Chirurgie


Behandlung singulärer Gingivarezessionen mittels koronaler Verschiebeplastik in Verbindung mit einer porcinen Kollagenmatrix

14.03.2017
aktualisiert am: 13.04.2017

Applikation der rehydrierten und in Form geschnittenen mucoderm® Matrix.
Applikation der rehydrierten und in Form geschnittenen mucoderm® Matrix.

Ziel der modernen plastischen Parodontalchirurgie ist die vollständige Regeneration von Weichgewebedefekten sowie die Zufriedenstellung ästhetischer Ansprüche bei gleichzeitiger minimaler Traumatisierung des Gewebes. Gingivale Rezessionen, definiert durch eine Verschiebung der marginalen Gingiva apikal der Schmelz-Zement-Grenze, stellen einen häufig vorkommenden Weichgewebedefekt dar, der sich in schmerzempfindlichen Zahnwurzeln oder Wurzelkaries manifestieren kann [1].

Die häufigsten Indikationen für die Deckung von gingivalen Rezessionen sind eine Verbesserung der Putzmöglichkeiten sowie ästhetische Belange. Im Hinblick auf die Vorhersagbarkeit und eine komplette Wurzeldeckung gilt das autologe, meist palatinal gewonnene subepitheliale Bindegewebetransplantat nach wie vor als Goldstandard [2]. Die Gewinnung solch eines Transplantats ist jedoch mit einer Reihe von Nachteilen verbunden. Hier sind insbesondere die begrenzte Verfügbarkeit und die schwankende Qualität des Donorgewebes sowie die Schaffung einer zweiten chirurgischen Wunde und die damit verbundene Entnahmemorbidität zu nennen [3, 4].

Um die Limitationen von autologen Weichgewebetransplantaten zu überwinden, wurden im Rahmen der modernen Biomaterialforschung in den letzten Jahren aus humanen oder tierischen Kollagenen bestehende Materialien entwickelt. Seit 2011 steht dem Anwender eine azelluläre dermale Kollagenmatrix porcinen Ursprungs (mucoderm®, botiss biomaterials, Zossen) zur Regeneration von Weichgewebedefekten zur Verfügung. Diese Matrix besteht aus einem natürlich quervernetzten dreidimensionalen offenporösen Kollagennetzwerk, das als Leitstruktur für die Migration von Bindegewebszellen und Blutgefäßen dient [5, 6]. Aufgrund seiner großen Ähnlichkeit zur humanen Dermis wird die Matrix nach Implantation durch eine zügige Vaskularisation integriert und nachfolgend schrittweise auf natürlichem, enzymatischem Wege zu körpereigenem Bindegewebe umgebaut [7].

Klinische Indikationen

In Bezug auf die oben genannten Eigenschaften kann die dreidimensionale Kollagenmatrix als eine sichere Alternative zum autologen Weichgewebetransplantat für viele Indikationen im Bereich der Weichgewebeaugmentation, wie zum Beispiel Verbreiterung der befestigten Schleimhaut, periimplantäre Weichgewebeverdickung oder Deckung parodontaler Rezessionen, dienen [8-12]. Neue klinische Daten zeigen bei der Behandlung von Miller-Klasse I + II bzw. III Gingivarezessionen mittels modifiziert koronal verschobenem Tunnel in Verbindung mit mucoderm® eine mittlere Wurzeldeckung von 73,2 % bzw. 91 % sowie einen Gewinn an keratinisiertem Gewebe [13, 14]. Nachfolgend soll ein Patientenfall zur Rezessionsdeckung unter Verwendung eines gestielten Lappens in Verbindung mit mucoderm® vorgestellt werden.

Falldarstellung

Aus ausschließlich ästhetischen Gründen stellte sich in der Praxis ein 48-jähriger Patient zur Behandlung von gingivalen Rezessionen an den Zähnen 13 und 23 vor (Abb. 1-3). Der Patient war Nichtraucher und anamnetisch unauffällig. Klinisch stellten sich die Defekte als tiefe 4 bis 5 mm, nicht in die bewegliche Mukosa reichende Rezessionen mit intaktem interdentalem Gewebe dar. Der Patient wünschte sich zur Verbesserung der Ästhetik einen möglichst schmerzfreien Eingriff mit Verzicht auf ein palatinal gewonnenes Weichgewebetransplantat. Nach Aufklärung über die alternativen Therapiemöglichkeiten wurde zur Deckung der freiliegenden Wurzeln und zur Verdickung der marginalen Gingiva ein koronaler Verschiebelappen in Verbindung mit mucoderm® als Technik gewählt. Nachfolgend soll das chirurgische Vorgehen an Zahn 23 exemplarisch erläutert werden. Gemäß der nach Langer beschriebenen Technik zur koronalen Verschiebeplastik [15] erfolgten zur Präparation eines Mukosalappens zwei horizontale Inzisionen mesial und distal der Rezession, die über zwei leicht divergierende, vertikale, bis in die Alveolarmukosa reichende Entlastungsinzisionen miteinander verbunden wurden (Abb. 4). Apikal geht das auf diese Weise präparierte Gewebe in einen Volllappen über, wobei die der Rezession angrenzenden Papillen zur Vorbereitung des Empfängerbetts und koronalen Positionierung des Lappens deepithelialisiert wurden. Nach einer Periostschlitzung wurden schließlich die ausreichende Beweglichkeit und die Möglichkeit zur spannungsfreien Reponierung des Lappens überprüft (Abb. 5). Nach sorgfältigem Kürettieren der freiliegenden Zahnwurzel (Abb. 6) wurde die in steriler Kochsalzlösung ausreichend rehydratisierte und auf die Dimension der Rezession zugeschnittene Kollagenmatrix auf die gereinigte Wurzeloberfläche aufgebracht und mit dem Periost vernäht (Abb. 7 und 8).

  • Abb. 1: Präoperative klinische Situation. Mandibuläre und maxilläre Miller-Klasse I gingivale Rezessionen mit gesundem interdentalen Gewebe.
  • Abb. 2: Klinische Situation an Zahn 13. Die Rezession reicht bis zur Mukogingivalgrenze mit einem schmalen Rand an keratinisiertem Gewebe apikal.
  • Abb. 1: Präoperative klinische Situation. Mandibuläre und maxilläre Miller-Klasse I gingivale Rezessionen mit gesundem interdentalen Gewebe.
  • Abb. 2: Klinische Situation an Zahn 13. Die Rezession reicht bis zur Mukogingivalgrenze mit einem schmalen Rand an keratinisiertem Gewebe apikal.

  • Abb. 3: Ähnliche klinische Situation an Zahn 23 wie an 13. Die Rezession reicht nicht in die bewegliche Mukosa. 1 mm keratinisierte Gingiva apikal der Rezession vorhanden.
  • Abb. 4: Präparation eines Mukosalappens mit vertikalen Entlastungsinzisionen entsprechend der koronalen Verschiebeplastik zur Deckung der Rezession an 23.
  • Abb. 3: Ähnliche klinische Situation an Zahn 23 wie an 13. Die Rezession reicht nicht in die bewegliche Mukosa. 1 mm keratinisierte Gingiva apikal der Rezession vorhanden.
  • Abb. 4: Präparation eines Mukosalappens mit vertikalen Entlastungsinzisionen entsprechend der koronalen Verschiebeplastik zur Deckung der Rezession an 23.

  • Abb. 5: Test auf ausreichende Beweglichkeit des Lappens
  • Abb. 6: Kürettieren der Wurzeloberfläche.
  • Abb. 5: Test auf ausreichende Beweglichkeit des Lappens
  • Abb. 6: Kürettieren der Wurzeloberfläche.

  • Abb. 7: Applikation der rehydrierten und in Form geschnittenen mucoderm® Matrix.
  • Abb. 8: mucoderm® in situ. Schnelle Blutaufnahme der Kollagenmatrix.
  • Abb. 7: Applikation der rehydrierten und in Form geschnittenen mucoderm® Matrix.
  • Abb. 8: mucoderm® in situ. Schnelle Blutaufnahme der Kollagenmatrix.

Eine etwa zehnminütige Rehydrierung gewährleistet dabei die nötige Flexibilität der Matrix für eine lückenlose Adaptation an das Empfängerbett [16]. Um die Kollagenmatrix komplett zu decken und einen primären Wundverschluss zu erreichen, wurde der Lappen koronal reponiert und mit 5.0 nicht-resorbierbaren Nähten (Resolon, Resorba Medical, Nürnberg) fixiert (Abb. 9 bis 11). Zur Vermeidung von Belastung und Traumatisierung des Gewebes wurde der Patient instruiert für vier Wochen nicht mechanisch mittels Bürste im operierten Bereich zu reinigen und stattdessen zur Plaquereduktion zweimal täglich ein chlorhexidinhaltiges Gel (1% Chlorhexamed, GlaxoSmithKline, München) aufzutragen. Nach sieben Tagen erfolgte die Nahtentfernung. Der Heilungsverlauf stellte sich komplikationslos dar. Sechs Monate postoperativ zeigte sich an beiden behandelten Zähnen eine stabile klinische Situation mit nahezu vollständiger Wurzeldeckung und deutlicher Verdickung der marginalen Gingiva (Abb. 12 bis 14). Farbe und Textur der augmentierten Bereiche waren vergleichbar mit den umliegenden Geweben (Abb. 13 und 14). Der Patient zeigte sich mit dem ästhetischen Erscheinungsbild zufrieden.

  • Abb. 9: Koronale Reponierung des Lappens über Matrix und Zahnwurzel.
  • Abb. 10: Nahtversorgung.
  • Abb. 9: Koronale Reponierung des Lappens über Matrix und Zahnwurzel.
  • Abb. 10: Nahtversorgung.

  • Abb. 11: Primärer Wundverschluss und vollständige Abdeckung der eingebrachten Kollagenmatrix durch den koronal verschobenen Lappen.
  • Abb. 12: Klinische Situation 1 Jahr postoperativ. Nahezu vollständige Wurzeldeckung an 13 und 23.
  • Abb. 11: Primärer Wundverschluss und vollständige Abdeckung der eingebrachten Kollagenmatrix durch den koronal verschobenen Lappen.
  • Abb. 12: Klinische Situation 1 Jahr postoperativ. Nahezu vollständige Wurzeldeckung an 13 und 23.

  • Abb. 13: Postoperative klinische Situation an 13. Signifikante Wurzeldeckung und Verdickung des marginalen Weichgewebes.
  • Abb. 14: Zahn 23. Ähnlich stabile postoperative klinische Situation wie an 13. Signifikante Wurzeldeckung und Verdickung des marginalen Gewebes.
  • Abb. 13: Postoperative klinische Situation an 13. Signifikante Wurzeldeckung und Verdickung des marginalen Weichgewebes.
  • Abb. 14: Zahn 23. Ähnlich stabile postoperative klinische Situation wie an 13. Signifikante Wurzeldeckung und Verdickung des marginalen Gewebes.

Fazit

Anhand des hier dargestellten klinischen Falls lässt sich eine erfolgreiche Deckung freiliegender Zahnwurzeln bei gleichzeitiger wesentlicher Verdickung des marginalen Weichgewebes sowie Zufriedenstellung ästhetischer Ansprüche mittels der beschriebenen porcinen Kollagenmatrix schlussfolgern. Das postoperative Follow-up zeigte dabei eine komplikationslose Einheilung und eine stabile klinische Situation ein Jahr nach dem Eingriff. Die Methodik ist gekennzeichnet durch eine hohe Akzeptanz durch den Patienten, da auf die Entnahme eines Weichgewebetransplantats verzichtet werden kann. Der Einsatz von mucoderm® ist dabei nicht auf die koronale Verschiebeplastik beschränkt, sondern ist auch mit anderen State-of-the-Art-Techniken, wie z. B. dem koronal verschobenen Tunnel kombinierbar, wie neuere Studien belegen. In welchem Ausmaß die Kollagenmatrix als Alternative zum autologen Bindegewebe dienen kann, muss in weiteren kontrollierten klinischen Studien gezeigt werden. 


Literatur:
  1. Sarfati, A., et al., Risk assessment for buccal gingival recession defects in an adult population. J Periodontol, 2010. 81(10): p. 1419-25.
  2. Chambrone, L. and D.N. Tatakis, Periodontal soft tissue root coverage procedures: a systematic review from the AAP Regeneration Workshop. J Periodontol, 2015. 86(2 Suppl): p. S8-51.
  3. Atieh, M.A., et al., Xenogeneic collagen matrix for periodontal plastic surgery procedures: a systematic review and meta-analysis. J Periodontal Res, 2016. 51(4): p. 438-52.
  4. Wessel, J.R. and D.N. Tatakis, Patient outcomes following subepithelial connective tissue graft and free gingival graft procedures. J Periodontol, 2008. 79(3): p. 425-30.
  5. Pabst, A.M., et al., Synchrotron-based X-ray tomographic microscopy for visualization of three-dimensional collagen matrices. Clin Oral Investig, 2015. 19(2): p. 561-4.
  6. Pabst, A.M., et al., In vitro and in vivo characterization of porcine acellular dermal matrix for gingival augmentation procedures. J Periodontal Res, 2014. 49(3): p. 371-81.
  7. Rothamel, D., et al., Biodegradation pattern and tissue integration of native and cross-linked porcine collagen soft tissue augmentation matrices - an experimental study in the rat. Head Face Med, 2014. 10: p. 10.
  8. Schmitt, C.M., et al., Soft tissue volume alterations after connective tissue grafting at teeth: the subepithelial autologous connective tissue graft versus a porcine collagen matrix - a pre-clinical volumetric analysis. J Clin Periodontol, 2016. 43(7): p. 609-17.
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  12. Stricker, A., Evaluation of a porcine collagen matrix to create new keratinized tissue at deficient implant sites: 12 months results from a controlled prospective clinical study. Clin Oral Impl Res S, 2014. 25(s10): p. 490.
  13. Cieslik-Wegemund, M., et al., Collagen Matrix With Tunnel Technique Compared to Connective Tissue Graft for the Treatment of Periodontal Recession - Randomized Clinical Trial. J Periodontol, 2016: p. 1-15.
  14. Cosgarea, R., et al., Clinical evaluation of a porcine acellular dermal matrix for the treatment of multiple adjacent class I, II, and III gingival recessions using the modified coronally advanced tunnel technique. Quintessence Int, 2016. 47(9): p. 739-47.
  15. Langer, B. and L. Langer, Subepithelial connective tissue graft technique for root coverage. J Periodontol, 1985. 56(12): p. 715-20.
  16. Kasaj, A., et al., The influence of various rehydration protocols on biomechanical properties of different acellular tissue matrices. Clin Oral Investig, 2016. 20(6): p. 1303-15.
Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Sigmar Schnutenhaus

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Sigmar Schnutenhaus


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