Biologische Breite und Gewebetyp – was steckt dahinter?

Die biologische Breite und der genetisch bedingte Gewebetyp variieren stark zwischen Patienten. Zusammenhänge zwischen Gestalt und Abmessungen von Weichgeweben, Zähnen und Alveolarknochen sind nur schwer nachzuweisen. Entsprechend müssen therapierelevante Merkmale für jeden Patienten individuell ermittelt werden. Der zweite Teil dieses Beitrags benennt Konsequenzen für die implantatprothetische Versorgung.
Die biologische Breite und der gingivale Phänotyp („Biotyp“) haben sich als relevante Parameter für die implantologische Planung erwiesen. Nur wenn Qualität und Dimensionen der periimplantären Gewebe richtig eingeschätzt werden, kann die Therapie erfolgreich sein. Aus Sicht des Behandlers wäre es ideal, wenn wenige leicht zu bestimmende Merkmale oder Messwerte zuverlässig mit einem bestimmten Behandlungsprotokoll verknüpft werden könnten. Ein häufig praktiziertes Beispiel ist die Kombination „dicker Gewebetyp“ und „Sofortimplantation“.
Die klinische Wirklichkeit ist jedoch weit komplexer. Diese Tatsache wird in aktuellen Empfehlungen von Fachgesellschaften berücksichtigt, nach denen vor Therapiebeginn eine stattliche Faktorenzahl zu dokumentieren ist (Abb. 1). Dazu gehören auch allgemeinmedizinische, mundhygienebezogene und prothetisch-funktionelle Aspekte [1, 2]. Der vorliegende Artikel konzentriert sich auf die im ersten Teil (DENT IMPLANTOL 17, 5, 386- 389 (2013)) diskutierten lokalen Faktoren.
Positionierung im Verhältnis zum Knochen
Die biologische Breite entspricht der Distanz vom krestalen Knochenrand bis zum Boden des periimplantären Sulkus. Um Implantate ist sie in der Regel etwas größer als um natürliche Zähne. Die Bedeutung dieser Dimension wird in einer grundlegenden Tierstudie deutlich [3]. Das periimplantäre Bindegewebe wurde auf einer Kieferseite vor Aufschrauben der Abutments auf einen Wert von 2 mm oder darunter reduziert. Sechs Monate später hatte die Bindegewebsdicke auf der Testseite wieder zugenommen und entsprach etwa derjenigen der Kontrollseite – auf Kosten des Alveolarknochens, der oberflächlich resorbiert worden war.
In der Regel genügen im Bereich der mittig-bukkalen Gingiva die viel zitierten 3 mm Abstand vom alveolären Knochenrand zum Rand einer geplanten implantatgetragenen Krone. Dieser sollte etwa auf Höhe des Gingivarandes liegen [4]. Approximal liegt dieser Wert mit bis zu 4,5 mm je nach Patient höher [5]. Vor allem in der US-amerikanischen Literatur wird auf die Bedeutung eines angemessenen Abstands hingewiesen, damit die vorgegebene Höhe der suprakrestalen Weichgewebe nicht verletzt wird. Im Zweifel empfehlen Autoren eine orthodontische Extrusion oder auch eine chirurgische Kronenverlängerung durch Kürzung des Knochenrandes [6].
Bei der vertikalen Positionierung der Implantatschulter sind auch die Empfehlungen der Implantatanbieter zu beachten. Je nachdem, ob der Halsbereich des Implantats gestrahlt-geätzt (mikrorau), weichgewebsfreundlich geätzt (reduziert mikrorau) oder glatt-maschiniert ist, werden unterschiedliche Insertionstiefen empfohlen. In der Regel wird für zweiteilige Implantate ohne transgingivalen Halsanteil („Tulpe“) eine äqui- oder leicht suprakrestale Positionierung im Bereich des bukkalen Knochenrandes angegeben (Abb. 2). Dies entspricht approximal meist einer subkrestalen Lage. Für einige Implantattypen mit konischer Verbindung wird auch im Verhältnis zum bukkalen Knochenrand eine leicht subkrestale Position empfohlen [7].
In der klinischen Realität kann es jedoch schwierig sein, ideale Distanzen und eine optimale Lage der Implantatschulter zu erreichen. Schwierigkeiten bereitet häufig schon eine unregelmäßige Knochenmorphologie im Implantationsbereich oder eine individuell unterschiedliche Ausprägung der biologischen Breite. Als Orientierung dient nach Möglichkeit die Schmelz-Zementgrenze benachbarter Zähne. Bei Rezessionen oder reduziertem Knochenniveau können die Ränder von ideal aufgestellten oder aufgewachsten Kronen in einer Implantatschablone verwendet werden [8].
Individuelle Anatomie
Auf das Langzeitergebnis wirkt sich wahrscheinlich auch die individuell unterschiedliche Anatomie von Knochen und Weichgeweben aus, ohne dass entsprechende Zusammenhänge hinreichend geklärt wären. So sprechen Studien an natürlichen Zähnen dafür, dass die orovestibuläre Breite der Weichgewebe über dem Alveolarknochen im approximalen Bereich [9] und die krestale Höhe des Alveolarknochens [10] die Ernährung und damit die Kontur der marginalen Gingiva bestimmen. Dies ist insbesondere für die Papillenpräsenz von Bedeutung, die von Patienten kritisch bewertet wird [11]. Auch der Abstand zwischen alveolärem Knochenniveau und dem Kontaktpunkt der Kronen bestimmt die Frage, ob eine Interdentalpapille zu erwarten ist oder nicht [12].
Diese Beobachtungen lassen sich zumindest teilweise auf periimplantäre Gewebe übertragen. Wenn einer oder mehrere dieser Faktoren ungünstig ausfallen, zum Beispiel ein niedriges Knochenniveau mit ungünstiger Konturierung im Verhältnis zu geplanten Restaurationen, ist in Bezug auf die Weichgewebe ein nicht optimales Ergebnis zu erwarten [13]. Die biologische Breite lässt sich in diesen Fällen nur nutzen, wenn ein benachbarter natürlicher Zahn mit ausreichendem Knochenniveau vorhanden ist. Dieses bestimmt die Ausbildung der periimplantären Gewebe auf der entsprechenden Seite [14].
Der optimale Abstand zwischen einem Implantat und einem Zahn (Zahnwurzel) richtet sich nach der Insertionstiefe des Implantats und sollte etwa 3 mm betragen [15]. Bei zwei benachbarten Implantaten spricht die bessere Ernährung des Knochens mit Blutgefäßen ebenfalls für eine Distanz von mindestens 3, besser 4 mm [16, 17]. Dieser Wert lässt sich nicht immer realisieren. Für eine minimale bukkale Knochendicke, die ein gutes ästhetisches Ergebnis gewährleistet, gibt es noch keine Evidenz [17].
Besondere ästhetische Probleme können bei dünner Gingiva, feiner geschwungener („skaloppierter“) Knochenkontur und schmalen Zähnen auftreten. Dies gilt auch, wenn das Implantat einzeln zwischen natürlichen Zähnen inseriert werden soll. Grund dafür ist, dass nach Extraktionen das hohe, grazile Knochenseptum häufi g resorbiert und dadurch der Abstand zum relativ weit koronal gelegenen Kontaktpunkt relativ groß wird [18].
Diese Beobachtung lässt sich rein morphologisch erklären, da im Gegensatz zu schmalen Zähnen bei quadratischen Zähnen der Abstand vom Knochenrand zum Kontaktpunkt geringer ist und zudem eine fehlende Papille prothetisch leichter ausgeglichen werden kann (Abb. 3).
Timing der Implantation
Gewebebezogene Merkmale beeinfl ussen auch das geplante chirurgische Protokoll, wie zum Beispiel den Zeitpunkt der Implantation und die Art der Einheilung. In Bezug auf den Weichgewebs- Phänotyp (Biotyp) spricht Vieles dafür, dass bei zartem Gewebe, also durch den Sulkus sichtbare Parodontalsonde [19] besondere Vorsicht geboten ist. Sofortimplantationen bei dünner Gingiva sind daher, wenn überhaupt, nur für sehr erfahrene Implantologen zu empfehlen [20, 21].
Bei simultaner Augmentation des Jumping Gap und wenn das Weichgewebe gleichzeitig mit einem Bindegewebstransplantat verdickt wird, kann das ästhetische Ergebnis aber ebenso günstig ausfallen wie bei Patienten mit angeborenem dickem Biotyp [22-24].
Prothetische Versorgung
Mithilfe individualisierter Aufbauten lassen sich implantatgetragene Versorgungen heute so gestalten, dass sie den biologischen Anforderungen entsprechen. Der Verlauf des Restaurationsrandes kann sehr gut auf die Gingivakontur abgestimmt werden, so dass subgingivale Kronenränder die biologische Breite nicht gefährden. Wenn bereits bei der Implantation das definitive Abutment eingesetzt wird („one abutment, one time“), lassen sich die periimplantären Weichgewebe zusätzlich schonen und ein langfristig stabiles, ästhetisches Ergebnis wird begünstigt [25].
Andererseits entspricht der aus Implantat, Abutment und darauf fixierter Krone gebildete Komplex nie der Form und Dimension des verloren gegangenen natürlichen Zahnes. Arnold Weisgold, ein sehr erfahrener US-amerikanischer Parodontologe, weist darauf hin, dass sich der Zustand periimplantärer Weichgewebe häufig erst viele Jahre nach der Versorgung verschlechtert.
Dies und die damit verbundenen ästhetischen Probleme führt er einerseits auf den unnatürlichen kreisförmigen Implantatquerschnitt zurück. Andererseits spielt nach Weisgolds Meinung der infolge der Extraktion zerstörte parodontale Faserapparat eine Rolle, der die Papille zwischen zwei Implantaten nicht mehr angemessen unterstützen kann [26].
Fazit und Ausblick
Vor implantatprothetischen Versorgungen ist eine sorgfältige Diagnostik mit Risikobewertung zu empfehlen. Das gilt besonders im ästhetisch kritischen Bereich. Da die anatomischen Verhältnisse und die Dimensionen von Hart- und Weichgeweben bei jedem Patienten unterschiedlich sind, können keine einfachen Empfehlungen formuliert werden.
Einige Richtwerte und Mindestabstände erleichtern jedoch die tägliche Arbeit und helfen, die komplexen Zusammenhänge besser einzuordnen. Evidenzbasierte Leitlinien für eine gewebeorientierte Implantologie lassen noch auf sich warten, verfügbare Risiko-Klassifikationen sind aber ein großer Schritt in diese Richtung.