Systematisches Vorgehen bei der Insertion von Mini-Implantaten als zusätzliche Pfeiler

Mini-Implantate sind seit über zehn Jahren in Deutschland verfügbar, für die Langzeitstabilisierung von Zahnersatz zugelassen und inzwischen millionenfach eingesetzt. In meiner Praxis in Drensteinfurt kommen die einteiligen Implantate mit reduziertem Durchmesser seit 2001 regelmäßig zum Einsatz, seit 2003 auch in der Indikation der Pfeilervermehrung zur Verankerung von Teilprothesen. Hier liegt neben der Totalprothesenstabilisierung sicherlich ihr größtes Potenzial.
Statistischen Daten zufolge wird der Trend hin zur Teilprothese in Deutschland und anderen Industrienationen von zwei Entwicklungen begünstigt: Dem demografischen Wandel mit einem immer größer werdenden Anteil an älteren Patienten und der allgemeinen Verbesserung der Mundgesundheit, die zu prozentual weniger Zahnlosigkeit führt [1, 2]. Da jedoch der Nachsorgeaufwand bei Teilprothesen groß ist und das häufigste Problem in einer mangelnden Stabilität sowie im Unterkiefer oft an einer geringen Retention liegt [3, 4], gilt es, Lösungsansätze für die sichere Prothesenverankerung zu entwickeln.
Zu diesen gehört die Pfeilervermehrung mit MDI Mini-Dental-Implantaten, die an strategisch wichtigen Positionen im Kiefer inseriert werden. Je weniger Pfeilerzähne vorhanden sind, desto schlechter ist die Prognose der Restbezahnung [5]. Dies liegt an der stärkeren Belastung des einzelnen Zahnes, die zu einer Fraktur bzw. erhöhten parodontalen Beweglichkeit und schließlich zu Zahnverlust führen kann. Durch die Insertion von Mini-Implantaten gelingt es, das Stützpolygon zu vergrößern und somit die Stabilität der Prothese zu erhöhen, Kippmomente zu reduzieren und die Belastung auf die natürlichen Pfeilerzähne zu vermindern. Die Folgen sind, nach unseren Erfahrungen, kurzfristig ein deutlich gesteigerter Patientenkomfort und langfristig ein längerer Erhalt der Restzähne. Hervorzuheben ist, dass Mini-Implantate im Vergleich zu konventionellen Implantaten einen geringeren chirurgischen und auch finanziellen Aufwand erfordern und sich somit auch für anamnestisch vorbelastete Patienten als Behandlungsoption eignen.
Planung zusätzlicher Pfeiler
Bisher bestand die Herausforderung vor allem darin, festzulegen, ob und wie viele (Mini-) Implantate notwendig sind, um die Stabilität und Retention einer Teilprothese zu verbessern. Vorhandene Klassifizierungssysteme zur Einteilung des Lückengebisses [6, 7] waren rein deskriptiv und erlaubten es nicht, direkte Empfehlungen zur Anzahl und Positionierung von Implantaten abzuleiten. Um Anwendern eine Entscheidungshilfe an die Hand zu geben, mit der die Ausgangssituation bewertet werden kann und ermittelt wird, an welchen Positionen MDI zu inserieren sind, wurde von einer Gruppe implantologisch tätiger Zahnärzte mit langjähriger MDI-Erfahrung, zu denen auch ich zähle, in Zusammenarbeit mit 3M ESPE und der Universität Greifswald ein Planungsschema entwickelt (Abb. 1 und 2). Dieses basiert auf der Empfehlung der implantologischen Gesellschaften, für herausnehmbaren Zahnersatz im zahnlosen Oberkiefer mindestens sechs, im Unterkiefer mindestens vier Implantate zu inserieren. Die Anzahl reduziert sich je nach Verfügbarkeit, Position und Wertigkeit verbleibender Zähne.
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Abb. 1: Planungsschema für die strategische Pfeilervermehrung bei Teilprothesen im Oberkiefer … Kollegentipp
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Abb. 2: … sowie im Unterkiefer.
Klassifikation und Planungsschema
Um die Komplexität zu reduzieren, wird bei der neu entwickelten Klassifikation für die Pfeilervermehrung mit MDI auf Quadranten-Ebene analysiert. Es werden für den Ober- und Unterkiefer jeweils sechs Klassen (Klasse 0 bis Klasse 5) unterschieden, denen die Wertigkeit verschiedener Zähne zugrunde liegt. Dabei wird angenommen, dass Frontzähne die geringste Wertigkeit haben, gefolgt von Prämolaren, Molaren und Eckzähnen mit der höchsten Wertigkeit. Je nach Klasse werden Empfehlungen für die Anzahl und Position strategischer und optionaler Implantate gegeben. Strategische Implantate dienen der Vergrößerung des Stützpolygons und stellen die Mindestanzahl der erforderlichen MDI dar. Optionale Implantate können je nach individuellem Fall zusätzlich inseriert werden, um potenzielle Schwachstellen, wie beispielsweise eine parodontale Schädigung der Pfeilerzähne oder erhöhte Belastungen durch festsitzenden Zahnersatz im Gegenkiefer, zu kompensieren. Klasse 0 beschreibt die Situation der Zahnlosigkeit, bei der analog zur Empfehlung der implantologischen Gesellschaften sechs strategische Mini-Implantate im Oberkiefer und vier im Unterkiefer inseriert werden müssen. Die gleiche Anzahl an strategischen Implantaten wird empfohlen, wenn lediglich Schneidezähne vorhanden sind (Klasse 1). Die Klassen 2 und 3 beschreiben eine Situation, in der der Eckzahn fehlt und Schneidezähne gegebenenfalls vorhanden sind, mit dem Unterschied, dass in Klasse 2 lediglich ein Zahn, in Klasse 3 mehrere Zähne ab Position 4 vorhanden sind. Demnach ist für Klasse 2 im Oberkiefer die Insertion von zwei, im Unterkiefer von einem strategischen MDI vorgesehen, Klasse 3 erfordert in beiden Kiefern maximal ein strategisches Mini-Implantat. Ist der Eckzahn vorhanden (Klasse 4 = ohne Zahn ab Position 4 / Klasse 5 = mindestens ein weiterer Zahn ab Position 4), so sind in beiden Kiefern keine strategischen Implantate mehr zu inserieren. Optionale Implantate können prinzipiell in allen Klassen sinnvoll sein, ihre Position und Anzahl ist jedoch je nach Patientenfall durch den behandelnden Zahnarzt individuell festzulegen. Der gesamte Ablauf beim Einsatz von MDI Mini-Dental-Implantaten in der Indikation der Pfeilervermehrung wird nachfolgend beispielhaft vorgestellt.
Patientenfall
Der Patient, Jahrgang 1940, wurde von seiner Ehepartnerin in unsere Praxis geschickt. Diese war zuvor mit Problemen mit ihrer alio loco angefertigten Teleskop-Prothese vorstellig geworden, da sie in einer Veranstaltung im Seniorenheim von der Therapieoption mit Mini-Implantaten erfahren hatte. Sie wurde aufgeklärt, dass auf die wenigen verbleibenden Zähne eine zu große Belastung einwirkte und Frakturen drohten, und anschließend wurden MDI Mini-Dental-Implantate inseriert. Da sie mit dem Behandlungsablauf sowie dem Ergebnis sehr zufrieden war, bat sie ihren Gatten, die Stabilität seiner teleskopgetragenen Oberkieferprothese auf drei natürlichen Pfeilerzähnen ebenfalls überprüfen zu lassen. In der Praxis wurde auch bei ihm eine geschwächte Struktur festgestellt. Besonders problematisch war die Tatsache, dass der Unterkiefer noch nahezu vollständig bezahnt war, denn das fehlende Gleichgewicht zwischen den beiden Kiefern birgt ein hohes Risiko für die Stabilität der Versorgung im Oberkiefer. Aufgrund der positiven Erfahrungen seiner Gattin mit dem minimalinvasiven Eingriff bei gleichzeitig geringem Kostenaufwand wurde entschieden, zur Verbesserung der Statik Mini- Implantate im Oberkiefer zu inserieren.
Implantationsplanung
Vorhanden waren die Frontzähne 11 und 21 sowie der Eckzahn 13 (Abb. 3). Dies entspricht laut Planungsschema der Klasse 4 im 1. Quadranten, in dem nur optional Mini-Implantate zu inserieren sind, und der Klasse 1 im 2. Quadranten. Hier sind wie im zahnlosen Kiefer drei strategische MDI zu planen. Um die Stabilität zu erhöhen und möglichst ein Gleichgewicht mit dem Gegenkiefer herzustellen, wurde entschieden, in regio 14 bis 15, soweit distal wie möglich, ein optionales Implantat zu positionieren. Aufgrund der geringeren Dichte des Knochens im Oberkiefer sind grundsätzlich Mini-Implantate mit einem größeren Durchmesser und aggressiverem Gewinde als im Unterkiefer zu wählen, im vorliegenden Fall wurden Implantate mit 2,4 mm Durchmesser und 13 mm Länge verwendet. Die exakte Planung der Implantatpositionen erfolgte anhand des Röntgenbildes unter Berücksichtigung der wichtigen anatomischen Strukturen – in diesem Fall der Lage der Kieferhöhle. Die geplanten Positionen wurden am Modell eingezeichnet und anschließend auf diesem eine Kugelschablone angefertigt. Die Stahlkugeln markierten dabei die Implantatpositionen. Durch Umarbeitung der Röntgenschablone entstand eine Bohrschablone, die für die intraorale Markierung der Implantatpositionen mittels Sonde eingesetzt wurde (Abb. 4).
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Abb. 3: Röntgenaufnahme der Ausgangssituation: Nach dem neuen Planungsschema handelt es sich um eine Klasse 4 im 1. Quadranten und Klasse 1 im 2. Quadranten.
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Abb. 4: Markieren der Implantationspositionen mit Schablone und Sonde.
Implantatinsertion
Da die distalen Implantate für die Stabilität der Versorgung die größte Bedeutung haben, wurden diese zuerst inseriert. Hierfür erfolgte im ersten Schritt eine Pilotbohrung (Abb. 5). Um die Kombination von natürlichen Zähnen und den einteiligen Mini-Implantaten zu ermöglichen, muss sich die Angulation des Bohrers an der Einschubrichtung der Teleskopkronen orientieren. Der Einmalbohrer wurde anschließend als Parallelisierungshilfe in dem Bohrloch belassen, die zweite Pilotbohrung vorgenommen (Abb. 6) und unter Einsatz zweier Parallelisierungshilfen ein Kontroll-OPG angefertigt (Abb. 7). Es folgte die Insertion der beiden distalen Implantate: Diese wurden, wie hier am Beispiel des zweiten distalen Implantats demonstriert, mit der Verschlusskappe der Sterilverpackung leicht in den Knochen eingedreht (Abb. 8) sowie nachfolgend mit Initialschraubendreher und Flügelschrauber jeweils so weit inseriert, bis ein spürbarer Widerstand wahrzunehmen war (Abb. 9 und 10). Zum Erreichen der endgültigen Position kam eine Drehmomentratsche zum Einsatz. Danach wurde das erzielte Drehmoment überprüft. An diesem orientiert sich die Zeitspanne, die für die Einheilung der Implantate vor deren Belastung eingeplant wird. Für die Indikation der Teilprothesenstabilisierung empfiehlt der Hersteller grundsätzlich eine verzögerte Belastung, bei der zunächst eine weichbleibende Unterfütterung der Prothese erfolgt. Nach eigenen Erfahrungen ist eine Sofortbelastung der MDI in einigen Fällen möglich, allerdings muss eine Überbelastung zwingend vermieden werden. Zu den Kriterien für die sofortige Belastung gehören eine ausreichend hohe Knochendichte (D1 bis D2) und eine erzielte Primärstabilität der Minis von 35 Ncm. Außerdem berücksichtigt werden muss die Anzahl und Verteilung der vorhandenen Pfeiler (natürliche Zähne oder eingeheilte Implantate), die Nähe der Mini-Implantate zu den Pfeilern (kurzer versus langer Hebelarm) und die Bezahnung des Gegenkiefers. Schließlich wurden die weiteren Implantate ebenfalls unter Einhaltung des gleichen chirurgischen Protokolls inseriert (Abb. 11 und 12). Abbildung 13 zeigt die röntgenologische Situation nach Implantation.
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Abb. 5: Pilotbohrung: Die Angulation orientiert sich an der Einschubrichtung der Teleskopkronen.
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Abb. 6: Eingesetzte Pilotbohrer als Parallelisierungshilfen.
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Abb. 7: Kontroll-OPG zur Überprüfung der Angulation der Pilotbohrungen.
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Abb. 8: Insertion des zweiten Implantats mit der Verschlusskappe.
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Abb. 9: Insertion mit Initialschraubendreher.
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Abb. 10: Verwendung des Flügelschraubers.
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Abb. 11: Insertion des dritten Implantats.
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Abb. 12: Situation nach erfolgter Implantation.
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Abb. 13: Röntgenologische Situation nach Implantatinsertion.
Umarbeitung des Zahnersatzes
Um die bestehende Prothese für die spätere Versorgung vorzubereiten, ohne die Implantate sofort zu belasten, wurde die Prothesenbasis mit Silikon ausgekleidet und vorsichtig auf die Köpfe der Implantate gedrückt, um deren Position zu markieren. Mit einem Bohrer wurden die Markierungen direkt auf der Prothesenbasis vorgenommen (Abb. 14) und anschließend Aussparungen in die Prothese gefräst, die mit weichem Unterfütterungsmaterial (SECURE Soft Reline Material, 3M ESPE) aufgefüllt wurden (Abb. 15). Zusätzlich wurde die gesamte Prothesenbasis mit diesem Material unterfüttert. Abbildung 16 zeigt die umgearbeitete Prothese nach dem erstmaligen Einsetzen. Nach drei Monaten wurden in der Praxis Abdrücke angefertigt und an das zahntechnische Labor geschickt, wo die Umarbeitung des Zahnersatzes durch Einarbeitung der Metallmatrizen erfolgte. Über diese wurde die Teilprothese auf den Mini-Implantaten verankert. Gummiringe (O-Ringe) in den Gehäusen sorgen für eine Abfederung der auf die Versorgung einwirkenden Kräfte (Soft-Loading-Konzept).
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Abb. 14: Übertragen und Markieren der Implantatpositionen in der Prothesenbasis.
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Abb. 15: Befüllen der ausgeschliffenen Prothesenbasis mit Unterfütterungsmaterial.
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Abb. 16: Prothese mit temporärer, weicher Unterfütterung.
Patientenfeedback
Obwohl der Patient die Stabilität seiner Teilprothese vor der Behandlung subjektiv als akzeptabel bewertete, berichtete er nach der Behandlung begeistert über einen festen Sitz ohne jegliche Kippbewegungen, an die er sich innerhalb der letzten sieben Jahre, in denen er den Zahnersatz trug, bereits gewöhnt hatte.
Fazit
MDI Mini-Dental-Implantate eignen sich für Senioren in besonderem Maße, da die durchmesserreduzierten Implantate sich in vielen Fällen ohne vorherigen Knochenaufbau in einem wenig belastenden Verfahren in den Kieferknochen einbringen lassen. Werden MDI zur Verankerung von Teilprothesen eingesetzt, so empfiehlt sich die Verwendung des neu entwickelten Planungsschemas, das dem Zahnarzt als Orientierungshilfe dient und ihn somit bei der Umsetzung einer strukturierten Vorgehensweise unterstützt. Ein Vorteil des Einsatzes von Mini-Implantaten als zusätzliche Pfeiler besteht darin, dass der bereits vorhandene Zahnersatz in vielen Fällen durch einfache Umarbeitung weiter verwendet werden kann. Unter Umständen ist in diesem Zusammenhang eine Verstärkung der Prothesenbasis sinnvoll. Eine enge Abstimmung der Vorgehensweise mit dem Zahntechniker ist deshalb zu empfehlen. Klinische Vorteile entstehen auch dadurch, dass die statische Situation im Patientenmund dank Insertion von Mini-Implantaten entscheidend verbessert wird – daraus resultiert gemäß unserer mittlerweile zwölfjährigen Erfahrung mit MDI eine deutlich verlängerte Lebensdauer des Zahnersatzes. Zusätzlich zu dem langfristigen Ansatz einer nachhaltigen Behandlung ist es nach eigenen Erfahrungen meist der schnelle und komplikationslose Weg zu einer gesteigerten Lebensqualität, der dazu führt, dass Patienten unsere Praxis weiterempfehlen.