Kollegentipps


Die Trias zur möglichen Vermeidung des „physiologischen Knochenabbaus“


Von Seiten der Grundlagenforschung in der zahnärztlichen Implantologie sind in den letzten Jahren erhebliche Fortschritte und Erkenntnisse in der Literatur und in der Wissenschaft zu verzeichnen gewesen. So gelten Mikroorganismen und Mikrobewegungen als die Hauptverursacher von schüsselförmigen, periimplantären Knochendefekten. In diesem Artikel beschreibt der Autor interessante Lösungsansätze, um periimplantäre Knochendefektmorphologien zu vermeiden.

Anatomische und biologische Grundlagen

Die Kenntnisse parodontaler und periimplantärer Anatomie und Biologie sind für ein erfolgreiches Hart- und Weichgewebsmanagement während einer Implantatbehandlung unerlässlich. Sowohl der natürliche Zahn sowie auch ein Implantat durchbrechen als funktionelle Einheit das Weichgewebe. Das Hart- als auch Weichgewebe, mineralisiertes Bindegewebe (Alveolarknochen), weiches Bindegewebe und Saumepithel bilden eine „biologische Versiegelung“ gegenüber der Außenwelt. Im klinisch gesunden parodontalen sowie periimplantären Gewebe apikal des Sulkus sind nur wenige Bakterien nachweisbar. Eine permanente bakterielle Besiedlung in das parodontale oder periimplantäre Weichgewebe im Bereich des Sulkus führt in vielen Fällen zu einer „Apikalmigration“ und somit zu einer Zerstörung von Weich- und Hartgewebe. Dies kann um alle Implantatsysteme herum kommen, was zu einem deutlichen Attachmentverlust führen kann [1-3]. In punkto Material fordert eine ästhetischerfolgreiche Weichgewebsanheftung eine geringe Plaqueakkumulation und natürlich hohe Verschleißbeständigkeit des dentalen Implantatwerkstoffes. Zwischen dem epithelialem Attachment bei natürlichen Zähnen und demjenigen enossaler Implantate bestehen neben vielen Gemeinsamkeiten auch Unterschiede: Die an das Implantat direkt angrenzenden Bindegewebsfasern verlaufen parallel zur Längsachse des Implantates, dies im Unterschied zur biologischen Struktur zum natürlichen Zahn [4-7]. Zudem befinden sich in direkter Nachbarschaft zur Implantatoberfläche nahezu keine Nerven- oder Gefäßstrukturen; das Gewebe ähnelt somit einem narbenartigen Bindegewebe und unterscheidet sich darin erheblich von dem parodontalen Bindegewebe, das Zahn und Alveolarknochen verbindet. Im Gegensatz zum Epithelansatz existieren also deutliche Unterschiede im Bereich des bindegewebigen Attachments am Implantat in Bezug auf den natürlichen Zahn (Abb. 1). In der vertikalen Dimension weist die aus Sulkustiefe, Saumepithel und bindegewebigen Attachment bestehende „Weichteilmanschette“ konstant eine Höhe von 3 mm auf. Diese wird als „biologische Breite“ bezeichnet (Abb. 2). Eine Apikalmigration von Bakterien entlang der Implantatoberfläche wird im gesunden Milieu durch einen „biologischen Schutzwall“ verhindert. Wird diese Weichteilmanschette patientenbedingt (mangelhafte Mundhygiene des Patienten) oder iatrogen – etwa bei einer periostlösenden Implantation mit Lappenbildung und/oder bei einer Implantatfreilegung – verletzt, so steht einer Komplikation in Form einer Periimplantitis nichts mehr im Wege.

  • Abb. 1: Graphische Gegenüberstellung von einem Zahnparodontium im Implantatbettlager.
  • Abb. 2: Graphische Darstellung der biologischen Breite.
  • Abb. 1: Graphische Gegenüberstellung von einem Zahnparodontium im Implantatbettlager.
  • Abb. 2: Graphische Darstellung der biologischen Breite.

Implantatdesign und physiologischer Knochenabbau

  • Abb. 3: Rechtes Implantat: Knochenabbau bis zur ersten Windung.

  • Abb. 3: Rechtes Implantat: Knochenabbau bis zur ersten Windung.
Noch immer basieren die meisten Implantatsysteme auf außen bündigen Implantat-Abutment-Verbindungen. Externe als auch interne Verbindungen kommen hier zur Anwendung und versuchen dem Hart- und Weichgewebsinterface eine möglichst glatte und ebene Angriffsfläche zu bieten. Langzeitstudien zufolge etabliert sich das periimplantäre Knochenniveau immer auf dem Niveau apikal dieser bündigen Verbindung zwischen Implantat und Abutment. Auch in Fällen, bei denen das Implantat bis zu seiner chirurgischen Freilegung mitsamt seiner Abdeckschraube tief im Knochen einheilt, ringsum von Knochen bedeckt ist und nur mittels Ostektomie von seiner Abdeckschraube befreit und mit einem Gingivaformer versehen werden kann, setzt bald nach der Freilegungsoperation – spätestens jedoch in der frühen Belastungsphase – ein Knochen-Remodellations-Prozess ein, der die Ausprägung eines periimplantären Knochentrichters in Form eines schüsselförmigen Defekts zur Folge hat. Dies wurde als physiologisch und unvermeidbar angesehen und als „Knochenabbau bis zur ersten Windung“ bezeichnet (Abb. 3). Es gilt sogar bis heute, dass die gültigen, wissenschaftlich anerkannten Kriterien für eine erfolgreiche Implantatbehandlung den Knochenverlust erst ab dem ersten Jahr nach Belastung zu messen sind [8]. Als völlig „normal“ wird also der Verlust von bis zu 2 mm an krestalem Knochen im ersten Jahr nach Belastung und 0,2 mm pro Folgejahr angesehen.

Mikrospalt

Der Mikrospalt befindet sich in der Verbindungsstelle zwischen Implantatkörper und Abutment. Er ist bis dato eindeutig als Nachteil zweiteiliger Systeme anzusehen. Die bakterielle Kontamination des Mikrospalts und die mechanische Belastung der Verbindungsankopplung Implantat/Abutment mit der Folge eines bakteriellen „Sogeffekts“ in und aus dem Implantatkörper hinein/heraus sind Erklärungen für ein Zurückweichen, d. h. eine Resorption des Knochens, vom Mikrospalt weg unter Bildung von Bindegewebe.

  • Abb. 4 bis 6: Darstellung der Spaltentwicklung bei Belastung von 100 N. Ein permanenter Bakterienaustausch kann eine Periimplantitis implizieren.

  • Abb. 4 bis 6: Darstellung der Spaltentwicklung bei Belastung von 100 N. Ein permanenter Bakterienaustausch kann eine Periimplantitis implizieren.
Bei vielen Systemen mit Implantaten auch der neueren Generation und Implantatdurchmessern von z. B. 4,1 mm sind Bakteriendurchlässigkeiten aufgrund eines fehlenden Platform Switchings oder eines zu weiten oder zu kurzen Konus nachweisbar. Es zeigt sich bereits auf Belastung von nur 100 N eine deutliche Spaltentwicklung mit der Folge des klinisch beschriebenen „Sogeffekts“. Ein permanenter Bakterienaustausch zwischen dem Implantatinneren und seinem Außenmilieu sind die Folge, was eine Periimplantitis implizieren kann (Abb. 4-6).

  • Abb. 7 und 8: Darstellung des zweiteiligen Champions-(R)Evolution Implantats, das auch unter Belastung von 200N keinen Mikrospalt aufweist.

  • Abb. 7 und 8: Darstellung des zweiteiligen Champions-(R)Evolution Implantats, das auch unter Belastung von 200N keinen Mikrospalt aufweist.
Demgegenüber gibt es durchaus auch zweiteilige Implantat-Systeme mit einer optimierten Konus-Implantat-Abutment-Verbindung, die selbst bei einem Implantatdurchmesser von nur 3,5 mm und Belastungen von 200 N keinen Mikrospalt aufweisen, wie z. B. das von der Frankfurter Universität unter Leitung von Dipl.-Ing. Holger Zipprich untersuchte Champions-(R)Evolution® Implantat [14] (Abb. 7 und 8). Radiologisch und histologisch wurde eindrucksvoll aufgezeigt, dass sich bei jeder möglichen Konfiguration eines zweiteiligen (ITI)-Implantats, das eine Verbindung zur Mundhöhle aufweist, eine biologische Vertikaldistanz von 2 mm zwischen Mikrospalt und erstem Implantat-Knochen-Kontakt ausbildet. Dies ist völlig unabhängig davon, wie tief das Implantat in den Knochen inseriert wird (Arbeitsgruppe um Hermann 1997, 2000 und 2001). Tarnow belegte in seinen Studien 2000 und 2003, dass der Effekt des Mikrospalts, ähnlich einem parodontalen Defekt, in seiner Ausdehnung dreidimensionalen Charakter hat, und zwar mit einem horizontalen Wirkungsgrad von ca. 1,4 mm. In seinem Statement empfahl Tarnow deshalb einen Mindestabstand von 3 mm zwischen zwei Implantaten, um interimplantäre, papillenstützende Knochenspitzen nicht zu gefährden [9-11].

Platform Switching

Implantate mit einem Platform-Switching-Konzept scheinen einen krestalen Knochenabbau verhindern zu können. Durch Reduzierung der Durchmesser von Heilungsdistanzhülsen bzw. des Abutments im Verhältnis zum Durchmesser der Implantatschulter vermeidet man bei einem platformgeswitchten Implantat einen bündigen Implantat-Abutment-Übergang. Die Implantatschulter ist also breiter als die Aufbauten. Zu den Implantatsystemen, die ein solches „Platform Switching“ integriert haben, gehören Systeme mit ausreichend langer, interner Konusverbindung (mit einem optimierten Grad,) wie z. B. das Champions (R)Evolution®, Ankylos® und Astra Tech Implantat, bei denen auch die gleiche Geometrie der Implantat-Abutment-Kopplungsmechanismen bei allen Implantatdurchmessern- und Abutments festzustellen ist.

Beim „Platform Switching“ wird die zentral ausgerichtete Position des Mikrospalts hin zur Implantatachse verlagert. Die räumliche Trennung des potentiell bakteriell kontaminierten besiedelten Mikrospalts vom periimplantären Knochengewebe an der Implantatschulter führt dazu, dass die Ausbildung der „biologischen Breite“ vom Knochen örtlich „weggebracht“ wird.

Möglichst nach minimalinvasiver, gänzlich periostschonender Methodik der Implantation (MIMI®)-flapless arbeitend, bereitet man mit nur maximal 50 – 250 U/Min. (in den meisten Fällen ohne „Wasserkühlung“) rein transgingival entsprechend der Knochendichte mit konischen Dreikantbohrern die Knochenkavität auf. Lediglich im D1 und D2 Knochen bereitet man final ebenfalls mit zylindrischen Bohrern auf. Im „weichen“ D3/ D4 Knochen bedient man sich nach nur einem Dreikantbohrer (gelb) speziellen Knochen-Condensern.

  • Abb. 9 bis 14: Aufbereitung der Knochenkavität.

  • Abb. 9 bis 14: Aufbereitung der Knochenkavität.
Wichtig ist die taktile Überprüfung nach jedem Arbeitsvorgang mit einer dünnen Sonde (Knochen-Kavitäten-Kontrolle). Erst dann wird unter Vermeidung einer Knochenerhitzung das Implantat „indirekt“ durch einen Insert/Shuttle langsam und mit einer Primärstabilität von 40-60 Ncm eingebracht. Weder die dünne Titanwand (bei einem Implantatdurchmesser von 3,5 mm ist diese Wand und mit einer Primärstabilität von 40-60 Ncm eingebracht. Weder die dünne Titanwand (bei einem Implantatdurchmesser von 3,5 mm ist diese Wand etwa 0,4 mm dick!) noch das Implantatinnengewinde werden durch die alleinige Kraftanwendung über den Shuttle beschädigt, deformiert oder malträtiert (Abb. 9-14).

  • Abb.15 bis 19: Der Gingiva-Clix bleibt in der Knochen-Remodellingsphase auf dem Shuttle. Nach 8 Wochen wird er entnommen. Die Gingiva ist reizfrei geformt. Der Abformungspfosten wird transgingival in den Shuttle gesteckt, verschraubt und mit der Abdruckkappe versehen.

  • Abb.15 bis 19: Der Gingiva-Clix bleibt in der Knochen-Remodellingsphase auf dem Shuttle. Nach 8 Wochen wird er entnommen. Die Gingiva ist reizfrei geformt. Der Abformungspfosten wird transgingival in den Shuttle gesteckt, verschraubt und mit der Abdruckkappe versehen.
Der in den Implantatkonus bereits bakteriendichte und „platform geswitchte“ Shuttle wird mit einem, in sechs verschiedenen Höhen und Durchmessern erhältlichen, Gingiva-Clix aus dem weißen und biokompatiblen WIN! versorgt und bleibt in der Knochen-Remodellingsphase von etwa 8 Wochen auf dem Shuttle. Nach 8 Wochen wird der Gingiva-Clix abgeclippt. Die Gingiva ist entsprechend des Clix-Typs reizfrei geformt. Ein Abformungspfosten wird nun ebenfalls transgingival in den Shuttle gesteckt, von Hand verschraubt und mit einer Abdruckkappe versehen (Abb. 15-20).

  • Abb. 20 bis 24: Nach der Abformung wird der Shuttle entnommen und das Abutment bakteriendicht verschraubt.

  • Abb. 20 bis 24: Nach der Abformung wird der Shuttle entnommen und das Abutment bakteriendicht verschraubt.
Nach der Abformung und Fertigstellung der Suprakonstruktion wird mit Hilfe eines „Shuttle-Abziehers“ der mit dem Implantat „kalt-verschweißte“ Shuttle einfach abgezogen. Nun bekommt die „indirekt-implantierte“ und im Inneren unversehrte und kontaminationsfreie Schraube zum ersten Mal einen direkten Zugang zum Außenmilieu. Gleich im Anschluss an die Shuttle-Abnahme wird das Abutment sodann direkt wieder bakteriendicht aufgeschraubt (Abb. 21-24).

Fazit

Um den physiologischen Knochenabbau um Implantate zu reduzieren bzw. gar gänzlich zu eliminieren und um die Tarnow’sche Abstandsregel von 3 mm umgehen zu können (sie ist in manchen Fällen nicht einzuhalten oder auch nicht sinnvoll!), sollten nach meinen Erfahrungen und wissenschaftlichen Recherchen folgende Trias berücksichtigt werden:

  1. Platform Switching und Konusverbindung: Es sollten möglichst Implantatsysteme Verwendung finden, die ein echtes „Platform Switching“ integriert haben. Implantate mit einem Platform-Switching- Konzept scheinen einen krestalen Knochenabbau verhindern zu können [12, 13]. Ebenso sollten interne Konusverbindungen einen Grad von 5 bis 10 aufweisen und der Konus sollte ausreichend lang gestaltet sein, damit eine zuverlässige Bakteriendichtigkeit auf Belastung von 200 N bei 3,5 mm Durchmessern zu verifizieren ist [14].
  2. Shuttle: Durch die Implantation mit zweiteiligen Systemen mit einem – ab Hersteller bereits integrierten – Implantat-Insertions-Shuttle, der in den meisten Fällen bis zum Einsetzen der definitiven Arbeit, mindestens jedoch acht Wochen post OP, bakteriendicht auf dem Implantat verbleibt, scheinen bakterienbedingte Komplikationen per se ausgeschlossen zu sein. Das Implantatinnere bleibt somit zumindest die ersten Wochen in der sog. „Einheilungsphase“ weitestgehend bakterien- und kontaminationsfrei. Gerade während der Implantation kann kein Blut, kein Speichel oder sonstige Materialien in das Implantatinnere gelangen und dies bakteriell kontaminieren. Solche oder einteilige Implantatsysteme sollten deshalb bevorzugt zur Anwendung gelangen, um Knochenresorptionen entgegenwirken zu können. Eine weitere Erfolgsvoraussetzung für sofort versorgte Implantate ist eine ausreichende Primärstabilität von mindestens 35 Ncm [15].
  3. Durch das MIMI®-flapless-Verfahren (ohne Lappenbildung) während der eigentlichen Implantation, aber auch durch Vermeidung eines Zweit- oder sogar Dritteingriffs (Implantatfreilegung, subgingivale Abformung) bildet sich schnell und ungestört die „biologische Breite“ und wird durch einen Zweiteingriff (Freilegung) nicht gestört. Die gingivalen Strukturen bleiben somit völlig intakt, ein physiologischer Knochenabbau infolgedessen wird dahingehend ebenso unwahrscheinlicher.

Die seit 16 Jahren beschriebenen äußerst positiven klinischen Ergebnisse eines maximal periostschonenden MIMI®-flapless-Verfahrens decken sich mit aktuellen, wissenschaftlichen Studien [16-21].Es bedarf sicher noch langfristigen Studienergebnissen, welche die ersten Erfolgsmeldungen zur Verhinderung eines physiologischen Knochenabbaus um enossale Implantate bei Einhaltung der Trias bestätigen.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Prof. (Assoc. PMS Science & Research) Dr. Armin Nedjat

Bilder soweit nicht anders deklariert: Prof. (Assoc. PMS Science & Research) Dr. Armin Nedjat