Knochenmanagement


Knochenersatzmaterialien und Wachstumsfaktoren in der oralen Regeneration

Gemisch aus einem xenogenen Knochenersatzmaterial in Kombination mit PRF (Sticky-Bone).
Gemisch aus einem xenogenen Knochenersatzmaterial in Kombination mit PRF (Sticky-Bone).

Knochenersatzmaterialien (KEM) sind eine mögliche Ergänzung bzw. Alternative zu körpereigenen, autologen Knochentransplantaten und bilden einen integralen Bestandteil unterschiedlicher therapeutischer Konzepte der Alveolarkammaugmentation und der parodontalen Regeneration. Im Gegensatz zum autologen Knochen besitzen KEM keine vitalen Zellen bzw. Zytokine und Wachstumsfaktoren und damit im Vergleich zum autologen Knochen mit seinen osseoinduktiven und -konduktiven Eigenschaften lediglich ein osseokonduktives Potential.

Diese Limitation der Knochenersatzmaterialien könnte durch eine Kombination mit Wachstumsfaktoren (z.B. Bone Morphogenetic Protein, BMP) bzw. regenerativ supportiven Substanzen (z.B. Schmelz-Matrix-Proteine; Plättchen-reiches Fibrin (PRF)) überwunden werden. Ziel dieser sogenannten Biofunktionalisierung ist neben der Beschleunigung und Optimierung der Knochenneubildung auch eine beschleunigte und verbesserte Vaskularisation der Transplantate.

Besonders die Schmelz-Matrix-Proteine und das PRF bieten in der Kombination mit Knochenersatzmaterialien sowohl bei der Alveolarkammaugmentation als auch bei der parodontalen Regeneration interessante klinische Anwendungsoptionen. Derzeit erlaubt die Literatur trotz erster nachgewiesener, osseoinduktiver Effekte aber noch keine finale, evidenzbasierte Aussage über den klinischen Nutzen einer KEM-Biofunktionalisierung mit Wachstumsfaktoren bzw. regenerativ supportiven Substanzen.

Einleitung

Moderne, orale regenerative Konzepte nutzen neben den körpereigenen, autologen Transplantaten (Knochen, Weichgewebe) auch vermehrt Biomaterialien zur Hart- und Weichgeweberegeneration, die eine Entnahme autologer Transplantate in ausgewählten Indikationen überflüssig machen und dadurch unter anderem eine mögliche Entnahmemorbidität verhindern können [1-3]. Im Bereich der Knochenregeneration kommen neben dem autologen Knochen xenogene (meist bovin, vom Rind) und synthetische Knochenersatzmaterialien (KEM) sowie prozessierte, allogene Knochenkompositionen aus humanem Spenderknochen zum Einsatz, die sowohl bei der Alveolarkammaugmentation als auch bei der parodontalen und periimplantären Regeneration eingesetzt werden können [4,5].

Autologe Knochentransplantate, die z.B. in Form von Knochenblöcken oder als partikuläre Knochenspäne intraoral von der Linea obliqua, der Crista zygomatico alveolaris oder der Kinnregion entnommen werden können, enthalten zumindest theoretisch vitale Zellen (z.B. Osteoblasten) und Wachstumsfaktoren (z.B. VEGF – Vascular Endothelial Growth Factor), die eine schnelle und suffiziente Revaskularisation und Reossifikation der Transplantate ermöglichen.

Neben einer Funktion als Leitstruktur der Knochenregeneration in der augmentierten Defektregion (Osseokonduktivität) induzieren diese ebenfalls über Zellen, Zytokine und Wachstumsfaktoren die Knochenregeneration (Osseoinduktivität).

KEM hingegen sind aufgrund des komplexen mehrstufigen Aufbereitungsprozesses (xenogene KEM und allogene Knochenkompositionen) bzw. aufgrund der verwendeten Ausgangsmaterialien (synthetische KEM, meist eine Kombination aus Tricalciumphosphat und Hydroxylapatit) azellulär und avaskulär [6]. Daneben enthalten KEM (mit einigen Ausnahmen) meist keine Kollagenstruktur (Kollagen Typ I und III) mehr. Zusammenfassend könnte darin eine mögliche Ursache gesehen werden, dass KEM nicht in allen Indikationen und bei allen chirurgischen Protokollen als uneingeschränktes Äquivalent zum autologen Knochen eingesetzt werden können, der nach wie vor von einigen Autoren als der sogenannte „Goldstandard“ in der oralen Hartgeweberegeneration tituliert wird [7,8]. Diese Limitation der KEM und der allogenen Knochenkompositionen könnte möglicherweise durch eine sogenannte Biofunktionalisierung der KEM mit verschiedenen Wachstumsfaktoren bzw. regenerativ supportiven Substanzen in der klinischen Anwendung überwunden werden.

Wachstumsfaktoren und regenerativ supportive Substanzen

In der Zahn-, Mund- und Kieferheilkunde werden verschiedene Wachstumsfaktoren und regenerativ supportive Substanzen schon seit einiger Zeit bei verschiedenen Indikationen getestet bzw. auch klinisch eingesetzt. Bei Bone Morphogenetic Protein (BMP) handelt es sich um einen osseoinduktiv wirksamen Wachstumsfaktor aus der BMP-Familie, der rekombinant hergestellt werden kann. Innerhalb der BMP-Familie gilt BMP-2 derzeit als das potenteste osseoinduktive Zytokin, welches eine Differenzierung mesenchymaler Stammzellen in Osteozyten und Osteoblasten induziert [9]. Eine der am längsten auch klinisch fest etablierten regenerativ supportiven Substanzen sind die Schmelz-Matrix- Proteine (Enamel-Matrix-Derivate, EMD), die ursprünglich für die Regeneration des parodontalen Halte- und Faserapparates entwickelt wurden. Während man ursprünglich davon ausgegangen ist, dass EMD lediglich einen positiven Einfluss auf die Regeneration parodontaler Gewebe haben, konnte nach und nach in den vergangenen 15-20 Jahren gezeigt werden, dass diese auch die Weichgeweberegeneration und die Vaskularisation verbessern können.

Miron et al. stellten zusammenfassend dar, dass EMD auch die RANKL- (Receptor Activator of Nuclear Kappa Ligand) und Osteoprotegerinexpression als wichtige Signalstrukturen des Knochenstoffwechsels signifikant beeinflussen können, wodurch sich wiederum ein möglicher osseoinduktiver Effekt begründen lässt [10]. Neben der Gel-Form sind EMD seit einiger Zeit auch in einer liquiden Form erhältlich.

Eine weitere vielversprechende Option ist das Plättchenreiche Fibrin (PRF), welches aus humanem, patienteneigenem Vollblut durch Zentrifugation gewonnen werden kann. In den so hergestellten Fibrin-Clots sind eine Vielzahl unterschiedlicher Wachstumsfaktoren enthalten, die die Proliferation, Migration, Adhäsion und Differenzierung unterschiedlicher Zelllinien induzieren. Während ein positiver Effekt des PRF auf die Weichgeweberegeneration als gesichert gilt, gibt die Literatur mittlerweile auch Hinweise darauf, dass PRF osseoinduktive Effekte besitzen könnte [11].

Anforderungen und Ziele einer Biofunktionalisierung

An oberster Stelle der Biofunktionalisierung von KEM steht die Patientensicherheit. Dahingehend muss z.B. gewährleistet sein, dass ein Wachstumsfaktor keine unerwünschten lokalen oder systemischen Effekte oder Nebenwirkungen hervorruft. Ferner müssen strenge Regularien beachtet werden. So dürfen Wachstumsfaktoren (z.B. BMP-2) in Deutschland nicht durch den Arzt („chairside“) einem KEM für die klinische Anwendung beigemischt werden, da es sich hierbei um die Herstellung eines Arzneimittels handeln könnte. Daneben sollten mit Wachstumsfaktoren biofunktionalisierte KEM eine konstante Freisetzungskinetik aufweisen, die den Wachstumsfaktor in einer biologisch aktiven Form über einen gewünschten Zeitraum freisetzt, was unter Umständen technisch schwer zu realisieren ist. Die klinischen Ziele einer KEM-Biofunktionalisierung mit Wachstumsfaktoren oder regenerativ supportiven Substanzen können unterschiedlich und indikationsabhängig sein. Ein vorrangiges Ziel ist sicherlich eine Verbesserung der osseoinduktiven Wirkung der KEM. Diese könnte sich z.B. in einer schnelleren Knochenneubildung, einer höheren Volumenstabilität oder einer besseren Knochenqualität widerspiegeln. Neben dem direkten Einfluss auf die knochenbildenden Zellen und damit auf die Osseoinduktivität könnten diese Ziele aber auch durch eine Beschleunigung und Verbesserung der Vaskularisation erreicht werden. Die schnelle und suffiziente Vaskularisation gilt als einer der möglichen Schlüsselfaktoren der Knochenregeneration, da nicht zuletzt das Augmentationsvolumen sowie die horizontale und besonders die vertikale Dimension der Augmentation unter anderem von der Revaskularisation des Augmentationsvolumens abhängig sind. Durch eine Biofunktionalisierung mit osseoinduktiven und proangiogenen Wachstumsfaktoren ließen sich möglicherweise die bislang bekannten biologischen Grenzen der Augmentation erweitern. Eine weitere Indikation könnte zukünftig einmal der kompromittierte Patient sein, bei dem aufgrund von Vorerkrankungen (z.B. Diabetes mellitus) oder Antiresorptiva (z.B. Bisphosphonate) der Knochenstoffwechsel eingeschränkt ist.

„Natürliche“ Biofunktionalisierung

Eine Möglichkeit der KEM-Biofunktionalisierung liegt in der „natürlichen“ Biofunktionalisierung. Unter natürlicher Biofunktionalisierung versteht man, dass Biomaterialien auch ohne die Zugabe von Wachstumsfaktoren oder regenerativ supportiven Substanzen derart zu modifizieren bzw. vorhandene makro- und mikroarchitektonische Strukturen zu nutzen sind, um eine möglichst ideale Geweberegeneration zu erreichen. Während dies z.B. bei xenogenen porcinen Kollagenmembranen durch die Anordnung der Kollagenfasern und die Beschaffenheit der porösen Oberflächenstruktur erreicht werden kann, spielen bei den KEM bekannte Parameter, wie z.B. die Partikelgröße, die Porengröße und die Porosität eine wichtige Rolle. Da die genannten Parameter bei den bovinen KEM und bei den Allografts aufgrund der originären Struktur des Spenderknochens nur sehr limitiert verändert werden können, sind hier die synthetischen KEM von besonderem Interesse. Hier lassen sich Parameter, wie z.B. die Makro- und Mikroarchitektur in gewissen Grenzen individuell, oft auch unwillentlich herstellungsbedingt, gestalten. Durch die Oberflächenstruktur synthetischer KEM lässt sich z.B. eine optimale Zelladhäsion erreichen (Abb. 1 und 2). Auch durch die Addition weiterer Bestandteile (z.B. von nanostrukturiertem Kieselgel) ergeben sich bei den synthetischen KEM potentiell weitere Möglichkeiten [12,13].

  • Abb. 1: Rasterelektronenmikroskopische Ãœbersichtsaufnahme eines synthetischen Knochenersatzmaterials auf Tricalciumphosphat-(TCP) und Hydroxylapatit- Basis (HA) mit Zellbesiedlung. Synthetische Knochenersatzmaterialien auf TCP- und HA-Basis weisen häufi g herstellungsbedingt eine halbkugelförmige Makroarchitektur auf, in der sich Zellen anlagern können.
  • Abb. 2: Rasterelektronenmikroskopische Detailaufnahme eines synthetischen Knochenersatzmaterials auf TCP-und HA-Basis mit Zellbesiedlung. Es zeigt sich eine feinkugelige Oberfl ächenstruktur des synthetischen Knochenersatzmaterials, welches den Ausläufern der Zellkörper eine suffi ziente Oberfl ächenhaftung zu ermöglichen scheint.
  • Abb. 1: Rasterelektronenmikroskopische Ãœbersichtsaufnahme eines synthetischen Knochenersatzmaterials auf Tricalciumphosphat-(TCP) und Hydroxylapatit- Basis (HA) mit Zellbesiedlung. Synthetische Knochenersatzmaterialien auf TCP- und HA-Basis weisen häufi g herstellungsbedingt eine halbkugelförmige Makroarchitektur auf, in der sich Zellen anlagern können.
    © Pabst
  • Abb. 2: Rasterelektronenmikroskopische Detailaufnahme eines synthetischen Knochenersatzmaterials auf TCP-und HA-Basis mit Zellbesiedlung. Es zeigt sich eine feinkugelige Oberfl ächenstruktur des synthetischen Knochenersatzmaterials, welches den Ausläufern der Zellkörper eine suffi ziente Oberfl ächenhaftung zu ermöglichen scheint.
    © Pabst

KEM-Biofunktionalisierung mit BMP

Der positive Einfluss von BMP auf die Knochenregeneration konnte in zahlreichen, vor allem präklinischen Studien, belegt werden. Teng et al. zeigten die klinische Überlegenheit mittels BMP-2 biofunktionalisierter boviner Knochenblöcke bei der vertikalen Sandwich- Osteoplastik mit Simultanimplantation gegenüber nicht modifizierten Blöcken am Beaglemodell in-vivo [14]. Auch im Tiermodell mit einer chronischen Parodontitis konnte die klinische Überlegenheit eines mittels BMP-2 biofunktionalisierten synthetischen KEM bzgl. der Knochenregeneration bewiesen werden [15]. Bei der Alveolarkammaugmentation mit einem bovinen, mittels BMPs biofunktionalisierten KEM, konnte im Beaglemodell eine Überlegenheit von rhBMP-9 gegenüber rhBMP-2 gezeigt werden [16]. In einer klinischen Studie wurde der Einfluss einer mittels BMP-2 biofunktionalisierten Kollagenmembran beim Sinuslift mit krestaler Zugangskavität im atrophen posterioren Oberkiefer mit Simultanimplantation (ohne Sofortbelastung) hinsichtlich der Parameter Knochenneubildung und Implantatstabilität mit suffizienten klinischen Ergebnissen getestet [17]. Die verfügbare Literatur zeigt zusammenfassend gute klinische Ergebnisse bei der Verwendung von BMP-2, wobei diese meist beim Sinuslift und bei der Ridge Preservation angewendet wurden, die als Bewertungsmaßstab möglicherweise nur bedingt aussagekräftig sind [18,19]. Allerdings konnte in einem Review auch der Nutzen von BMPs bei der Alveolarkammaugmentation gezeigt werden, vor allem bzgl. des zu erreichenden vertikalen Knochengewinns [20]. Nach Kenntnis der Autoren gibt es derzeit auf dem deutschen Markt kein mittels BMP modifiziertes und zugelassenes KEM. Des Weiteren ist die eigenständige KEM-Biofunktionalisierung mittels Wachstumsfaktoren und klinische Anwendung nicht erlaubt. Neben der direkten KEM-Biofunktionalisierung mittels Wachstumsfaktoren wurde auch die indirekte Stimulation und Freisetzung von Zytokinen und Wachstumsfaktoren als interessanter Ansatz getestet. Kämmerer et al. untersuchten im Tiermodell den Einfluss einer Modifikation verschiedener boviner KEM mit einem plättchenreichen Konzentrat aus humanem Vollblut. Diese Modifikation führte im Tiermodell zu einer signifikant gesteigerten Plättchenaktivierung und zu einer gesteigerten Freisetzung unterschiedlicher Wachstumsfaktoren (Platelet-derived Growth Factor, PDGF; Vascular Endothelial Growth Factor, VEGF; Insulin-like Growth Factor, IGF; Transforming Growth Factor, TGF) [21].

KEM-Biofunktionalisierung mit Schmelz-Matrix-Proteinen

Der Nutzen einer KEM-Biofunktionalisierung mit Schmelz-Matrix- Proteinen (Enamel-Matrix-Derivate, EMD) wird derzeit in der Literatur kontrovers diskutiert. Im Großtiermodell zeigte eine Kombination aus KEM/EMD gegenüber alleinigem KEM an Kalottendefekten bzgl. der Knochenneubildung keinen signifikanten Unterschied. Dagegen konnte bzgl. der Mineralisation ein Vorteil der KEM/EMD Kombination gezeigt werden [22]. Im in-vitro Modell in der Zellkultur konnte durch die Biofunktionalisierung eines KEM mit einem flüssigen EMD Carrier-System eine deutlich gesteigerte Adhäsion, Proliferation und Differenzierung von Osteoblasten nachgewiesen werden [23]. Im Rattenmodell zeigte eine KEM/EMD-Kombination eine beschleunigte und qualitativ verbesserte Knochenneubildung gegenüber der nicht-modifizierten KEM-Gruppe [24]. Anhand der verfügbaren Literatur lässt sich bislang kein klarer Vorteil einer KEM-Biofunktionalisierung mittels EMD nachweisen [25,26]. Allerdings muss bei dieser Bewertung beachtet werden, dass die meisten Studien parodontale Knochendefekte untersucht haben. Daten zu weiteren, auch komplexeren Augmentationsverfahren des Alveolarkamms, fehlen bislang weitestgehend.

KEM und Schmelz-Matrix-Proteine in der parodontalen Regeneration

Die Wiederherstellung verlorener parodontaler Strukturen ist immer das Ziel parodontaler Therapien gewesen. Schon früh versuchte man, den reinen knöchernen Defekt mit Knochenersatzmaterialien wiederaufzubauen [27]. Dabei wurde aber aufgrund histologischer Arbeiten erkannt, dass das reine Auffüllen parodontaler Knochendefekte mit autologem Knochen oder KEM zwar zu einem radiologischen Knochengewinn, nicht aber zu einer wirklichen parodontalen Regeneration führt [28]. Es bildete sich vielmehr ein langes Saumepithel aus, das nicht einer wirklichen restitutio ad integrum entspricht. Seit Nyman im Jahre 1982 mit einem Milipore-Filter die erste wirkliche parodontale Regeneration am Menschen nachweisen konnte, wurden verschiedene Materialien und Membranen sowie Wachstumsfaktoren untersucht und entwickelt, die im dentalen Markt zur Verfügung standen und stehen [29,30] Die für die Stabilisierung des Blutkoagulums benötigte Raumerhaltung wurde zunächst vor allem mit Membranen durchgeführt, die auch mit Knochenersatzmaterialien kombiniert wurden [31]. Im Jahre 1997 wurde von Hammerström die parodontale Regeneration mittels Schmelz-Matrix-Proteinen nachgewiesen und 1998 in einer ersten Studie von Pontoriero auch in der klinischen Wirksamkeit am Menschen bestätigt [32,33]. Die reine Verwendung von Schmelz-Matrix-Proteinen führt vor allem bei dreiwandigen Knochendefekten zu einer guten parodontalen Regeneration [34]. Dies ermöglicht aufgrund der einfachen Applizierbarkeit auch die Durchführung minimal-invasiver Operationsverfahren, bei denen der Zugang zum Operationsfeld klein gehalten wird [35-37]. Dies wiederum erlaubt es, die Morbidität der Patienten deutlich zu verringern. Die Frage, ob die Kombination von Schmelz-Matrix-Proteinen mit autologem Knochen oder Knochenersatzmaterialien zu einer verbesserten Stabilität des Blutkoagulums und einer verbesserten Regeneration führt, wird immer wieder kontrovers diskutiert. Hierbei scheint es nicht nur auf die Größe des Defektes, sondern auch auf das verwendete Füllmaterial anzukommen [38,39]. Bei der Regeneration zwei- und dreiwandiger Knochendefekte scheint die zusätzliche Verwendung eines Knochenfüllers keinen oder nur einen geringen, meist nicht signifikanten Effekt zu haben [40]. Allerdings konnten Guida et al. zeigen, dass bei der Kombination von Schmelz-Matrix-Proteinen mit autologem Knochen zwar der Attachmentgewinn nicht signifikant verbessert wird, die Rezession der Papille im operierten Bereich aber signifikant geringer ausfällt [41]. Dies hat durchaus in Hinblick auf die Ästhetik und die Pflege des interdentalen Bereiches eine klinisch relevante Bedeutung, so dass außer bei komplett dreiwandigen Defekten die Empfehlung zur Verwendung eines Knochenfüllers ausgesprochen werden kann. Die Art des Füllers scheint dabei keinen entscheidenden Einfluss zu haben. In den letzten Jahren erweiterte sich der Fokus der parodontalen Regeneration auf Zähne, die bereits einen ausgeprägten Knochenverlust erlitten hatten. Es konnte gezeigt werden, dass durch Kombination von Schmelz-Matrix-Proteinen mit einem bovinen Knochenersatzmaterial auch bei Zähnen, die Defekte über die Wurzelspitze hinaus und einen deutlichen Lockerungsgrad aufwiesen, eine erfolgreiche parodontale Regeneration durchgeführt werden konnte, die zu einer deutlichen Verbesserung der Überlebensrate führte [42]. Hierbei wurden Patienten mit Zähnen, die als „hoffnungslos“ eingestuft waren, in zwei Studiengruppen eingeteilt. Bei der einen Gruppe wurde die Zähne durch eine Gesteuerte Geweberegeneration erhalten, bei der zweiten Gruppe wurden diese extrahiert und durch Brücken oder Implantate ersetzt. Von 25 Zähnen, die parodontal regeneriert wurden, konnten im Follow-up nach 5 Jahren noch 24 Zähne erfolgreich erhalten werden, was einer 5-Jahres-Überlebensrate von 96 % bei infauster Prognose entspricht. Aufgrund der Größe der Defekte war die Verwendung eines stabil stehenden Knochenersatzmaterials erforderlich, was durch Verwendung von bovinem Material erreicht wurde. Gerade aber bei der Verwendung von bovinem KEM stellt sich die Frage, ob dies einen „toten Füller“ darstellt oder zu einer wirklichen Wiederherstellung des parodontalen Zahnhalteapparats führt. In einer Histologie einer Gesteuerten Geweberegeneration (Guided Tissue Regeneration, GTR) mittels Schmelz-Matrix-Proteinen und einem bovinen KEM am Menschen konnten Sculean et al. zeigen, dass eine parodontale Regeneration von Zement, Faserapparat und Knochen mit dieser Materialkombination möglich ist [43].

  • Abb. 3: Schematische Darstellung des therapeutischen Vorgehens bei der parodontalen Geweberegeneration, modifiziert nach Cortellini & Tonetti 2005 [38].

  • Abb. 3: Schematische Darstellung des therapeutischen Vorgehens bei der parodontalen Geweberegeneration, modifiziert nach Cortellini & Tonetti 2005 [38].
    © Dr. Jochen Tunkel
Wie in Abbildung 3 (modifiziert nach [36]) dargestellt, lässt sich zusammenfassend sagen, dass sowohl mit Schmelz-Matrix-Proteinen als auch mit resorbierbaren Membranen eine Gesteuerte Geweberegeneration durchgeführt werden kann. [44] Hierbei weisen die Ergebnisse keinen signifikanten Unterschied auf. Die Anzahl der Wände und Größe des Defektes bestimmen den fakultativen Einsatz eines KEM. Dies ist bei vollständig dreiwandigen Knochendefekten nicht erforderlich, bei zwei- und einwandigen Defekten aber zu empfehlen, um auch eine Papillenrezession zu verhindern. Insbesondere bei Defekten, die aufgrund fehlender Defektwände und großer Defektwinkel den Raumerhalt allein nicht zu unterstützen scheinen, sollten xenogene KEM beruhend auf der guten Langzeitstabilität in Kombination mit Schmelz-Matrix-Proteinen verwendet werden. Die Abbildungen 4-9 zeigen einen klinischen Fall der parodontalen Regeneration mit Schmelz-Matrix-Proteinen und einem xenogenen KEM.
  • Abb. 4: Tiefer parodontaler Defekt am Zahn 11, der nach mesial einen Attachmentverlust von ca. 95% aufweist.
  • Abb. 5: Klinische Situation nach Eröffnung des Defektes am Zahn 11. Es stellt sich eine Kombination aus einem drei-, zwei- und einwandigen Defekt dar.
  • Abb. 4: Tiefer parodontaler Defekt am Zahn 11, der nach mesial einen Attachmentverlust von ca. 95% aufweist.
    © Dr. Jochen Tunkel
  • Abb. 5: Klinische Situation nach Eröffnung des Defektes am Zahn 11. Es stellt sich eine Kombination aus einem drei-, zwei- und einwandigen Defekt dar.
    © Dr. Jochen Tunkel

  • Abb. 6: Die Applikation von Schmelz-Matrix-Proteinen (Emdogain®; Straumann GmbH, Basel, Schweiz) in die Defektregion.
  • Abb. 7: Nach Applikation des Schmelz-Matrix-Proteins (Emdogain®) (vgl. Abb. 6) erfolgt das Auffüllen des parodontalen Defektes mit einem xenogenen KEM (cerabone®; Straumann GmbH, Basel, Schweiz) und die anschließende erneute Applikation von Schmelz-Matrix-Proteinen (Emdogain®).
  • Abb. 6: Die Applikation von Schmelz-Matrix-Proteinen (Emdogain®; Straumann GmbH, Basel, Schweiz) in die Defektregion.
    © Dr. Jochen Tunkel
  • Abb. 7: Nach Applikation des Schmelz-Matrix-Proteins (Emdogain®) (vgl. Abb. 6) erfolgt das Auffüllen des parodontalen Defektes mit einem xenogenen KEM (cerabone®; Straumann GmbH, Basel, Schweiz) und die anschließende erneute Applikation von Schmelz-Matrix-Proteinen (Emdogain®).
    © Dr. Jochen Tunkel

  • Abb. 8: Klinische Situation im Follow-up nach acht Monaten. Es zeigt sich eine vollständige Entzündungsfreiheit der parodontalen Gewebe.
  • Abb. 9: Einzelzahnaufnahme acht Monate postoperativ. Der vertikale Knochendefekt ist radiologisch zu 100% gefüllt. Radiologisch lässt sich das xenogene Knochenersatzmaterial im ursprünglichen Defekt erkennen.
  • Abb. 8: Klinische Situation im Follow-up nach acht Monaten. Es zeigt sich eine vollständige Entzündungsfreiheit der parodontalen Gewebe.
    © Dr. Jochen Tunkel
  • Abb. 9: Einzelzahnaufnahme acht Monate postoperativ. Der vertikale Knochendefekt ist radiologisch zu 100% gefüllt. Radiologisch lässt sich das xenogene Knochenersatzmaterial im ursprünglichen Defekt erkennen.
    © Dr. Jochen Tunkel

KEM-Biofunktionalisierung mit PRF

Die Kombination von PRF mit einem bovinen KEM zeigte im präklinischen, murinen Modell einen positiven Einfluss auf die Knochenregeneration [45]. Hinsichtlich der klinischen Evidenz konnte in einem Review die Überlegenheit eines mittels PRF biofunktionalisierten, xenogenen KEM gegenüber dem nicht-modifizierten KEM gezeigt werden [46]. Aufgrund des ohnehin hohen Regenerationspotentials des Sinus maxillaris muss der Sinuslift allerdings als Modell stets kritisch für eine solche Bewertung hinterfragt werden. In einem aktuellen Review konnte im Gegenzug beim Sinuslift kein klarer Vorteil einer PRF-Modifizierung des KEM gezeigt werden. Bzgl. der klinisch relevanten Fragestellung nach einem möglichen Nutzen bei der Alveolarkammaugmentation konnte aufgrund der fehlenden Literatur keine Aussage getroffen werden [47]. Mit Hinblick auf die Ridge Preservation kann davon ausgegangen werden, dass hier PRF-vermittelte, osseoinduktive Effekte vorhanden sind [48]. Bei der PRF-Biofunktionalisierung von Kollagenmembranen konnte sowohl in-vitro als auch in-vivo im CAM-Modell (Chorion Allantois Membran) eine deutlich verbesserte Angiogenese der Kollagenmembranen durch PRF gezeigt werden [49]. KEM lassen sich in der klinischen Anwendung einfach mit PRF kombinieren. Dazu wird z.B. die hergestellte PRF-Membran auf individuelle Art und Weise zerkleinert und ein Gemisch, z.B. mit einem xenogenen, bovinen KEM, hergestellt. Dieses klebrige und gut modellierbare Gemisch wird als Sticky-Bone bezeichnet und kann bei unterschiedlichen Indikationen und auf unterschiedliche Art und Weise angewendet werden. Eine Möglichkeit besteht z.B. darin, mit diesem Sticky-Bone patientenindividuell geplante und hergestellte Titangitter im Zuge einer Alveolarkammaugmentation zu befüllen. Neben dem auf diese Weise eingebrachten PRF besteht zusätzlich die Möglichkeit, dem Augmentat eine PRF-Lösung beizumischen, um auf diese Weise das augmentative Ergebnis möglicherweise noch weiter zu verbessern. Das Einleitungsbild zeigt ein Gemisch aus einem xenogenen KEM in Kombination mit PRF (Sticky-Bone). Bislang gibt es zusammenfassend keine belastbare Literatur, die einen Nutzen der PRF-Anwendung bei der Alveolarkammaugmentation klar belegt.

Fazit für die Praxis

  • Die Kombination eines KEM mit einem Wachstumsfaktor bzw. einer regenerativ supportiven Substanz wird als Biofunktionalisierung bezeichnet.
  • Die derzeit am weitesten verbreiteten regenerativ supportiven Substanzen in der Zahnheilkunde sind die Schmelz-Matrix-Proteine und das PRF, die allerdings in erster Linie der parodontalen Regeneration und der Weichgeweberegeneration dienen. Eine abschließende Beurteilung ihres osseoinduktiven Effektes ist derzeit noch nicht möglich.
  • KEM-Granulate können im Zuge der parodontalen Regeneration ein- und zweiwandiger Defekte mit Schmelz-Matrix-Proteinen kombiniert werden.
  • KEM-Granulate können mit PRF zu einem sogenannten Sticky- Bone kombiniert werden und im Zuge der GBR oder anderen Verfahren der Alveolarkammaugmentation verwendet werden. Dies kann durch die lokale Applikation von flüssigem (liquid) PRF ergänzt werden. Ebenso können augmentierte Bereiche mit PRF-Membranen abgedeckt werden.

Interessenskonflikte Andreas Pabst, Jochen Tunkel und Peer W. Kämmerer erhielten Referentenhonorare und Forschungsunterstützungen durch die Firmen Straumann GmbH (Basel, Schweiz) und botiss biomaterials GmbH (Zossen, Deutschland). Dies hat keinen Einfluss auf den Inhalt dieses Artikels.