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Wahnsinn oder Fortschritt?

Sofortimplantation beherdeter Zähne

Patienten mit fehlenden oder nicht erhaltungswürdigen Zähnen oder herausnehmbarem Zahnersatz sehnen sich häufig danach, wieder unbeschwert lachen, kauen und sprechen zu können. Vor allem verlorengegangene Frontzähne können das Selbstbewusstsein und die Lebensqualität der Betroffenen maßgeblich beeinträchtigen. Während sich bei der konventionellen Implantatversorgung die Behandlungsdauer durch Einheilzeiten je nach Ausgangslage zwischen drei Monaten bis zu einem Jahr ziehen kann, wird diese durch Sofortimplantate deutlich verkürzt. Wir diskutieren in unserem Artikel die möglichen Grenzen der Sofortimplantation anhand von zwei Behandlungsfällen, in denen wir direkt nach Extraktion und Ausräumung großer Zysten sofort implantieren und versorgen.

Einbringung des bovinen Knochenersatzmaterials. HarderMehl
Einbringung des bovinen Knochenersatzmaterials.
Einbringung des bovinen Knochenersatzmaterials.

Die Sofortimplantation hat sich über die letzten Jahre als Therapiekonzept etabliert und liefert bei strenger Indikationsstellung gut prognostizierbare, ästhetische Ergebnisse. Die aktuelle Literatur gibt eine Überlebensrate von 96 – 97 % an, die sich nur geringfügig von der Überlebensrate der Spätimplantation mit 98 % unterscheidet [1-3]. Verloren gegangene Zähne beeinträchtigen die mundgesundheitsbezogene Lebensqualität in signifikantem Maße [4,5]. Zudem hat der Verlust einen negativen psychologischen Effekt auf die betreffende Person [6]. Durch einen zunehmenden Kenntnisstand der Bevölkerung bezüglich Implantaten und der damit verbundenen Wiederherstellung von Lebensqualität wird diese Versorgungsart häufig gewünscht [5].

Die Spätimplantation, also die Insertion von Implantaten Wochen bis Monate nach Extraktion war lange Goldstandard in der Implantologie und bietet nach wie vor gute Prognosen. Nachteilig anzusehen ist dabei die Versorgung mit einer herausnehmbaren Interimsprothese und Veränderungen der periimplantären Gewebe wie Knochenresorptionen durch den Abbau von Bündelknochen. Bei der Spätimplantation führen Resorptionsprozesse häufig zur Notwendigkeit von umfangreichen Knochenaugmentationen [7,8]. Vor allem beim Verlust von Frontzähnen kann es durch die meist sehr dünne bukkale Knochenlamelle besonders rasch zu einer sagittalen Knochenresorption kommen. Diese kann in eine vertikale Resorption übergehen und deshalb das periimplantäre Weichgewebsangebot ebenfalls ungünstig verändern [9]. Das periimplantäre Weichgewebe ist neben einem guten Knochenangebot essentiell für den Erhalt der Osseointegration von Implantaten [10]. Die klassischen Konzepte mit später Implantation und belastungsfreier Einheilung werden zunehmend hinterfragt. Sofortimplantate mit anschließender Sofortversorgung und gegebenenfalls auch Sofortbelastung stellen daher ein chirurgisch- prothetisches Konzept dar, um vorrangig einwurzelige Zähne und zahnlose Kiefer sofort zu versorgen. Dabei kann eine ansprechende Phonetik, Funktion und Ästhetik für den Patienten mit einer höheren Zufriedenheit auf Grund der kurzen Behandlungsdauer und Vermeidung von herausnehmbarem Zahnersatz kombiniert werden [11].

Der vorliegende Fallbericht beschreibt das Therapiekonzept bei einem Patienten mit einer nicht erhaltungswürdigen Restbezahnung im Oberkiefer. Mit Hilfe von vier Implantaten und einer verschraubten Prothese (DIEM 2 Konzept) wurde die Patientin wieder festsitzend versorgt. Der zweite Fall beschreibt eine Sofortimplantation in regio 12 und 22 bei massiver apikaler Beherdung und fehlender vestibulärer Lamelle. Bei beiden dargestellten Fällen handelt es sich um grenzwertige Indikationsstellungen für eine Sofortimplantation mit Sofortversorgung.

Falldarstellung 1

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DIEM 2 Versorgung im Oberkiefer

Anamnese

Zum Zeitpunkt der Erstvorstellung im Januar 2018 war die Patientin 61 Jahre alt. Der Allgemeinzustand war neben einer leichten Hypertonie unauffällig. Zudem rauchte sie etwa 25 Zigaretten pro Tag.

Die Erstuntersuchung in unserer Praxis zeigte eine stark destruierte Restbezahnung im Ober- und Unterkiefer, wobei nur die Unterkieferfront von Zahn 33-43 erhaltungswürdig erschien. Der parodontale Zustand war bei unzureichender Mundhygiene ebenfalls instabil (Taschentiefe > 5 mm und Lockerungen Grad II-III) (Abb. 1 und 2). Die Patientin stellte sich bei uns in der Praxis mit dem Wunsch nach Neuversorgung vor.

Ausgangsbefunde

Extraoral konnten keine Auffälligkeiten festgestellt werden. Intraoral zeigte sich die keratinisierte Gingiva auf Grund der unbehandelten Parodontitis geschwollen und entzündet, die Schleimhaut des Gaumens und der Zunge ergab keine pathologischen Veränderungen.

Der dentale Befund zeigte klinisch ein teilbezahntes, insuffizient versorgtes Gebiss bei einer chronischen, generalisierten Parodontitis mit vertikalen Einbrüchen. Die Molaren und Prämolaren waren gelockert (Lockerungsgrad II-III, BOP 78 %) und wiesen Furkationsbeteiligungen Grad 2 bzw. Grad 3 auf. In regio 11 konnte ein Fistelgang festgestellt werden. Röntgenologisch konnte der Befund einer Parodontitis bestätigt werden: generalisierter Knochenabbau > 50 %, Paro-Endo-Läsionen bzw. apikale Aufhellungen an den Zähnen 16, 13, 11, 22, 37, 34, 46. An Zahn 16 wurde eine Kieferhöhlenzyste diagnostiziert. Zahn 41 war devital, jedoch nicht apikal beherdet.

Diagnostik und Planung

Nach der ersten klinischen Befundaufnahme und Fotodokumentation (Abb. 1) wurden zur Ergänzung des klinischen Befundes (Perkussion, Vitalität, PA-Status, Lockerungsgrad, Furkationsgrad, BOP) ein OPG angefertigt (Abb. 2) und die Patientin über die verschiedenen Therapieoptionen aufgeklärt.

Abb. 1: Ausgangsbefund intraoral mit retrahierten Lippen. HarderMehl
Abb. 1: Ausgangsbefund intraoral mit retrahierten Lippen.
Abb. 2: OPG der Ausgangssituation. HarderMehl
Abb. 2: OPG der Ausgangssituation.

Diagnose/Einschätzung der Prognose

Einstufung der Zähne in nicht erhaltungswürdige Zähne 16, 14, 11, 24, 34, 37, 44, 46. Fraglich erhaltungswürdige Zähne 13, 22, 23 und erhaltungswürdige Unterkiefer-Frontzähne 33- 43 nach klinischer und röntgenologischer Untersuchung.

Therapieoptionen

Folgende Therapieoptionen wurden der Patientin im Oberkiefer angeboten:

  1. Versuch Zahnerhalt 13, 23 und Versorgung herausnehmbarer Prothese.
  2. Versuch Zahnerhalt 13, 23 und Pfeilerzahnvermehrung durch Implantate mit anschließend festsitzender Versorgung.
  3. Extraktion der restlichen Bezahnung im Oberkiefer und Versorgung durch eine Totalprothese.
  4. Extraktion der Oberkiefer-Bezahnung mit anschließender Implantation von vier Implantaten (DIEM 2 Konzept).
  5. Unterlassung der Behandlung.

Im Unterkiefer wurde der Patientin eine herausnehmbare Modellgussprothese und alternativ eine festsitzende Versorgung auf einer Implantat getragenen Brücke im Seitenzahngebiet angeboten. Alternativ wären auch eine Teleskop- oder Geschiebearbeit möglich gewesen.

Die Patientin wünschte eine schnelle und festsitzende Versorgung im Oberkiefer (und Unterkiefer) bei kleinstmöglichem chirurgischen und zeitlichen Aufwand. Sie entschied sich daher für die DIEM 2 Versorgung im Oberkiefer und im Unterkiefer für eine Versorgung mit Kronen 33-43 und Implantaten im Seitenzahngebiet.

Klinisches und labortechnisches Vorgehen

Als erster Behandlungsschritt wurde nach der professionellen Zahnreinigung eine Parodontitistherapie der Unterkiefer-Front vorgenommen und eine endodontische Behandlung des erhaltungswürdigen Zahnes 41 durchgeführt.

Es folgte die Situationsabformung des Ober- und Unterkiefers mit Bissnahme (Alginat und Futar® D Fast, Kettenbach) zur Dokumentation und Planung. Zur genauen Planung der Implantatpositionen und Analyse des Knochenlagers wurde eine dreidimensionale Röntgenaufnahme erstellt. Im Labor wurde nach Artikulation der Situationsmodelle die nicht erhaltungswürdige Bezahnung im Gips radiert und eine Totalprothese analog zu einem idealisierten Set-up hergestellt. Ebenso wurde eine Bohrschablone für den Oberkiefer (duplizierte Prothese aus durchsichtigem Kunststoff) und Unterkiefer (Duplikat aus durchsichtigem Kunststoff nach Set-up Vorlage) sowie ein Bissregistrat aus lichthärtendem Kunststoff (Abb. 3a und b) hergestellt. In Intubationsnarkose und zusätzlicher Lokalanästhesie (UDS Forte 1:10000, Sanofi, Frankfurt) wurden die Zähne 16, 14, 13, 11, 23, 24, 36, 34, 44 und 46 schonend unter größtmöglichem Knochenerhalt extrahiert, sowie alle Zysten nach Präparation eines Mukoperiostlappens entfernt (Abb. 4 und 5).

Abb. 3a und b: Vorbereitung der Operation mit Set-up und Registraten von Ober- und Unterkiefer. HarderMehl
Abb. 3a und b: Vorbereitung der Operation mit Set-up und Registraten von Ober- und Unterkiefer.
Abb. 4: Intraoperative Säuberung der Situation nach Hebung eines vollen Zahnfleischlappens und Darstellung des Knochens und der enthaltenen Zysten. Hier Entfernung der Zyste in regio 13 nach Entfernung aller Zähne im Oberkiefer. HarderMehl
Abb. 4: Intraoperative Säuberung der Situation nach Hebung eines vollen Zahnfleischlappens und Darstellung des Knochens und der enthaltenen Zysten. Hier Entfernung der Zyste in regio 13 nach Entfernung aller Zähne im Oberkiefer.
Abb. 5: Der von Zähnen und Zysten gesäuberte Oberkieferknochen vor der Glättung mit einer Kugelfräse. HarderMehl
Abb. 5: Der von Zähnen und Zysten gesäuberte Oberkieferknochen vor der Glättung mit einer Kugelfräse.

Es folgten die Implantatbohrungen mit Bohrschablone und im Anschluss die Implantatinsertion nach dem DIEM 2 Protokoll in regio 12, 22 mit geraden, 13 mm langen Tapered T3 Implantaten und in regio 15 und 25 mit um 45 Grad angulierten Tapered T3 Implantaten (Zimmer Biomet Dental, München) mit einer Länge von 15 mm und einem äußeren Durchmesser von 4 mm.

Im Unterkiefer wurden ebenfalls in regio 34, 36, 44 und 46 Tapered T3 Implantate (Zimmer Biomet Dental) gesetzt. Die nach der Extraktion verbleibenden Alveolen wurden im krestalen Randbereich geglättet und anschließend alle Knochendefekte und Spalten mit Knochenersatzmaterial bovinen Ursprungs verfüllt (Endobon small granules®, Zimmer Biomet Dental).

Der augmentierte Bereich wurde mittels OsseoGuard® Membranen (Zimmer Biomet Dental) abgedeckt und mit dem ALTApin-Set (Camlog, Wimsheim) fixiert. Es erfolgte ein Wundverschluss mit Einzelknopfnähten (Resolon 5.0).

Nach Abschluss des chirurgischen Teils der Behandlung begann die rekonstruktive Phase. Zunächst wurden auf den Implantaten die Mesostruktur (low profile Abutments, Zimmer Biomet Dental) mit einem Drehmoment von 20 Ncm befestigt und die Abformpfosten eingeschraubt (Abb. 7). Es erfolgte die Abformung mit einem Polyether (Permadyne, 3M, USA) und die Kontrolle der Kieferrelation. Anschließend wurden im Hauslabor das Oberkiefermodell hergestellt, die vor der Operation hergestellte Prothese an die jetzt entstandene Situation angepasst (Abb. 9) und die provisorischen Abutments in der Prothese befestigt sowie die Prothese ausgearbeitet (Öffnen des Gaumens, Randgestaltung etc.).

Abb. 6: Alle Implantate in situ und Augmentation mit Membranen porcinen Ursprungs und Knochenersatzmaterial bovinen Ursprungs. HarderMehl
Abb. 6: Alle Implantate in situ und Augmentation mit Membranen porcinen Ursprungs und Knochenersatzmaterial bovinen Ursprungs.
Abb. 7: Sicherung der Implantatpositionen gegen Verzug des Abformmaterials. HarderMehl
Abb. 7: Sicherung der Implantatpositionen gegen Verzug des Abformmaterials.
Abb. 8: Kontrollübersichtsaufnahme direkt nach der Operation. HarderMehl
Abb. 8: Kontrollübersichtsaufnahme direkt nach der Operation.
Abb. 9: Oberkieferprothese auf Modell bereit zum Eingliedern direkt nach der Operation. HarderMehl
Abb. 9: Oberkieferprothese auf Modell bereit zum Eingliedern direkt nach der Operation.

Der provisorische Zahnersatz wurde schließlich mit 10 Ncm eingebracht und die Schraubenkanäle wurden mit einem sterilisierten Teflonband und lichthärtendem Kunststoff verschlossen (Tetric flow, Ivoclar Vivadent, Schaan, Liechtenstein). Die Prothese wurde auf Ästhetik und Funktion hin überprüft (Abb. 10 und 11).

Abb. 10: Oberkieferprothese nach Operation eingeschraubt mit 10 Ncm. HarderMehl
Abb. 10: Oberkieferprothese nach Operation eingeschraubt mit 10 Ncm.
Abb. 11: Oberkieferprothese direkt nach Operation eingesetzt in der en-face Ansicht. HarderMehl
Abb. 11: Oberkieferprothese direkt nach Operation eingesetzt in der en-face Ansicht.

Die Patientin kam nach drei Tagen zur Kontrolle in die Klinik. Die Nähte im Unterkiefer konnten nach sieben Tagen entfernt werden. Die Patientin wurde ausgiebig in Mundhygiene (Reinigung unter der Prothese mit sanften Wasserstrahlgeräten, Interdentalbürstchen und Superfloss) unterrichtet.

Nach einer Einheilzeit von vier Monaten wurde die festsitzende, verschraubte DIEM 2 Prothese im Oberkiefer abgenommen und ein Gerüst aus Polyetherketonketon (PEKK) zur Stabilisierung eingearbeitet.

Die Freilegung der Unterkieferimplantate in regio 34, 36, 44, 45 erfolgte zeitgleich unter Bildung eines Spaltlappens und Einsetzen von Gingivaformern und anschließender Versorgung mit einer implantatgetragenen Brücke links und rechts. Zum Zeitpunkt der Eingliederung der definitiven prothetischen Versorgung konnte ein für Behandler und Patient ästhetisch und funktionell zufriedenstellendes Ergebnis festgestellt werden (Abb. 12 bis 15). Nach Abschluss der prothetischen Therapie wurde die Patientin in unser halbjährliches Recallsystem aufgenommen. Die Oberkieferprothese muss alle sechs Monate in der Praxis entfernt und die Prothese sowie die Implantate sorgfältig gereinigt werden.

Abb. 12: Unterkiefer vier Wochen nach Freilegung und zwei Wochen nach Präparation mit eingesetzten und 000-Fäden, um die Präparationsgrenzen der Preilerzähne sauber darzustellen und die Oberflächen der Zähne vor dem Einsetzen der Restauration reinigen zu können. HarderMehl
Abb. 12: Unterkiefer vier Wochen nach Freilegung und zwei Wochen nach Präparation mit eingesetzten und 000-Fäden, um die Präparationsgrenzen der Preilerzähne sauber darzustellen und die Oberflächen der Zähne vor dem Einsetzen der Restauration reinigen zu können.
Abb. 13: Fertige Restauration eine Woche nach dem Einsetzen, lachend. HarderMehl
Abb. 13: Fertige Restauration eine Woche nach dem Einsetzen, lachend.
Abb. 14 a und b: Fertige Restauration eine Woche nach dem Einsetzen mit retrahierten Lippen; (a) in habitueller Okklusion und mit protrudiertem Unterkiefer (b). HarderMehl
Abb. 14 a und b: Fertige Restauration eine Woche nach dem Einsetzen mit retrahierten Lippen; (a) in habitueller Okklusion und mit protrudiertem Unterkiefer (b).
Abb. 15: Übersichtsaufnahme als Baseline-Röntgen für zukünftige Kontrollen. HarderMehl
Abb. 15: Übersichtsaufnahme als Baseline-Röntgen für zukünftige Kontrollen.

Falldarstellung 2

Sofortimplantation bei größerer apikaler Beherdung und Verlust der bukkalen Knochenlamelle

Anamnese, Diagnostik und Planung

Im Juni 2016 wurde die Patientin erstmals aufgrund gelockerter Frontzahnkronen in der Praxisklink vorstellig. Sie war zu diesem Zeitpunkt 66 Jahre alt und zeigte sich allgemeinanamnestisch unauffällig.

Bei klinischer und radiologischer Untersuchung zeigte sich ein prothetisch und konservierend insuffizient versorgtes Gebiss mit starkem horizontalem Knochenabbau, insbesondere in der Oberkieferfront und im Seitenzahngebiet im Ober- und Unterkiefer.

Die Zähne 17, 16, 15, 23, 24, 26, 27, 34, 35, 37, 45 und 46 waren durch insuffiziente Füllungen versorgt. Zahn 24 und 26 zeigten sich apikal beherdet. Röntgenologisch erkannte man ebenso deutliche apikale Aufhellungen zystischer Ausbreitung an den Zähnen 12 und 22, welche in der Vergangenheit bereits endodontisch behandelt wurden (Abb. 16). Die Kronen auf diesen beiden Zähnen waren ebenfalls klinisch insuffizient. Auch hier wurden dem Patienten, nach der Befundaufnahme und Ergänzung der zur Planung benötigten Behandlungsunterlagen, die verschiedenen konservierenden und prothetischen Therapieoptionen aufgezeigt und erläutert.

Abb. 16: Klinischer Ausgangsbefund Fall 2. HarderMehl
Abb. 16: Klinischer Ausgangsbefund Fall 2.
Abb. 17 a und b: Diagnostisches DVT präoperativ Fall 2; raumfordernde zystische Ausdehnung regio 12 (a) und 22 apikal (b). HarderMehl
Abb. 17 a und b: Diagnostisches DVT präoperativ Fall 2; raumfordernde zystische Ausdehnung regio 12 (a) und 22 apikal (b).

Nach dreidimensionaler röntgenologischer Abklärung (Abb. 17a und b) wurde die Erhaltungswürdigkeit der Zähne 12 und 22 als hoffnungslos eingestuft. Die Patientin wurde über die verschiedenen Therapiemöglichkeiten aufgeklärt (konventionelle Brückenversorgung, Adhäsivbrücken, herausnehmbare Prothese, Knochenaufbau und Implantation ? zweizeitig, Sofortimplantation mit Knochenaufbau und Sofortversorgung, Unterlassung). Sie entschied sich für eine Sofortimplantation in diesem Gebiet.

Klinisches und labortechnisches Vorgehen

Das labortechnische Vorgehen und die präoperative Planung (Abformung für Provisorienherstellung, DVT, Bohrschablone, Fotodokumentation, Wax-up) wurden analog zu oben genanntem Fall durchgeführt.

Nach parodontaler und konservierend/endodontischer Vorbehandlung (PA-Therapie, Füllungen, Wurzelfüllungen der Zähne 24, 26, 27) erfolgte die Sofortimplantation in regio 12 und 22. Auf Grund der zystischen Befunde und benötigten Augmentation wurde ein Volllappen präpariert, um gute Sicht zum Operationsgebiet zu erhalten (Abb. 18). Die Zähne 12 und 22 und das entzündliche Gewebe wurden schonend entfernt (Abb. 19) und anschließend Sofortimplantate (4/3 x 15 mm, Zimmer Biomet Dental) bei einer Knochenqualität D2 eingebracht.

Abb. 18: Darstellung des Operationsgebietes. HarderMehl
Abb. 18: Darstellung des Operationsgebietes.
Abb. 19: Zustand des residuellen Knochens post extraktionem 12 und 22. HarderMehl
Abb. 19: Zustand des residuellen Knochens post extraktionem 12 und 22.
Abb. 20: Implantate eingebracht mit Abformpfosten. HarderMehl
Abb. 20: Implantate eingebracht mit Abformpfosten.

Die Abformung erfolgte mittels eines konfektionierten offenen Abformpfostens und dem im Labor hergestellten Schlüssel (lichthärtende Kunststoffplatten) (Abb. 20). Dieser Schlüssel wurde über die Abformpfosten im Mund intraoral mit einem dualhärtenden Kunststoff (Luxatemp, DMG, Hamburg) verschlüsselt und die Implantatpositionen anschließend im Labor zur Provisorienherstellung auf das Modell übertragen. Danach wurden die alveolären Defektspalten und die vestibulär freiliegenden Implantatwindungen (vor allem regio 22) mit xenogenem Knochenersatzmaterial (Endobon® Small Granules Xenograft Granulat, Zimmer Biomet Dental) gefüllt (Abb. 21a-c).

Abb. 21a-c: Augmentation des Knochendefektes mit festgepinnter Membran porcinen Ursprungs (a), Einbringung des bovinen Knochenersatzmaterials (b) und Umschlagen der Membran und Fixierung mit dem Gingivaformer (c). HarderMehl
Abb. 21a-c: Augmentation des Knochendefektes mit festgepinnter Membran porcinen Ursprungs (a), Einbringung des bovinen Knochenersatzmaterials (b) und Umschlagen der Membran und Fixierung mit dem Gingivaformer (c).
Abb. 22: Provisorien auf Modell. HarderMehl
Abb. 22: Provisorien auf Modell.
Abb. 23: Wundverschluss und eingesetzte Provisorien. HarderMehl
Abb. 23: Wundverschluss und eingesetzte Provisorien.

Zwei Membranen (OsseoGuard ®, Zimmer Biomet Dental) wurden eingebracht (Abb. 21a und c) und das Operationsgebiet nach Eingliederung der laborgefertigten Provisorien ohne statische, dynamische und Approximalkontakte mit Einzelknopfnähten verschlossen (Abb. 23).

Nach viermonatiger Einheildauer erfolgte die endgültige digitale Implantatabformung mit dem Trios Intraoralscanner (3 Shape, Kopenhagen, Dänemark) (Abb. 24a und b). Das ästhetische und funktionelle Ergebnis (Abb. 25a und b) war für die Patientin und Behandler zum Zeitpunkt der Eingliederung und in den folgenden Recalluntersuchungen (halbjährlich) sehr ansprechend.

Abb. 24 a und b: Scanbodies in situ (a), digitales Modell direkt nach der Abformung (b). HarderMehl
Abb. 24 a und b: Scanbodies in situ (a), digitales Modell direkt nach der Abformung (b).
Abb. 25 a und b: Zahnersatzkontrolle nach einer Woche (a) und Abschlussröntgen (b). HarderMehl
Abb. 25 a und b: Zahnersatzkontrolle nach einer Woche (a) und Abschlussröntgen (b).

Diskussion

Die zunehmende Beliebtheit der Sofortimplantation bei nicht erhaltungswürdigen Zähnen ist sicherlich durch die zahlreichen Vorteile bedingt: Die Behandlungsdauer ist deutlich kürzer, festsitzender Zahnersatz kann unmittelbar nach Zahnverlust im ästhetisch relevanten Bereich eingebracht werden, umfangreiche Sinuslift-Augmentationen werden vermieden [12], die ursprüngliche Schleimhaut- und Knochensituation kann bestmöglich erhalten werden (Sofortimplantation im Frontzahngebiet) [13] und die Behandlungskosten werden verringert [14].

Bei Sofortimplantaten ist die Patientenzufriedenheit signifikant höher (95 %) als bei der verzögerten Implantation (84 %) [11]. Dennoch ist, nach bisherigem wissenschaftlichen Stand, die Indikationsstellung und strikte Einhaltung des Operationsprotokolls von herausragender Bedeutung, um optimale Ergebnisse zu erzielen.

Man unterscheidet bei der prothetischen Versorgung von Sofortimplantaten zwischen einer Sofortbelastung innerhalb einer Woche nach Implantatinsertion und einer Sofortversorgung mit konventioneller Belastung nach etwa drei Monaten. Bei der Sofortversorgung, wie im Fall 2 dargestellt, wird ein Provisorium ohne Okklusions- und Approximalkontakte direkt nach Insertion des Sofortimplantates eingebracht. Die Sofortbelastung, wie auch im Fall 1, beinhaltet eine direkte, funktionsfähige Versorgung der Sofortimplantate durch eine funktionelle, definitive prothetische Restauration. Als Voraussetzung für eine erfolgreiche Sofortbelastung ist eine sehr hohe Primärstabilität der Implantate essentiell [15]. Die sofortige und die verzögerte, konventionelle Belastung von Sofortimplantaten zeigten ähnliche Ergebnisse in Bezug auf die Behandlungserfolgsraten und die Stabilität des radiologischen Knochenniveaus [16].

Beim DIEM 2 Konzept werden zur kompletten Versorgung eines Kiefers vier Implantate benötigt. Zwei werden vertikal in den Kieferknochen eingebracht, während die endständigen Implantate individuell, nach anatomischen Voraussetzungen, mit einer Winkelung von 30 bis 45 Grad inseriert werden. Demzufolge können in dieser Region sehr lange Implantate verwendet werden, welche mit einer hohen Kraft von 50-70 Ncm in den Knochen eingebracht werden und daher eine hohe Primärstabilität aufweisen [17-19]. Dieser Aspekt ermöglicht in den meisten Fällen eine Sofortbelastung [12].

Konventionell werden im Oberkiefer bei axialer Implantation mindestens sechs Implantate eingebracht, wobei oftmals ein Sinuslift notwendig ist. Somit reduzieren sich die Kosten von zwei Implantaten und einer aufwändigen Augmentation neben der Zeitersparnis für den Patienten.

Die 5-Jahres-Überlebensrate von vergleichbaren All-on-4® Implantaten liegt bei 98 %, während die der prothetischen Versorgung sogar 100 % beträgt. [20].

Bei 10-Jahres Überlebensraten der Implantate von 94,8 % und der Restauration von 99,2 % [21] kann das All-on-4® Verfahren bei entsprechender Indikationsstellung, Planung und Durchführung durch einen geschickten erfahrenen Operateur als sinnvolle Alternative zu den ursprünglichen Spätimplantationen gesehen werden.

Leider müssen beim DIEM 2/All-on-4® Konzept auch potentiell erhaltungswürdige Zähne entfernt werden. Die Entscheidung für das DIEM 2 Konzept setzt eine sorgfältige zahnärztliche Beurteilung der Erhaltungswürdigkeit der einzelnen Zähne (Einteilung in „sicher“, „fraglich“ und „hoffnungslos“ nach McGuire und Nunn [22, 23]), sowie der Compliance, finanzieller Mittel und Wunsch des Patienten voraus.

Eine Erfolgsvoraussetzung für sichere und erfolgreiche Sofortimplantation im Frontzahngebiet, wie im zweiten Fallbeispiel, ist eine weitgehend intakte knöcherne Alveole, insbesondere eine unversehrte und ausreichend dicke bukkale Lamelle [24]. Die Sofortimplantation beim kompletten Verlust der vestibulären Lamelle, wie in diesem Fall beschrieben, entspricht nicht den in der Literatur angegebenen Empfehlungen. Dennoch gibt es bereits einige Fallberichte, welche durchwegs positive Resultate bei einer Sofortimplantation im Frontzahngebiet und anschließender Augmentation mit einem xenogenen Knochenersatzmaterial und Verwendung einer allogenen Membrane beschreibt [25]. Den Autoren und dem Operateur ist bewusst, dass die Indikationsstellung für eine Sofortimplantation im hier beschriebenen Fall nicht den wissenschaftlichen Leitlinien entspricht. Der Patient muss hierbei besonders ausführlich über die gesteigerte Wahrscheinlichkeit eines Misserfolges mit Implantatverlust aufgeklärt werden. Der erfahrene Behandler entschied sich, auf ausdrücklichen Patientenwunsch, trotz ungünstiger Ausgangslage, für den Versuch einer Sofortimplantation, da er keinen zeitlichen Verlust gegenüber einer Spätimplantation im Falle eines Fehlschlages sah. Theoretisch kann eine einfache Sofortimplantation ohne Lappenbildung durchgeführt werden [26]. Dies ist gegenüber einer Spätimplantation vorteilhaft, da bei einer Lappenmobilisation durch die Mobilisierung des Periosts ein wichtiger Teil der Blutversorgung gekappt wird, woraus eine bukko-orale Resorption von bis zu 4,5 mm und eine vertikale Veränderung von über einem Millimeter resultieren kann.

Die Vermeidung eines Mukoperiostlappens erzielt für den Erhalt der Weichgewebsarchitektur (insbesondere der Papillen) nach Frontzahnextraktionen ästhetisch hervorragende Resultate mit Rezessionen von 0,5 mm und einem Papillenrückgang von nur 0,4 mm sowie sehr geringen Knochenresorptionsraten von durchschnittlich 0,8 mm [2].

Eine Implantatinsertion ohne Lappenbildung konnte in diesem Fall allerdings nicht vorgenommen werden, da durch die vorhandenen apikalen Entzündungen nicht genug Knochenangebot und ausgeprägte knöcherne Defekte vorlagen [27]. Eine sofortige Platzierung mit sofortiger provisorischer Versorgung von Zahnimplantaten in der ästhetischen Zone führt zu exzellenten kurzfristigen Behandlungsergebnissen in Bezug auf das Implantatüberleben und minimale Veränderungen der periimplantären Weich- und Hartgewebeabmessungen [2]. Eine Sofortimplantation bei chronisch apikaler Beherdung scheint laut Studienlage unproblematisch [28, 29]. Nach der Extraktion des beherdeten Zahnes, Entfernung des Granulationsgewebes und sorgfältiger Kürettage der Alveole konnten hohe Erfolgsraten von Sofortimplantaten festgestellt werden [30]. Weitere Studien zeigten sogar, dass sich die Osseointegration bei Sofortimplantaten, die in einer Extraktionsalveole, welche mit einer Infektion assoziiert war, nicht signifikant von jenen Implantaten in gesunden Alveolen unterschied [29,31]. Empfehlenswert ist laut rezenter Literatur eine prä- und postoperative antibiotische Prophylaxe, welche bei größeren Implantationen und Augmentationen ohnehin verabreicht werden sollte [32]. Nach der Analyse der Artikel und in Abhängigkeit von ihrer wissenschaftlichen Qualität wird eine Typ-B-Empfehlung zugunsten der Sofortimplantation in frischen, mit periapikalen infektiösen Prozessen verbundenen Alveolen ausgesprochen [14].

Schlussfolgerung

In den letzten Jahren hat sich das DIEM2/All-on-4®-Konzept immer mehr als Alternativbehandlung zum konventionellen Vorgehen durch die hohen Erfolgsraten und die hohe Patientenzufriedenheit etabliert [33]. Die Langzeitergebnisse dieser Technik und die zahlreichen Vorteile, wie die Sofortbelastung, die reduzierte Morbidität und die relativ niedrigen Kosten, sollten bei der Therapieentscheidung im Falle eines zahnlosen Kiefers oder bei nicht erhaltungswürdiger Restbezahnung unbedingt berücksichtigt werden [34]. Anhand des Patientenbeispiels und der aktuellen Studienlage kann gefolgert werden, dass eine sofortige Implantatinsertion im Frontzahngebiet zusammen mit der Anwendung eines Knochenersatzmaterials sowie einer ästhetisch ansprechenden provisorischen Phase (Sofortversorgung) und anschließender definitiver Restauration zur Wiederherstellung stabiler Knochen und Weichgewebsverhältnisse und einer hohen Patientenzufriedenheit führt [35]. Eine strenge Indikationsstellung beim Operationsverfahren und mehr chirurgisches Geschick sind dabei erforderlich.

Die korrekte Vorgehensweise bei der Indikation und Durchführung der Sofortimplantation im Oberkieferfrontzahnbereich kann mögliche Folgedefekte und die Notwendigkeit zu umfangreichen Augmentationen mit unästhetischen Weichgewebsschäden verhindern. Dabei steht die bestmögliche Versorgung für den Patienten im Vordergrund, um die Integrität des Gebisses für den Patienten in Form, Funktion und Ästhetik zufriedenstellend wiederherzustellen. Die verfügbare Datenlage und Leitlinien können dabei dem Behandler in der Entscheidungsfindung dienen. Eine sorgsame Fallselektion, die Aufklärung über Erfolgsaussichten und Misserfolgsraten sowie eine gute Dokumentation sind bei der Erstbehandlung und Nachsorge sehr wichtig.

Kontrollierte randomisierte klinische Langzeitstudien mit hohem Evidenzgrad wären vor allem bei noch nicht ausreichend untersuchten und dokumentierten Grenzindikationen, wie dem Fehlen einer intakten vestibulären Lamelle, apikalen Beherdungen und dem Ersatz mehrerer Frontzähne, empfehlenswert, um Vor- und Nachteile, verglichen mit den konventionellen Therapieoptionen, noch besser abschätzen zu können.

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