Möglichkeiten und Grenzen komplexer Augmentationen mittels CAD/CAM gefertigter Titangitter

Möglichkeiten und Grenzen einer dreidimensionalen Alveolarkammrekonstruktion sind vornehmlich abhängig von drei Faktoren: dem regenerativen Potential des Empfängerareals, der Wertigkeit des Aufbaumaterials sowie einer befundgerechten Operationstechnik. Erschwerend wirken sich Komplikationen wie Wunddehiszenzen aus, welche bei autologen und allogenen Blockmaterialien häufig zum Augmentatverlust führen können. Augmentationen mit partikulären Materialien sind erfahrungsgemäß „verzeihlicher“, jedoch im Aufbauvolumen limitiert. Moderne computergestützte Design- und Herstellungstechnologien (CAD/CAM) für Titangitter könnten helfen, typische Einschränkungen, die für die gesteuerte Knochenregeneration (GBR) und Onlay-Techniken bekannt sind, zu überwinden.
Ein evidenzbasierter Rückblick der Göttinger Arbeitsgruppe zu klinischen Ergebnissen bei Kieferkammaugmentationen konnte zeigen, dass mittels partikulären GBRTechniken ein durchschnittlicher horizontaler und vertikaler Volumengewinn von 3,7 mm möglich ist. Durch Anwendung von Titangittern in Kombination mit granulärem Knochenersatzmaterial oder Augmentationen mit extraoralen Knochenblöcken lassen sich diese Ergebnisse jedoch, unter dem besonderen Aspekt einer erhöhten Komplikationsrate deutlich verbessern [1].
Die Kernelemente für die Regeneration komplexer Knochendefekte wurden auf den beiden Geistlich-Kongressen 2013 und 2016 systematisch zusammengefasst. Demnach wird unabhängig von der OP-Methode ein stabiler Volumenerhalt des augmentierten Bereiches als essentielle Voraussetzung für eine langfristig erfolgreiche Kammaugmentation angesehen. Außerdem scheint ein speicheldichter Weichteilverschluss für den Erfolg unabdingbar.
Daraus resultierend wurden Alternativverfahren zum etablierten Blocktransplantat entwickelt, welche Anforderungen an dreidimensionale Kontur und Stabilität erfüllen.
Raum, Zeit und Stabilität sind essentielle Parameter, die mit Hilfe von Titangittern schon seit zwei Jahrzehnten in Kombination mit partikulären Geistlich Biomaterialien Anwendung finden [2-5]. Während konventionelle Titangitter eine eingeschränkte 3D-Formbarkeit aufweisen und deren Verarbeitung durch Schneiden, Biegen und Dengeln sehr zeitintensiv ist [6], bietet das Unternehmen ReOss® mit Yxoss CBR® ein mit modernen 3D-Verfahren individuell CAD/ CAM gefertigtes Titanmesh (iCTM) an, welches sehr passgenau und vergleichsweise zeitsparend zu verarbeiten ist.
Fallbeschreibung
Anamnese
Die 59 Jahre alte Patientin stellte sich mit einer mehrjährig bestehenden Freiendsituation im 3. Quadranten vor. Sie formulierte den präzisen Wunsch nach festsitzender prothetischer Versorgung. Als Nichtraucherin mit klinisch stabilem PA-Befund gab sie ergänzend in der Anamnese eine medikamentös eingestellte Hypothyreose, Allergie gegen Hausstaubmilben, Schuppenflechte und Medikamentenunverträglichkeit auf Ibuprofen an.
Planung
Aufgrund der fortgeschrittenen Atrophie im linken Unterkiefer (Abb. 1 und 2) war eine zweizeitige Vorgehensweise mit initialer Augmentation und zeitversetzter Implantatinsertion unumgänglich. Nach Aufklärung über mögliche Behandlungsalternativen entschied sich die Patientin für einen granulären Knochenaufbau in Kombination mit einem CAD/CAM gefertigten Titangitter (Yxoss CBR®). Nach Übermittlung der CT-basierten DICOM-Daten an den Hersteller (ReOss GmbH, Filderstadt) wurden mittels Backward Planning der Augmentationsumfang simuliert und anschließend das individuelle Titangitter digital konstruiert und gefertigt (Abb. 3).
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Abb. 1: Klinische Ausgangssituation im linken Unterkiefer.
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Abb. 2: Röntgenbild der Ausgangssituation.
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Abb. 3: Digitale Konstruktion des individuellen Titangitters.
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Abb. 4: Lappenmobilisation einschließlich Periostschlitzung unter Schonung des Nervus mentalis.
Chirurgie
Die Freilegung des Kieferkamms erfolgte mittels Poncho- Lappenpräparation. Bereits zur Prüfung der Passgenauigkeit des individuellen Titangitters ist eine großzügige Lappenmobilisation einschließlich Periostschlitzung unter Schonung des dargestellten Nervus mentalis erforderlich (Abb. 4). Eine frühzeitige Periostschlitzung ermöglicht die Reduktion von Wunddehiszenzen, indem Gewebeeinblutungen minimiert werden. Der spannungsfreie Wundverschluss nach großvolumiger Augmentation ist auf diesem Weg zuverlässig erreichbar.
Zur Biologisierung des gewählten Knochenersatzmaterials (Geistlich Bio-Oss® 0,5 g, Geistlich Pharma AG, Wolhusen, CH) wurde eine adäquate Menge autologen Knochens verwendet. Die kortikalen Bone-Chips wurden distal des OP-Gebietes mittels Trepanfräse entnommen (Abb. 5) und in einer Knochenmühle zerkleinert. Nach Beschickung des passgenauen und lagestabilen Gitters mit der Bio-Oss/Eigenknochen-Mischung (Abb. 6) konnte dieses mit nur einer einzelnen Osteosyntheseschraube von bukko-krestal auf dem mittels Pinbohrungen perforierten Empfängerbett zuverlässig fixiert werden (Abb. 7). Das so stabilisierte Augmentationsvolumen wurde zusätzlich mit einer porcinen Kollagenmembran (Geistlich Bio-Gide® 30x40mm, Geistlich Pharma AG, Wolhusen, CH) gegen schnell proliferierende Mukosazellen aus dem Weichgewebe abgeschirmt (Abb. 8). Der primär spannungsfreie Wundverschluss erfolgte mehrschichtig mit monofilen Matratzennähten (Cytoplast PTFE®4-0) und Einzelknopfnähten (Seralon® 6-0) (Abb. 9). Das postoperative OPG dokumentiert das mit einer Schraube fixierte Titangitter sowie das Spenderareal am trepanierten Kieferwinkel (Abb. 10).
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Abb. 5: Kortikale Bone-Chips wurden distal des OP-Gebietes mittels Trepanfräse entnommen.
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Abb. 6: Passgenaues und lagestabiles Titangitter befüllt mit Bio-Oss/Eigenknochen-Mischung.
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Abb. 7: Fixierung des Titangitters mit einer einzelnen Osteosyntheseschraube von bukko-krestal.
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Abb. 8: Abschirmung mit porciner Kollagenmembran.
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Abb. 9: Spannungsfreier Wundverschluss mit monofilen Matratzennähten und Einzelknopfnähten.
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Abb. 10: Postoperatives OPG zeigt das mit einer Schraube fixierte Titangitter und das Spenderareal.
Nachsorge
Wundkontrollen und schrittweise Nahtentfernung erfolgten am 1. und 5. postoperativen Tag. Nach 14 Tagen postoperativ stellte sich die Patientin mit einer Wunddehiszenz vor, welche zunächst engmaschig beobachtet wurde (Abb. 11). Nach weiteren 14 Tagen war die Kollagenmembran im exponierten Bereich aufgelöst. Das Gitter lag teilweise frei und eine dünne Schicht Granulationsgewebe zeichnete sich unter dem Gitter ab (Abb. 12). Chirurgische Revisionen mit anschließender plastischer Deckung blieben erfolglos. Sechs Wochen postoperativ sollte das freiliegende Gitter nach Anfrischung des marginalen Gewebes (Abb. 13) mit einem freien Schleimhauttransplantat (FST) aus dem Gaumen gedeckt werden (Abb. 14). Das Transplantat wurde vermutlich mangels insuffizienter Blutversorgung nach 5 Tagen nekrotisch und ging verloren. Ohne jegliche Interventionen konnte im weiteren Verlauf beobachtet werden, dass sich neues Bindegewebe unter dem freiliegenden Gitterbereich etablierte (Abb. 15 nach 4 Monaten und Abb. 16 nach 6 Monaten). Auf die exponierten Anteile wurde engmaschig Solcoseryl Dental Adhäsivpaste® appliziert. Der gesamte Heilungsverlauf präsentierte sich frei von Infektionssymptomen.
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Abb. 11: Wunddehiszenz nach 14 Tagen.
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Abb. 12: Zustand nach weiteren 14 Tagen. Gitter liegt teilweise frei.
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Abb. 13: Sechs Wochen post OP teilweise freiliegendes Titangitter.
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Abb. 14: Freiliegendes Gitter wird mit freiem Schleimhauttransplantat aus dem Gaumen gedeckt.
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Abb. 15. Neues Bindegewebe etabliert sich unter dem Gitterbereich – Zustand nach 4 Monaten…
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Abb. 16: … und nach 6 Monaten.
Implantation
Sechs Monate nach Augmentation wurde das Gitter nach Re-Entry und Schraubenentfernung an den krestalen Sollbruchstellen getrennt und konnte problemlos in zwei Teilen entnommen werden (Abb. 17). Trotz Dehiszenz und lokaler Bindegewebseinscheidung war das Augmentat augenscheinlich vollständig ossär durchbaut (Abb. 18), so dass vier Implantate, wie geplant, mittels SMOP guided surgery (Abb. 19) eingebracht werden konnten (Abb. 20). Nach Implantatinsertion war im Bereich der geschilderten Wunddehiszenz ein marginales Knochendefizit an den Implantatschultern 33 und 34 feststellbar (Abb. 21). Dieses wurde mittels simultaner Anlagerung von partikulärem Augmentationsmaterial (Abb. 22) und Abdeckung durch eine Kollagenmembran (Abb. 23) kompensiert und anschließend primär spannungsfrei gedeckt (Abb. 24).
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Abb. 17: Entfernung des Gitters sechs Monate nach Augmentation.
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Abb. 18: Augenscheinlich vollständig ossär durchbautes Augmentat.
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Abb. 19: Planung von vier Implantaten mittels SMOP.
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Abb. 20: Insertion der vier Implantate.
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Abb. 21: Marginales Knochendefizit an den Implantatschultern 33 und 34 nach Implantatinsertion.
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Abb. 22: Simultane Anlagerung von partikulärem Augmentationsmaterial.
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Abb. 23: Abdeckung mit Kollagenmembran.
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Abb. 24: Primär spannungsfreie Naht.
Das begleitende perioperative Medikations-Schema bei Augmentation und Implantation bestand aus 2 g Amoxicillin p.o. und 20 mg Prednisolon p.o. 60 Min. präoperativ. Anschließend wurde die antibiotische Begleittherapie mit 3 x 1.000 mg Amoxicillin fortgeführt und die Prednisolon-Gabe langsam ausgeschlichen (10 mg abends postoperativ, danach 2 x 5 mg/die für 3 Tage). Außerdem erhielt die Patientin Nolvagintropfen (3 x 30 gtt) zur Schmerztherapie, sowie CHX-Spülung 0,2 % (2 x tgl.) zur häuslichen Wundpflege.
Konsolidierung
Erneut zeigte sich nach wenigen Tagen eine Wunddehiszenz in regio 34 (Abb. 25, eine Woche nach Implantation), welche jedoch sekundär, frei granulierend fast vollständig ausheilte (Abb. 26 eine Woche und Abb. 27 einen Monat nach Dehiszenz). Durch die anschließende Verbreiterung der keratinisierten Gingiva mittels Verschiebelappen (Abb. 28) und freien Schleimhauttransplantates (Abb. 29), sowie die Anwendung eines lateralen Verschiebelappens bei der Implantatfreilegung (Abb. 30) konnten stabile periimplantäre Weichgewebsverhältnisse erreicht werden (Abb. 31).
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Abb. 25: Erneute Wunddehiszenz in regio 34 nach wenigen Tagen.
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Abb. 26: Fast vollständig ausgeheilte Dehiszenz nach einer Woche.
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Abb. 27: Zustand der Ausheilung nach einem Monat.
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Abb. 28: Verbreiterung der keratinisierten Gingiva mittels Verschiebelappen.
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Abb. 29: Freies Schleimhauttransplantat.
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Abb. 30: Lateraler Verschiebelappen bei der Implantatfreilegung.
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Abb. 31: Stabile periimplantäre Weichgewebsverhältnisse.
Prothetik
Die abschließende prothetische Versorgung erfolgte mittels vollkeramischer Einzelkronen, wobei die distalen Pfeiler aufgrund der reduzierten Implantatlänge verblockt wurden (Abb. 32 und 33). In dem Zuge wurde ergänzend zur Entlastung der bukkalen Weichgewebe der hoch einstrahlende Narbenzug zwischen 33 und 34 entfernt. Nach weiteren 7 Wochen ist der Grenzbereich zwischen beweglicher und fixierter Mukosa erkennbar (Abb. 34). Das abschließende Röntgenbild zeigt trotz der kompromittierten Weichgewebsheilung, regelrechte periimplantäre Knochenstrukturen (Abb. 35).
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Abb. 32 und 33: Die vollkeramische Einzelkronen wurden verblockt.
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Abb. 34: Grenzbereich zwischen beweglicher und fixierter Mukosa ist erkennbar.
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Abb. 35: Das abschließende Röntgenbild zeigt trotz kompromittierter Weichgewebsheilung regelrechte periimplantäre Knochenstrukturen.
Diskussion
Augmentative Verfahren sind heute fester Bestandteil implantat-prothetischer Behandlungskonzepte. Die am häufigsten verwendete Technik ist die GBR. Sie besitzt Limitationen bezüglich Stabilität, Fixation und Mikrobewegung. Die Weiterentwicklung des digitalen Workflows erlaubt gegenwärtig eine präzise Planung des erforderlichen Augmentationsvolumens. Das Verfahren ist deutlich zeitsparender und anwenderfreundlich, wie das Fallbeispiel anhand des ReOss-Gitters zeigt.
Eine biologisch orientierte Schnittführung sowie das entsprechende Lappendesign sind dabei essentiell für den Heilungserfolg. Das im dargestellten Fall erkennbare flache Vestibulum in Verbindung mit hoch einstrahlenden Wangenbändern hat in der Frühphase der Wundheilung zu Dehiszenzen geführt. Aus diesem Grund muss die klinische Ausgangssituation im Einzelfall analysiert werden, um Weichgewebskorrekturen zur Optimierung der keratinisierten Gingivaanteile (Vestibulumplastik, FST) bei Erfordernis in die Behandlungsplanung einzubeziehen. Trotz aller Sorgfalt spielt auch die Compliance des Patienten eine wichtige Rolle. Bei der häuslichen Anwendung von CHX muss der Arzt auf die Einhaltung des Protokolls vertrauen. Geht der Patient in der falschen Annahme nach Hause „viel hilft viel“, so kann durch Überdosierung von CHX die Proliferation von Fibroblasten gehemmt werden, was ebenso zu Wundheilungsstörungen führen kann [7].
Die Exposition des Titangitters ist eine mögliche Komplikation, deren Ursache oft im fehlerhaften Lappendesign und insuffizienten Wundverschluss zu suchen ist. Wunddehiszenzen sind im Rahmen komplexer Augmentationen mit einer durchschnittlichen Rate von 20 – 30 % zu erwarten. Als kausale Faktoren kommen unter anderem falsche Schnittführung, Größe des Defektes, mangelnde Ruhigstellung, insuffiziente Wundversorgung, Serome oder Hämatome, Wundinfektion oder Grunderkrankungen mit Stoffwechselstörung in Frage. Im vorliegenden Fall gab die Patientin eine eingestellte Hypothyreose an. Bei einer Schilddrüsenunterfunktion können Knochenstoffwechsel und Wundheilung durch eine reduzierte Kollagenproduktion negativ beeinflusst werden. Zur Vermeidung von Komplikationen ist an dieser Stelle die Wichtigkeit einer gründlichen Anamnese und einer interdisziplinären Zusammenarbeit mit Fachkollegen hervorzuheben.
Das adäquate Weichgewebsmanagement bleibt einer der bedeutendsten Parameter in der Behandlung komplexer Defekte. Im Gegensatz zur bekannten Problematik von Knochenblöcken, welche bei Exposition nahezu sicher Verlust erleiden, scheint die Gittertechnik mit der Kombination von Geistlich Bio-Oss® und partikuliertem Knochen „verzeihlicher“. Möglicherweise ist dies mit der guten Vaskularisierung in den Intergranularräumen zu begründen. Diverse Publikationen berichten im Falle von Dehiszenzen oder offener Heilung von einer Weichgewebsproliferation im Rahmen der natürlichen Breite unter dem exponierten Titangitter. Dabei konsolidiert sich das Augmentat offensichtlich ohne ausgedehnten Volumenverlust [8-10].
Schlussfolgerung
Neben den klassischen Augmentationstechniken mittels Knochenblöcken wird der Anwender mit Yxoss CBR® in die Lage versetzt, größer dimensionierte Knochenaufbauten erfolgreich vorzunehmen. Zudem scheint die Technik aufgrund des Einsatzes von partikulärem Ersatzmaterial wesentlich „verzeihlicher“ gegenüber Expositionen. Die ReOss®-Technologie wird so zu einem flexiblen Werkzeug, mit dem gleichzeitig Limitationen der GBR-Technik überwunden und Komorbiditäten reduziert werden können. Digitale Weiterentwicklungen ermöglichen außerdem die Integration der dreidimensionalen Implantatplanung in das prospektive Gitterdesgin. Somit können Vorhersagbarkeit, Aufwand und Behandlungsdauer auch bei komplexen Anforderungen optimiert und somit die Morbidität für den Patienten reduziert werden.