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Risikopatienten: Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises

Etwa 20 Millionen Menschen leiden in Deutschland an „Rheuma“ [1]. Doch „das eine Rheuma“ gibt es nicht. Die Krankheitsbilder sind extrem vielfältig und nicht nur an Gelenken sichtbar, sondern auch im Mund. So besteht eine reziproke Beziehung zwischen rheumatoider Arthritis und Parodontitis – und insbesondere bei den immunologischen Ausprägungen zeigen sich weitere orale Manifestationen. Zahnärzte können bei genauem Hinsehen zur Früherkennung beitragen und dabei helfen, die Symptome zu lindern. Rheuma-Patienten sind auch Risikopatienten in der Zahnarztpraxis. Der Beitrag gibt einen Einblick in Arznei-Wechselwirkungen und OP-Vorkehrungen.

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Insbesondere die immunologisch bedingten entzündlichen rheumatischen Erkrankungen weisen zum Teil sehr spezifische, fast pathognomonische orale Manifestationen auf. Dazu gehört die Rheumatoide Arthritis (RA) [2], bei der etwa die Hälfte der Patienten eine Xerostomie entwickeln [3]. Sie leiden dadurch auch unter Schluck- und Sprechbeschwerden, Aphthen, Brennen sowie Candidiasis oder Prothesenproblemen [4].

Zudem könnte ein höheres Kariesrisiko die Folge sein, hier sind jedoch weitere Studien unter Berücksichtigung des DMFT-Index nötig [5]. 15 bis 30 Prozent weisen eine Dysfunktion der Glandula parotis auf. Das Risiko, an einer Parodontitis zu erkranken, ist stark erhöht, außerdem leiden Patienten nicht selten an medikamenten-induzierter Stomatitis [3,6,7].

Bekannt, wenn auch seltener, ist das Sjögren-Syndrom (primär oder sekundär) [8]. Xerostomie ist hier das vorherrschende Symptom bei ca. 90 Prozent der Patienten.

Hinzu kommt die Atrophie der filiformen Papillen auf dem Zungenrücken und die Schwellung der Glandula parotis (2/3 primäres Syndrom). Viele rheumatische Erkrankungen zeigen sich an der Mukosa. Kleine Ulzera an Mund- und Nasenschleimhaut (etwa 50% der Patienten), Lichen-planus-ähnliche-Dermatitis, Erosion (Erbrechen/Anorexie) sowie Parodontitis (bis zu 70 %) können orale Manifestationen eines Systemischen Lupus erythematodes (SLE) sein [3,6,7,9].

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Sie müssen genau diagnostiziert werden, um „normale Läsionen“ von anderen Erkrankungen abzugrenzen. Die S2k-Leitlinie „Aphthen/aphthoide Läsionen“ zeigt einen Algorithmus zur Differenzialdiagnostik auf, der auch Morbus Behçet einschließt.

Ist nach zwei Wochen keine Besserung in Sicht, sollten Zahnärzte eine histologische Untersuchung veranlassen. Die Leitlinie empfiehlt darüber hinaus, vorrangig Lokalpräparate wie antiseptische Spülungen, kortisonhaltige Salben, Oberflächenanästhetika und topische Antibiotika anzuwenden.

Die systemische Behandlung, z. B. mit Glukokortikoiden, ist nur in schweren Fällen zu erwägen [10]. Neben den entzündlichen Erkrankungen lassen sich auch Auswirkungen von selteneren Vaskulitiden [11] im Mundraum feststellen. Rezidivierende, aphthöse Ulzerationen, die gelblich nekrotisch über ein bis zwei Wochen persistieren, können insbesondere bei jüngeren Erwachsenen der Mittelmeerregion im Rahmen der Behçet-Krankheit auftreten [12].

Fast pathognomisch ist für die Granulomatose polyangiitis die wuchernde „Erdbeer-Gingivitis“. Bei der Riesenzellarthritis können sich Claudicatio masticatoria (Kiefer-Klaudikation), Zahnschmerzen, Dysphagie, Dysarthrie zeigen. Ein stark erhöhtes Parodontitisrisiko besteht außerdem bei Patienten, die unter Spondyloarthritiden oder Arthrose leiden [3,6,7].

Rheuma betrifft auch das Kiefergelenk

Über die intraoralen Auswirkungen hinaus gilt die RA auch als die häufigste entzündliche Erkrankung des Kiefergelenks. Bis zu 88 Prozent der Patienten leiden im Laufe der Zeit an Symptomen des Temporomandibulargelenks [3].

Auf dem Röntgenbild zeigen sich typischerweise ein verkleinerter Gelenkspalt und ein abgeflachter Gelenkfortsatz sowie ggf. Erosionen, subchondrale Sklerosen, Zysten und Osteoporose [4]. Meist sind beide Gelenke betroffen.

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Da die Beschwerden oft bis zum Funktionsverlust verschleppt werden, sollten Zahnärzte hier wachsam sein. Patienten haben starke Schmerzen, die in die Kau- und Nackenmuskulatur ausstrahlen können, und reagieren druckempfindlich [6,13]. Kinder mit juveniler idiopathischer Arthritis sind besonders gefährdet, bei etwa 60 Prozent lassen sich Veränderungen des Gelenks im Röntgen nachweisen.

In diesen Fällen ist es wichtig, schnell zu handeln, um Fehlbildungen des Kiefers und des Gesichts vorzubeugen. Die kleinen Patienten können den Mund meist nur eingeschränkt oder asymmetrisch öffnen, auch Morgensteifigkeit wird berichtet.

Neben der medikamentösen Behandlung können spezielle Zahnklammern, Schienen sowie Physiotherapie bei der Therapie helfen [14]. Einige Rheumatiker leiden zudem an Mikrostomie – bis zu 70 Prozent der Patienten mit Systemsklerose/systemische Sklerodermie sind davon betroffen [3].

Motorische Einschränkungen

Einen wichtigen Faktor bei der Mundhygiene stellt die Schwere der physischen Beeinträchtigung dar. Patienten mit rheumatischen Erkrankungen können sich häufig nicht so gut koordinieren, die Bewegung ist eingeschränkt. So zeigt sich die RA fast immer zuerst an den Gelenken der Hände.

Durch die starke Schwellung und die Schmerzen in den Gelenken ist es leicht vorstellbar, dass die Mundhygiene mangels Geschicklichkeit nur noch rudimentär ausgeführt werden kann und sich Plaque ansammelt. Eine erhöhte Plaqueakkumulation wurde auch bei Patienten mit Spondyloarthritis ankylosans beobachtet, was zum Teil auf die starke Bewegungseinschränkung zurückzuführen sein könnte [7].

Zusätzlich trägt aber auch die Xerostomie bei vielen Patienten dazu bei [5]. Zahnärzte sollten daher für die optimale Mundhygiene individuelle Instruktionen geben und je nach Indikation folgende Maßnahmen in Erwägung ziehen: Speichelfördernde Medikamente, Verwendung elektrischer Zahnbürsten ggf. mit Grifferweiterung, Fluoridierung (z. B. Zahnpasta, Speisesalz, Lacke), Anwendung antibakterieller Mundspüllösungen.

Rheuma-Patienten als Risikogruppe: Was ist zu beachten?

Gerade bei längeren Behandlungen sollte das Praxisteam dafür sorgen, dass der Patient bequem liegen kann – die Stuhlposition ab und an zu verändern oder Kissen zur Verfügung zu stellen, hilft schon [4]. Darüber hinaus empfiehlt es sich, bei der Anamnese ein Risikoprofil zu erstellen, welches Infektionsrisiken, ASA-Klassifikation, Kontraindikationen, Wechselwirkungen durch Medikamente und die aktuelle Verfassung des Patienten (Schübe) einschließt.

Erhöhtes Infektionsrisiko

RA-Patienten weisen allgemein ein höheres Risiko für Bakteriämien auf [7], unter immunsuppressiver Therapie wurde eine höhere postoperative Infektionsrate (4-8 %) festgestellt [15]. Zudem können Wundheilungsstörungen beziehungsweise eine langsamere Heilung sowie Infektionen im Mundraum als Komplikation auftreten.

Vor allem nach künstlichem Gelenkersatz ist bei zahnärztlichen Eingriffen Vorsicht geboten, denn sie können gefährliche bakterielle Infektionen im Gelenk auslösen. Eine Antibiose mit erweitertem Erregerspektrum (kein Penicillin und Clindamycin aufgrund von Resistenzen) sollte fallbezogen eruiert werden [16].

Anästhesie nach ASA-Klassifikation

Patienten mit Erkrankungen des rheumatischen Formenkreises werden der ASA-Klassifikation 3 zugeordnet [6,17]. Bei größeren Operationen sollte daher eine stationäre Behandlung abgewogen werden.

Die Lokalanästhesie muss bei allen Eingriffen immer individuell angepasst werden. Warnhinweise und Gegenanzeigen in der Fachinformation sind dabei immer zu beachten.

Die Tabelle nach Dr. Dr. Frank Halling zeigt, dass Zahnärzte bei Patienten der ASA-Gruppe 3 sowie Kindern und Menschen über 65 Jahren auf ein Lokalanästhetikum mit reduziertem Adrenalinzusatz zurückgreifen sollten. Rheuma-Patienten leiden häufig unter weiteren systemischen Folgen. Diese müssen als mögliche Kontraindikationen oder Risiko bei der Anästhesie berücksichtigt werden.

Für Eingriffe unter 20 Minuten sowie Adrenalinkontraindikationen eignet sich oft auch Articain ohne Vasokonstriktor (Ultracain® D ohne Adrenalin, Sanofi-Aventis). Minimalinvasive Techniken, wie die intraligamentäre Anästhesie, können darüber hinaus bei Patienten mit erhöhter Blutungsneigung oder kardiovaskulären Erkrankungen helfen, die Belastung gering zu halten. Hier ist jedoch das Bakteriämierisiko zu beachten. Bei Endokarditisrisiko, erweitertem oder entzündetem Desmodontalspalt ist die ILA kontraindiziert [18].

Tabelle 1: Patientenklassifikation auf der Info-Karte „Differenzierte Lokalanästhesie“: ASA-Klassifikationen nach Saklad M. Grading of patients for surgical procedures. Anesthesiology 1941; 2:281-4. (ASA 6 später ergänzt), erweitert um besondere Patienten.* Sanofi-Aventis
Tabelle 1: Patientenklassifikation auf der Info-Karte „Differenzierte Lokalanästhesie“: ASA-Klassifikationen nach Saklad M. Grading of patients for surgical procedures. Anesthesiology 1941; 2:281-4. (ASA 6 später ergänzt), erweitert um besondere Patienten.*

Wechselwirkungen der Medikation

Bei der Therapie von RA kommen hauptsächlich vier Gruppen von Medikamenten zum Einsatz: Nichtsteroidale Antirheumatika (NSAR), Glukokortikoide (z. B. Methylprednisolon), DMARDs (disease-modifying antirheumatic drugs) sowie Biologika (z. B. Rituximab).

Zu Beginn der Behandlung erhalten Patienten leitliniengerecht Methotrexat (csDMARD). Ergänzend werden Glukokortikoide empfohlen. Bei Kontraindikationen soll eine Therapie mit Leflunomid oder Sulfasalazin begonnen werden.

Ist die Initialtherapie nicht erfolgreich, können die DMARDs untereinander kombiniert werden. Zudem haben sich Biologika zusammen mit Methotrexat etabliert [2,19]. Während bei Einnahme von Immunsuppressiva generell ein erhöhtes Infektionsrisiko besteht, können einige Arzneimittel zusätzliche Nebenwirkungen hervorrufen, die den Mundraum betreffen.

Bei Methotrexat, Ciclosporin, Sulfasalazin und D-Penicillamin wurden Stomatitiden sowie Gingivahyperplasien beobachtet [3,6]. Bei Gingivitis und Stomatitis kann zum Beispiel eine prednisolonhaltige Salbe Linderung verschaffen.

Bei operativen Eingriffen können die meisten Medikamente fortgeführt werden, eine Rücksprache mit dem Rheumatologen sollte aber in jedem Fall erfolgen – auch um Risiken durch Folgeerkrankungen abschätzen zu können. Wenn Biologika erst weniger als ein Jahr eingenommen werden, sollten Eingriffe möglichst aufgeschoben werden [15]. Patienten, die NSAR erhalten, könnten zudem eine erhöhte Blutungsneigung aufweisen.

Da diese die Wirkung und/oder Toxizität von DMARDs (Methotrexat, Ciclosporin) verstärken oder in Kombination mit Glukokortikoiden zu gastrointestinalen Nebenwirkungen führen können, ist es ratsam, vor der Gabe postoperativer Analgetika, Rücksprache mit dem behandelnden Rheumatologen zu halten. Das gilt ebenso für Antibiotika (z. B. Tetrazykline) [20].

Die Prävalenz von Osteoporose liegt bei RA-Patienten bei 20 bis 30 Prozent. Zum einen aufgrund der krankheitsbedingten Osteoklastenaktivierung, zum anderen medikamenten-induziert durch Glukokortikoide [2,6]. Diese Patienten erhalten unter Umständen Antiresorptiva wie Bisphosphonate zur Osteoklastenhemmung, welche mit der medikamenten-assoziierten Kieferosteonekrose (MRONJ) assoziiert sind [21].

Risiko bei Implantaten?

Diese Überlegungen sollten auch bei der Entscheidung über Zahnersatz eine Rolle spielen – vor allem bei Implantationen. Fallberichte zeigen, dass Implantate bei verschiedenen rheumatischen Erkrankungen möglich sind, jedoch existieren kaum Studien. Die Indikationsstellung erfolgt streng nach Abwägung des individuellen Risikos durch etwaige immunsuppressive oder Bisphosphonat-Therapie und damit einhergehenden Infektionsrisiken, Wundheilungsstörungen sowie Keimeintrittspforten durch Implantatdurchtrittsstellen [6].

Fazit

Zahnärzte sehen Patienten sehr regelmäßig und können daher orale Manifestationen rheumatischer Krankheitsbilder frühzeitig erkennen und somit zum schnelleren Therapiebeginn beitragen. Mundschleimhautveränderungen sollten daher gründlich differenzialdiagnostisch überprüft werden. Ist eine rheumatische Erkrankung bereits bekannt, können Zahnärzte auf Kiefergelenksprobleme aufmerksam machen und Schmerzen durch Schleimhautläsionen lindern.

Die wichtigste Rolle aber spielt die Praxis in der Prävention von Karies und Parodontalerkrankungen, denn Rheuma-Patienten sind motorisch eingeschränkt und weisen eine schlechtere Mundhygiene auf. Sind Behandlungen notwendig, sollte vorab eine Risikostratifizierung erfolgen, die Infektionsrisiko und Wechselwirkungen durch Arzneimittel berücksichtigt. In jedem Fall ist eine interdisziplinäre Zusammenarbeit mit Hausärzten und Rheumatologen erstrebenswert, um Rheuma-Patienten adäquat behandeln zu können.

Quelle:
Sanofi-Aventis Deutschland GmbH

Hinweise

Das im Text beschriebene Vorgehen dient der Orientierung, maßgeblich sind jedoch immer die individuelle Anamnese und die Therapieentscheidung durch die behandelnde Ärztin/den behandelnden Arzt. Die Fachinformationen und aktuellen Leitlinien sind zu beachten.

Mehr über besondere Patienten erfahren Zahnärzte quartalsweise im Sanofi Scientifi c Newsletter. Anmeldung unter: www.dental.sanofi.de/dental-scientific-news 
* Info-Karte zur differenzierten Lokalanästhesie unter: https://dental.sanofi.de/bestellcenter/suchergebnisse 

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