Gesellschaften/Verbände


„Es genügt nicht, Recht zu haben. Man muss es auch beweisen können.“

25.09.2017

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Drei Jahre ist das Patientenrechtegesetz inzwischen in Kraft. Die Aufklärungs- und Dokumentationspflichten sind seither strenger gefasst. Die DGI nahm dies zum Anlass, das Thema gemeinsam mit ihren Landesverbänden und der Landeszahnärztekammer Hessen in den Mittelpunkt eines Symposiums zu stellen. Denn gerade implantologische Therapien erfordern als Wahleingriffe eine sehr umfassende Aufklärung, die entsprechend dokumentiert werden muss. Am 1. Juli redeten Fachleute in Frankfurt Klartext.

„Bei unterbliebener und unzureichender Aufklärung und damit unwirksamer Einwilligung droht eine Verurteilung wegen Körperverletzung, die mit Freiheitsstrafen bis zu fünf Jahren oder einer Geldstrafe bestraft wird“, beschrieb die Fachanwältin für Medizinrecht Susanne Ottmann-Kolbe (München) die verhängnisvollen Folgen, wenn Ärzte ihrer Aufklärungspflicht nur unzureichend nachkommen. Das war zwar schon immer so, aber seit dem Jahr 2013 ist das Risiko gestiegen, hier in Probleme zu geraten, wenn es zu einem Prozess kommt. Denn es war die erklärte Absicht des Gesetzgebers, mit dem damals in Kraft getretenen Patientenrechtegesetz „die Position der Patientinnen und Patienten gegenüber Leistungserbringern und Krankenkassen zu stärken.“

Das Gesetz hat zwar nichts geändert an der Behandlung des klassischen Behandlungsfehlers in der Diagnostik oder Therapie, bei dem der Patient in der Beweispflicht ist. Doch an die ärztliche Aufklärung und deren Dokumentation legen die Gerichte inzwischen strengere Maßstäbe an. Inzwischen genügt alleine die Aussage, dass die Aufklärung korrekt erfolgt sei, zu deren Glaubhaftmachung nicht mehr. „Vielmehr gehen die Gerichte heute eher davon aus, dass alles, was nicht dokumentiert wurde, auch nicht erfolgt ist“, brachte DGI-Vizepräsident Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz seine Gutachter-Erfahrungen auf den Punkt.

Prozessrisiko Nummer Eins: Verletzung der Aufklärungspflicht

Dies ist auch die Erfahrung von Dr. Rainer Fries, dem Vorsitzenden Richter am Landgericht Saarbrücken: „Wenn Zahnärzte einen Prozess verlieren, erfolgt die Verurteilung bei einem Großteil der Fälle wegen mangelnder Aufklärung und Dokumentation.“ Die Verletzung der Aufklärungspflicht sei für den Zahnarzt darum heute das Prozessrisiko Nummer Eins. Das mag auch damit zu tun haben, dass Anwälte von Patienten Verstöße gegen die Aufklärungs- und Dokumentationspflicht als sogenannte „Aufhängetatbestände“ nutzen, wenn sie den Eindruck haben, dass ihr Mandant einen Behandlungsfehler im engeren Sinne nicht beweisen kann. Durch den Schwenk zum Bereich Aufklärung und Dokumentation kann der Anwalt vielleicht doch noch eine Verurteilung des beklagten Arztes erreichen, wenn dieser hier in Beweisnot gerät.

Die 5 Ws der Aufklärung

Wer wird aufgeklärt, wer klärt auf, worüber, wie und wann? Mit den Antworten auf diese fünf W-Fragen eröffnete Susanne Ottmann-Kolbe ihren Vortrag. Aufgeklärt wird der Patient – es sei denn, es handelt sich um Kinder und Minderjährige oder nicht einwilligungsfähige Patienten. Die Aufklärung kann allenfalls an einen anderen approbierten Arzt delegiert werden, aber keinesfalls an Assistenzpersonal. Bei der Frage nach dem „Worüber“ geht es um Art und Umfang einer Therapie, um deren Durchführung, Notwendigkeit und Dringlichkeit, um ihre Eignung im vorliegenden Fall, um die Erfolgsaussichten und ebenso um mögliche Folgen und Risiken sowie Alternativen.

Die Aufklärung über Risiken und Alternativen sind im Falle einer Implantattherapie besonders wichtig. Schließlich sei bei dieser aufgrund des elektiven Charakters besondere Sorgfalt geboten. „Je weniger dringlich der Eingriff ist, desto höher sind die Anforderungen an die Aufklärungspflicht und je schwerwiegender die mögliche Folge, desto eher ist auch über die Risiken geringerer Wahrscheinlichkeit aufzuklären“, brachte Susanne Ottmann-Kolbe die juristische Bewertung auf den Punkt.

Auch über den Misserfolg aufklären

Aufgeklärt werden müsse auch über die Gefahr des Misserfolgs einer Therapie, betonte Dr. Fries und verwies auf eine Entscheidung des Kölner Oberlandesgerichts zum Thema Implantate. Im vorliegenden Fall hätten die Erfolgsraten bei 90 bis 95 % gelegen. Trotzdem habe das Gericht betont, dass ein Risiko bleibt, über das aufgeklärt werden müsse. Sein Rat: Zahnärzte sollten planmäßig darauf hinweisen, dass der Erfolg einer Implantation nicht garantiert werden kann. Auch wenn Knochenersatzmaterialien verwendet würden, müsse über gesundheitliche Risiken aufgeklärt werden.

„Zur korrekten Aufklärung im Falle einer Implantattherapie gehört auch die Information über die Differenzialtherapie und deren jeweilige Belastungen, Risiken und Erfolgschancen“, erklärte Professor Grötz. Der Verzicht auf Zahnersatz oder die Optionen einer konventionellen Versorgung müssen ebenso angesprochen werden wie die Therapiekosten und die Erstattungsfähigkeit. „Zwar sei die Therapiefreiheit des Arztes ein Grundsatz“, betonte Dr. Fries, „doch wenn eine echte Wahlmöglichkeit besteht, was bei einer Implantattherapie stets gegeben ist, muss auch über die Alternativen aufgeklärt werden.“ Dies gelte auch, wenn einzelne Alternativen zu einer höheren Kostenbelastung führen.

Ebenso muss der Zeitpunkt der Aufklärung stimmen. Bei einer planbaren Operation genügt diese am Tag vorher, bei einfachen ambulanten Eingriffen am selben Tag. „Erfolgt die Aufklärung auf dem Weg in den OP oder unter dem Eindruck, dass diese sonst nicht durchgeführt wird, ist die Einwilligung juristisch unwirksam“, warnte Susanne Ottmann-Kolbe.

Wichtig: die Dokumentation

Doch die beste Aufklärung nützt vor Gericht nichts, wenn sie nicht dokumentiert ist. „Der Arzt muss diese im eigenen Beweisinteresse dokumentieren und auch zehn Jahre aufbewahren“, betonte Dr. Fries. Denn die ärztliche Dokumentation habe Beweiswert – gleichgültig ob auf Papier oder elektronisch. Auch nachträgliche Eintragungen seien möglich, betonte der Richter, es müsse aber das Datum dabei stehen. Doch wie umfangreich muss diese Dokumentation sein? „Eine lange Prosa wirkt eher unglaubwürdig“, weiß Prof. Grötz. Demgegenüber sei eine Dokumentation mit Kürzeln absolut authentisch, der medizinische Sachverständige könne diese ja beurteilen.

Intensiv diskutierten die Experten das Thema „Aufklärungsformulare“. Hier war die Botschaft klar, wie Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas (Halle) am Ende des Symposiums formulierte: „Nicht die Unterschrift des Patienten auf einem Zettel ist wichtig, sondern das persönliche Gespräch. Denn der Richter sucht nach Hinweisen, ob dieses Gespräch stattgefunden hat.“

„Ein unterschriebenes Formular alleine zählt nicht. In der Tat interessiere sich ein Gericht nicht für die Unterschrift eines Patienten in einem Formular, sondern dafür, ob das Gespräch zwischen Arzt und Patient stattgefunden hat“, betonte Dr. Fries. Das Aufklärungsgespräch könne, so ergänzte Professor Grötz, zwar durch ein Formular mit seinen oft umfangreichen Informationen unterstützt werden, dieses aber nicht ersetzten. Der Aufklärungsbogen werde allenfalls als Indiz gewertet, dass das Gespräch stattgefunden habe. Ein standardisiertes Formular, das nur vom Patienten unterschrieben wurde, lege sogar eher nahe, dass der Arzt bei der Aufklärung auf die individuellen Bedürfnisse und die Situation des Patienten nicht eingegangen ist. „Dann wird es schwieriger glaubhaft zu machen, dass eine individuelle Aufklärung überhaupt stattgefunden hat“, betonte der DGI-Vizepräsident.

Aufklärungsformulare individualisieren

  • Die Referenten des Sommersymposiums: (von links) Dr. Thorsten Conrad (Bingen), PD Dr. Dr. Philipp Streckbein (Gießen), Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas (Halle), RA Susanne Ottmann-Kolbe (München), Prof. Dr. Mathias Schneider (Dresden), Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz (Wiesbaden), Prof. Dr. Peter Pospiech (Berlin), Dr. Rainer sFries (Saarbrücken), Prof. Dr. Hans-Joachim Nickenig (Köln). © Barbara Ritzert

  • Die Referenten des Sommersymposiums: (von links) Dr. Thorsten Conrad (Bingen), PD Dr. Dr. Philipp Streckbein (Gießen), Prof. Dr. Dr. Bilal Al-Nawas (Halle), RA Susanne Ottmann-Kolbe (München), Prof. Dr. Mathias Schneider (Dresden), Prof. Dr. Dr. Knut A. Grötz (Wiesbaden), Prof. Dr. Peter Pospiech (Berlin), Dr. Rainer sFries (Saarbrücken), Prof. Dr. Hans-Joachim Nickenig (Köln). © Barbara Ritzert
Gleichwohl waren sich die Experten auch einig, dass Aufklärungsformulare durchaus sinnvoll eingesetzt werden können. Sie müssen aber individualisiert werden, etwa durch handschriftliche Notizen. Wie dieses geht präsentierte Prof. Dr. Hans-Joachim Nickenig (Köln). Er hat das Aufklärungsblatt selbst entwickelt, das er bei einer Implantattherapie einsetzt. Dieses enthält die medizinische Begründung für die Behandlung, Hinweise auf den geplanten Implantat getragenen Zahnersatz und informiert über die Alternativen. „Ich zeichne die geplanten Implantate während des Gespräches mit dem Patienten immer ein“, erklärte Professor Nickenig. Hinzu komme auch eine individuelle Erfolgsprognose in Prozent, sowie Angaben zu Knochenersatzmaterialien. Zudem empfahl der Referent, immer eine Assistenz dabei zu haben: „Eine Zeugenaussage kann vor Gericht von Bedeutung sein.“

Nicht zuletzt sei es wichtig, solche Beratungs- und Aufklärungsgespräche zu trainieren, diese immer auf dieselbe Art und Weise durchzuführen und das Vorgehen in das Qualitätsmanagement der Praxis zu integrieren. Professor Nickenig verwies in diesem Zusammenhang auf ein Urteil des Oberlandesgerichts Hamm. Dies habe betont, dass „…von einer ordnungsgemäßen Aufklärung ausgegangen werde, wenn nachweisbar ist, dass das Aufklärungsgespräch nach Art und Inhalt einer ständigen und ausnahmslosen Übung“ entspräche.

Prof. Dr. Peter Pospiech (Berlin) sah dies genauso: Es sei wichtig, für die Dokumentation eine eigene Systematik zu entwickeln und das Vorgehen zu trainieren. „Machen Sie es wie der Pilot im Flugzeug: dieser arbeitet bei jedem Start immer wieder seine Checkliste ab, selbst wenn er schon hunderte von Flügen erfolgreich absolviert hat.“