Anzeige

Fundiertes Wissen hilft

Etablierung eines kontrollierten Parodontitis-Risikomanagements – Teil 1

Die neue Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V) ist die größte repräsentative Erhebungsstudie seit Beginn im Jahre 1989. Sie wurde am 16. August 2016 erstmals veröffentlicht. Ungefähr 4.600 Personen aus 90 Städten und aus unterschiedlichsten sozialen Schichten und Altersgruppen wurden fachbezogen befragt und zahnmedizinisch-klinisch untersucht.

Motivation und Instruktion zur Mundhygiene. © Godizart
Motivation und Instruktion zur Mundhygiene. © Godizart
Motivation und Instruktion zur Mundhygiene. © Godizart

Für die Zukunft ist aufgrund der demographischen Entwicklung und der Verlagerung chronischer Munderkrankungen in ein höheres Lebensalter ein steigender Behandlungsbedarf zu prognostizieren.

Jüngere Erwachsene

Der Anteil der 35- bis 44-Jährigen mit schwerer Parodontitis hat sich seit dem Jahr 2005 halbiert (DMS IV: 17,4 Prozent; DMS V: 8,2 Prozent). Auch das Ausmaß der Erkrankungen (Anzahl der betroffenen Zähne) ist bei den jüngeren Erwachsenen leicht rückläufig. Dennoch ist jeder zweite jüngere Erwachsene (52 Prozent) von einer parodontalen Erkrankung betroffen, davon weisen 43,4 Prozent eine moderate Parodontitis und rund jeder Zehnte eine schwere Parodontitis auf.

Senioren

Anzeige

Obwohl ältere Menschen immer länger eigene Zähne haben, ergibt sich ein deutlich rückläufiger Trend beim Auftreten der schweren Parodontitis in der Gruppe der 65- bis 74-Jährigen (DMS IV: 44,1 Prozent; DMS V: 19,8 Prozent). Zudem geht auch bei den jüngeren Senioren das Ausmaß der moderaten und schweren Parodontalerkrankungen zurück. Dennoch weist jeder zweite jüngere Senior (65 Prozent) eine parodontale Erkrankung auf. Insgesamt hat fast jeder Zweite in dieser Altersgruppe eine moderate (44,8 Prozent) und jeder Fünfte eine schwere Parodontitis. Bei den älteren Senioren – also den 75- bis 100-Jährigen – verstärkt sich dieser Trend. Hier weisen sogar neun von zehn Menschen eine moderate bzw. schwere Parodontitis auf. Im Jahr 2030 wird der Großteil der Bevölkerung Senioren sein. Trotz abnehmender Prävalenzen ist daher mit einer Zunahme des parodontalen Behandlungsbedarfs zu rechnen. (Quelle: Fünfte Deutsche Mundgesundheitsstudie (DMS V).

Folgen einer unbehandelten Gingivitis

Bakterielle Zahnbeläge induzieren eine entzündliche Reaktion der Gingiva. Wird die mikrobielle Exposition beseitigt, ist die Gingivitis reversibel und es kommt zu keiner Zerstörung des Parodonts. Nach einer 3-wöchigen unbeeinflussten Plaquebildung manifestiert sich die entzündliche Reaktion des marginalen Parodonts. Die ersten sichtbaren Entzündungszeichen sind meist neben Rötungen auch entzündliche Schwellungen (Ödeme oder Hyperplasien) und/oder Blutungen. Eine etablierte Läsion ist entstanden ? noch ohne Attachmentverlust! Diese erreicht nun auch subgingivale Bereiche und führt zu einer Destruktion des Saumepithels und zu bindegewebigen Strukturen am Sulkusboden. Es bilden sich gingivale Taschen mit Taschenepithel, die nach lateral proliferieren. Nun sind B-Lymphozyten und Plasmazellen im gingivalen Weichgewebe aufzufinden.

Bei guter Mundpflege kann das Gleichgewicht zwischen bakterieller Präsenz und der unspezifischen Abwehr durchaus über Jahrzehnte weitestgehend stabil bleiben. Bei 10 % geht die Gingivitis jedoch frühzeitig in eine aggressive Parodontitis über. Meist sind davon Jugendliche und junge Erwachsene betroffen. Hierbei wird der Knochenapparat ohne adäquate Therapie rasch zerstört und ein frühzeitiger Zahnverlust folgt. Beim Großteil der Bevölkerung mittleren Alters können Gingivitiden auch durch systemische und hormonelle Einflüsse in eine langsam fortschreitende, chronische Parodontitis übergehen. Regelmäßige zahnärztliche Untersuchungen sowie eine risikoorientierte unterstützende Parodontaltherapie (UPT) können die Parodontitis letztendlich unter Kontrolle bringen.

Risiken einer unbehandelten Parodontitis

Bei der Entstehung einer Parodontitis kommt es zu einer Verschiebung des pathogenen Potenzials der Plaque bei gleichzeitiger Veränderung der Immunabwehr am Ort der Entzündung. Parodontitis ist eine entzündliche Erkrankung des Parodonts. Sie wird durch pathogene Mikroorganismen im subgingivalen Biofilm hervorgerufen. Bei der Parodontitis sind alle Anteile des Parodonts, also die Gingiva (marginales Desmodont), das Desmodont (parodontales Ligament), der Wurzelzement und der Alveolarknochen mit fortschreitendem Verlust des Stützgewebes beteiligt. Die Erkrankung ist kein kontinuierlicher Prozess, sie kann sich an einzelnen, mehreren oder an allen Zähnen und/oder auch schubweise zeigen. Hierbei sollten exogene Risikofaktoren, wie beispielsweise Rauchen, Stress, erblich und/oder genetisch bedingte Dispositionen bei der Therapieplanung, berücksichtigt werden. Raucher sollten wissen, dass ihr Risiko an einer Parodontitis zu erkranken steigt ? je nach Anzahl der täglichen Nikotindosis um den Faktor 3 bis 6 im Vergleich zu Nichtrauchern! Bevor eine umfassende hochwertige Füllungstherapie, Implantat- oder Zahnersatz-Versorgung stattfindet, bedarf es einer genauen Prüfung des Zahnhalteapparates. Vorab sind wiederkehrende Patientenberatung, Motivation, praktische Mundhygieneübungen und regelmäßige Taschenmessungen nicht wegzudenken! Hier fehlt es in manchen Zahnarztpraxen unwissentlich noch an einer kontinuierlichen Befunderhebung, welche die gesamte Mundhöhle mit einbezieht. Denn die Parodontitis ist heimtückisch.

Bedeutung und Sinn der Anamnese

Um ein Leben lang eine ausgeglichene Zahngesundheit beizubehalten oder diese zu fördern, benötigen Patienten die Hilfe des Prophylaxe-Teams. Ein „flüchtiger“ 01-Blick in den Patientenmund lässt eine Parodontitis oft unerkannt, da sie in der Regel selten mit Schmerzen verbunden ist. Dies führt häufig dazu, dass sie oft über lange Zeit unbemerkt bleibt. Zur Therapie gehört die allumfassende Inspektion der gesamten Mundhöhle.

Die Anzahl der Risikopatienten steigt stetig. Darunter fallen u. a. Diabetiker, Rheumatiker, Osteoporose-Patienten, Gelenkprothesenträger, Herz- und Kreislaufkranke, Krebspatienten, Alkoholkranke, Raucher, Schwangere sowie Patienten mit Organtransplantationen. Systemische Erkrankungen, übermäßiger Rauch- oder Alkoholkonsum, unzureichende Mundhygiene sowie ungesunde Ernährung und Stress fördern die schnelle Ausbreitung.

Zungenkontrolle mit Lupenbrille. © Godizart
Zungenkontrolle mit Lupenbrille. © Godizart

Daher ist es immens wichtig, dass Zahnärzte, Teams und Patienten die Bedeutung der Anamnese verstehen. Der Patient ist nur Laie. Das Praxisteam benötigt Hintergrundwissen, muss mitdenken und gewisse Dinge hinterfragen. Planen Sie bitte immer genügend Zeit und einen passenden Ort für die aktuelle Anamnese ein, um den Bogen gemeinsam mit dem Patient zu besprechen.

Neben der allgemeinen Anamnese ist zudem die zahnbezogene (intraorale) Anamnese und die Familienanamnese (als Komponente einer familiären Vorbelastung möglicher Parodontitiden) abzuklären.

Tipps für Eröffnungs- und Anamnesefragen.
Tipps für Eröffnungs- und Anamnesefragen.

Viele Patienten nehmen mehr als drei Medikamente gleichzeitig ein. Erfragen Sie vor dem Behandlungstermin den Medikationsplan beim Hausarzt oder Facharzt. Der bundeseinheitliche Medikationsplan (seit 01.10.2016 Pflicht) sollte sämtliche verschreibungspflichtige Arzneimittel enthalten, die der Patient einnimmt, sowie auch die Selbstmedikation. Dazu werden unter anderem der Wirkstoff, die Dosierung, der Einnahmegrund sowie sonstige Hinweise zur Einnahme aufgeführt.

Muster eines Medikationsplans.
Muster eines Medikationsplans.

Jeder Patient, der gleichzeitig drei Medikamente, die systemisch wirken und zu Lasten der GKV verordnet werden, dauerhaft für mindestens 28 Tage einnehmen muss, hat ein Anrecht auf einen Medikationsplan.

Hinterfragen Sie auch den Einsatz von „Ölen, Salzen, Grapefruit-Extrakten, Nahrungsergänzungsmitteln, Vitaminspritzen, Homöopathie-Selbstindikationen, orthopädischen Spritzen, Cortison, Johanniskraut, Opiat-Pflaster oder oralen Kontrazeptiva (Pille)“.

Laut Patientenrechtegesetz (PRG seit 26.03.1013) sind im zeitlichen Zusammenhang mit einer Behandlung die Aktualisierung der Anamnesedaten verankert und müssen dokumentiert werden! Der Nachweis der Anamnesedaten muss 10 Jahre aufbewahrt werden.

Befunde und Auswertungen auf einem Blick

Eine systematische Suche nach einem Mundhöhlenkarzinom und seinen Vorläuferläsionen sollte routinemäßig integraler Bestandteil jeder zahnärztlichen Basisuntersuchung bei allen Patienten sein!

Um Erkrankungen am Zahnhalteapparat festzustellen, wurde der „Parodontale Screening Index“ (PSI) entwickelt. Der PSI (Code 0 – 4) ist eine einfache Methode, um den Zahnfleischzustand zu bewerten. Er wird in Sextanten eingeteilt. Das Screening ermöglicht bereits frühe Formen von Zahnbetterkrankungen zu erfassen, um sie zielgerichtet zu behandeln. Er wird mit einer zahnärztlichen Spezial- Sonde (WHO-Sonde) an 6 Stellen pro Zahn durchgeführt und ist somit Parameter für die Einstufung des Schwergrades einer Parodontitis-Erkrankung. Blutungsneigung, Belagsbildung und Sondierungstiefen werden bewertet, defekte Restaurationsränder sowie Auffälligkeiten wie Rezessionen mit einem Stern* dokumentiert.

6-Punktmessung mit 1 mm Einteilung. © Godizart
6-Punktmessung mit 1 mm Einteilung. © Godizart

Wurde einmal oder mehrmals Code 1 und/oder Code 2 gefunden, ist dies ein erster Hinweis auf eine meist bakteriell verursachte Entzündung des marginalen Zahnfleisches. Mögliche Ablagerungen, wie Zahnbelag oder Zahnstein, werden in 1 bis 2 Prophylaxe-Sitzungen von den Zahnoberflächen und aus den klinisch erreichbaren Zahnfleischtaschen entfernt und individuelle Instruktionen zur Verbesserung der Mundhygiene ? mit praktischen Mundhygienetipps und Hilfsmitteln ? gegeben.

Code 3 deutet darauf hin, dass eine mittelschwere Parodontitis vorliegt. Das gesamte Gebiss wird weiter untersucht, um eine genauere Diagnose zu erstellen. Das gleiche gilt für Code 4, bei dem bereits eine schwerere Form einer Parodontitis vorliegt. Als Screening-Index gibt der PSI eine erste Übersicht und Grobeinschätzung eines parodontalen Behandlungsbedarfes, mit der sich das zahnärztliche Team gemeinsam auseinandersetzen „muss“.

Begeistern Sie sich und Ihr Team, ein erprobtes Mundhygiene- und unterstützendes Parodontitis-Konzept einzuführen und erfolgreich umzusetzen. Der Patient wird es Ihnen danken und Sie zufrieden weiterempfehlen. Sprechen Sie mich gerne an.

Teil 2 zum Thema „Dokumentationsoptionen“ folgt in der nächsten Ausgabe.

Weiterführende Links

    Bildquellen sofern nicht anders deklariert: Unternehmen, Quelle oder Autor/-in des Artikels

    Kommentare

    Keine Kommentare.

    Anzeige