Schmerzfreiheit – Voraussetzung für die Kooperationsbereitschaft des Patienten

Eine zahnärztliche Behandlung setzt immer die Compliance des Patienten voraus. Der Patient erwartet eine schmerzfreie Behandlung und der Behandler wird immer versuchen, eine ausreichende Schmerzausschaltung zu erreichen. Das ist nicht immer leicht. Berücksichtigt werden müssen die Sensibilitäten des Patienten, die angezeigten therapeutischen Maßnahmen, die individuellen anatomischen Gegebenheiten und die akute medizinische Situation. Ohne ausreichende Desensibilisierung sind weder zahnerhaltende Maßnahmen - konservierend, restaurativ oder auch endodontisch - noch chirurgische Eingriffe von der Extraktion bis hin zur Implantatsetzung möglich.
Die zeitlichen und materiellen Anforderungen an den behandelnden Zahnarzt sind beträchtlich und Beeinträchtigungen oder Belastungen des Patienten führen in vielen Fällen zu mehr oder weniger ausgeprägten Vorbehalten des betroffenen Patienten - bis hin zur Phobie.
Weltweit werden als primäre Möglichkeiten der Schmerzausschaltung die dentale Lokalanästhesie, die Terminal-(Infiltrations-)Anästhesie und die Leitungsanästhesie gelehrt, wenn keine Infiltrationsanästhesie anwendbar ist, z. B. im Unterkiefer- Seitenzahnbereich. Die Komplikationen dieser Lokalanästhesie- Methoden - zeitlicher und materieller Aufwand, unvollständige Analgesie, iatrogene Läsionen - und die Belastungen des Patienten - systemische Wirkung des Anästhetikums, über Stunden anhaltende artikulatorische und mastikatorische Beeinträchtigungen und das Risiko einer permanenten Nervschädigung sind hinlänglich bekannt und publiziert - und müssen hingenommen werden.
Als Alternativen der Leitungs- und der Infiltrationsanästhesie werden neben der Elektroanästhesie (TENS) und der intraossären Injektion von Anästhetikum immer auch weiterführende Methoden der Anxiolyse und Sedierung benannt. Eine sinnvolle Ergänzung der unmittelbaren Anästhesie kann die Sedierung sein. Wegen der Beeinträchtigung von Atmung, Bewusstsein und Herz-Kreislauf-Funktionen ist bei solchen weiterführenden Maßnahmen eine adäquate Überwachung des Patienten durch eine zweite Person erforderlich, die in dieser Technik erfahren ist [6, 19]. Bei der Behandlung ängstlicher und phobischer Patienten kann die Lachgassedierung eine angezeigte Infiltrations- und auch Leitungsanästhesie ermöglichen. Lachgas ist weltweit das gebräuchlichste Sedierungsmittel in der zahnärztlichen Praxis. Seine pharmakokinetischen Eigenschaften verleihen der Lachgassedierung einen ausgezeichneten Sicherheitsstandard [25]. Die einschränkenden Wirkungen der applizierten Lokalanästhesien für den Patienten (Artikulation und Mastikation) werden dadurch jedoch nicht eliminiert. Welche Alternativen der Leitungs-(Mandibular-) und der Infiltrationsanästhesie sind gegebenenfalls mit dem Patienten noch zu thematisieren?
Intubationsanästhesie (Vollnarkose)
Wenn auch die Sedierung, die eine Schmerz verursachende Behandlung ermöglichen würde, keine Akzeptanz durch den Patienten findet, bleibt als letzte Möglichkeit nur noch eine Vollnarkose (Intubationsanästhesie - ITN).
Eine Behandlung unter Allgemeinnarkose in der zahnärztlichen Praxis ist allerdings nur bei entsprechenden räumlichen, personellen und apparativen Gegebenheiten zulässig. Die Anwesenheit eines Anästhesisten ist zwingende Voraussetzung. Diese Methode der Desensibilisierung bietet sich an bei Patienten mit Behinderungen, bei Kindern mit stark kariös zerstörten Gebissen und bei „Angstpatienten“ [3]. Ziel der Behandlung unter ITN ist in der Regel das Herstellen von kariesfreien Gebissen, Angstabbau und der Versuch, die Patienten zu erziehen, in Zukunft regelmäßig zur Zahnkontrolle zu kommen, damit größere Schäden vermieden werden.
Aufgrund der kassenzahnärztlichen Vorgaben kommt die Behandlung unter ITN nur bei strenger Indikation in Frage. Auch wenn die Intubationsanästhesie zunehmend von den Patienten selbst bezahlt wird, so kann diese Methode der Schmerzausschaltung wegen des hohen apparativen und personellen Aufwandes nur sehr begrenzt durchgeführt werden und wird auch in Zukunft nur Ausnahmefällen vorbehalten bleiben.
Stand der Technik und Klinik
Seit mehr als 100 Jahren bekannt und auch beschrieben, sollte eine weitere Methode der Lokalanästhesie betrachtet werden: die intraligamentäre Anästhesie (ILA). Die medizintechnische Entwicklung seit Anfang der 1970er Jahre, die vollständige Aufklärung von Wirkmechanismus und Effekten dieser Anästhesie- Methode und die Ergebnisse der in den letzten 30 Jahren durchgeführten klinischen Studien zeigen, dass diese Analgesie-Möglichkeit sich substanziell von den oben angesprochenen - bisher weitgehend praktizierten - Schmerzausschaltungsvarianten unterscheidet [4, 5, 7, 12, 13, 15, 18, 20, 23, 30, 32, 33]. Für den mit den Komplikationen der konventionellen Lokalanästhesie-Methoden vertrauten behandelnden Zahnarzt stellt sich die Frage, ob die intraligamentäre Anästhesie die Anforderungen an eine primäre Methode der Schmerzausschaltung erfüllt und wo Nutzen - für den Behandler und den Patienten - und Grenzen der ILA sind. Vorausgesetzt der Behandler hat sich mit der Technik der intradesmodontalen Injektion vertraut gemacht und es wird mit einem sensiblen Instrumentarium ein handelsübliches Anästhetikum mit Vasokonstringens (Epinephrin - Adrenalin) injiziert, dann tritt unverzüglich - praktisch mit dem Ende der Injektion - eine tiefe aber räumlich eng begrenzte Analgesie ein. Auch in Abhängigkeit von der applizierten Anästhetikummenge ist die Anästhesie kurz nach Ende der Behandlung vollständig abgeklungen [5, 8, 20].
Aktuelle Rechtsprechung zur Patientenaufklärung
Nach aktueller Rechtsprechung ist der Patient über die mit der Leitungsanästhesie des Nervus alveolaris inferior im direkten Zusammenhang stehenden Risiken – und die Alternativen dieser Methode – aufzuklären [21, 22, 26, 27]. Zwar braucht ein Arzt nicht ungefragt zu erläutern, welche verschiedenen Behandlungsmethoden in Betracht kommen, solange er eine Therapie anwendet, die dem Standard genügt. Stehen aber mehrere Wege zur Verfügung, die sich in ihren Belastungen, Risiken und Erfolgschancen wesentlich unterscheiden, muss er dem Patienten davon Mitteilung machen. Er darf seine Therapie nicht alternativlos im Raum stehen lassen. Vielmehr muss er dem Patienten eine reelle Wahlmöglichkeit eröffnen, damit dieser selbst prüfen kann, was in seiner persönlichen Situation sinnvoll ist und worauf er sich einlassen will [1, 17, 31]. Die Schmerzausschaltung vor einer zahnmedizinischen Behandlung ist als Teil der Behandlung anzusehen und entsprechend zu betrachten.
Im Patientenrechtegesetz BGB § 630 e - Aufklärungspflichten - wird diese Entwicklung der Rechtsprechung kodifiziert: „Bei der Aufklärung ist auch auf Alternativen zur Maßnahme hinzuweisen, wenn mehrere medizinisch gleichermaßen indizierte und übliche Methoden zu wesentlich unterschiedlichen Belastungen, Risiken und Heilungschancen (Wirkungen) führen können“. Bei den angesprochenen Urteilen war den Patienten Recht gegeben worden, weil es nach Leitungsanästhesien des N. alveolaris inferior zu Nervläsionen gekommen war und der Behandler den Patienten - aus welchen Gründen auch immer - nicht auf die mögliche Alternative „intraligamentäre Anästhesie“ hingewiesen hat [21].
Es gibt nur noch sehr wenige, zahnmedizinisch relevante Gründe für eine Nichtanwendung der intraligamentären Anästhesie als primäre Methode der Schmerzausschaltung: Für endokarditisgefährdete Patienten gibt es eine allgemeine Einschränkung (cave). Hier gilt besondere Vorsicht, da die Absiedlung von Bakterien aus dem Blut (Bakteriämien) bei diesen Patienten zu ernsthaften Komplikationen führen kann. Glockmann et al. (2002 und 2010) definieren, dass das Risiko einer Endokarditis für die ILA eine absolute Kontraindikation ist [10, 11].
Wegen der eng begrenzten Ausbreitung des injizierten Anästhetikums und der relativ kurzen Dauer der Analgesie kann die ILA die Anforderungen für extensive chirurgische Eingriffe nicht erfüllen. Obwohl es möglich ist, den Ausbreitungsraum der Analgesie durch zusätzliche Injektionspunkte und die Erhöhung der Anzahl der intraligamentalen Injektionen zu vergrößern, sollte die ILA nicht für länger dauernde und ausgedehnte dentoalveoläre chirurgische Eingriffe gewählt werden [4, 10, 11, 12].
Anästhesieerfolg der ILA
Eine sichere und erfolgreiche intraligamentäre Anästhesie vor zahnerhaltenden Maßnahmen, systematischen Behandlungen von Parodontopathien (geschlossenes Vorgehen) und auch chirurgischen Eingriffen (z. B. Extraktionen) setzt die Anwendung adäquater Instrumentarien, die Applikation bewährter Anästhetika mit Adrenalin-Zusatz [14, 20] und die sichere Beherrschung der intraligamentalen Injektion durch den behandelnden Zahnarzt voraus [33]. In den 70er und 80er Jahren des letzten Jahrhunderts waren für die ILA ausschließlich Spritzensysteme mit mehrstufi gen integrierten Hebelsystemen zur Verstärkung des vom Behandler aufgebauten Drucks zur Überwindung des interstitiellen Gewebegegendrucks verfügbar. Sie eröffneten dem Behandler einen sehr großen Applikationsspielraum mit der Möglichkeit, ungewünschte Effekte zu generieren, weshalb sie bereits 1983 von der American Dental Association (ADA) für intraligamentale Injektionen als nur bedingt geeignet eingestuft wurden [9]. Heute sind sie als obsolet zu betrachten (Abb. 1). Die seit Ende des letzten Jahrhunderts entwickelten und zur Verfügung stehenden Injektionssysteme sind mittlerweile in der zahnärztlichen Praxis so breit erprobt, dass deren allgemeine Praxistauglichkeit uneingeschränkt festgestellt werden kann [5, 16, 24].
Mit den heute zur Verfügung stehenden elektronisch gesteuerten Injektionssystemen, z. B. dem STA-System (Abb. 2), oder auch mechanischen Spritzensystemen (Abb. 3) sind intraligamentale Injektionen möglich, die zu einer sicheren Schmerzausschaltung auch vor zahnerhaltenden Therapien führen. Als Anästhetikum für die intraligamentäre Anästhesie empfi ehlt sich die seit mehr als 25 Jahren bewährte Substanz Articain mit Epinephrin (auch Adrenalin oder Suprarenin genannt). Wegen der für die ILA nur geringen erforderlichen Mengen Anästhetikum (pro Zahnwurzel etwa 0,2 ml) bieten sich 1,0 ml-Zylinderampullen für intraligamentale Applikationen an (Abb. 3), da die nicht applizierten Restmengen in der Lokalanästhetikum-Zylinderampulle unter gar keinen Umständen für die Injektion eines anderen Patienten verwendet werden dürfen [10, 15].
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Abb. 2: Injektionszauberstab (Wand) des elektronisch gesteuerten STA-Systems für minimalinvasive intraligamentale Injektionen.
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Abb. 3: Bei der Dosierradspritze erfolgt die Kraftverstärkung und -übertragung nicht über ein mehrstufiges Hebelsystem, sondern über ein fest verbundenes zweistufiges Zahn-Dosierrad.
Die sichere und erfolgreiche Beherrschung der intraligamentalen Injektion unter Integration der in den letzten Jahren gewonnenen Erkenntnisse, die in relevanten Fachzeitschriften veröffentlicht wurden [4, 7, 30, 32, 33], kann durch den behandelnden Zahnarzt leicht erlernt werden. Da die Injektion unter vollständiger Sichtkontrolle erfolgt und die Anästhesie ohne Latenz eintritt, kann der Anästhesieerfolg unverzüglich nach Beendigung der Injektion – maximal nach 30 Sekunden – durch Kältetest oder Sondierung festgestellt werden. Ggf. erforderliche Nachinjektionen können analog der Primärinjektion erfolgen, jedoch sollten andere Injektionspunkte gewählt werden [28, 29].
Schlussfolgerung
Die Lokalanästhesie-Methode der intraligamentären Anästhesie ist nicht aufklärungspflichtig, weil das Risiko einer Nervläsion – und auch eines Gefäßkontakts – nicht gegeben ist. Die in der Literatur beschriebenen unerwünschten Effekte stehen – nach dem Stand von Wissenschaft und Technik – im direkten Zusammenhang mit einer Anwendung heute als obsolet zu betrachtender Instrumentarien für diese Methode.
Die intraligamentäre Anästhesie ist nach BEMA Nr. 40 abrechnungsfähig [2]. Im Vergleich mit der Leitungsanästhesie sind bei der intraligamentären Anästhesie signifi kant weniger Anästhesieversager zu versorgen [7, 15, 30, 32], die in den allermeisten Fällen auch intraligamental komplettiert werden können. Abgesehen von wenigen Indikationen, bei denen die intraligamentäre Anästhesie nicht anwendbar ist, wie bei großfl ächigen und lang dauernden dentoalveolären chirurgischen Eingriffen [12] und bei Endokarditisrisiko, welches eine absolute Kontraindikation für die intraligamentäre Anästhesie darstellt [10, 11], ist die Belastung für die Patienten durch die intraligamentäre Anästhesie insgesamt deutlich geringer, da durch dieses Verfahren keine Einschränkung von Artikulation und Mastikation gegeben ist.