Wundheilungsprozesse und die Möglichkeiten deren Beeinflussung

In den letzten Jahrzehnten erhielten viele neue Operationstechniken in der Zahnmedizin Einzug. Eine Vielzahl an neuem Instrumentarium und Nahtmaterial ist entwickelt worden, um größtmöglich gewebeschonend zu operieren. Der positive OP-Ausgang ist jedoch bei weitem nicht nur techniksensitiv, sondern von einer Vielzahl von Faktoren abhängig. Nachfolgend beleuchten die Autoren die Vor- und Nachteile der gängigsten Wundheilungsbeschleuniger.
Durch mikrochirurgische Ansätze wird es dem Chirurgen ermöglicht, im Idealfall maximalen Gewebeerhalt und höchste ästhetische Ergebnisse zu erzielen. Man ist heute in der Lage nahezu unsichtbar zu operieren, aber dennoch treten Situationen auf, deren Komplikationsmanagement größtes fachliches Wissen beansprucht. Der positive OP-Ausgang ist von einer Vielzahl von Faktoren abhängig: Neben dem Operateur und den erwähnten OP-Techniken und Materialien, spielen Patienten- und Fallauswahl eine ebenso, wenngleich nicht sogar größere Rolle für den positiven Ausgang eines Eingriffs. So gibt es Fallsituationen, deren Outcome risikobehafteter ist und mit höherer Wahrscheinlichkeit postoperative Komplikationen auftreten können. Nachfolgend möchten die Autoren die gängigsten Wundheilungsbeschleuniger erläutern und deren Vor- und Nachteile aufzeigen.
Wundheilung
Die Wundheilung läuft in den immer gleichen Phasen ab. Einzig die zeitlichen Abstände zwischen den einzelnen Phasen können sich verändern.
Egal wie steril gearbeitet wird, die erste Phase der Wundheilung ist die der Entzündung. In dieser ersten Phase liegt der Schwerpunkt in der Blutstillung und der Reinigung der Wunde. Sollte sich die Wunde infizieren, verlängert sich diese Phase. Der Übergang zwischen den einzelnen Phasen ist fließend. Ab dem circa dritten Tag liegt der Schwerpunkt im Aufbau von Granulationsgewebe, um ein Gerüst für das später entwickelnde Gewebe zu bilden. Diese Phase ist in der Regel an einem weißlichen Belag, dem sogenannten Fibrinbelag, zu erkennen. In der letzten Phase wird die Wunde vollständig verschlossen, was je nach Defektgröße bis zu mehreren Monaten dauern kann. Hierfür werden vermehrt Kollagenfasern eingelagert, was zu einer Kontraktion der Wunde und zur späteren Narbenbildung führt. Auch der durch die Umbaumaßnahmen und noch nicht vollständig hergestellten Schutzmaßnahmen bedingte Wasserverlust führt zu einer Schrumpfung des Gewebes.
Für den Behandler heißt das, er kann häufig durch schonenden Umgang mit dem Gewebe den Heilungsverlauf beeinflussen – denn kleine Wunden heilen schneller als große.
Auch die Naht begünstigt die Heilung. Ebenso hat der primäre Wundverschluss, welcher in der Regel angestrebt wird, einen begünstigenden Einfluss. Innerhalb dieser verschiedenen Phasen können Präparate, welche einen positiven Einfluss auf die Wundheilung haben, sogenannte Wundheilungsbeschleuniger, ihr unterschiedliches Potential entfalten.
PRP/PRGF – PRF
Blutkonzentrate wie PRP, PRGF, PRF, L-PRF, A-PRF und I-PRF bestehen aus Blut, welches dem Patienten vor der Behandlung entnommen und anschließend prozessiert wird. Aufgrund der großen Anzahl verschiedener Aufbereitungsprotokolle lassen sich diese auch nur schwer miteinander vergleichen. Prof. Dr. Dr. Dr. Shahram Ghanaati geht hier einen anderen Weg und teilt die Herstellung von Eigenblutkonzentraten nach der Zentrifugalkraft ein (hohe, mittlere oder niedrige Zentrifugalkraft). Diese Einteilung scheint im Hinblick auf das Endprodukt, welches aufgrund des patientenspezifischen Vollblutes unterschiedlich ist, als sinnvoll [1].
Blutkonzentrate können in zwei Darreichungsformen hergestellt werden – einer flüssigen Form oder als Clot.
Blutkonzentrate sind autologe Produkte, was Vor- und Nachteil zugleich ist.
Im Gegensatz zu den anderen beschriebenen Hilfsmitteln sind die Aufbereitung des Endprodukts und die Blutentnahme mit einem größeren Aufwand verbunden als das Öffnen einer Verpackung.
Im Blutkonzentrat selbst finden sich: Plasma, Thrombozyten, Leukozyten und eine ganze Reihe von Wachstumsfaktoren. Diese Wachstumsfaktoren liegen aufgrund der erhöhten Thrombozytenzahl ebenfalls in einer höheren Konzentration vor. Für die Wundheilung sind speziell VEGF (vascular endothelial growth factor) und EGF (epithelial growth factor) von Bedeutung.
Aktuelle Publikationen zeigen einen Vorteil in der Wundheilung, geringere Blutungskomplikationen und Patientenmorbidität bei Verwendung von Blutkonzentraten in klinischen Untersuchungen (in-vivo) [2-5] sowie positive Eigenschaft im Labor (in-vitro) [1,6].
Die Vergleichbarkeit ist jedoch begrenzt. Sie bedarf weiterer Studien und einer klareren Einteilung des Blutkonzentrats und deren Begrifflichkeit (Abb. 1-4).
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Abb. 1: Zustand nach Entfernung des Granulationsgewebes.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch -
Abb. 2: Applikation: Zustand nach Augmentation und Abdeckung mit Membran aus Blutkonzentrat.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch
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Abb. 3: Situation 14 Tage post OP.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch -
Abb. 4: Blutkonzentrat nach Zentrifugation. Ausgangsprodukt, das für die Herstellung von Membranen verwendet wird.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch
PRP/PRGF – PRF
Pro: autologes „Eigenblutkonzentrat“, je nach Herstellungsverfahren kostengünstig, keine Kontrolle der Inhaltsstoffe möglich – mal mehr, mal weniger „Wirkstoff“, abhängig vom abgenommenen Vollblut
Contra: keine einheitlichen Protokolle, Studienlage nicht einheitlich/nicht vergleichbar, Menge an verwendbarer hergestellter Membran abhängig vom abgenommenen Vollblut
Kollagen
Kollagen ist mit 30 % Gesamtgehalt ein wichtiger Bestandteil des menschlichen Körpers und kommt sowohl im Weichgewebe (Haut, Schleimhaut) sowie im Hartgewebe (Knorpel, Knochen) vor.
Im zahnmedizinischen Alltag werden viele unterschiedliche Kollagenprodukte verwendet. Gelatine oder Kollagenschwämmchen zur Blutstillung, Fleece als Abdeckung von Wundarealen, als Membranen für knöcherne Augmentationen, Zusatz in Knochenersatzmaterialien und als Bindegewebstransplantatersatz zur Volumenstabilisation bzw. -gewinnung oder um Rezessionen zu decken. Die Herstellung der verschiedenen Produkte unterscheidet sich voneinander und auch das verwendete Ursprungsgewebe (z.B. porcin, bovin, equin; Pericard, Achillessehne, Peritoneum) variiert je nach verwendetem Produkt.
Auch wenn es deutliche Unterschiede zwischen den Membranen gibt, Kollagen hat einen positiven Einfluss auf die Wundheilung und fördert die Reepithelialisierung [7]. Der Effekt tritt hierbei speziell in den ersten sieben Tagen der Wundheilung, also in der kritischen Phase, auf. Dies hat auch einen positiven Effekt auf die Patientenmorbidität. Ersatzmaterialien auf Kollagenbasis, welche anstelle von Bindegewebstransplantaten oder freien Schleimhauttransplantaten verwendet werden, können Alternativen darstellen und zum Teil sogar bessere Ergebnisse erzielen [8]. Da die Einsatzmöglichkeiten und Darreichungsformen bei Kollagen sehr unterschiedlich sind, kann nicht von „einer“ Applikation gesprochen werden. Vielmehr kommt es hier auf den Defekt und das Produkt an. Von eher einfacher bis hin zu schwerer Applikation ist alles möglich. Die Lagerung ist wiederum sehr einfach. Die sterilen Verpackungseinheiten lassen sich unkompliziert und über längere Zeiträume lagern (Abb. 5 und 6).
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Abb. 5: Kollagenmatrix in Alveole eingenäht.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch -
Abb. 6: Situation 7 Tage post OP.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch
Kollagen
Pro: Vielzahl verschiedener Kollagenprodukte verfügbar, industriell hergestellt mit gleichbleibender Qualität und in „unbegrenzter“ Menge verfügbar, Studienlage je nach verwendetem Produkt sehr gut
Contra: große Unterschiede der verschiedenen Produkte (native Kollagenmembranen, vernetzte Membranen, Kollagenfleece, Gelatine, porcin, bovin, equin, dünnere sowie dickere Produkte)
Schmelz-Matrix-Proteine
Hauptwirkstoff der Schmelz-Matrix-Proteine (EMD) ist Amelogenin, welches zum Zeitpunkt der Zahnentwicklung dafür zuständig ist, dass sich ein Attachment ausbildet. EMD haben eine indirekte Wirkung auf die Ausschüttung von Wachstumsfaktoren, welche die Wundheilung positiv beeinflussen können.
Gewonnen wird es aus embryonalen porcinen Zahnkeimen. Das EMD welches aus ca. 90 % Amelogenin besteht ist einfach in der Handhabung und in immer gleicher Qualität erhältlich. Das porcine Amelogenin und das des Menschen können als fast identisch bezeichnet werden (Abweichung nur ca. 4 %) [9,10].
EMD hat auf die Wundheilung einen ähnlichen Effekt wie Kollagen. In der kritischen Frühphase wird die Revaskularisierung sowie der Aufbau neuer Kollagenfasern begünstigt [11,12] und die Morbidität verringert [13,14]. Je nach Patienten- und Fallauswahl kann auf zusätzliche Ersatzmaterialien verzichtet werden oder Operationen durchgeführt werden, welche ohne den Einsatz von EMD einen deutlich ungünstigeren Heilungsverlauf zeigen [15,16]. Die Applikation von EMD gestaltet sich einfach: in der Verpackungseinheit ist alles Benötigte enthalten und steril verpackt (Abb. 7-10).
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Abb. 7: Defekt vor Applikation von Schmelzmatrixproteinen.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch -
Abb. 8: Applikation der Schmelzmatrixproteine.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch
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Abb. 9: Situation 14 Tage post OP.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch -
Abb. 10: Knöcherne Situation 6 Monate post OP.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch
Schmelz-Matrix-Proteine
Pro: industriell hergestellt mit gleichbleibender Qualität und in „unbegrenzter“ Menge verfügbar, Studienlage sehr gut, unterschiedliche Verpackungseinheiten können Kosten reduzieren
Contra: tierisches (porcines) Eiweiß, Applikation techniksensitiv
Hyaluronsäure (Hyaluronan)
Hyaluronsäure (HA) kommt im menschlichen Körper im Grammbereich (ca. 10-20 g) vor, davon gut die Hälfte in der Haut. Eine der Haupteigenschaften der HA ist es, Wasser in großen Mengen speichern zu können [17]. Hergestellt wird HA heute durch Fermentierung von Streptokokken und hat hierdurch eine gleichbleibende Qualität. Durch das Herstellungsverfahren ist HA frei von tierischen Eiweißen.
Durch ihr natürliches Vorkommen in vielen Bereichen des menschlichen Körpers hat HA einen Einfluss auf mehreren Ebenen. Die Eigenschaft Flüssigkeiten binden zu können reduziert die Schwellung, wodurch die Blutversorgung während der Heilung verbessert wird [18]. Sie hat zusätzlich einen antimikrobiellen Effekt [19] und verlangsamt den Abbau von Kollagen [20]. Darüber hinaus hat HA einen direkten Einfluss auf die Wundheilung. Sie hat einen positiven Einfluss in allen Wundheilungsphasen: in der Frühphase der Entzündung reguliert sie diese herunter, fördert dann die Gefäßneubildung und reduziert im finalen Schritt die Ausbildung von Narben [21-23]. Hyaluronsäure ist in unterschiedlichen Resorptionszeiten, ähnlich wie es von Kollagen bekannt ist, erhältlich.
Darüber hinaus stimuliert HA sämtliche für regenerative Prozesse in Hart- und Weichgewebe notwendigen Zelltypen. Hierdurch ergibt sich ein Einsatzgebiet von Weichgewebe- bis Knochenregeneration. Es kann als Ersatz zum Bindegewebstransplantat verwendet werden wie auch zur Andickung von Knochenersatzmaterial zum besseren Volumenerhalt. Appliziert wird die HA lokal in Gel-Form aus fertigen Einwegspritzen (Abb. 11-13).
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Abb. 11: Ausgeprägte Rezessionen vor OP.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch -
Abb. 12: Applikation der Hyaluronsäure auf das Bindegewebstransplantat.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch
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Abb. 13: Situation 8 Wochen nach OP – eine vollständige Deckung und gute Wundheilung konnte erreicht werden.
© Prof. Dr. Fickl, Dr. Kauffmann, Dr. Mueller-Busch
Hyaluronsäure
Pro: industriell hergestellt mit gleichbleibender Qualität und in „unbegrenzter“ Menge verfügbar, keine tierischen Eiweiße
Contra: Studienlage und untersuchte Produkte vom prozentualen HA-Gehalt + HA-Beschaffenheit unterschiedlich
Zusammenfassung
Wundheilungsbeschleuniger, egal ob Kollagen, Blutkonzentrate, Schmelz-Matrix-Proteine oder Hyaluronsäure werden ihrem Namen gerecht. Alle haben einen positiven Effekt. Es muss jedoch die Patienten- und Fallauswahl berücksichtigt werden, denn nicht alle Produkte funktionieren in verschiedenen Situationen immer gleich gut. Limitierend sind außerdem fehlende oder nicht eindeutige Studienergebnisse. So ist beispielsweise bei der Verwendung von einigen Kollagenmembranen der „Wundheilungsboost“ eher ein Nebenprodukt, bei den Kollagenfleeces jedoch durchaus gewünscht. Darüber hinaus gibt es Unterschiede zwischen den „Produkten“ bezüglich des Ursprungs, der Kosten und des Herstellungsverfahrens. Es gibt Unterschiede betreffend der Einsatzgebiete der jeweiligen Substanzen und der Techniksensitivität. Allgemein empfehlen die Autoren: je kritischer die Situation und je wichtiger das Outcome, desto eher sollte man einen wundheilungsbeschleunigenden Zusatz verwenden. Eines sollte unter keinen Umständen außer Acht gelassen werden. Wird dem OP-Gebiet allgemein, dem Weichgewebe oder der Patientenauswahl keine Beachtung geschenkt, wird auch ein Wundheilungsbeschleuniger keine Wunder bewirken [24]. Da die Kosten für Wundheilungsbeschleuniger in der Regel nur einen kleinen Teil an den Gesamtkosten darstellen, und sich die Patientenmorbidität bei der Verwendung verringert, sollten diese, alleine schon zum Wohl des Patienten, bei kritischen Operationen mit zu erwartenden postoperativen Beschwerden, verwendet werden.