Erfolgsfaktoren einer nachhaltigen Parodontaltherapie?

Parodontitis umfasst das Spektrum multifaktoriell verursachter, genetisch und systemisch modulierter, akuter und chronischer, destruktiver opportunistischer Infektionserkrankungen des thekodonten Zahnhalteapparates durch fakultativ pathogene Keimspektren. Diese über die letzten Jahre gewachsene Definition der Volkskrankheit zeigt deren Komplexität hinsichtlich ihrer Ätiopathogenese und wirft daher in ihrer auf Kausalität bedachten Diagnostik und Therapie immer wieder kontrovers diskutierte Fragen auf.
Zum einen geht es in der PA-Diagnostik um die Wahl des richtigen Therapiezeitpunktes in dieser von Stagnation und Progression gekennzeichneten chronischen Erkrankung. Darüber hinaus ist der Wert mikrobiologischer Untersuchungen einerseits zur Diskriminierung unterschiedlicher Parodontitisformen (wie der chronischen und der aggressiven Parodontitis) und andererseits zur Auswahl verschiedener Therapieverfahren einschließlich der Entscheidung über den Einsatz geeigneter Antibiotika zu diskutieren.
Zum Zusammenhang zwischen dem subgingivalen Keimspektrum und den parodontalen Entzündungsparametern konnten die Clusteruntersuchungen von Socransky et al. (1998) die Prävalenz von Porphyromonas gingivalis (PG), Tannerella forsythia (TF) und Treponema denticola (TD) aus dem sogenannten „red complex“ sowie die Anwesenheit von Aggregatibacter actinomycetemcomitans (AA) mit zukünftig fortschreitendem Attachmentverlust assoziieren. Diese Ansicht wurde auch durch epidemiologische Studien von Papapanou et al. (1997; 2002) gestützt. Dagegen konnten die Literaturanalysen von Mombelli et al. 2002 eine Krankheitsunterscheidung zwischen chronischer und aggressiver Parodontitis aufgrund bakteriologischer Untersuchungen von Actinobacillus actinomycetemcomitans (AA), Porphyromonas gingivalis (PG), Prevotella intermedia (PI), Bacteroides forsythus (BF) und Campylobacter rectus (CR) nicht zeigen.
Eine sehr bemerkenswerte Studie an 493 Parodontitispatienten von Haffajee et al. (2006) untersuchte den Einfluss unterschiedlicher Therapieverfahren auf ihre Auswirkungen auf die bakterielle Zusammensetzung von 270.000 Plaqueproben. Auf Grundlage des mikrobiellen Ausgangsbefundes sollten das effektivste Therapieverfahren gefunden werden. In der Interpretation der Ergebnisse musste konstatiert werden, dass die am besten geeignete Therapie für ein spezifisches mikrobielles Profil auch im Rahmen dieser umfangreichen Studie nicht festgestellt werden konnte.
Auch für die Auswahl des geeigneten Antibiotikums in der Parodontitistherapie erscheint die mikrobiologische Untersuchung nicht zielführend. So zeigte eine Placebo kontrollierte Studie zur effektivsten Antibiose in der begleitenden PA-Therapie unabhängig vom bakteriellen Ausgangsprofil die beste Wirksamkeit für die Kombinationstherapie von Amoxicillin und Metronidazol.
Bei der Diabetes assoziierten Parodontitis konnte eine Untersuchung durch Grossi et al. (1997) allerdings einen deutlich positiven Einfluss auf die HbA1c Werte durch die adjuvante Behandlung mit Doxycyclin zeigen. Die Ursache für diesen Effekt ist einerseits in der antibiotischen Wirkung von Doxycyclin zu sehen, andererseits aber auch in seiner Matrixmetalloproteinasen (MMP) hemmenden Eigenschaft (Kennedy et al. 2014) und dem fördernden Effekt auf die Proliferation und Kollagenexpression von mit Diabetes belasteten Fibroblasten (Sasaki et al. 1990).
Labortechnische Untersuchungen zur Unterstützung der Diagnostik wie der Interleukin-1? Polymorphismus Test (PST Test®) zeigten in verschiedenen ethnologischen Bevölkerungsgruppen eine unterschiedliche Aussagekraft. In der kaukasischen Bevölkerung konnte ein positives IL-1? Polymorphismusergebnis allenfalls in der Vorhersagbarkeit von Komplikationen bei Implantatpatienten mit Parodontitishistorie bzw. Nikotinabusus eine prognostische Bedeutung erlangen (Gruica et al. 2004). Auch die aMMP-8 Bestimmung für die Wahl des prinzipiellen Erhaltungstherapieabstandes konnte aufgrund der großen interindividuellen Varianz in singulären Messungen (Kraft-Neumärker et al. 2012) bisher nicht überzeugen. Ein gewisser Wert könnte diesem Test im Monitoring mit wiederholten Messungen während der Erhaltungstherapie zur Wahl des unmittelbar bevorstehenden Recall-Intervalls zuzuschreiben sein.
Im Resümee ist zu konstatieren, dass der Messung der parodontalen Parameter mit der Parodontalsonde nach wie vor die größte Bedeutung beizumessen ist, wobei nach Renvert und Persson (2002) die residuale Sondierungstiefe nach dem Scaling und Root Planing als signifikanter Prädiktor für ein Rezidiv zu werten ist. Dabei ist die Entwicklung der Sondierungstiefen über die Zeit von wesentlicher Bedeutung für die Wahl des Therapiezeitpunktes. So führt Scaling und Root Planing in die Stagnationsphase der Parodontitis hinein zu Attachmentverlust.
Berücksichtigt man diese große diagnostische Bedeutung, spielt die richtige Durchführung der atraumatischen Sondierung eine entscheidende Rolle. Genaue Kenntnisse der anatomischen Verhältnisse und eine angemessene Taktilität sind daher Voraussetzungen für eine aussagekräftige Diagnostik und für die effektive Bearbeitung der Wurzeloberfläche während des Scaling und Root Planings. Eine gingivale Kürettage soll entsprechend der Stellungnahme der American Academy of Periodontology aus dem Jahre 2002 nicht mehr durchgeführt werden, da sie keinen zusätzlichen Nutzen bringt und zu Attachmentverlusten durch Rezessionen führt. Es ist bekannt, dass die Effektivität der Wurzeloberflächenbearbeitung mit steigender Sondierungstiefe sinkt. So zeigen 5 bis 80 % der bearbeiteten Wurzeloberflächen residuale Plaque (Petersilka 2002). Trotzdem können sowohl mittels Ultraschall als auch durch SRP vergleichbare posttherapeutische Effektivität in der Verbesserung der Attachmentlevel und Reduktion der Sondierungstiefen erzielt werden (Ioannou et al. 2009). Dabei sind nach Cobb (2002) die Gewinne umso größer, je höher sich die Ausgangswerte darstellen.
Erscheint das widersprüchlich?
Geht es eigentlich in der konservativen Therapie tatsächlich um die möglichst vollständige Entfernung der bakteriellen Besiedelung und der Konkremente oder geht es nicht vielmehr um das, was heute als Biofilmmanagement bezeichnet wird?
Aus der Arbeitsgruppe um Kolenbrander wissen wir, dass es sich bei der bakteriellen Besiedelung der subgingivalen Wurzeloberfläche um einen hoch organisierten Biofilm handelt (Jakubovics NS, Kolenbrander PE. 2010). In einem Biofilm sind die einzelnen Bakterien bis zu tausendmal resistenter gegenüber Antibiotika. Das liegt an der Fähigkeit der Bakterien zur Kommunikation zum genetischen Informationsaustausch innerhalb des Biofilms. Dabei sind die Kommunikationswege vielfältig und bestehen zum Beispiel in dem Austausch und Einbau von Plasmiden in die genetische Information der Mikroorganismen, wodurch Resistenz entsteht (Manch-Citron et al. 2000).
Vergleichende Untersuchungen zahlreicher konservativer Therapiemethoden zeigten, dass sich die klinischen Ergebnisse in der Regel nach 3 bis 6 Monaten einander angleichen. Das gilt insbesondere auch für das Konzept der sogenannten „Full mouth desinfection“. Kinane et Papageorgakopoulos (2008) schlugen daher schon im Titel ihres Reviews vor, die Frage nach der Therapiewahl eher praxisorganisatorischen Gegebenheiten zu unterwerfen als davon auszugehen, dass eine Reinfektion bereits gereinigter Taschen durch ein einzeitiges Vorgehen zu vermeiden sei.
Die weitgehende Homogenität im durch konservative Methoden erreichbaren Ergebnis der Parodontitistherapie liegt darin begründet, dass die Reetablierung eines pathogen Biofilms durch sequenzielle Besiedelung mit unterschiedlichen Bakterien subgingival länger dauert als supragingival (Teles et al. 2012). Zudem sind die Veränderungen in der mikrobiellen Zusammensetzung nach SRP auch bei guten klinischen Resultaten nur sehr moderat (Haffajee et al. 1997).
So wird verständlich, warum eine erfolgreiche Parodontitistherapie in entscheidendem Maße von einer konsequent durchgeführten risikoorientierten zyklischen Erhaltungstherapie abhängt, die darauf abzielt, den subgingivalen Biofi lm in den parodontalen Taschen zu zerstören und den Patienten durch eine kontinuierliche Reinstruktion und Remotivation zu einer angemessenen häuslichen Mundhygiene zu bewegen (Biofilmmanagement).
Dualer Bachelorstudiengang „Dentalhygiene und Präventionsmanagement“
Angesichts von 30 Mio. Patienten mit Parodontitis in Deutschland (Holftreter et al. 2010) ist fraglich, wie der langfristig steigende Betreuungsbedarf mit den oben beschriebenen diagnostischen und therapeutischen Anforderungen gedeckt werden kann. Für die Übernahme dieser delegierbaren Betreuungsaufgabe ist eine zusätzliche Qualifizierung des zahnärztlichen Assistenzpersonals notwendig. Neben den so genannten Aufstiegsfortbildungen, die je nach Engagement und kammerspezifischen Begebenheiten nach zehn bis zwölf Jahren in die Spezialisierung zur Dentalhygienikerin münden, gibt es nunmehr einen akademischen Weg, der von der praxisHochschule in Köln angeboten wird. Dieser duale Bachelorstudiengang „Dentalhygiene und Präventionsmanagement“, der entweder ausbildungsbegleitend (36 Monate) oder berufsbegleitend (24 Monate) konzipiert ist, zielt unter anderem darauf ab, einen neuen Blick auf das Berufsbild Dentalhygiene zu werfen. Dies spiegelt sich in dem Titel des Studiums durch den Zusatz „Präventionsmanagement“.
Wenngleich sich die Aussagen zu Zusammenhängen zwischen Parodontitis und systemischen Erkrankungen auf unterschiedlichen Evidenzniveaus befinden, erscheint es konsensfähig, die Parodontitis zumindest als ein Warnsignal zu verstehen. So kann die Erkrankung als Prädispositionsrisiko für das spätere Auftreten anderer mit dem Immunsystem und dem Bindegewebe assoziierten systemischen Erkrankungen verstanden werden.
Insofern ist eine ganzheitliche Betrachtungsweise einzunehmen und im Rahmen des Patientencoachings das Bewusstsein des Patienten für diese Zusammenhänge zu wecken. In der erhaltungstherapeutischen Betreuung von Patienten mit Parodontitis ist demnach nicht nur eine Tertiärprophylaxe zu sehen, sondern es werden ? im Sinne des Präventionsmanagements ? primär prophylaktische Aspekte offenbar.
Dieser Tatsache muss auch die Ausbildung der späteren Präventionsmanagerin ? der Dentalhygienikerin ? Rechnung tragen. An der praxisHochschule in Köln nimmt daher das „Studium fundamentale“, in dem u. a. die erforderlichen Sozialkompetenzen vermittelt werden, über die gesamte Studienzeit einen großen Raum ein: Das Erlernen der wissenschaftlichen Auseinandersetzung mit Themen und das so genannte „Problem Based Learning“. Diese zentralen Bestandteile der Wissensvermittlung an der praxisHochschule legen die Grundvoraussetzung für die Fähigkeit, den im Berufsalltag auftretenden Fragestellungen lösungsorientiert gegenüber zu stehen. An diesen Elementen zeigt sich einmal mehr, welche Funktion die Akademisierung medizinischer und zahnmedizinischer Berufsbilder hat.
Da sich der Studiengang „Dentalhygiene und Präventionsmanagement“ in seiner verkürzten Variante an zahnmedizinisches Assistenzpersonal mit entsprechender Eignung richtet, steht der akademische Weg nicht nur Abiturienten sondern eben auch speziell dieser Berufsgruppe offen.
Die praxisHochschule in Köln bietet bildungsorientierten Menschen eine Plattform, die es ihnen ermöglicht, den komplexen Entwicklungen unserer Gesellschaft kompetent gegenüberzustehen. Auf diese Weise soll dazu beigetragen werden, dem wachsenden Bedarf an fachkundiger Betreuung von Patienten in absehbarer Zeit ein ausreichendes Kontingent hoch motivierter Spezialisten in der Dentalhygiene und dem Präventionsmanagement gegenüber zu stellen.
Kritiker sind herzlich eingeladen, ihre Haltung im lösungsorientierten Dialog zu überdenken.
DENT IMPLANTOL (18)7 2014, S. 546-549
Prof. Dr. med. dent. Georg Gassmann / Dr. med. dent. Julia Blank
Erfolgsfaktoren einer nachhaltigen Parodontaltherapie?
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