Parodontologie

Indizes: Dentinhypersensibilität, schmerzempfindliche Zähne, Lebensqualität

Problemfeld Dentinhypersensibilität

Von Arginin verschlossene Reizleiterkanälchen (Grafik)
Von Arginin verschlossene Reizleiterkanälchen (Grafik)

Dentinhypersensibilität, auch bekannt als schmerzempfindliche Zähne, ist ein zunehmendes Problem, von dem ein großer Teil der Bevölkerung betroffen ist. Das Auftreten schmerzempfindlicher Zähne ist multifaktoriell (West 2010). Gingivarezession, aber auch erosive Angriffe durch Säure oder Störungen der Remineralisationsprozesse tragen dazu bei, dass das Dentin freigelegt wird, die Dentintubuli offen liegen und somit ein direkter Kontakt zwischen Mundhöhle (dem Ort, an dem Schmerz auslösende Noxen auftreten) und Pulpa (der Stelle, an dem der Schmerz ausgelöst wird) besteht. Wird durch externe Stimuli die Flüssigkeit in den Dentintubuli bewegt, tritt der Schmerzreiz auf (Brännström 1967; 1968), der gewöhnlich nach Entfernen des Stimulus schnell abklingt, in Einzelfällen aber auch länger andauern kann. Dentinhypersensibilität als "nicht-pathologischer" Zustand wird oft verharmlost, kann aber schwerwiegende Konsequenzen für die weitere Mundgesundheit Betroffener mit sich ziehen.

Bei der Entwicklung einer wirksamen Medikation gegen Dentinhypersensibilität müssen nicht nur zahlreiche Faktoren, die zur Entstehung des Schmerzzustands beitragen, in Betracht gezogen werden, sondern auch der Mechanismus der Schmerzentstehung selbst. Das Ziel ist, dem Patienten möglichst schnell Abhilfe zu schaffen, sodass seine Zahnhygiene durch schmerzempfindliche Zähne nicht dauerhaft beeinträchtigt wird bzw. er die zahnärztliche Behandlung und/oder professionelle Zahnreinigung schmerzfrei erlebt (und somit keine Veranlassung hat, diese zu meiden). Weiterhin muss eine wirksame Therapie kritisch gegenüber bereits auf dem Markt befindlichen Ansätzen getestet werden. Ziel dieses Artikels ist, einen Überblick über den heutigen Stand der therapeutischen Strategien gegen Dentinhypersensibilität zu bieten und die verschiedenen Methoden zu vergleichen, sodass gut geeignete und weniger gut bzw. gar nicht geeignete Inhaltsstoffe und Methoden unterschieden werden können. Dabei ist das Vorliegen klinischer Studien wohl das überzeugendste Argument, das zur Wirksamkeit angeführt werden kann.

Aminfluorid Kaliumsalze: Depolarisation der Nervenzellen

Eine Idee, wie dem Problem überempfindlicher Zähne begegnet werden kann, ist die direkte Ansprache des dentalen Nervensystems. Hierbei kommen Kaliumsalze zur Anwendung, deren Anwesenheit in der Pulpa zu einer andauernden Depolarisation der Nervenzellen führen soll. Das Ergebnis ist, dass der Schmerzreiz nicht weitergeleitet werden kann und somit theoretisch Schmerzfreiheit besteht. Die Wirkung tritt eindeutig zeitverzögert auf, was wahrscheinlich darauf zurückzuführen ist, dass die Kaliumionen eine gewisse Zeit brauchen, um zur Pulpa zu gelangen. Nach dem Absetzen des Produkts flutet auch das Kalium schnell wieder ab, wodurch der ursprüngliche Schmerzzustand wiederhergestellt ist. Kaliumsalze, formuliert in Zahnpasten, zeigen in manchen Studien eine bessere Wirksamkeit als wirkstofffreie Produkte. Die bisherige Datenlage zur Effektivität von Kalium in Zahnpasten wird jedoch weiterhin kontrovers diskutiert (Poulsen et al. 2006). Näher betrachtet bekämpft man mit dieser Strategie ohnehin nur den Schmerz als ein Symptom, das ursprünglich sinnvoll und notwendig zur Erkennung eines pathologischen Zustands ist. Der Zahn wird somit auch anderen Schmerzreizen gegenüber desensibilisiert, und an der Ursache der Schmerzentstehung, nämlich dem freiliegenden und empfindlichen Dentin, wird keine Veränderung vorgenommen. Freiliegendes Dentin ist besonders anfällig gegen Karies, Abrasion und Erosion, daher sollte bei einer sinnvollen Therapie schmerzempfindlicher Zähne grundsätzlich an den Kariesschutz gedacht werden. Das für seine vor Karies schützende Wirkung bekannte organische Aminfluorid (AmF) bildet auf der gesamten Zahnoberfläche eine kalziumfluoridhaltige Deckschicht, die als Kalziumreservoir bei der Remineralisation der Zahnhartsubstanz dient (Petersson & Kambara 2004). In den Eingängen der Dentintubuli führt diese Deckschicht ebenfalls zu vermehrter Remineralisation, wodurch der Durchmesser der Tubuli reduziert wird (Renggli 1997). Die Remineralisation des Dentins ist bei AmF deutlich ausgeprägter als bei Natriumfluorid, ferner ist die Wirkung durch die gute Haltbarkeit der Deckschicht auch dauerhaft gewährleistet. Hiermit ist erstmals ein Ansatz beschrieben, der den Zahn auch schützt.

Strontiumsalze: Depolarisation und Verengung der Tubuli

Strontiumsalze können in In-vitro-Versuchen schwerlösliche Präzipitate auf der Dentinoberfläche bilden, die zu einer graduellen Verstopfung der Dentintubuli führen sollen. Somit ist die Reizleitung zur Pulpa gehemmt und der Schmerz gedämpft. Strontiumsalze, wie Strontiumchlorid oder Strontiumacetat, gehören zu den desensibilisierenden Agentien der ersten Stunde (Jensen 2003). In kontrollierten klinischen Studien haben Strontiumsalze jedoch im Vergleich zu Kaliumsalzen noch schwächer abgeschnitten, in In-vitro-Versuchen ist die Effektivität regelmäßig nicht signifikant höher als bei Negativkontrollen. Strontiumsalzen wird daher eine allenfalls schwach desensibilisierende Wirkung nachgesagt. Von Nachteil ist ferner, dass bei einigen strontiumhaltigen Verbindungen die Beimischung von Fluorid als Kariesschutz kontraindiziert ist und dass auch hier die Wirkung zeitverzögert und auf die Anwendungszeit beschränkt auftritt.

Fazit

Die Entwicklung eines therapeutischen Ansatzes gegen Dentinhypersensibilität orientiert sich am Stand der Erkenntnisse über Ursachen und Mechanismen des Problems. Hierbei wird sorgfältig der Nutzen (Schmerzdämpfung) gegen die Risiken (z. B. Dämpfung der wichtigen Nervenfunktion) abgewogen, Produkte werden verglichen und Gelerntes angewendet. Ging es doch ursprünglich lediglich um die Linderung eines Symptoms, so werden heute auch die Auswirkungen schmerzempfindlicher Zähne auf die Lebensqualität und die zukünftige Mundgesundheit berücksichtigt. Dabei sollte nicht außer Acht gelassen werden, dass bei der Vermarktung eines Produkts gegen Dentinhypersensibilität kontrollierte klinische Studien durchgeführt werden sollten, die die Wirksamkeit des Produkts belegen. Diese Überlegungen führten schließlich zu einem wirksamen Behandlungsansatz, der alle Voraussetzungen erfüllt, die ein Desensibilisierungsprodukt bieten sollte.

Bioaktive Glaskeramik

Zur Familie der so genannten bioaktiven Glaskeramiken zählt der Vorläufer NovaMin, ein Silikat, das bei Kontakt mit wässrigen Medien (Speichel) Kalzium und Phosphat bereitstellt (Wefel 2009). Diese bilden in In-vitro-Versuchen ein Hydroxykarbonatapatit-Material, welches Dentinkanälchen bei Patienten verschließen soll. Die Idee ist, dass mit einem zahnschmelzähnlichen Mineral die Dentinoberfläche versiegelt wird und die Schmerzempfindlichkeit deutlich reduziert ist. Trotz längerer Marktpräsenz einer Reihe von NovaMin-haltigen Produkten stehen ernstzunehmende klinische Nachweise zur Effektivität dieser Technologie weiterhin aus. Weitere Nachteile dieses Ansatzes sind die nur kurzfristige angegebene Haltbarkeit des Präzipitats (7 Tage) und die Abwesenheit von Fluorid zu effektivem Kariesschutz.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Burkhard Selent

Bilder soweit nicht anders deklariert: Burkhard Selent