Örtliche Betäubung ohne Gefäß- und Nervkontakt

Eine erfolgreiche Schmerzausschaltung ist die Voraussetzung für die gewünschte Kooperationsbereitschaft des Patienten. Fast alle zahnärztlichen Behandlungen erfolgen unter Betäubung, in den meisten Fällen durch eine Leitungs- und/oder eine Infiltrationsanästhesie. Der Stand von Wissenschaft, Technik und Klinik ermöglicht heute eine Injektion des Anästhetikums ohne das Risiko eines Nerv- und/ oder Gefäßkontaktes und auch der ursächlich damit verbundenen Hämatome und möglicherweise eine dadurch verursachte Kieferklemme.
Als Folge der aktuellen Rechtsprechung ist es auch in der Zahnheilkunde gängige Praxis geworden, vor einer anstehenden Behandlung dem Patienten eine „Patienteneinwilligung“ zur Kenntnis zu geben und ihn eine Einwilligungserklärung zur Behandlung einschließlich der vorgesehenen Anästhesiemethode unterschreiben zu lassen.
Dabei wird - sehr umfassend und verständlich - beschrieben, dass mit dem anstehenden zahnärztlichen oder zahnchirurgischen Eingriff, der Zahnextraktion, der Zahnimplantation, der Zahnwurzel- oder Parodontalbehandlung, auch Risiken verbunden sind. Für einen Laien ist allerdings oft nur schwer zu erkennen, dass diese Risiken sehr häufig ursächlich durch die örtliche Betäubung generiert sein können.
Risiken und Alternativen der örtlichen Betäubung
Bei einer angezeigten örtlichen Betäubung sind die Risiken - auch wenn es sich dabei um selten auftretende handelt - und die in Betracht kommenden Alternativen mit den Patienten zu besprechen (BGB § 630 - Patientenrechtegesetz).
Konkret bedeutet dies, dass bei einer vorgesehenen Leitungsanästhesie sowohl eine mögliche Gefäß- als auch ein Nervverletzung mit allen daraus folgenden Konsequenzen darzustellen ist. Weiterhin ist die über Stunden anhaltende Taubheit des betroffenen Quadranten anzusprechen. Konform mit dem Patientenrechtegesetz und der aktuellen Rechtsprechung [1, 18, 22, 23, 27, 28, 32] müssen dem Patienten alle Alternativen zur allgemein üblichen Infiltrations- und Leitungsanästhesie aufgezeigt werden. Das heißt zum Beispiel neben ergänzender Anxiolyse und Sedierung auch Lachgasanästhesie und Vollnarkose und als minimalinvasive Methode die „ILA“ (intraligamentäre Anästhesie), bei der ein vergleichbarer Anästhesieeffekt ohne stundenlange Taubheit und entsprechend auch keine Einschränkung der Dispositionsfreiheit gegeben ist [2].
Bei einer Ergänzung der Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie durch Anxiolyse und Sedierung wird die Schmerzausschaltung verbessert, Angst und Stress minimiert und die kardiovaskulären Parameter positiv beeinflusst. Bei solchen weiterführenden Maßnahmen ist wegen der Beeinträchtigung von Atmung, Bewusstsein und Herz- Kreislauf-Funktionen eine adäquate Überwachung durch eine zweite Person, die in der Technik erfahren ist, erforderlich [6, 20].
Die auch zu betrachtende Alternative „Lachgassedierung“ ist eine Möglichkeit, die Angst des Patienten vor der zahnärztlichen Behandlung zu reduzieren. Sie wird im Einsatzspektrum eingeschränkt durch die geringe anästhetische Potenz und durch die Begrenzung einer sinnvollen Anwendung bei Patienten mit geringen bis mäßig ausgeprägten Ängsten [26].
Die Reaktionen des Patienten müssen in der Phase der Titrierung des Lachgases - durch die aufgesetzte Nasenmaske - aufmerksam beobachtet werden. In der Regel wird das Lachgas verabreicht, um eine optimale Sedierungstiefe zu erreichen. Der Patient hat stabile Vitalparameter und ist dabei wach, ansprechbar und entspannt. Er ist in der Lage, selbständig den Mund offen zu halten bei vollständig erhaltenen Atemwegsreflexen. Das Schmerzempfinden ist deutlich reduziert, sodass die Injektion des Lokalanästhetikums i. d. R. sehr gut toleriert wird, auch von Kindern [26].
Eine wahrscheinlich Schmerz verursachende zahnärztliche Behandlung erfolgt auch bei einer Lachgassedierung unter einer konventionellen Lokalanästhesie. Eine zusätzliche Lokalanästhesie, i. d. R. eine Infiltrationsoder eine Leitungsanästhesie, wird immer erforderlich sein, da die analgetische Potenz von Lachgas für eine Schmerz verursachende Zahnbehandlung nicht ausreicht. Für den Patienten bleiben die stundenlangen artikulatorischen und mastikatorischen Einschränkungen nach Abschluss der Behandlung - und der Lachgassedierung - nach wie vor erhalten, ebenso das Risiko einer Nerv- und/oder Gefäßverletzung.
Die zahnärztliche Behandlung in Intubationsnarkose (Allgemeinnarkose) ist in der zahnärztlichen Praxis nur nach strengster Indikation durchzuführen und nur bei entsprechenden räumlichen, personellen und apparativen Gegebenheiten zulässig. Die Anwesenheit eines Anästhesisten ist zwingende Voraussetzung [3].
Im Gegensatz zur meist angewandten Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior erfolgt die intraligamentale Injektion unter vollständiger Sichtkontrolle - in das Ligamentum circulare des zu behandelnden Zahns (Abb. 1). Dazu wird die sehr feine Kanüle (0,3 mm = 30 G) in den Spalt zwischen Zahnfleischsaum (Gingiva) und Zahnhals geführt, bis Knochenkontakt spürbar ist (1 - 2 max., 3 mm).
Bei fester Positionierung der Kanüle im Parodontalspalt erfolgt die Injektion des Anästhetikums ins Desmodont - pro Wurzel etwa 0,2 ml. Zur intraligamentären Anästhesie wird das Anästhetikum gegen den interstitiellen Widerstand des Gewebes appliziert [16]. Damit das Anästhetikum vom zahnumgebenden Gewebe resorbiert wird, muss es sehr langsam angedient werden:
Für die o. g. 0,2 ml bei der ersten Wurzel beträgt die Injektionszeit mindestens 20 Sekunden; bei einer zweiten Wurzel ist noch langsamer zu injizieren und ggf. bei einer dritten Wurzel desselben Zahns sollte die Injektionszeit ? 25 Sek. sein [10, 11]. Das Anästhetikum breitet sich entlang der Zahnwurzel im Desmodont und intraossär aus [29, 30] und erreicht in etwa 30 Sekunden die Wurzelspitze (Foramen apicale). Der Anästhesieeffekt tritt unverzüglich - ohne Latenz - ein und kann durch Kältetest und/oder Sondierung überprüft werden [34].
Da im Desmodontalspalt keine Blutgefäße und Nervenstränge sind, ist bei der Injektion ins Ligamentum circlare kein Risiko einer Gefäßverletzung oder eines Nervkontakts gegeben.
Bei Beherrschung der Methode ist die intraligamentale Einzelzahnanästhesie als eine gleichwertige primäre Methode der oralen Lokalanästhesie bei allen Zähnen für fast alle Indikationen [7, 12, 13, 15, 21, 31, 33] und weitgehend alle Patienten [8, 9, 19, 24] anzusehen, ausgenommen bei lang dauernden, großfl ächigen dento-alveolären chirurgischen Eingriffen, wo die ILA die Anforderungen nicht erfüllen kann [10, 11] oder Patienten mit einem Endokarditisrisiko, bei denen eine intraligamentäre Anästhesie kontraindiziert ist [10, 11].
Bei allen anderen Anwendungen ist sie dem Patienten zwingend als Alternative der Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior und auch der Infi ltrationsanästhesie zu benennen.
Die erfolgreiche intraligamentale Applikation mit nur einer minimalen Anästhesieversagerrate und praktisch ohne Latenzzeit erfordert die Anwendung sensibler Instrumentarien, z. B. der klinisch bewerteten [25] und DIN 13989-genormten Dosierradspritzen, der Applikation bewährter Anästhetika mit Adrenalin [14] und der sicheren Beherrschung der Methode der ILA durch die behandelnde Zahnärztin/den behandelnden Zahnarzt [34]. Neben den genannten mechanischen Spritzensystemen stehen heute auch ausgereifte, elektronische gesteuerte Injektionssysteme, z. B. das STA-System, zur Verfügung. Die Injektion erfolgt dabei „ohne Spritze“ durch einen „Zauberstab“ (Wand) und reduziert die Aversion sensibler Patienten, vor allem von Kindern, gegen „die Spritze“.
Schlussfolgerung
Fachbücher und wissenschaftliche Publikationen sowie auch Fortbildungsveranstaltungen bieten allen behandelnden Zahnärztinnen und Zahnärzten in Deutschland die Möglichkeit, sich mit der Methode der intraligamentären Anästhesie - als Alternative der Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie - vertraut zu machen, auch wenn die ILA noch nicht während des Studiums als primäre Methode gelehrt wurde [4, 5, 10, 11].
Die publizierten Ergebnisse aller klinischen Studien zeigen, dass die intraligamentäre Anästhesie in der Zahnheilkunde eine medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methode der örtlichen Betäubung ist, aber zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken oder Erfolgschancen führt und als Alternative zur Leitungsanästhesie des N. alveolaris inferior und zur Terminalanästhesie mit dem Patienten zu besprechen ist.
Erst dann ist dem Gesetz und der Rechtsprechung genüge getan und der Patient kann und darf seine Entscheidung treffen für eine der Methoden der Schmerzausschaltung als Basis einer erfolgreichen zahnmedizinischen Behandlung.