Antibiotika in der Parodontitis- und Periimplantitistherapie

Die Parodontitis umfasst das Spektrum multifaktoriell verursachter genetisch und systemisch modulierter, akuter und chronischer, wirtsabhängiger, opportunistischer Infektionserkrankungen des Zahnhalteapparates durch fakultativ pathogene Keimspektren. Diese über die Jahre gewachsene Definition spiegelt im Erkenntnisgewinn um die Komplexität der Ätiopathogenese der verschiedenen entzündlichen Parodontalerkrankungen das Dilemma um die auf den individuellen Fall ausgerichtete Auswahl der jeweils geeignetsten Therapieform, damit die natürliche Bezahnung in Hinblick auf das Empfinden von Gesundheit, Komfort, Ästhetik und Funktion für die Patienten erhalten bleibt [1].
Akut oder chronisch?
Dies ist die erste zu beantwortende Frage. Liegt aufgrund des typischen Symptomkomplexes mit foetor ex ore, Schmerzhaftigkeit der gingivalen/parodontalen nekrotisierenden, ulzerierten Läsionen, körperliche Abgeschlagenheit, Lymphadenopathie und ggf. Fieber der Verdacht einer nekrotisierendenden ulzerierenden Gingivitis oder Parodontitis vor (Abb. 1), so ist zusätzlich zu der vorsichtigen weil mitunter schmerzhaften Entfernung der in der Regel reichlich vorhandenen Plaquedepositorien und Administration von Chlorhexidindigluconatspüllösungen die Verordnung des Chemotherapeutikums Metronidazol (3 x 250 mg über 3 - 5 Tage) wegen des dominierenden fuso-spirochaetalen Keimspektrums die Therapie der Wahl. Bei Unverträglichkeit gegenüber Metronidazol kann auf Amoxicillin 3 x 500 mg ebenfalls über drei bis fünf Tage ausgewichen werden. Die Patienten sollten wegen des Verdachtes auf eine immunologische Kompromittierung allgemeinärztlich untersucht werden [2].
Bei Patienten mit chronischer Parodontitis lassen sich mit der Durchführung der Hygienephase, in der die Patienten in die Lage versetzt werden, eine optimierte häusliche Mundhygiene durchzuführen, durch das Scaling und Root Planing (Wurzelglättung) (SRP) gute Ergebnisse in der Reduzierung der Sondierungstiefen und der Verbesserung des klinischen Attachmentlevels erzielen [3]. Durch das SRP werden adhärente und nicht adhärente Biofilmanteile sowie Konkremente reduziert [4]. Vor allem aber wird erreicht, dass die Infrastruktur des Biofilms zerstört wird. Sie bildet die Grundlage für die gesteigerte Pathogenizität der Bakterien im Biofilm. Ohne sie sind die Einzelkeime angreifbarer für wirtseigene Abwehrstrategien. Dies erklärt die deutliche Besserung der klinischen Parameter (Abb. 2a und b), obwohl, wie wir wissen, keine vollständige Wurzeloberflächenreinigung im geschlossenen Verfahren erzielbar ist [5].
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Abb. 2a: Massiv entzündliche parodontale Reaktion bei chronischer Parodontitis.
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Abb. 2b: Deutliche Reduktion der Entzündungsparameter nach intensiver Vorbehandlung und SRP.
Chronisch oder aggressiv?
Während in der Therapie der chronischen Parodontitis in der konservativen Phase mit dem SRP alleine zufriedenstellende Ergebnisse erzielt werden können, hat sich für die Therapie der aggressiven Parodontitis die zusätzliche Administration der Antibiotikakombination aus 3 x Amoxicillin 500 mg + 3 x Metronidazol 400 mg in zahlreichen Studien - wenngleich mit abweichenden Dosierungen - als überlegen herausgestellt [6]. Dabei ist Wert darauf zu legen, die antibiotische Therapie erst nach der Zerstörung des Biofilms, also nach Abschluss des SRP, zu verabreichen, da durch die Desintegration der einzelnen Keime des ursprünglichen Biofilms deren Angreifbarkeit durch die Antibiotikagabe erhöht ist [7].
Bei einer zögerlichen Haltung gegenüber der antibiotischen Therapie im Falle der aggressiven Parodontitis müssen in einer Antibiotikagabe erst nach der Reevaluation mit der Retherapierung der Residualtaschen schlechtere Ergebnisse in Hinblick auf die mögliche Reduzierung der Sondierungstiefen und die Verbesserung des klinischen Attachmentlevels in Kauf genommen werden [8, 9]. Diese Strategie empfiehlt sich daher eher für die Praxis der Administration von Antibiotika im Zusammenhang der Therapie von Residualtaschen bei der schweren chronischen Parodontitis, für die ebenfalls die antibiotische Administration durch die Empfehlungen der Deutschen Gesellschaft für Parodontologie erwogen wird.
Allgemeinmedizinische Indikationen
Aus allgemeinmedizinischen Indikationen ist die systemische Gabe von Antibiotika im Rahmen der systematischen Parodontitis-/Periimplantitistherapie vor allem bei allgemeinmedizinisch bedingten Kompromittierungen obligat. Dies beispielsweise in der Endokarditisprophylaxe und der medikamentösen Herabsetzung der Reaktionsfähigkeit des Immunsystems beispielsweise durch Cyclosporin nach Organtransplantationen. Sie kann ebenfalls im Falle schlecht eingestellten Diabetes [10, 11] und unter Bisphosphonattherapie [12] indiziert sein.
Einsatz lokaler Antibiotika
Der Einsatz lokaler Antibiotika ist prinzipiell vorstellbar im Rahmen der Erhaltungstherapie in der Behandlung von residualen Taschen, bei denen es sich gezeigt hat, dass Scaling und Wurzelglättung (SRP) alleine in der Reevaluation nicht zum gewünschten Erfolg geführt hat. Dabei sollten gemäß der Stellungnahme der Deutschen Gesellschaft für Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde nur solche Antibiotika lokal appliziert werden, welche in geeignete Trägersubstanzen eingebettet extra für die Bedingungen in der parodontalen Tasche konzipiert sind, wobei bisher nicht von einer prinzipiellen Indikationsstellung für die Anwendung der lokalen antibiotischen Therapie ausgegangen werden kann. Es wird diskutiert, ob durch die adjunktive lokale antibiotische Medikation nach dem SRP die Notwendigkeit späterer parodontalchirurgischer Interventionen eingeschränkt werden könnte. Die aktuelle Studienlage zeigt, dass sich sowohl durch die adjunktive systemische als auch die lokale antibiotische Therapie statistisch signifikant bessere Ergebnisse nach der konservativen Therapie mittels SRP erzielen lassen. Der Vorteil der Tetrazyklinderivate, wie Doxycyclin und Minocyclin, liegt darin, dass sie nicht nur eine antimikrobielle Wirkung entfalten, sondern sich auch beispielsweise durch die Hemmung der Bildung von Matrixmetalloproteinasen positiv auf die bindegewebige Reaktion des Wirtsgewebes auswirken [13-15].
Eine Option für den Einsatz von antibiotischen lokalen Trägermaterialien nach parodontalchirurgischen Eingriffen ist nicht in deren direktem Umfeld, sondern unter Umständen in der sich anschließenden Erhaltungstherapie zu sehen. In der Periimplantitistherapie erscheint die Einbringung lokaler Antibiotika sinnvoller als die systemische Gabe [16]. Für den Einsatz lokaler Antibiotika werden positive Effekte sowohl für Azithromycin [17], Clarithromycin [18, 19], Doxycyclin [20-23] und Minocyclin sowohl für die Parodontitistherapie [24] als auch für den Einsatz in der Periimplantitistherapie [25] beschrieben. Die aktuelle Datenlage erfordert weitere Studien.
Im Vergleich lokaler antibiotischer Therapie zur photodynamischen Therapie konnten Bassetti et al. (2013) in der nicht-chirurgischen Therapie der frühen Periimplantitis nach einem Jahr Beobachtungszeit einen vergleichbaren positiven Effekt auf die Entzündungsparameter der periiplantären Mukosa zeigen [26]. In einer In-vitro-Studie konnte der positive Effekt der gasförmigen Ozontherapie einerseits auf die bakterielle Reduzierung auf Titan- und Keramikimplantatoberflächen sowie andererseits deren Wiederbesiedelung mit Osteoblasten gezeigt werden [27].
In einer Multicenterstudie in USA und Schweden wurden 229 Patienten sieben verschiedenen Behandlungskonzepten unterzogen, um die effektivste Behandlungsmethode in der zweijährigen Beobachtungszeit zu evaluieren. Dabei ging es um die Frage, inwiefern durch den Einsatz von Antibiotika-Kombinationen systemisch oder/und lokal appliziert in der konservativen und chirurgischen Parodontaltherapie die klinischen und mikrobiologischen Ergebnisse optimiert werden konnten [28, 29]. Dabei erwies sich die chirurgische Therapie unterstützt durch die kombinierte systemische Gabe von Amoxicillin und Metronidazol mit der lokalen Tetrazyklinapplikation als die erfolgreichste Methode im Erhalt günstiger klinischer parodontologischer Parameter [28].
Diese Kombination erwies sich allerdings nur in der kurzzeitigen Betrachtung in Hinblick auf die Reduzierung der Keime des roten Komplexes Porphyromonas gingivalis, Tannerella forsythia und Treponema denticola als die effektivste Methode. Es konnte kein Effekt auf die Taschenbesiedelung mit eubiotischen Actinomyces Keimen beobachtet werden. Zu Ende der zweijährigen Beobachtungszeit war nach allen Therapievarianten Porphyromonas gingivalis in tieferen Taschen, deren Prävalenz bei Rauchern und Patienten mit suboptimaler Mundhygiene häufiger war, wieder nachweisbar [29]. Insofern lässt sich die Frage stellen, ob nicht mehr Mühen in die Optimierung der Mundhygiene und die Raucherentwöhnung investiert werden sollten als in die Verbreitung massiver antibiotischer Therapievarianten in der zahnärztlichen Behandlung der chronischen Parodontitis.
Fazit
Die begleitende Gabe von systemischen Antibiotika in der Parodontaltherapie ist unerlässlich in den genannten allgemeinmedizinischen Indikationen. Sie ist obligat in der Therapie der nekrotisierenden und ulzerierenden Gingivitis und Parodontitis (NUG/ NUP) mit Lymphadenopathie und Fieber. Bei rechtzeitiger Verabreichung optimiert sie die erreichbaren klinischen Ergebnisse in der Therapie der aggressiven Parodontitis. Studien belegen die Optimierbarkeit der klinischen parodontalen Parameter in der Therapie der chronischen Parodontitis durch Antibiotika, zeigen aber auch ihre geringfügige Nachhaltigkeit auf die langfristige Beeinflussung der mikrobiologischen Parameter. Sie deuten auch darauf hin, dass ihr positiver Einfluss geringer ist als der negative Einfluss durch das Rauchen und suboptimale Mundhygiene. Der Einsatz von lokalen Antibiotika gehört in äquivalenter Konkurrenz zu anderen antimikrobiell wirksamen Methoden, wie der photodynamischen Therapie, in den Bereich der Erhaltungstherapie bei Nichtrauchern mit guter Mundhygiene. In der bisher nicht evidenzbasierten Therapie der Periimplantitis stellt sie eine mögliche Therapievariante dar.