Anästhesie

Die Kompensierung von Leitungs- und Infiltrationsanästhesie

Behandlung von Parodontopathien


Die häufigste zahnmedizinische Diagnose bei Patienten in der zweiten Lebenshälfte - fallweise aber auch schon früher - mit weitgehend erhaltenem Gebiss ist eine behandlungsbedürftige Parodontitis. Ursache sind bakterielle Beläge und zwar sowohl sub- als auch supragingival. Die Ansiedlung pathogener Keime primär im subgingivalen Bereich kann die bekannten Erscheinungen mit Entzündungen, Rückbildung des Gingivalsaums und des Parodontiums bis hin zum Zahnverlust auslösen [1]. Eine irreversible Schädigung des gesamten Desmodonts ist nicht auszuschließen.

Bei richtiger Indikationsstellung wird die nicht chirurgische Parodontitistherapie bei Taschentiefen bis 5 mm - und bei > 5 mm als Initialtherapie einer gegebenenfalls anschließenden offenen Kürettage - wegen ihrer hohen Erfolgsaussicht und ihres überschaubaren zeitlichen Aufwands als wirksame Methode zur Behandlung und Kontrolle der Parodontitis empfohlen. Der zahnmedizinische Behandlungsschritt dieses Therapiekonzeptes - Scaling und Root Planing - ist oft nur unter Schmerzausschaltung möglich, in der Regel durch Anästhesie des N. alveolaris inferior (Unterkiefer) und Infiltrationsanästhesie (Oberkiefer und Unterkieferfrontzahnbereich). Die Beeinträchtigungen des Patienten nach Abschluss der Therapie sind deutlich festzustellen und weitgehend durch die Lokalanästhesie verursacht.

Aus medizinischer Sicht wird die Behandlung aller vier Quadranten in einer Sitzung angestrebt. Wegen der Einschränkung, z. T. über mehrere Stunden, des Tast- und Temperaturempfindens, der Mastikation und der Artikulation und damit der Dispositionsfähigkeit ist dies unter den konventionellen Lokalanästhesie-Methoden dem behandelten Patienten kaum zumutbar.

Einleitung

Die systematische Behandlung der Parodontitis erfordert mehrere Schritte. Primär erfolgt die Beseitigung aller Anlagerungen an die Zahnhartsubstanz (supra- und subgingivales Debridement) und - wenn es angezeigt ist - eine antibiotische Behandlung möglicherweise vorhandener aerober und anaerober Keime. Bei richtiger Indikationsstellung wird allen Praktikern die nicht-chirurgische Parodontaltherapie als wirksame Methode zur Behandlung und Kontrolle der Parodontitis empfohlen. In Deutschland werden jährlich mehr als 700.000 systematische Behandlungen von Parodontopathien (geschlossenes Vorgehen) durchgeführt (KZBV Jahrbuch 2012).

Die Anwendung des Therapiekonzeptes „Scaling und Root Planing“ ist bei den meisten Patienten nur unter Schmerzausschaltung möglich, in der Regel durch eine Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior im Unterkiefer und Infiltrationsanästhesien im Oberkiefer und im Unterkiefer-Frontzahnbereich [17, 18, 31]. Nach Abschluss der Behandlung sind die Beeinträchtigungen des Patienten, die zu einem großen Teil durch die Lokalanästhesie verursacht sind, deutlich feststellbar. Die z. T. über mehrere Stunden anhaltende Einschränkung des Tast- und Temperaturempfindens, der Mastikation und der Sprache beeinträchtigen den behandelten Patienten deutlich. Lokalanästhesien wirken signifikant länger, als für die Behandlung - pro Quadrant 20 bis 30 Minuten - medizinisch erforderlich ist.

Im Rahmen eines evidenzbasierten Vergleichs verschiedener Lokalanästhesie-Methoden, die zur Schmerzausschaltung vor einer zahnärztlichen Behandlung [26-28] in Betracht kommen, stellte sich für den verantwortlichen Zahnarzt die Frage: Ist es möglich, die ILA auch als Lokalanästhesie-Methode vor einer systematischen Parodontitistherapie anzuwenden?

Die intraligamentäre Anästhesie vor PA-Behandlungen

  • Tabelle 1: Die durchschnittliche Sondierungstiefe bei 806 Zähnen betrug 4,75 mm.

  • Tabelle 1: Die durchschnittliche Sondierungstiefe bei 806 Zähnen betrug 4,75 mm.
Bei jedem in Betracht kommenden Patienten wurde der Parodontalstatus entsprechend den Vorgaben der KZBV festgestellt, die Sondiertiefen (ST) der Zahnfleischtaschen gemessen (Tab. 1) und auf dem standardisierten Formblatt dokumentiert. Fehlende Zähne wurden auf dem Schema durchkreuzt. Bei den 31 Patienten, bei denen eine systematische Behandlung von Parodontopathien (geschlossenes Vorgehen) angezeigt war, wurde die Anwendbarkeit der intraligamentären Anästhesie überprüft. Um eine für ein systematisches Scaling und Root Planing ausreichende Analgesie zu erreichen, sind alle Zähne eines Quadranten durch intraligamentale Injektionen zu anästhesieren.

Konform mit der Rechtsprechung [4, 15, 16, 23, 24, 32] wurde jeder Patient über den Befund und die angezeigte Behandlung aufgeklärt; die Alternativen wurden mit ihm besprochen. Entschied sich der Patient für eine konservative parodontale Therapie und stimmte dem vorgeschlagenen Verfahren (Scaling und Root Planing) zu, wurde weiterhin thematisiert, dass eine Lokalanästhesie sinnvoll sei und ob diese gewünscht wäre.

Alle Patienten wurden über mögliche Risiken und Nebenwirkungen der in Betracht kommenden Lokalanästhesie-Methoden Leitungs-, Terminal- und intraligamentäre Anästhesie aufgeklärt, speziell über das Risiko einer Nervläsion bei der Leitungsanästhesie [2, 3] und die Beeinträchtigungen des Tast- und Temperaturempfindens, der Mastikation und der Sprache noch Stunden nach Abschluss der Behandlung unter Leitungs- und/oder Infiltrationsanästhesie. Da diese Risiken bei der intraligamentären Anästhesie (ILA) nicht relevant sind, waren alle Patienten mit dieser - für sie neuen - Methode der Schmerzausschaltung einverstanden. Dies wurde dokumentiert.

  • Abb. 1: Dosierrad-Spritze ohne zwischengelagerte Hebel.

  • Abb. 1: Dosierrad-Spritze ohne zwischengelagerte Hebel.
Für die Injektionen ins Desmodont wurden handelsübliche Dosierrad-Spritzen (SoftJect) und Kanülen 0,3/12 mm ausgewählt [20]. Bei Dosierrad-Spritzen erfolgt die Kraftübertragung ohne zwischengelagerte Hebel über das Dosierrad direkt auf die integrierte Zahnkolbenstange und den Lochstopfen der Anästhetikum-Zylinderampulle und die damit verbundene Injektionsnadel (Abb. 1). Der Behandler kann dadurch den Injektionsdruck sehr genau den individuellen anatomischen Gegebenheiten des Patienten anpassen und ihn auch durch Zurückdrehen des Dosierrades wieder abbauen.

Injiziert wurde handelsübliche 4 %-ige Articainhydrochlorid-Lösung mit 1:100.000 Adrenalinzusatz, um im Gingivalsaum durch die intraligamentalen Injektionen eine deutliche Ischämie und damit eine geringere Blutungsneigung zu erreichen.

Die intraligamentalen Injektionen erfolgten nach dem veröffentlichten Stand der Zahnheilkunde [8, 9, 35]. Um eine sichere Führung der Kanülenspitze in den Sulcus zu gewährleisten, sollte bei der Injektion die freie Hand die Injektionsnadel am Übergang zum Injektionsapparat abstützen. Um keine unerwünschten Effekte zu generieren muss die Injektion bewusst langsam erfolgen, d. h. 0,1 ml Anästhetikum in ? 10 Sekunden. Pro Injektionspunkt waren 0,1 ml Anästhetikum zu applizieren.

  • Abb. 2: Das intraligamental injizierte Anästhetikum breitet sich intraossär aus.

  • Abb. 2: Das intraligamental injizierte Anästhetikum breitet sich intraossär aus.
Das Risiko des Auslösens einer Bakteriämie durch die intraligamentalen Injektionen und/oder das Scaling und Root Planing führte zum Ausschluss aller Patienten mit Endokarditisrisiko, dem Status nach einer Endokarditis sowie von Erkrankungen oder Ersatz von Herzklappen. In diesen Fällen kann eine Absiedlung von Bakterien aus dem Blut zu ernsthaften Komplikationen für den Patienten führen [8, 9].

Da für die anstehende systematische Behandlung von Parodontopathien jeweils ein ganzer Quadrant zu anästhesieren war, wurden die Erkenntnisse über die Ausbreitung des intraligamental applizierten Anästhetikums genutzt (Abb. 2). Das intraligamental injizierte Anästhetikum breitet sich sowohl entlang der Zahnwurzel als auch intraossär aus [7, 19, 25, 33] und desensibilisiert in der Regel auch die approximale Wurzel des Nachbarzahns. Zur Erreichung der Schmerzausschaltung eines ganzen Quadranten wurde folgendes Schema befolgt:

  • Die intraligamentalen Injektionen erfolgten immer im approximalen Bereich, sodass das injizierte Anästhetikum gleichzeitig die benachbarten Wurzeln und das umgebende Gewebe von zwei Zähnen anästhesierte.
  • Sukzessive, zahnüberspringende Schmerzausschaltung durch Applikation von jeweils 0,09 - 0,1 ml Anästhetikum pro Injektionspunkt in mindestens 10 Sekunden.
  • Beginnend im 1. Quadranten wurde die 1. Injektion - falls vorhanden - beim Zahn 18 distal durchgeführt. Die 2. Injektion erfolgte distal beim Zahn 16, danach beim Zahn 14 sowie beim Zahn 12 ebenfalls distal und dann beim Zahn 11 mesial.
  • Sofort anschließend wurde an den Injektionspunkten 18 mesial (= 17 distal), 16 mesial (= 15 distal), 14 mesial (= 13 distal), 12 mesial ebenfalls jeweils 0,09 - 0,1 ml Anästhetikum pro Injektionspunkt in mindestens 10 Sekunden injiziert (Tab. 2).

  • Tabelle 2: Schematische Darstellung der intraligamentalen Injektionen zur Schmerzausschaltung von angezeigten PA-Behandlungen.

  • Tabelle 2: Schematische Darstellung der intraligamentalen Injektionen zur Schmerzausschaltung von angezeigten PA-Behandlungen.
Das gegen den desmodontalen Gewebswiderstand ganz langsam applizierte Anästhetikum wird sukzessive vom dentalen Gewebe resorbiert [6] und desensibilisiert die zahnumgebenden Nervenendigungen und den Pulpanerv.

Zur Feststellung der Wirksamkeit der Schmerzausschaltung und ggf. von Schmerzen wurden Sensibilitätsprüfungen (Sondenstich und Kältetest) sofort nach Beendigung der intraligamentalen Injektionen durchgeführt, d. h. unmittelbar vor Beginn der Therapie. Zusätzlich wurden die Patienten über die Ausprägung der Anästhesie befragt.

Die Entfernung der subgingivalen Konkremente und die anschließende Wurzelglättung [21, 22] erfolgten mechanisch mit unterschiedlichen handelsüblichen Handinstrumenten (Scaler und Küretten). Zur Anwendung kamen zur supragingivalen Belagsentfernung, für die subgingivale Reinigung der Zahnflächen und für das Wurzelglätten Scaler und Gracey-Küretten. Fallweise erfolgte maschinelle Unterstützung mittels eines Ultraschallgeräts beziehungsweise eines Schallscalers, z. B. von KaVo (Air-Scaler).

Nach Abschluss der Behandlung des 1. Quadranten wurden die Zähne des 2. oder des 3. beziehungsweise 4. Quadranten anästhesiert und unverzüglich anschließend behandelt.

Die Patienten wurden nach Abschluss der Behandlung nochmals nach ihrem Befinden, speziell nach Nebeneffekten und festgestellten Beeinträchtigungen durch die intraligamentalen Injektionen/ intraligamentäre Anästhesie befragt. Sie wurden instruiert, bei jeglichem Anzeichen von Beeinträchtigungen oder Veränderungen ihres Befindens das Behandlungsteam sofort zu informieren. Alle Aspekte der durchgeführten intraligamentären Lokalanästhesien wurden patientenbezogen erfasst und ausgewertet.

Bei einem Recall nach etwa zwei Wochen wurde visuell überprüft, ob es nach der Behandlung (intraligamentäre Anästhesie und Parodontaltherapie) zu pathologischen Veränderungen gekommen ist. Die Befunde wurden dokumentiert.

Ergebnisse

In einem Zeitraum von 3 Monaten wurden 31 Fälle von nichtchirurgischen Parodontitistherapien dokumentiert: 20 Frauen (64,5 %) und 11 Männer (35,5 %); das Durchschnittsalter lag bei 51,3 Jahren (35 bis 64 Jahre).

Beim initialen Recall der Patienten innerhalb von 4 Wochen wurden keine pathologischen Befunde festgestellt, die eine Nachbehandlung erforderlich gemacht hätten.

Im Rahmen eines mit den Patienten vereinbarten Recalls wurde nach etwa sechs Monaten eine Überprüfung des individuellen Parodontalstatus vorgenommen. Bei diesem Recall längstens nach etwa sechs Monaten konnte festgestellt werden, dass der Heilungsprozess bei allen Patienten abgeschlossen war. Die behandelten Taschen waren vollständig verheilt, die Gingiva entzündungsfrei. Bei Überprüfung der initial gemessenen Sondierungstiefen (ST) wurde kein Attachmentverlust festgestellt. Die überprüften Sondierungen zeigten keine Blutungen oder Blutungsneigung.

Im Gegensatz zu der bisher verbreiteten Lehrmeinung, dass bei parodontal geschädigten Patienten intraligamentale Injektionen zu einer weiteren Gewebsschädigung führen, konnte festgestellt werden, dass sich diese Annahme wahrscheinlich auf die Erfahrungen mit den Druckspritzen, den in den 1980er Jahren ausschließlich zur Verfügung stehenden ILA-Spritzensystemen, z. B. den Pistolenspritzen und den Dosierhebelspritzen, stützt. Der Zustand des Parodontiums war bei allen 31 Patienten pathologisch unauffällig. Auch bei den Zähnen mit einer gemessenen Sondierungstiefe ? 8 mm konnte eine Verbesserung des Parodontalzustandes festgestellt werden. Die behandelten Taschen waren problemlos verheilt.

Bei den 31 Fällen von „quadranten-umfassenden“ intraligamentären Anästhesien erfolgte bei 27 Patienten die Therapie (Scaling und Root Planing) in 2 Sitzungen; bei 17 an zwei aufeinander folgenden Tagen und bei 10 innerhalb von 8 Tagen, wie dies in der Regel bei Behandlungen unter Infiltrations- und Leitungsanästhesie auch der Fall ist.

Die unter Leitungs- und Infiltrationsanästhesie für den Patienten kaum zumutbare Behandlung aller vier Quadranten in einer Sitzung wurde - aufgrund der gewachsenen Erfahrung des Behandlers mit der Methode der intraligamentären Anästhesie - vier Patienten vorgeschlagen und von diesen akzeptiert. In keinem Fall wurden seitens dieser Patienten nach Abschluss der Behandlung und Abklingen der Anästhesie Einschränkungen des Tast- und Temperaturempfi ndens, der Mastikation und der Artikulation angegeben bzw. festgestellt (Tab. 3).

  • Tabelle 3: Vier der dokumentierten 31 Fälle von systematischer Behandlung von Parodontopathien wurden in einer Sitzung durchgeführt.
  • Abb. 3: Dosierrad-Spritze in situ – der Gingivalsaum zeigt eine deutliche Ischämie.
  • Tabelle 3: Vier der dokumentierten 31 Fälle von systematischer Behandlung von Parodontopathien wurden in einer Sitzung durchgeführt.
  • Abb. 3: Dosierrad-Spritze in situ – der Gingivalsaum zeigt eine deutliche Ischämie.

Nach Abschluss der intraligamentalen Injektionen (pro Quadrant Gesamtdauer etwa 1:30 Minuten, appliziertes Anästhetikum etwa 0,85 ml) zeigte sich im gesamten Gingivalsaum eine deutliche Ischämie als Zeichen der vasokonstriktorischen Wirkung des Adrenalins (Abb. 3). Durch die erkennbare Ischämie des marginalen Parodonts sofort nach der intraligamentalen Injektion war die Blutungstendenz reduziert, aber durchaus gegeben.

Ohne Latenzzeit war nach Aussage der Patienten die Anästhesie nach Abschluss der intraligamentalen Injektionen sofort ausgeprägt, sodass die Behandlung unverzüglich beginnen konnte. Durch Sondierungen vor Beginn des Scalings wurde überprüft, ob das erreichte Niveau der Schmerzausschaltung - die Anästhesietiefe - für die beabsichtigte subgingivale Instrumentierung ausreichend war. Es bestand keine Korrelation zwischen Sondierungsund Anästhesietiefe. Die erreichte intraligamentäre Anästhesie war in allen Fällen ausgeprägt und für die indizierte Behandlung ausreichend tief. Sie wurde nach Aussage der Patienten nur als eine mechanische Bearbeitung ihrer Zähne wahrgenommen. Es gab keine Anästhesieversager, die Erfolgsquote diesbezüglich war 100 %. Die Anästhesiedauer betrug pro Quadrant etwa 30 Minuten; in dieser Zeit konnte die Behandlung problemlos durchgeführt werden, Nachinjektionen waren nicht erforderlich.

Injektionsschmerz wurde von 6 Patienten (19,4 %) registriert. Er wurde von den Patienten als leichter Einstichschmerz angegeben, der sofort nach Beginn der Applikation des Anästhetikums verschwunden war. Der Verbrauch an Anästhetikum für alle vier Quadranten betrug im Durchschnitt pro Patient 3,35 ml. Dieser - im Vergleich mit Leitungs- und Infi ltrationsanästhesie - geringe Verbrauch an Anästhetikum erklärt sich durch die nur geringe Injektionsmenge von circa 0,1 ml Anästhetikum pro Injektionspunkt, d. h. 36 Injektionspunkte bei einem vollständig erhaltenen Gebiss.

Von keinem Patienten wurden nach Abklingen der Anästhesie Druckschmerz oder andere unerwünschte Effekte festgestellt. Dieses Ergebnis steht wahrscheinlich im direkten Zusammenhang mit der bewusst langsamen intraligamentalen Injektion des Anästhetikums (0,1 ml in ? 10 Sekunden).

Die von 6 Patienten (19,4 % der Fälle) angegebene Einschränkung des Tast- und Temperaturempfindens und der Mastikation für etwa eine Stunde nach Abschluss der Behandlung ist vergleichbar dem bekannten, methodenimmanenten Effekt bei der Leitungs- und Infiltrationsanästhesie, d. h. Taubheit von Wangen, Kiefer und Zunge sowie der Einschränkung der Artikulation und Mastikation - jedoch bei diesen Anästhesiemethoden von wesentlich längerer Dauer. Bei 25 Patienten (80,6 % der Fälle) wurde keine Einschränkung festgestellt. Bei vier dieser 25 Fälle erfolgte die Behandlung aller 4 Quadranten in einer Sitzung.

Nebeneffekte oder Beeinträchtigungen wie Druckschmerz beziehungsweise Elongationsgefühl, Herz/Kreislauf-Belastung, Taubheit von Zunge, Kiefer und Wange oder allgemeine Beeinträchtigungen wurden weder diagnostiziert noch von den Patienten genannt. Bei den durchgeführten Recalls wurden keine pathologischen Befunde diagnostiziert.

Risikobewertung der intraligamentären Anästhesie

Mit Blick auf die bei der intraligamentären Anästhesie (ILA) anzuwendende Technik der Injektion des Anästhetikums ins Desmodont ist das Risiko einer Bakteriämie, d. h. durch diagnostische und therapeutische Maßnahmen verursachtes Einschleppen von Keimen in die Blutbahn, detailliert zu bewerten. Glockmann und Taubenheim (2002 und 2010) benennen - gestützt auf die relevanten Veröffentlichungen - die zahnmedizinischen Maßnahmen, die gravierende Bakteriämien auslösen können: Extraktionen, zahnchirurgische Eingriffe, parodontale Eingriffe, Zahnsteinentfernung, endodontische Maßnahmen, die intraligamentäre Anästhesie und alle Maßnahmen, die im Sulcusbereich eine Blutung provozieren können [8, 9].

Beim Gesunden mit funktionsfähiger Abwehr werden die Mikroorganismen durch Mikro- und Makrophagen innerhalb von Minuten eliminiert, sodass eine Vermehrung im Blut oder eine Absiedlung in Organen in der Regel auszuschließen ist [1, 6, 8]. Anders ist die Situation bei eingeschränkter Infektionsabwehr, reduziertem Allgemeinzustand und Erkrankungen mit Infektionsgefährdung bei vorhandener Vorschädigung. In solchen Fällen sind zur Vermeidung von Bakteriämien angemessene Vorbereitungen zu treffen. Besondere Vorsicht gilt bei Vorliegen einer Endokarditis, dem Status nach einer Endokarditis sowie von Erkrankungen oder Ersatz von Herzklappen, da in diesen Fällen eine Absiedlung von Bakterien aus dem Blut zu ernsthaften Komplikationen für den Patienten führen kann.

1986 und 1987 veröffentlichten Rahn et al. die Ergebnisse ihrer Untersuchungen zur Thematik von Bakteriämien nach intraligamentärer/intradesmodontaler Anästhesie. Im Verlauf der Studien stellten sie fest, dass die Häufigkeit der Bakteriämie bei Anwendung großer Injektionskräfte signifikant anstieg. Sie verwendeten für die 50 dokumentierten Fälle ein handelsübliches Ligmaject-Instrument (Pistolenspritze), das mit einem Gerät zur Messung und Registrierung der auf den Spritzenkolben wirkenden Kraft verbunden war [29, 30]. Bei 30 von 50 Patienten wurden in 3 Minuten nach intradesmodontaler Injektion entnommenen Blutproben Bakterien gefunden. Die Häufigkeit der Bakteriämie nach intradesmodontaler Anästhesie liegt damit in der gleichen Größenordnung wie bei Zahnsteinentfernungen [13].

Die dokumentierten und ausgewerteten Ergebnisse der vorliegenden Studie zeigen, dass es durch systematische intraligamentale Injektionen mit Injektionssystemen ohne zwischengelagerte Hebel, z. B. Dosierrad-Spritzen vom Typ SoftJect, ohne unerwünschte Effekte, möglich ist, für den zu behandelnden Quadranten eine Analgesie zu erreichen, die die Anforderungen für die nichtchirurgische subgingivale Instrumentierung (systematische Behandlung von Parodontopathien, Sondierungstiefe ? 3,5 mm) erfüllt, ohne dass es zu histologischen Veränderungen kommt.

Das Risiko einer Bakteriämie durch die intraligamentale Injektion ist sicher nicht größer zu bewerten als durch die Maßnahmen, die im Sulcusbereich durchgeführt wurden und die zu den bekannten Blutungen führen [34].

Praktische Aspekte intraligamentaler Injektionen

  • Tabelle 4: Bei intraligamentaler Anästhetikum-Applikation erfolgt der Wirkungseintritt ohne Latenz. Die Anästhesiedauer beträgt etwa 30 Minuten.

  • Tabelle 4: Bei intraligamentaler Anästhetikum-Applikation erfolgt der Wirkungseintritt ohne Latenz. Die Anästhesiedauer beträgt etwa 30 Minuten.
Die erforderliche Injektionszeit pro Quadrant setzt sich aus der notwendigen Zeit für die Infi ltration pro Injektionspunkt und für die Umpositionierung der Injektionsnadel zusammen. Da der Anästhesieeffekt ohne Latenz eintritt, kann nach Abschluss der intraligamentalen Injektionen sofort mit der Behandlung begonnen werden (Tab. 4).

Die Anästhesiedauer [5, 8, 10, 36] beträgt bei der intraligamentären Anästhesie etwa 30 Minuten; durch den Zusatz von Vasokonstringentien erfolgt eine Verlängerung der therapeutischen Nutzzeit des applizierten Lokalanästhetikums, weshalb handelsübliche 4 %-ige Articainhydrochlorid-Lösung mit 1:100.000 Adrenalinzusatz injiziert wurde.

Der Verbrauch an Anästhetikum bei intraligamentärer Lokalanästhesie ist mit durchschnittlich 3,35 ml pro Patient für alle vier Quadranten bei den dokumentierten 31 Fällen im Vergleich mit den erforderlichen Mengen für die Leitungs- und die Infiltrationsanästhesie sehr gering. Die Gefahr einer systemischen Reaktion aufgrund der geringeren Menge des Wirkstoffs ist reduziert. Damit eröffnet das angewandte Schema intraligamentaler Injektionen auch für Risikopatienten eine Behandlungsalternative, die in dieser Studie wegen der nicht vorhandenen Erfahrungen noch ausgeschlossen werden mussten.

Das vor allem bei der Leitungs- aber auch bei der Infiltrationsanästhesie vorhandene Risiko von Gefäß- und Nervläsionen ist bei intraligamentalen Injektionen weitgehend ausgeschlossen; bei Injektionen in das Ligamentum circulare via Sulcus gingivalis sind versehentliche intravasale Injektionen und Nervläsionen nicht möglich [35].

Es kann davon ausgegangen werden, dass eine Behandlung des 3. und 4. Quadranten in derselben Sitzung unter Leitungsanästhesie zusätzlich zu einer vollständigen Behandlung des Oberkiefers unter Terminalanästhesie zu deutlichen Einschränkungen der Dispositionsfreiheit der Patienten geführt hätte. Gründe hierfür wären die bekannten - und nicht gewünschten - Effekte, wie lang anhaltende Taubheit von Zunge, Lippe und Wange sowie Behinderung der Artikulation und Mastikation.

Zur Vermeidung von Gewebsschädigungen wie Drucknekrosen empfi ehlt sich die Verwendung sensibler Instrumentarien ohne zwischengelagerte Hebelsysteme, z. B. von Dosierradspritzen und systemadaptierter Kanülen mit extrakurzem Anschliff [20]. Die Ursache von Drucknekrosen liegt mit hoher Wahrscheinlichkeit in der zu schnellen Injektion des Anästhetikums und damit dem zu hohen Injektionsdruck. Während der Injektion wird ein Flüssigkeitsvolumen in einen Raum gepumpt, der bereits vollständig ausgefüllt ist. Da Flüssigkeiten nicht kompressibel sind, kommen primär nur eine Dehnung des Alveolarfaches oder eine Verlagerung des parodontalen Flüssigkeitspolsters nach Art eines hydraulischen Druckausgleichs in Betracht [12], was auch zu einer Gewebebeeinträchtigung führen kann.

Für den Patienten bedeutet die Parodontitis-Behandlung unter intraligamentärer Anästhesie eine deutlich geringere Belastung. Der Behandler hat die Sicherheit einer sofort einsetzenden, tiefen Anästhesie, keine Latenzzeit und nicht die bekannte Möglichkeit von Anästhesieversagern, die bei der Leitungsanästhesie mit 15 - 20 % angegeben wird [5, 10].

Schlussfolgerungen

Wird unter kontrollierten Bedingungen Anästhetikum ins parodontale Ligament appliziert (intraligamentäre Anästhesie) ist es möglich, eine für nichtchirurgische systematische Behandlungen (geschlossenes Vorgehen) von Parodontopathien (supra- und subgingivales Debridement) ausreichende Analgesie zu erreichen. Sie kann als Alternative zu den konventionellen Methoden der Lokalanästhesie - Leitungs- und Infiltrationsanästhesie - betrachtet werden. Die beschriebene Methode eröffnet die Möglichkeit einer Behandlung aller vier Quadranten in derselben Sitzung ohne Beeinträchtigung der Dispositionsfähigkeit der Patienten (Einschränkung des Tast- und Temperaturempfindens sowie von Mastikation und Sprache) nach Abschluss der Behandlung.

Die intraligamentäre Anästhesie ist, wenn das Anästhetikum druckkontrolliert appliziert wird, z. B. mit Dosierrad-Spritzen, eine wirkungsvolle Methode der Schmerzausschaltung auch vor der indizierten Behandlung von Parodontopathien bei geschlossenem Vorgehen. Mit einer weiteren Schädigung des Parodontiums ist bei der Verwendung optimal geeigneter Instrumente, dem Einsatz bewährter Anästhetika mit angemessenem Adrenalinzusatz, z. B. Ultracain D-S forte, und sicher beherrschter, lege artis durchgeführter intraligamentaler Injektionen nicht zu rechnen.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Lothar Taubenheim - Dr. Markus Prothmann

Bilder soweit nicht anders deklariert: Lothar Taubenheim , Dr. Markus Prothmann