Kombiniert chirurgisch parodontale GBR-Therapie

Eine prospektive randomisierte 10-Jahres-Studie hat an sogenannten „hoffnungslosen“ Zähnen gezeigt, dass parodontal regenerative Maßnahmen mit Blick auf die Kosten der Zahnentfernung und dem Ersatz durch Implantate überlegen sind [1]. Im vorliegenden Beitrag wird die Behandlung einer Patientin (80 Jahre) mit guter allgemeiner Gesundheit vorgestellt. Die Ausgangssituation zeigt einen durch misslungene endodontische und chirurgische Maßnahmen nicht oder nur bedingt erhaltungswürdigen Brückenpfeilerzahn 43. Aufgrund des fortgeschrittenen Alters besteht bei der Patientin der Wunsch nach dem zumindest vorübergehenden Erhalt ihrer derzeitigen Unterkieferversorgung respektive des strategisch bedeutsamen Pfeilerzahnes 43.
Anamnese
Der Erstbesuch und die Erhebung der allgemeinmedizinischen Anamnese erfolgten am 19. März 2018. Die Patientin, geboren am 07. Juni 1942, gab an, unter Bluthochdruck zu leiden, jedoch medikamentös mit Aspirin Cardio®, Atorvastatin® und Co-Valsartan® eingestellt zu sein. Ihre letzte zahnmedizinische Behandlung fand vor 5 Jahren statt im Rahmen einer Kontrolle beim damaligen Hauszahnarzt.
Die Patientin kam in unsere Praxis aufgrund einer aktuellen Zahnfleischentzündung mit Pusaustritt regio 43, die auf eine missglückte endodontische Behandlung an Zahn 43 sowie eine ebenso unvollständig durchgeführte Wurzelspitzenresektion vor ungefähr 20 Jahren zurückzuführen war. Trotz Aufklärung und eingehender Beratung zeigte sich die Patientin an einer Gesamtsanierung ihres Kauorgans nicht interessiert. Sie legte vielmehr Wert darauf, wenn irgend möglich, den Zahn 43 sowie die prothetische Versorgung im Ober- und Unterkiefer zu erhalten.
Klinische Befunde
Rote Ästhetik
Im Unterkiefer ist ein ausreichend breites Band an keratinisierter Schleimhaut zu erkennen. Die Breite variiert zwischen 1 mm im Eckzahnbereich und 4 bis 5 mm im Bereich der UK-Front, der Prämolaran und Molaren.
Es liegt ein Biotyp mit mittlerer Gewebestärke vor. Die Patientin verfügt über eine schmal geformte Oberlippe und die Lachlinie verläuft mittelhoch.
Weiße Ästhetik
Die Zähne der OK-Front empfindet die Patientin als ausreichend lang. Das entspannte Lächeln zeigt ca. ein Viertel der Frontzahnlänge.
Dentalstatus: Zahnform und -farbe
Es zeigen sich generalisierte Abrasionen bzw. Attritionen vor allem an den Prothesenzähnen im Oberkiefer. In den Prothesen-Seitenzahnbereichen ist die ursprüngliche anatomische Kauflächenstruktur noch ansatzweise vorhanden.
Nach über 20 Jahren Tragedauer sind die oberen Prothesenzähne verfärbt und erscheinen insgesamt gelblicher als die Restbezahnung im UK. Dennoch wünscht die Patientin derzeit keine diesbezügliche Nachbesserung.
Röntgenbefund
Auf der neu angefertigten Panoramaschichtaufnahme ist vor allem im OK-Seitenzahnbereich ein fortgeschrittener, im UK ein moderater horizontaler und vertikaler Knochenabbau zu erkennen. Zahn 43 zeigt eine periapikale und laterale Aufhellung (via falsa), Zahn 38 eine insuffiziente endodontische Versorgung (Abb. 1).
Diagnosen
Die intraorale Inspektion zeigt ein prothetisch und konservierend insuffizient versorgtes Erwachsenengebiss, die Röntgenaufnahme eine Parodontitis apicalis an Zahn 43.
Behandlungsablauf
Beginnend mit der Hygienephase, die eine Prophylaxesitzung einschließlich Reevaluation und professioneller Zahnreinigung umfasste, folgte im nächsten Schritt die kombinierte konservierende (endodontische) und chirurgische (Wurzelspitzenresektion) Versorgung und Abdeckung der „Via-falsa‟-Läsion 43 mit Mineraltrioxidaggregat (ProRoot® MTA Dentsply, Sirona). Zunächst wurde der Zahn im Rahmen der endodontischen Behandlung maschinell mit NiTi-Feilen (MTWO, VDW) aufbereitet und mit Guttapercha und Sealer (AH Plus, Dentsply) in lateraler und warm vertikaler Kondensationstechnik wurzelgefüllt (Abb. 2 und 3). Im Anschluss daran wurde die mikroskopische Wurzelspitzenresektion durchgeführt.
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Abb. 2: Endodontische Versorgung des Zahnes 43 nach vorangegangenen rezidivierenden
parodontalen Beschwerden.
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Abb. 3: Endodontische Versorgung des Zahnes 43 nach vorangegangenen rezidivierenden
parodontalen Beschwerden.
© Egger
Die Schnittführung erfolgte im Volllappendesign (Full-Flap) von 45 bis 42 marginal, mit vertikaler Entlastungsinzision mesial 42 ohne Periostschlitzung (Abb. 4). Nach Darstellung des Defektbereichs konnte das Granulationsgewebe kürretiert und die verbliebene, unvollständig resezierte Wurzelspitze 43 entfernt (Abb. 5 und 6) sowie die laterale Perforation (via falsa) nach Aufbereitung mit Ultraschallspitzen (Abb. 7) retrograd mit Mineraltrioxidaggregat (Pro-Root® MTA Dentsply Sirona) verschlossen werden (Abb. 8).
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Abb. 5: Darstellung des Defektbereichs, Resektion und Entfernung der verbliebenen Wurzelspitze.
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Abb. 6: Darstellung des Defektbereichs, Resektion und Entfernung der verbliebenen Wurzelspitze.
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Abb. 7: Aufbereitung mit Ultraschallspitzen.
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Abb. 8: Verschluss der Perforation mit MTA.
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Zum Schluss erfolgte die kombinierte Augmentation mit Knochenersatzmaterial (BioOss®, Geistlich) und Schmelzmatrixprotein-Derivat (Abb. 9 und 10), der Defektbereich wurde mit einer resorbierbaren Kollagenmembran (BioGide®, Geistlich) abgedeckt und die Wunde primär verschlossen (Abb. 11). Zum Abschluss der Behandlung bekam die Patientin eine 10-tägige Antibiotikatherapie mit Clindamycin 600 mg 2-mal täglich verordnet, mit ergänzender Schmerzmedikation nach Bedarf sowie Chlorhexidingluconat-Mundspülung für 14 Tage.
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Abb. 10: Kombinierte GBR-Therapie mit Knochenersatzmaterial und Schmelzmatrixproteinen.
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Abb. 11: Primärer Wundverschluss.
© Egger
Diskussion
In der klinischen Verlaufsdokumentation zeigten sich im Operationsgebiet stabile und reizfreie Hart- und Weichgewebeverhältnisse (Abb.12 und 13). Die nach Ausheilung des Weichgewebes „freiliegende“ Perforation (via falsa) wurde nach Verlust des MTA-Verschlusses mit Komposit gefüllt (Abb. 14). Zudem hat sich infolge des Heilungsverlaufs an Zahn 42 eine Rezession von ca. 2 mm entwickelt, welche die Patientin jedoch nicht als störend empfindet.
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Abb. 13: Zustand nach 12 Monaten, aufgenommen im Rahmen einer Recallsitzung
im September 2022.
© Egger -
Abb. 14: Finaler Verschluss der Wurzelperforation mit Komposit.
© Egger
Röntgenologisch ist eine fortschreitende Konsolidierung des eingebrachten Knochenersatzmaterials im Bereich der Restwurzel 43 (Abb. 15 und 16) zu erkennen. Den finalen Status im Rahmen der 1-Jahres-Verlaufskontrolle zeigt Abbildung 17.
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Abb. 16: Röntgenologisch ist im Bereich der aufgefüllten Stelle eine Konsolidierung
mit Knochenregeneration nach 3 und 12 Monaten zu erkennen.
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Abb. 17: Intraoraler Fotostatus (1-Jahres-Verlaufskontrolle): Front in Okklusion
(Bild zeigt Zahn 43 noch ohne Kompositverschluss)
© Egger
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Abb. 18: Parodontalstatus am Anfang der Behandlung.
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Abb. 19: 12 Monate nach Abschluss
der Behandlung.
© Egger
Produktliste
Indikation | Name | Hersteller/Vertrieb |
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Knochenersatzmaterial | Bio-Oss | Geistlich |
Schmelzmatrixprotein | Emdogain | Straumann |
Kollagenmembran | Bio-Gide | Geistlich |
MTA | Pro-Root MTA | Dentsply/Maillefer |
Fazit
Die Prognose des hier behandelten Zahnes 43 ist und bleibt nach wie vor fraglich, jedoch – im Hinblick auf das fortgeschrittene Alter und dem Wunsch nach Erhalt entsprechend – ganz im Sinne der Patientin. Positiv zu werten ist die Verblockung (Schienung) des Pfeilerzahnes im Brückenverbund, welcher schlussendlich auch ausschlaggebend für den bisherigen Therapieerfolg gewesen sein dürfte.
Die Patientin ist vollkommen beschwerdefrei und kommt alle 4 Monate zum Recall. Insofern kann dieser Fallbericht bis hierher die Ergebnisse der Studie von Cortellini et al. (2020) [1] aus der Praxis heraus stützen.
1 Cortellini P, Stalpers G, Mollo A, Tonetti MS. Periodontal regeneration versus extraction and dental implant or prosthetic replacement of teeth severely compromised by attachment loss to the apex: A randomized controlled clinical trial reporting 10-year outcomes, survival analysis and mean cumulative cost of recurrence. J Clin Periodontol. 2020 Jun;47(6):768–776. doi: 10.1111/jcpe.13289. Epub 2020 Apr 19. PMID: 32249446; PMCID: PMC7384072.