Rekonstruktion weichgeweblicher Strukturen ist nach herkömmlichem Protokoll eine Gewebeentnahme am Körper des Patienten, zumeist aus der Gaumenregion, notwendig.
Insbesondere nach umfangreichen Knochen- augmentationen kommt es im Rahmen der Wunddeckung zu einer Krestalverschiebung der mukogingivalen Grenze oder zu einem kompletten Verlust keratinisierter Attached Gingiva. Dies wiederum wirkt sich häufig nachteilig auf Funktion und Ästhetik des späteren implantatgetragenen Zahnersatzes aus. Ganz besonders die Hygienefähigkeit der prothetischen Rekonstruktion leidet unter dem Fehlen einer ausreichend breiten Zone keratinisierter, befestigter Gingiva. Auch das Abflachen des Vestibulums wird von vielen Patienten als unangenehm empfunden. Zusätzlich beobachten wir bei fehlender befestigter Mukosa an Implantaten eine gesteigerte Tendenz zu Rezessionen und freiliegenden Implantatschultern. Auch wenn in der gegenwärtig verfügbaren Literatur kein eindeutiger Konsens bezüglich der Notwendigkeit von Attached Gingiva an Implantaten besteht, sehen wir bei vollständigem Fehlen dieser anatomischen Struktur aus den oben genannten Gründen eine klare Indikation für ein freies Schleimhauttransplantat in Kombination mit einer Vestibulumplastik.
Um im Rahmen von Knochenblocktransplantationen ein zweites OP-Feld mit entsprechender Entnahmemorbidität und korrelierten OP-Risiken zu vermeiden, arbeiten wir seit nunmehr sechs Jahren mit einem allogenen Knochenersatzmaterial in Blockform (Osteograft Block, DIZG Berlin, Vertrieb über ARGON Medical, Bingen am Rhein).
Um die Behandlungsphilosophie der Vermeidung von Gewebeentnahmen am Körper des Patienten konsequent fortzuführen, setzen wir auch für die Rekonstruktion der Attached Gingiva auf die Verwendung von Fremdmaterial. Hier kommt die xenogene Kollagenmatrix ad modum Mucoderm von botiss dental (botissdental GmbH, Berlin) zum Einsatz.
Fallbericht
Der folgende Fallbericht soll schwerpunktmäßig den Einsatz der Mucoderm-Kollagenmatrix für die Rekonstruktion von befestigter Gingiva im periimplantären Raum aufzeigen. Die vorangegangenen Sinuslifte und die dreidimensionale Knochenblockauflagerung mit allogenen Blöcken sowie die Implantatinsertion werden lediglich in Kurzform dargestellt.
Eine 68-jährige Patientin stellt sich mit einem zahnlosen Oberkiefer und dem Wunsch eines festsitzenden implantatgetragenen Zahnersatzes in unserer Praxis vor. Bei einer ersten klinischen Untersuchung wirkt der zahnlose Kieferkamm zunächst kräftig dimensioniert (Abb. 1). Die reale Knochenbreite des Oberkiefers kann erst durch die weiterführende Bildgebung im DVT sicher beurteilt werden. Hier stellt sich die Situation deutlich schlechter dar, als aufgrund des klinischen Ersteindruckes vermutet wurde (Abb. 2). Eine durchschnittliche Knochenbreite von 2 bis 3 mm lässt keine sofortige Implantation zu. Vielmehr muss der gesamte Oberkieferkamm mit Knochenblöcken lateral verbreitert werden.
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Abb. 1: Ausgangssituation.
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Abb. 2: DVT-Aufnahme der Ausgangssituation.
Eine Knochenentnahme aus Beckenkamm, Symphyse oder Ramus Ascendens erscheint aufgrund der großen Menge des benötigten Materials nicht praktikabel, weshalb die Verwendung eines allogenen Knochenmaterials von vornherein nahe liegt. Der Patientin werden verschiedene prothetische Therapieoptionen erläutert. Sie entscheidet sich schließlich wie eingangs erwähnt für eine festsitzende Implantatbrücke aus Zirkonoxidkeramik auf acht Implantaten. Im Vorfeld wird der Oberkieferkamm in zwei Schritten mit beidseitigem externen Sinuslift und einer umlaufenden lateralen Augmentation mit allogenen Knochenblöcken und allogener Spongiosa rekonstruiert und für eine prothetisch orientierte Implantatinsertion vorbereitet.
Dazu erfolgt eine umlaufende krestale Schnittführung, um den gesamten Oberkieferkamm subperiostal darzustellen. Es wird ein beidseitiger Sinuslift durchgeführt. Die rechte und linke faziale Kieferhöhlenwand wird mit rotierenden Instrumenten gefenstert (Abb. 4), die Schneider’sche Membran eleviert und ein Gemisch aus grober und feiner humaner Spongiosa mit Eigenblut und Kochsalzlösung vermengt eingebracht. Die schmalen residualen Kieferkammareale (Abb. 3 und 7) werden ebenfalls rotierend geglättet und dekortikalisiert. Die allogene Knochenblöcke werden parallel dazu in Vakuum rehydratisiert (Einmalspritze und Kochsalzlösung) und schließlich an der spongiösen Basis formkongruent zum ortsständigen Knochen gestaltet. Die Auflagerung der Blöcke erfolgt mit hoher Kontaktrate und im Sinne einer Zugverschraubung mit mindestens zwei Osteosyntheseschrauben je Block (Abb. 5 und 8).
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Abb. 3: Der schmale Kieferkamm wird rotierend geglättet.
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Abb. 4: Die Kieferhöhlenwand wird beidseitig gefenstert.
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Abb. 5: Knochenblöcke werden mit Osteosyntheseschrauben fixiert.
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Abb. 6: Kieferhöhlenwand und augmentierte Areale werden mit Kollagenmembran abgedeckt.
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Abb. 7: Der schmale Kieferkamm wird rotierend geglättet.
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Abb. 8: Knochenblöcke werden mit Osteosyntheseschrauben fixiert.
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Abb. 9: Die Kanten sind geglättet und die Spalträume mit Spongiosagranulat gefüllt.
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Abb. 10: Kieferhöhlenwand und augmentierte Areale werden mit Kollagenmembran abgedeckt.
Nach Glättung aller scharfen Kanten und Verfüllen aller verbliebenen Spalträume mit Spongiosagranulat (Abb. 9) werden die Fensterungen der Kieferhöhlenwände und alle augmentierten Areale mit Kollagenmembranen abgedeckt (RCM, MIS Implants Technologies, Minden) (Abb. 6 und 10). Um eine sichere, spannungsfreie Wunddeckung zu ermöglichen, muss neben einer Periostschlitzung eine plastische Untertunnelung der vestibulären Alveolarmukosa erfolgen. Die Naht gelingt in Form von Einzelknopfnähten und fortlaufenden Nähten. Perioperativ erfolgt eine orale Antibiose mit Amoxicillin 1.000 mg dreimal täglich und Metronidazol 400 mg zweimal täglich über zehn Tage. Alle Nähte werden nach 10 Tagen entfernt.
Eine provisorische Totalprothese wird mit weicher Unterfütterung erst nach der Nahtentfernung eingegliedert. Eine engmaschige Kontrolle der augmentierten Areale ist erforderlich, um Druckstellen, Wunddehiszenzen und eventuell freiliegende Blockareale frühzeitig zu erkennen und zu therapieren.
Nach einer komplikationslosen Abheilzeit von sechs Monaten wird der rekonstruierte Oberkieferkamm eröffnet, die Osteosyntheseschrauben werden entfernt und acht MIS-Seven Implantate (MIS Implants Technologies, Minden) werden mit hoher Primärstabilität über eine Bohrschablone inseriert (Abb. 11 bis 14).
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Abb. 11: Abgeheilter Oberkiefer nach sechs Monaten.
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Abb. 12: Bohrschablone.
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Abb. 13: Acht Implantate werden inseriert.
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Abb. 14: DVT nach Implantation.
Nach erneuter Einheilzeit von vier Monaten werden alle acht Implantate eröffnet und die geplante festsitzende Implantatbrücke wird hergestellt (Abb. 15 und 16). Durch die vorangegangenen augmentativen Maßnahmen wurde im Rahmen der Wunddeckung das Vestibulum stark abgeflacht. Es ist keinerlei befestigte Gingiva an den Implantaten vorhanden. Vielmehr imponiert klinisch ein starker Bänderzug an den Implantaten (Abb. 17 bis 19). Eine optimale Hygienefähigkeit ist unmittelbar nach Eingliederung der Prothetik nicht gegeben. Um den Mundvorhof zu vertiefen und eine befestigte Gingiva zu kreieren, muss im gesamten Oberkiefer umlaufend eine Vestibulumplastik mit Einlagerung von freien Schleimhauttransplantaten durchgeführt werden. Da am Gaumen als möglicher Spenderregion nicht genügend keratinisierte Schleimhaut zur Verfügung steht, um den Oberkiefer umlaufend mit Transplantaten zu versorgen, willigt die Patientin ein, eine xenogene Kollagenmatrix (Mucoderm, botissdental, Berlin) als Schleimhauttransplantat einzusetzen.
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Abb. 15: Eröffnung der acht Implantate nach vier Monaten.
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Abb. 16: Herstellung der festsitzenden Implantatbrücke.
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Abb. 17: Sichtbarer starker Bänderzug an den Implantaten.
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Abb. 18: Sichtbarer starker Bänderzug an den Implantaten.
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Abb. 19: Sichtbarer starker Bänderzug an den Implantaten.
Dazu werden unter örtlicher Infiltrationsanästhesie in drei aufeinanderfolgenden Operationsschritten zunächst im Bereich des linken, dann des anterioren und abschließend im rechten Oberkieferalveolarfortsatz Vestibulumplastiken im Sinne eines apikalen Verschiebelappens durchgeführt. Eine supraperiostale Schnittführung erfolgt paramarginal (Abb. 20), wobei die Inzision girlandenförmig dem Verlauf der marginalen Gingiva nachempfunden wird. Anschließend wird ein Spaltlappen präpariert und weit apikal mit resorbierenden Nähten am Periost fixiert (Abb. 21 und 27).
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Abb. 20: Paramarginale supraperiostale Schnittführung.
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Abb. 21: Ein Spaltlappen wird weit apikal mit resorbierbaren Nähten am Periost fixiert.
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Abb. 22: Das Mucoderm-Transplantat.
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Abb. 23: Fixierung des Transplantates.
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Abb. 24: Split-Flap in der Front.
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Abb. 25: Das Transplantat wird mit der Schere zugeschnitten.
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Abb. 26: Fixierung des Transplantates.
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Abb. 27: Ein Spaltlappen wird weit apikal mit resorbierbaren Nähten am Periost fixiert.
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Abb. 28: Eingelagertes Mukoderm-Transplantat.
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Abb. 29: Fixierung des Transplantates.
Das nun freiliegende Areal dient als Empfängerbett für die xenogenen Schleimhautgrafts. Die Mucoderm-Transplantate (Abb. 22) werden aus der sterilen Verpackung entnommen und zunächst dem Defekt entsprechend mit der Schere getrimmt (Abb. 25). Die Fixation erfolgt im zervikalen Bereich mit Einzelknopfnähten (Abb. 23, 26 und 29). Für die sichere Befestigung der Mucoderm-Schleimhautgrafts im apikalen Wundbereich setzen wir Histoacryl-Gewebekleber ein. Abschließend werden die Grafts mit physiologischer Kochsalzlösung benetzt und für zirka zehn Minuten mit leichtem manuellen Druck auf die periostbedeckte knöcherne Unterlage gepresst.
Für einen Zeitraum von zehn Tagen bedecken wir das gesamte augmentierte Areal mit einem Parodontalverband aus lichthärtendem Kunststoff (Abb. 30). Die Nahtentfernung erfolgt ebenfalls nach zehn Tagen (Abb. 31). Eine abschließende Beurteilung kann erst nach weiteren sieben bis zehn Tagen erfolgen. Hier zeigen sich die reizlos integrierten Mucodermtransplantate in Farbe und Textur ihrer Oberfläche dem umgebenden Gewebe angepasst. Eine breite Zone befestigter Gingiva von drei bis fünf mm ist umlaufend entstanden (Abb. 32). Jeglicher Bänderzug wird so suffizient von den Implantathälsen abgehalten. Eine deutlich verbesserte Hygienefähigkeit und ein optimaler Schutz vor Gingivarezessionen verbessern die Überlebenswahrscheinlichkeit der Implantate und die Langlebigkeit der gesamten Konstruktion.
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Abb. 30: Augmentiertes Areal wird mit Parodontalverband aus lichthärtendem Kunststoff bedeckt.
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Abb. 31: Nahtentfernung nach 10 Tagen.
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Abb. 32: Abschlussbild nach weiteren 10 Tagen: Eine breite Zone befestigter Gingiva von 3 bis 5 mm ist umlaufend entstanden.
Fazit
Die Vorteile bei der Verwendung der xenogenen dreidimensionalen Kollagenmatrix Mucoderm liegen in der deutlich geringeren Invasivität aufgrund des Wegfalls einer Entnahme-Operation. Mit der Entnahme von Schleimhaut aus der Gaumenregion werden vergesellschaftete Risiken und mögliche Komplikationen ausgeschaltet. Gleichzeitig werden operative Einschränkungen aufgrund der limitierten Verfügbarkeit suffizienten Gewebes in der Entnahmeregion umgangen. Die Patientenakzeptanz ist demzufolge sehr hoch. Alleinig die derzeit noch eingeschränkte wissenschaftliche Evidenz und fehlende Langzeiterfahrungen schränken die Anwendung des Materials als Standardverfahren für die Rekonstruktion von Attached Gingiva ein.
Xenogene Kollagenmatrix
Mucoderm, botiss dental (Berlin)
Implantatsystem
MIS Seven, MIS Implants Technologies (Minden)
Allogener Knochenblock
Osteograft Block, DIZG Berlin,
Vertrieb über Argon Medical (Bingen)
Kollagenmembran
RCM, MIS Implants Technologies (Minden)