Emdogain für die erfolgreiche Regeneration

20 Jahre Straumann Emdogain®: Seit fast zwei Jahrzehnten ermöglichen Schmelzmatrixproteine den Wiederaufbau aller Strukturen des Parodonts. Der versierte Parodontologe und Implantologe Dr. med. dent. Jochen Tunkel stellt im Gespräch mit Zahnärztin und Fachjournalistin Dr. med. dent. Aneta Pecanov-Schröder das effizient anwendbare und in der Praxis bewährte Verfahren mit dem Präparat dar und veranschaulicht an einem Fallbeispiel die Vorteile bei intraossären Defekten.
„Emdogain begeistert mich!“, bringt es Dr. Jochen Tunkel auf den Punkt. „Denn endlich gibt mir das Verfahren mit Schmelzmatrixproteinen die Möglichkeit, innerhalb der Parodontologie Gewebe wiederaufzubauen, also regenerativ, statt reduzierend zu behandeln, wie es in der Parodontitistherapie in der Regel geschieht. Das lässt sich unseren Patienten positiv vermitteln!“
Der im ostwestfälischen Bad Oeynhausen mit Dr. Carolin Tunkel, Fachzahnärztin für Kieferorthopädie, in spezialisierter Praxis niedergelassene Parodontologe und Implantologe kennt die Vorteile von Emdogain aus eigener Erfahrung seit rund sieben Jahren. „Die Technik ist im Vergleich zu Membranen sehr viel leichter und in der Praxis effizienter anzuwenden, die Wundheilung verläuft komplikationslos, es kommt sehr selten zu Dehiszenzen, wie sie bei Membranen deutlich häufiger zu sehen sind und die Therapie mit Emdogain ermöglicht stabile Ergebnisse bei der Knochenregeneration auch bei tiefen vertikalen Defekten. Für mich ist das zusammen mit Rezessionsdeckungen der schönste Bereich innerhalb der Parodontologie.“
Meilenstein aus Schweden
Seinen Ursprung fand Emdogain in einer hervorragenden Idee: Ende der 1980er Jahre nutzten Prof. Dr. Lars Hammarström (Karolinska Institut, Stockholm, Schweden) und sein Team ein Schmelzmatrixderivat (Enamel Matrix Derivative – EMD, ein Proteinextrakt aus nicht durchgebrochenen porcinen Zahnknospen), um in einem Parodontitismodell am Affen die natürlichen Prozesse der Zahnentwicklung nachzubilden. Das Bahnbrechende: Es gelang, einen voll funktionsfähigen Zahnhalteapparat wiederherzustellen [6-8].
Tunkel: „Es gab und gibt verschiedene Ansätze, Wachstumsfaktoren in der regenerativen Therapie einzusetzen. Sie alle haben sich in Studien nicht bewähren können und sind nicht zur Marktreife gelangt. Zum ersten Mal konnte man mit einem Wachstumsfaktor etwas erreichen, das war etwas Besonderes!“
Der biologische Ansatz zur parodontalen Regeneration des Forscherteams um Hammarström kam also einer wahren Revolution auf dem Gebiet der Parodontologie gleich und führte bald zu ersten klinischen Studien sowie der Entwicklung des Präparates Emdogain, einem Komplex aus nativen Proteinen wie Amelogenin (ca. 90 %) und Ameloblastin. Emdogain wurde 1996 von der schwedischen Firma biora eingeführt und wird seit der Firmenübernahme durch Straumann im Jahr 2003 unter dem Dach des Unternehmens hergestellt. Inzwischen ist Straumann Emdogain ein gut erforschtes und einfach anzuwendendes Gel: Mehr als 500 Humanstudien über 950 Peer-Review-Publikationen zum Produkt, darunter 10-Jahres-Daten und human-histologische Untersuchungen, gibt das Unternehmen als Referenz an. Emdogain enthält Schmelzmatrixproteine aus embryonalen, porcinen Zahnkeimen gelöst in einer Propylenglykolalginat-Trägersubstanz. Eine Immunreaktion beim Menschen wurde bislang nicht beschrieben und gilt pharmakologisch als ausgeschlossen.
Wirkungsweise von Emdogain
Schmelzmatrixderivate, also EMD, ahmen die natürliche Umgebung des sich entwickelnden Gewebes nach. Das führt im Sinne eines Mimikrys zur natürlichen Stimulation für Zelldifferenzierung und Zellreifung sowie zur Geweberegeneration [6-9, 21]. Die Amelogenine in EMD initiieren die Neubildung von zellfreiem Zement. Es ist der Verdienst u. a. von Prof. Dr. Anton Sculean, die zellulären Effekte von Emdogain am Menschen nachgewiesen zu haben. In einer ersten Studie von Sculean zur Wirkungsweise von Emdogain zeigte sich histologisch sechs Monate postoperativ neu gebildetes Gewebe wie Zement mit Kollagenfasern und in den meisten Fällen auch Knochen [19, 23-25].
Die Wiederherstellung aller Strukturen des Parodonts beginnt unmittelbar nach der Applikation. Die Proteine schließen sich zu einer unlöslichen Matrix zusammen, die bis zu vier Wochen auf der Wurzeloberfläche nachweisbar ist und in diesem Zeitraum die Bildung von Wurzelzement vermittelt. Die Auffüllung des Knochendefekts erfolgt in den darauf folgenden Monaten und setzt sich bis zu drei Jahren fort [1, 21]. In der ersten Phase der Wundheilung wirkt Emdogain antibakteriell und begünstigt eine deutlich schnellere Fibroblastenanhaftung an die Wurzeloberfläche. Dadurch werden Anlagerung von Zellen, Umbau und Konsolidierung von Gewebe und Proliferation gefördert, es entsteht ein neues parodontales Attachment [1, 2, 11-14, 17, 18, 29]. Die „biologische Reifung“ des Knochendefektes kann bis zu drei Jahre in Anspruch nehmen [21].
Indikation und Ablauf
Nach Herstellerangaben sind die aktuellen Indikationsbereiche für Emdogain:
- 1- bis 3-wandige intraossäre Defekte
- Mandibuläre Furkationsdefekte (Grad-II-Furkation)
- Rezessionsdefekte
„Vertikale Knochendefekte sind aktuell das Haupteinsatzgebiet für Emdogain in meiner Praxis, gefolgt von Rezessionen und Furkationen“, gibt Tunkel an und erklärt: „Damit die regenerative Maßnahme an einem Furkationsdefekt klinisch sinnvoll ist, sollten sie idealerweise über 3 mm horizontal zugänglich, jedoch noch nicht durchgängig sein. Darüber hinaus sollte der approximale Knochen nicht unter dem Furkationsdach liegen. Dieses ‚Ideal‘ ist selten. Doch mehr und mehr habe ich gesehen, dass ich mit Emdogain stark in der Prognose eingeschränkte und sogar „hoffnungslose“ Zähne erhalten kann, daher habe ich die Einsatzgebiete erweitert.“
Der erfahrene Parodontologe ist überzeugt, dass der Erfolg von Emdogain sehr stark von der Fallauswahl abhängt, der einer umfassenden und genauen Parodontaldiagnostik und -therapie mit Erhebung des Plaque- Indexes und eines klinischen Parodontalstatus sowie dem Anfertigen von Röntgenaufnahmen vorausgeht. Er fasst zusammen: „Es sollten mehrwandige Defekte sein, die mindestens 3-4 mm tief sind. Die Compliance des Patienten, z. B. die Mundhygiene des Patienten, muss stimmen. Vor Beginn der regenerativen Therapie sollten die Gewebsstrukturen entzündungsfrei und gesund sein.“ Der Risikofaktor Rauchen ist für Tunkel „das am stärksten einschränkende Kriterium“, schließe jedoch eine regenerative Parodontaltherapie nicht aus, „sofern alle anderen Parameter stimmen“ [22]. Eine gute Patientenführung, die die gute Mundhygiene etabliert und aufrechterhält „ist das A und O für den Langzeiterfolg der Regeneration“.
In der Regel setzt der Parodontologe und Implantologe Emdogain in Kombination mit autologem Knochen ein, bei größeren, also nicht raumhaltenden Knochendefekten, nutze er bovines Knochenersatzmaterial. So wird der Defekt stabilisiert und das Weichgewebe kollabiert nicht in den knöchernen Defekt. Grundsätzlich hält der versierte Oralchirurg die Technik für weitaus weniger techniksensibel als beispielsweise die Membrantechnik. Zu Beginn seiner Facharztausbildung galt sie als Goldstandard, und Emdogain war ganz neu auf dem Markt. Der versierte Zahnmediziner verfolgte die Studienlage um Emdogain herum und setzt inzwischen die Technik regelmäßig in seiner Praxis ein. „Von der chirurgischen Grundtechnik zählt es zu den einfacheren Verfahren“, legt sich Tunkel fest. Gleichwohl müsse ein stabiler Nahtverschluss erreicht werden, damit die Wunde ungestört ausheilen kann.
Falldarstellung
Eine 54-jährige Frau wurde von ihrem Hauszahnarzt in die Praxis Dres. Tunkel, u. a. zur Implantattherapie im Oberkiefer, überwiesen. Darüber hinaus sollte versucht werden, Zahn 37 zu erhalten. Bei der klinischen Untersuchung stellte sich distal ein bis zur Wurzelspitze reichender intraossärer Defekt dar (Abb. 1). Die Entscheidung fiel auf die Therapie mit Emdogain, da sie im Vergleich zu Membranen weniger techniksensitiv durchführbar ist und die Gefahr einer Membranexposition entfällt. Darüber hinaus war bei der regenerativen Parodontitistherapie mit Emdogain mit einer komplikationslosen Wundheilung zu rechnen. Das Ergebnis vorneweg: Es kam zu einer vollständigen Knochenregeneration des tiefen Defektes.
-
Abb. 1: Ausgangssituation in regio 37; Zustand nach subgingivalem Debridement ca. 8 Wochen zuvor. (Abbildungen 1 bis12: Dr. Jochen Tunkel, Bad Oeynhausen)
-
Abb. 2: Sulkuläre Schnittführung in regio 36 und 37 mit Entlastungsinzision in regio 36 mesial und entlang der linea obliqua (simultane Knochenblockentnahme für Implantation im Oberkiefer geplant).
-
Abb. 3: Darstellung des Knochendefektes nach Eröffnung und vollständiger Degranulation; der zweiwandige Defekt zieht sich buccal bis in den Bereich der Furkation.
-
Abb. 4: Applikation von Straumann Prefgel®, Einwirkzeit zwei Minuten (Knochenentnahme retromolar zwischenzeitlich erfolgt).
Intraoperativ erfolgte eine sulkuläre Schnittführung in regio 36 und 37 mit Entlastungsinzision in regio 36 mesial entlang der linea obliqua (Abb. 2). Der Grund hierfür war die geplante simultane Knochenblockentnahme für die Implantation im Oberkiefer. Der zweiwandige Defekt zog sich buccal bis in den Furkationsbereich (Abb. 3). Nach erfolgter Knochenentnahme retromolar wurde Straumann Emdogain in Gelform auf die gesäuberte und mit 24 %-iger EDTA (Ethylendiamintetraessigsäure; z.B. Straumann PrefGel zwei Minuten einwirken lassen) konditionierte (vorbehandelte) Wurzeloberfläche aufgetragen (Abb. 4 bis 6). Grundsätzlich muss bei der Applikation eine erneute Kontamination der konditionierten Wurzeloberflächen mit Blut oder Speichel vermieden werden. Der knöcherne Defekt wurde mit Emdogain in Kombination mit autologen Knochenspänen in Sandwich-Technik vollständig gefüllt (Abb. 7). Zusätzlich wurde Straumann Emdogain erneut im suprakrestalen Defektbereich aufgetragen. Es erfolgte der speicheldichte Nahtverschluss mit resorbierbarem, monofilem Nahtmaterial (Abb. 9).
-
Abb. 5: Nach Spülung mit physiologischer Kochsalzlösung zur Entfernung des Prefgels Applikation von Straumann Emdogain.
-
Abb. 6: Straumann Emdogain appliziert, so dass es den Defekt vollständig ausfüllt.
-
Abb. 7: Der knöcherne Defekt wird anschließend mit autologen Knochenspänen gefüllt (Sandwich-Technik).
-
Abb. 8: Erneute Applikation von Straumann Emdogain im Bereich des Defektes suprakrestal.
-
Abb. 9: Speicheldichter Nahtverschluss mit resorbierbarem, monofilem Nahtmaterial.
Postoperative Phase
Bei Anwendung von Emdogain kommt es postoperativ zu einer geringeren Blutungsneigung und zu reduzierten Entzündungszeichen. Anlagerung von Zellen, Umbau und Konsolidierung von Gewebe und Proliferation werden deutlich gefördert. Außerdem hat Emdogain bei Wundheilung einen direkten oder indirekten angiogenen Effekt [15, 19].
Die postoperative Phase verlief nach Standardprotokoll der Praxis Dres. Tunkel: Die häusliche Pflege im operierten Gebiet entfiel für zwei Wochen und im Approximalbereich für vier Wochen postoperativ. In dieser Phase spülte die Patienten mit einer antiseptischen Mundspülung (z. B. 0,2 % Chlorhexidindigluconat-Lösung). Eine Interdentalbürste durfte nach frühestens vier Wochen eingesetzt werden. Tunkel: „Die besondere Herausforderung für alle Patienten: Sie befinden sich im engmaschigen Recall und erscheinen im ersten Monat wöchentlich in der Praxis. Dort erfolgt die supragingivale Reinigung durch das Prophylaxe- Team.“ Häufigster Fehler in der Nachsorge ist das Unterschätzen der Bedeutung einer guten Mundhygiene und die unterstützende Parodontaltherapie für das Langzeitergebnis der parodontalen Regeneration [20].
Acht Wochen postoperativ erfolgte die erste unterstützende Parodontitistherapie (UPT), anschließend im Dreimonatsintervall, d. h. nach fünf Monaten postoperativ erfolgt die zweite UPT und nach acht Monaten die dritte. Dabei wurde reevaluiert, das heißt, es wurden Sondiertiefen erhoben und Röntgenaufnahmen angefertigt. Die zweite Reevaluation erfolgte nach zwei Jahren postoperativ. Tunkel: „Der Vergleich der drei Röntgenbilder veranschaulicht den überaus erfolgreichen Therapieverlauf mit Emdogain: Auf der Röntgenaufnahme, angefertigt vor dem subgingivalen Debridement (Abb. 10), ist der vertikale Knochendefekt an 37 distal mit ca. 95 Attachmentverlust zu erkennen. Abbildung 11, acht Monate postoperativ angefertigt, dokumentiert die vollständige Auffüllung des Knochendefektes. Nach 2,5 Jahren postoperativ ist das Ergebnis der 100-prozentigen Regeneration stabil (Abb. 12).
-
Abb. 10: Ausschnitt aus Orthopantomogramm zu Beginn der parodontologischen Behandlung, vor dem subgingivalen Debridement; Konkrement an der distalen Wurzeloberfläche und vertikaler Knochendefekt distal mit etwa 95 % Attachmentverlust.
-
Abb. 11: Ausschnitt aus Orthopantomogramm acht Monate nach der parodontalen Regeneration; vollständige Auffüllung des Defektes, lediglich der horizontale Attachmentverlust verbleibt (100 % Auffüllung des vertikalen Knochendefektes).
-
Abb. 12: Ausschnitt aus Orthopantomogramm 2,5 Jahre nach der parodontalen Regeneration; weiterhin vollständige Auffüllung des Defektes.
Fazit für die Praxis
Eine chirurgische Herangehensweise ist für den Einsatz von Schmelzmatrixproteinen erforderlich [24-26, 28]. „Doch im Vergleich zur klassischen Membrantechnik ist die Anwendung mit Emdogain leichter, komplikationsloser und damit in der Praxis effizienter durchzuführen“, fasst Tunkel seine klinische Erfahrung zusammen und ergänzt:
„Daher setze ich inzwischen innerhalb der regenerativen Therapie ausschließlich auf Emdogain, respektive je nach Defektmorphologie auf das Präparat in Kombination mit einem Knochenersatzmaterial.“ Die Regenerationsrate ist mit derjenigen von Membranen vergleichbar, doch „mögliche Operationsrisiken, die mit der Membrantechnik einhergehen, sind deutlich reduziert.“ Das Präparat begünstigt die Wundheilung und stimuliert gleichzeitig Knochenneubildung und Angiogenese. Eine Herausforderung für Patienten stellt das engmaschige Recall postoperativ dar. Zum Erfolg der regenerativen Parodontaltherapie mit Emdogain® tragen eine strikte postoperative Nachsorge, die systematische Infektionskontrolle und eine sehr gute Mundhygiene bei [16, 19]. Das Ausmaß der Regeneration lässt sich, so Tunkel, „röntgenologisch erst nach zwei Jahren definitiv beurteilen“ [3-5, 10].
Tunkel: „Die Möglichkeit, in der Parodontologie etwas Wiederaufbauendes, also vom Patienten positiv aufgenommenes, statt Reduzierendes zu machen, begeistert mich besonders. Es ist zu wünschen, dass sich die Indikationsbereiche in den Praxen stärker etabliert und Anwender auch größere intraossäre Defekte und verloren geglaubte Zähne erfolgreich mit Emdogain behandeln.“