Im Praxisalltag wird ein Behandler nicht selten mit Defektsituationen konfrontiert, die ihn an die Grenzen seiner Erfahrung bringen (können). Noch schwieriger wird es, wenn aufgrund der persönlichen Situation des Patienten nur kompromissbehaftete Behandlungen möglich sind. Dann ist der Behandler gefordert, die Wünsche des Patienten und das klinisch Notwendige und Machbare unter ethischen wie finanziellen Aspekten in Einklang zu bringen.
Die 63-jährige, gesetzlich versicherte Patientin, bis dahin alio loco in Behandlung, wollte ihre fehlenden Molaren im Oberkiefer mit festsitzendem Zahnersatz ersetzt haben. Einen weitergehenden Behandlungsbedarf lehnte sie trotz augenscheinlicher multipler Defekte ab.
Befundung und Diagnose
Diffizile Defektsituationen erfordern einen standardisierten und strukturierten Workflow, um deren Therapierisiken beherrschbar zu machen. Eine dreidimensionale Bildgebung ist dabei unverzichtbar für die präimplantologische Diagnostik. Ausgehend von einer systematischen, klinischen und DVT-basierten röntgenologischen Befundung werden zunächst die anatomischen Strukturen erfasst und ein Dental-, Parodontal- und Funktionsstatus erstellt.
Funktional auffällig waren bei der Patientin inkongruente Zahnbögen, eine deutlich von der Regelbisslage abweichende Okklusion, ein Kreuzbiss im rechten Seitenzahnbereich sowie freiliegende Zahnhälse aufgrund parafunktioneller Aktivitäten. Im rechten Oberkiefer zeigten sich hart- und weichgewebige Rezessionen mit palatinal geringer Restknochenhöhe sowie ein gekammerter Sinus mit spitzem Septum und entsprechend geringen Abständen zwischen dem residualen Kieferkamm, der Kiefer- und der Nasenhaupthöhle. Die Molaren in regio 17, 16 und 25 waren infolge mangelbehafteter Wurzelkanalbehandlungen vor längerer Zeit verloren gegangen (Abb. 1 bis 5).
Behandlungsplanung
In einem ausführlichen (und aus forensischen Gründen detailliert dokumentierten) Gespräch wurden der Patientin die Befunde und die damit verbundenen möglichen Risiken umfassend und für sie verständlich erläutert [3]. Dennoch zog die Patientin – abgesehen von ihrem Wunsch nach festsitzendem Zahnersatz – keine weiteren zahnmedizinisch angeratenen Therapieschritte in Betracht.
So blieben als „kleinster gemeinsamer Nenner“ drei Behandlungsziele:
- Die Zahnreihen im Oberkiefer durch eine physiologisch zur Zahnreihe des unveränderten Unterkiefers passende, funktionale Restauration ergänzen.
- Dabei den einseitigen Kreuzbiss rechts auflösen.
- Eine Stabilisierung des dentalen Status quo herbeiführen, um ein Fortschreiten der Defekte zumindest zu minimieren. Nach der Behandlung gegebenenfalls noch bestehende funktionelle Defizite durch eine Aufbissschiene ausgleichen.
Aufgabe war es, die Freiendlücke in regio 17 und 16 mit zwei Einzelimplantaten und verschraubten und verblockten Kronen in transversal richtiger Position zu versorgen. Die verschraubte Lösung vermeidet das Risiko potenzieller Zementreste im Sulkus und deren Folgen [6,11] und ist bei eventuellen Revisionen komfortabler zu handhaben.
Aufgrund der vertikalen Knochenresorption in diesem Bereich wurde eine externe, simultane Sinusbodenelevation vorgesehen. Die Schaltlücke in regio 25 sollte ebenfalls mit einer verschraubten Krone versorgt werden, ein Knochenaufbau war nicht notwendig.
Implantatplanung im Backward Planning
Ein Implantat ist ein prothetischer Eingriff mit chirurgischer Komponente. Umso wichtiger ist es, eine prothetisch orientierte Positionierung und Ausrichtung der Implantatachse möglichst sicher und exakt umsetzen zu können [9,12].
Bei einer risikobehafteten Defektsituation, wie der vorliegenden, ist daher nicht nur aus forensischen Aspekten eine navigierte Implantation angeraten. Navigiert inserierte Implantate weisen signifikant geringere Achs- und Positionsabweichungen auf als teilgeführte oder Freihand gesetzte Implantate [5,10].
Für die Planung werden die anatomischen Strukturen in einer DVT-Aufnahme erfasst. Mit diesen Informationen lassen sich Verletzungsrisiken benachbarter anatomischer Strukturen weitgehend ausschließen und entsprechend der Abstände die jeweiligen Implantatdurchmesser festlegen.
In einer Planungssoftware wird die DVT-Aufnahme mit der gescannten Situationsabformung, dem Modelscan und dem analogen Wax-up gematcht. Backward Planning ermöglicht eine optimale prothetische Planung mit korrekt bemessenen, ausgerichteten und positionierten Implantaten, die, wie in diesem Fall, nur in die Kieferhöhle und nicht in die Nasenhöhle hineinragen (Abb. 6 und 7).
Biofunktionelle Aspekte der Positionierung und Ausrichtung
Die mesiodistale Positionierung von Implantaten ist in der Regel durch die vorhandene Lückensituation vorgegeben, wobei vorangegangene Veränderungen wie Drehungen oder Kippungen von Nachbarzähnen eine ideale Positionierung erschweren können.
Zu den Nachbarzähnen gilt ein Abstand von 1,5 bis 2 mm und zwischen zwei Implantaten von 3 mm als optimal [4,7,8]. Zu geringe Abstände können aufgrund unzureichender Ernährung des Gewebes zu einem apikalen Verschieben der Biologischen Breite, zu Knochenabbau und als Folge zu Weichgewebsrezessionen führen.
Darüber hinaus sind ungünstig positionierte Implantate schlechter zu reinigen und es kann sich leicht eine Periimplantitis ausbilden. Deren Therapie ist dann durch den knappen Abstand zwischen den anatomischen Strukturen und dem Implantatkörper erschwert. Eine nachträgliche Positionskorrektur eines fehlpositionierten Implantats wiederum ist mit einem erheblichen chirurgischen Aufwand verbunden [13].
Orovestibulär ist eine Implantatposition innerhalb der Tangente von Nachbarzähnen oder leicht palatinal davon ideal, wobei bukkal eine noch möglichst 2 mm starke Knochenlamelle stehen sollte [1]. Anderenfalls müsste augmentiert werden, um bukkale Rezessionen zu vermeiden. Zu sehr palatinal positionierte Implantate wiederum ziehen eine ungünstige, S-förmige Kontur („Ridge-lapping“) zur Überlappung des Alveolarkamms nach sich.
Im vorliegenden Fall war das bukkale Knochenangebot im rechten Oberkiefer resorptionsbedingt knapp bemessen. Entsprechend schmal war der Korridor für eine optimale Ausrichtung des Implantats und einem „natürlichen“ Aussehen der Restaurationen. Ziel war, den Kreuzbiss aufzulösen, indem Antagonist und Implantatkrone in weitgehend normaler Stellung verschleißarm okkludieren können und keinen schädigenden Überbelastungen mehr ausgesetzt sind.
Da die Patientin nur den Sinuslift zugelassen hatte, wurde die verbliebene vertikale Distanz zwischen Titan- und Kronenbasis mit zahnfleischfarbener Keramik überbrückt. In einem solchen Fall jedoch können bei einem gemäß der Implantatachse verlaufenden Schraubenkanal schon geringe Abweichungen zu einer ungünstig liegenden Austrittsöffnung des Schraubkanals führen.
Hierbei kommt dem Behandler das Abutment des Thommen-Implantatsystems (Thommen Medical AG, CH) mit seinem schlanken Schraubenkanal entgegen. Er gibt dem Behandler mehr Freiheit bei der Austrittsöffnung, ohne Risiken für Morphologie, Ästhetik und zahntechnische Stabilität der Krone eingehen zu müssen. Zudem schließt die konische Form der Abutmentschraube mit ihrer Verspannung in der Längsrichtung das Risiko von Schraubenlockerungen weitestgehend aus.
Sind alle Planungsdaten erfasst und abgeglichen, wird auf dieser Datenbasis die Bohrschablone konstruiert, im additiven Verfahren hergestellt und mit passenden Führungshülsen (Steco, Hamburg) bestückt. Das verwendete Implantat vom Typ Thommen Medical INICELL® Element RC bietet die entsprechenden Durchmesser und Längen, um das Implantat optimal auf vorliegende anatomische Strukturen abstimmen zu können (Abb. 8 bis 11).
Operatives Vorgehen
Die Aufbereitung der Bohrstollen und die Insertion der Implantate wurden gemäß Protokoll durchgeführt. In regio 17 und 16 wurden zwei Implantate (ø 4,5 mm, Länge 9,5 mm) und in regio 25 ein Implantat (ø 4,0 mm, Länge 9,5 mm) eingebracht. Der Eingriff erfolgte unter antibiotischer Abschirmung und die Implantate heilten ohne Komplikationen ein.
Zur Verbreiterung der keratinisierten Mukosa wurde bei Freilegung der Implantate in regio 17 und 16 mit einem Spaltlappen befestigte Gingiva nach bukkal verschoben. Bei dem Implantat in regio 25 wurde die periimplantäre Mukosa mit einem Gingivaformer nach bukkal verdrängt (Abb. 12 bis 18).
Fazit
Zwar konnte die Zahnreihe des Oberkiefers trotz bestehender prekärer Knochen- und Weichgewebsverhältnisse dergestalt wieder aufgebaut werden, dass mittels okklusal verschraubter Restaurationen physiologisch zur Zahnreihe des Unterkiefers passende Kronen auf den gut osseointegrierten Implantaten verschraubt werden konnten. Allerdings war aufgrund der engen patientenseitigen Vorgaben lediglich eine Rekonstruktion in habitueller Okklusion möglich. Werden mit einer regelmäßigen Parodontaltherapie (UPT) entzündungsfreie Verhältnisse stabilisiert und noch verbliebene funktionelle Defizite durch eine Aufbißschiene ausgeglichen, kann für die Versorgung eine günstige, wenn auch eingeschränkte Langzeitprognose gestellt werden (Abb. 19 und 20).
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