Anästhesie

Die Praxistauglichkeit der Dosierradspritze

20 Jahre Soft-ILA: Lokalanästhesie ohne Risiken und Komplikationen

Das Dosierrad wird mit dem Daumen langsam in Richtung Kopfteil bewegt.
Das Dosierrad wird mit dem Daumen langsam in Richtung Kopfteil bewegt.

Die Schmerzausschaltung vor zahnärztlichen Behandlungen ist die Voraussetzung für die Kooperationsbereitschaft des Patienten. Die Komplikationen der weltweit gelehrten und täglich angewandten Methoden der Lokalanästhesie – Infiltrations- und Leitungsanästhesie – sind belastend für Patienten und den behandelnden Zahnarzt. Die medizinisch-technische Entwicklung der letzten 20 Jahre hat einer dritten Lokalanästhesie-Methode die Möglichkeit der praktischen Anwendung geöffnet, der seit mehr als 100 Jahren bekannten „intraligamentären Anästhesie“.

Die Ergebnisse der durchgeführten klinischen Studien zeigen, dass diese Möglichkeit der örtlichen Betäubung minimalinvasiv ist und die Risiken und Komplikationen der konventionellen Lokalanästhesie-Methoden nicht gegeben sind.

Einführung

Die lokale Anästhesie gilt als eine der wichtigsten Errungenschaften für die zahnärztliche Tätigkeit, ohne die viele der modernen Behandlungsverfahren nicht möglich wären. Aufwändige Behandlungskonzepte der modernen Zahnheilkunde, z. B. in der Endodontologie, Implantologie oder Parodontologie, lassen sich nur mit ausreichender Schmerzausschaltung erreichen.

Neben der Entwicklung moderner, gut wirksamer und verträglicher Lokalanästhetika waren es die Applikationsmethoden und die ständig weiter entwickelten Injektions-Instrumentarien, die die kontrollierte Schmerzausschaltung in der zahnärztlichen Praxis ermöglichten.

Als 1997 beim Klinikum der Ludwig-Maximilian-Universität München, Poliklinik für Zahnerhaltung und Parodontologie, zur Bewertung der klinischen Eignung der Prototyp der Dosierradspritze SoftJect auf dem Tisch lag, öffnete sich eine Tür der zahnärztlichen Schmerzausschaltung, die bis dato verschlossen war: Minimalinvasive Lokalanästhesie ohne Risiken und Komplikationen für die behandelnde Zahnärztin/den behandelnden Zahnarzt und den Patienten.

Hypothese

Alle Publikationen zur Anästhesiemethode der „intraligamentären Anästhesie – ILA“ und die veröffentlichten Ergebnisse bis zum Jahre 1998 wurden unter Verwendung der bis dato verfügbaren Injektionsinstrumentarien erarbeitet:

  • ILA-Spritzen vom Pistolentyp ohne Druckbegrenzung, z. B. Peri- Press, Ligmaject
  • Pistolenspritzen mit Druckbegrenzung bei 90 N, z. B. Ultraject
  • Dosierhebelspritzen, z. B. Citoject, Paroject.

Diese ILA-Spritzen haben alle gemeinsam, dass die vom Anwender aufgewandten Kräfte durch integrierte, mehrstufige Hebelsysteme verstärkt werden und das applizierte Anästhetikum unter hohem Druck ins Ligament injiziert wird [16,21].

  • Abb. 1: Design des DIN-genormten Spritzentyps für die IL-A.

  • Abb. 1: Design des DIN-genormten Spritzentyps für die IL-A.
    © Lothar Taubenheim
Seit 1998 steht für intraligamentale Injektionen ein Instrumentarium zur Verfügung, das dem Behandler die Möglichkeit eröffnet, das Anästhetikum ohne Kraft verstärkende Hebel zu applizieren: Die Dosierrad-Spritze (Abb. 1).

Der Anwender hat mit dieser ILA-Spritze die Möglichkeit, die definierte Menge Anästhetikum ins Desmodont zu injizieren und dabei den erforderlichen Druck zur Überwindung des gewebsbedingten Gegendrucks (back-pressure) den anatomischen Gegebenheiten präzise anzupassen.

Es wurde die Hypothese aufgestellt, dass es bei Verwendung der Dosierradspritze unter praxisüblichen Bedingungen möglich ist, intraligamentäre Anästhesien zu erreichen, die den konventionellen Methoden der Lokalanästhesie in der Wirkung adäquat sind, und die in der Literatur beschriebenen ungewünschten Effekte der IL-A weitgehend auf die damals ausschließlich verfügbaren Instrumente zurückzuführen sind.

Besondere Beachtung galt dabei den in der Literatur immer wieder vorgebrachten Bedenken, dass die ILA zu Schädigungen des Parodontiums führen kann [4,6,13,14].

Material und Methode

  • Abb. 2: Dosierrad-Spritze SOFT.JECT.

  • Abb. 2: Dosierrad-Spritze SOFT.JECT.
    © Lothar Taubenheim
Für die klinische Anwendung und Bewertung wurde die neu entwickelte Dosierradspritzen Soft.Ject verwendet (Abb. 2).

Als Kanülen wurden systemadaptierte ILA-Injektionsnadeln ausgewählt, die einen Durchmesser von 0,3 mm, eine Länge von 13 mm und einen extrakurzen Anschliff hatten.

Wegen der gewünschten Gefäß verengenden Wirkung [Gray, Heizmann, H u.G 1994] wurde als Anästhetika-Substanz Articain mit Adrenalin 1: 200 000 (z. B. Ultracain D-S (Sanofi-Aventis) oder Ubistesin (3M Espe)) verwendet, was auch üblicherweise für Leitungs- und Infiltrationsanästhesien angewandt wird.

Pro Zahnwurzel wurden ~0,2 ml dieser Substanz in 20 Sekunden appliziert.

Die Kanüle sollte entsprechend der Position des intraligamental zu anästhesierenden Zahnes am Ansatz etwas anguliert werden, für den Oberkiefer nach oben, für den Unterkiefer nach unten (Abb. 3).

  • Abb. 3: Vor der Einführung in den Desmodontalspalt sollte die Kanüle anguliert werden.
  • Abb. 4: Das Dosierrad wird mit dem Daumen langsam in Richtung Kopfteil bewegt.
  • Abb. 3: Vor der Einführung in den Desmodontalspalt sollte die Kanüle anguliert werden.
    © Lothar Taubenheim
  • Abb. 4: Das Dosierrad wird mit dem Daumen langsam in Richtung Kopfteil bewegt.
    © Lothar Taubenheim

Nun kann die Kanüle in den Desmodontalspalt eingeführt werden, etwa 2 bis 3 mm, bis Knochenkontakt spürbar wird. Dann wird das Dosierrad mit dem Daumen zum Kopfteil der Spritze hin langsam bewegt – gegen den interstitiellen Widerstand (Abb. 4).

Entsprechend dem Stand der Wissenschaft wurden pro Zahnwurzel ~0,2 ml Anästhetikum in nicht weniger als 20 Sekunden injiziert [2,3,18,20]. Bei zweiwurzeligen Zähnen erfolgten je eine distale und eine mesiale Injektion. Bei einer erforderlichen dritten Injektion – z. B. bei dreiwurzeligen Zähnen – erfolgte die Injektion in die Furkation.

Es wurden Injektionspunkte dicht am Zahnhals gewählt; die Insertion der Kanülenspitze in den Sulcus ist für den Anästhesieerfolg von wesentlicher Bedeutung. Die Kanülenspitze wird entlang dem Zahnhals in einem Winkel von ca. 30° etwa 1-2 mm max. 3 mm in den Sulcus eingeführt, bis sie festen Halt hat.

Während der Injektion sollte die Kanüle mit der freien Hand in ihrer Position fixiert werden. Dem Behandler ist es möglich, den anatomisch bedingten Widerstand, der für diese Art der Anästhesie überwunden werden muss, am Dosierrad mit dem Daumen zu ertasten [12] (Abb. 5 und 6).

  • Abb. 5: Die Injektionspunkte liegen dicht am Zahnhals.
  • Abb. 6: Zur Injektion wird die Kanülenspitze etwa 1–2 mm max. 3 mm in den Parodontalspalt eingeführt.
  • Abb. 5: Die Injektionspunkte liegen dicht am Zahnhals.
    © Lothar Taubenheim
  • Abb. 6: Zur Injektion wird die Kanülenspitze etwa 1–2 mm max. 3 mm in den Parodontalspalt eingeführt.
    © Lothar Taubenheim

Ergebnisse

Das Soft.Ject-Injektionssystem wurde im Rahmen der Studie unter wissenschaftlicher Leitung der Ludwig-Maximilian-Universität München insgesamt 111 mal angewandt und die Ergebnisse dokumentiert und ausgewertet [12].

99 der insgesamt 111 Anwendungen = 89,2 % waren erfolgreich. Im Vergleich dazu wird die Versagerhäufigkeit bei Leitungsanästhesien in der Literatur mit 15,5 % bis 27,7 % [1,7,8,17], bei der Infiltrationsanästhesie mit 5,8 % bis 26,4 % [1,7,8,17] angegeben. Die Komplettierungen erfolgten durch intraligamentale Nachinjektionen, die in allen Fällen erfolgreich waren.

Als Maß für den „Patientenkomfort“ wurde die subjektive Wahrnehmung des Einstichschmerzes erfragt. Drei Patienten empfanden einen Einstichschmerz bei der Insertion der Kanülenspitze in den Desmodontalspalt, 97,3 % der Patienten empfanden die intraligamentale Injektion als „normal“ [12].

Bei einer offenen Frage zu Vor- und Nachteilen des neuen Injektionsgerätes wurden vor allem der ausbleibende Einstichschmerz, die geringe Ausdehnung der Anästhesie und die kurze Dauer häufig als positive Eigenschaften beurteilt. Die lange Injektionsdauer und Leckagen des Anästhetikums in der Mundhöhle wurden negativ erwähnt.

Mit zunehmender Gewöhnung des Behandlers an die Dosierradtechnik nahm die Fähigkeit zu, die individuellen anatomischen Gegebenheiten des Patienten im Daumen zu spüren und den aufzubauenden Injektionsdruck sensibel anzupassen [12].

Das durchschnittlich injizierte Volumen belief sich auf ca. 0,7 ml pro Zahn, pro Wurzel etwa 0,2 ml Anästhetikum.

Die Anästhesiedauer wurde nicht klinisch bestimmt, sondern auf dem Patientenbogen vom Patienten selbst angegeben. Individuell wurden sehr unterschiedliche Zeitangaben gemacht, Mittelwert 78 Minuten.

Diskussion

Ein Vorteil der ILA, die begrenzte lokale Ausdehnung der Betäubung, wird als Möglichkeit zur diagnostischen Abklärung von nicht lokalisierbaren pulpitischen Schmerzen proklamiert [12,15,22]. Dies sollte im Rahmen der vorliegenden Arbeit mit dem Soft.Ject ebenfalls untersucht werden.

In sechs Fällen wurde bei der Konstallation einer Pulpitis mit gleichzeitigen Lokalisierungsschwierigkeiten sowohl durch den Patienten als auch klinisch durch den Behandler der richtige Zahn identifiziert, so dass nach Abschluss der Behandlung keine Schmerzen mehr aufgetreten sind.

Wichtig war, das injizierte Volumen möglichst gering zu halten, um eine lokale Ausbreitung der Wirkung auf benachbarte Zähne zu vermeiden.

Neben der Wirksamkeit der ILA mit dem Soft.Ject sind auch die nicht erwünschten Wirkungen von Interesse.

Der Haupteinwand gegen die ILA – vor allem von Parodontologen postuliert – ist die Gefahr der Schädigung des Zahnhalteapparates. Diese besteht aufgrund des direkten Einstichs in das Parodontium, vor allem aber wegen des teilweise extrem hohen Applikationsdrucks, mit dem bisher injiziert wurde – mit den Hebelspritzen. Daher halten auch heute noch einige Autoren die ILA nur nach Versagen herkömmlicher Anästhesiemethoden für angebracht. Richtig ist, dass durch die Anwendung eines hohen Druckes und durch das Nadeltrauma an Gingiva und Alveolarknochen eine Entzündung mit Anwesenheit typischer Entzündungszellen erzeugt werden kann [13,21]. Diese ist begleitet von leichten Parästhesien, die nur von kurzer Dauer sind und im Regelfall folgenlos ausheilen [6].

Schwerwiegende Erscheinungen, z. B. Nekrosen an der Gingiva u. ä. wie bei Faulkner [4] oder zum Teil starke Klopfempfindlichkeit oder pulsierende Schmerzen bei Einwag [2,3] wurden mit dem Soft.Ject in unserer Studie nicht beobachtet. Das ist wohl auf die Verminderung des Injektionsdrucks bei Verwendung dieses Spritzensystems zurückzuführen.

Messungen ergaben, dass der Faktor Zeit beim Aufbau des Druckes von großer Bedeutung ist. Je langsamer die Injektion, desto geringer der Gegendruck, der überwunden werden musste. Mit einer 0,3 mm Kanüle appliziert, war bei einer Injektionszeit von ~25 Sekunden für eine Menge von 0,2 ml der aufzubauende Druck <0,09 MPa (MegaPascal = 1 N/qmm oder 0,1 bar) [20].

Befürchtungen, die Pulpa könne einen durch Druck oder durch den Vasokonstriktor bedingten Schaden erleiden [21], wurden nicht bestätigt. In unseren Untersuchungen traten keine Anzeichen für eine ILA-induzierte Pulpitis auf.

Akzeptanz und Bedienerfreundlichkeit

Die schnelle und unproblematische Durchführung der Lokalanästhesie ist für Patient und Behandler gleichermaßen von großer Bedeutung. Die Form der Spritze und der folgende Einstichschmerz können Auslöser für die Entwicklung „Angst vor der Spritze“ sein, die sich bis zu einer Spritzenphobie steigern kann. Im Rahmen dieser Studie sollte auch die Akzeptanz des Soft.Ject und der Methode der ILA bei den Patienten betrachtet werden.

Das Aussehen des Injektionsgerätes beurteilten 96,2 % der Patienten positiv; die grazile, nicht spritzenähnliche Form wurde als nicht furchteinflößend empfunden.

Der zweite wichtige Punkt im Zusammenhang mit der Angst vor Spritzen ist der Schmerz selbst, der durch den Einstich der Injektionsnadel in das Gewebe ausgelöst wird. 23 Patienten (20,7 %) empfanden einen geringen Einstichschmerz.

Durch den geringen Einstichschmerz und ohne psychisch-optische Einflussnahme ist somit die Wahrscheinlichkeit gering, mit dem Soft.Ject eine Spritzenphobie zu erzeugen. Dies wird bestätigt durch die Aussage, dass 94,6 % der Patienten den Soft.Ject wieder anwenden lassen würden.

Für den Behandler war es erforderlich, sich mit der neuen Technik, mit dem Soft.Ject zu injizieren, vertraut zu machen. Sie konnte leicht erlernt und problemlos in den Behandlungsablauf integriert werden.

Einen entscheidenden Vorteil bietet der Soft.Ject im Vergleich zu den Pistolen- und Dosierhebel-Injektionsgeräten, die auch bei stärkeren Gewebswiderständen durch die Erzeugung hoher Druckspitzen die Injektion ermöglichen und dadurch am Ende druckbedingte Schäden hervorrufen. Der Soft.Ject erlaubt es durch seine direkte Kraftübertragung nicht, bei sehr hohen Widerständen schnell ein größeres Volumen Anästhetikum zu applizieren. Somit beugt er möglichen Folgen eines unkontrollierten und ungeduldigen Verhaltens bei der ILA vor. Die direkte Kraftüberleitung vom Dosierrad auf die Kolbenstange – ohne zwischengelagerte Hebel – ermöglicht ein außerordentlich gutes Empfinden. So waren die Druckveränderungen spürbar, die Huber [9] durch Druckmessung und Darstellung in verschiedenen Diagrammen beschreiben konnte.

Zu schnelles – und damit mit zu hohem Druck – Injizieren führt zu einem Auslenken des Zahnes in der Alveole, da während der Injektion ein Flüssigkeitsvolumen in einen Raum gepresst wird, der bereits vollständig ausgefüllt ist. Da Flüssigkeiten inkompressibel sind, kann es bei zu schneller Injektion zu einer Dehnung des Alveolarfaches oder einer Verlagerung des parodontalen Flüssigkeitspolsters nach Art eines hydraulischen Druckausgleichs kommen [9].

Die Folgen können die in der Literatur beschriebenen – reversiblen – ungewünschten Effekte wie Elongationsgefühl, Druckschmerz oder Vorkontakte nach Abklingen der intraligamentären Anästhesie sein.

Schlussfolgerung

Mit dem Soft.Ject erscheint es – nach den gesammelten Erfahrungen während unserer Studie – unmöglich, einen druckbedingten Schaden am Parodont zu verursachen.

Abschließend kann gefolgert werden, dass sich der Soft.Ject als Injektionsgerät für die intraligamentäre Anästhesie bewährt hat. Vor allem der verminderte Injektionsdruck, der mit dem Soft.Ject erreicht wird, stellt einen Vorteil in Bezug auf mögliche Schäden am Parodont dar, wobei die gleiche Erfolgsquote zu erzielen ist, die in der Literatur für ältere Hochdruckgeräte beschrieben war. Die intraligamentäre Anästhesie kann – bei Verwendung des Soft.Ject-Injektionssystems – als gleichwertige Anästhesiemethode neben Leitungs- und Infiltrationsanästhesie auch bei Maßnahmen der Zahnerhaltung eingestuft werden. Gestützt auf die Ergebnisse der Studie der Ludwig-Maximilian- Universität München und die praktischen Erfahrungen mit den Dosierradspritzen wurde die intraligamentäre Anästhesie als primäre Methode bei allen in Betracht kommenden Indikationen den Patienten als Alternative der Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie den Patienten vorgeschlagen. Die meisten entschieden sich für die ILA – ohne die Risiken und Komplikationen der konventionellen Methoden der dentalen Schmerzausschaltung [10].


Weiterführende Links

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