Therapie

Fallbezogene Expertendiskussion:

Therapie von Paro-Endo-Läsionen – Teil 3

Typische Paro-Endo-Problematik – ohne direkten Bezug zur dargestellten Fallbeschreibung.
Typische Paro-Endo-Problematik – ohne direkten Bezug zur dargestellten Fallbeschreibung.

Der letzte Teil der dreiteiligen Fallserie zur Therapie von Paro-Endo-Läsionen befasst sich erneut mit der oft komplizierten Diagnostik bei Paro-Endo/Endo-Paro-Problemen. Wichtige Fragen zu den möglichen Therapieoptionen werden diskutiert – Zahnerhalt oder als Alternative ein Implantat? Wertvolle Experten-Tipps bekommen Sie im Anschluss an die Fallbeschreibung von den erfahrenen Parodontologen Dr. Daniel Engler-Hamm und Dr. Bernd Heinz.

 

 

 

 

Ein 45 Jahre alter, gesunder Patient wurde im März 2007 von seinem Hauszahnarzt in die Fachpraxis am Frauenplatz überwiesen. Ein Parodontalstatus wurde erhoben und ein Röntgenstatus angefertigt (Abb. 1 und 2). Die Erhebung des Parodontalbefundes ergab lokalisierte Sondierungstiefen im Prämolarenbereich bis zu 10 mm. Der Zahn 26 zeigte eine ausgeprägte Klasse-II-Furkation mit Pus-Austritt. Röntgenologisch imponierte der stark fortgeschrittene Knochenabbau regio 26, 35, 36. Zudem erwies sich die Wurzelkanalbehandlung an Zahn 36 als insuffizient. Es wurde die Diagnose generalisierte chronische mittelschwere bis schwere Parodontitis und Paro-Endo-Läsion 36 gestellt. Der Patient zeigte eine hohe Compliance und äußerte den Wunsch, alles tun zu wollen, um seine Zähne zu erhalten.

  • Abb. 1: PA-Status zu Beginn.
  • Abb. 2: Paro-Endo-Läsion 36.
  • Abb. 1: PA-Status zu Beginn.
  • Abb. 2: Paro-Endo-Läsion 36.

  • Abb. 3: Röntgenkontrolle nach abgeschlossener Wurzelbehandlung 36.
  • Abb. 3: Röntgenkontrolle nach abgeschlossener Wurzelbehandlung 36.

Behandlungsablauf

Nach einer initialen Notfall-Wurzelkanalbehandlung an Zahn 26 erfolgte die Endorevision an Zahn 36 (Abb. 3). Kurz nach begonnener Wurzelkanalbehandlung wurde eine gründliche Scaling- und Wurzelglättungsbehandlung durchgeführt. Das Ergebnis der Phase-I-Therapie zeigte eine deutliche Reduktion der Sondierungstiefen sowie der Blutung auf Sondieren. Da Zahn 34 und 35 vor und nach der Initialphase noch eine Mobilität Grad 2 aufwiesen, wurden sie durch einen Komposit-Draht-Splint okklusal-lingual geschient. Nach Abschluss der Initialtherapie I/II und der Wurzelkanalbehandlung wurden sie mit dem Schmelzmatrixprotein (Emdogain, Straumann) sowie Puros Allograft Spongiosa Partikel (Zimmer Dental) regenerativ therapiert. Die Wundheilung verlief komplikationslos (Abb. 4 und 5). Um während der regenerativen Heilungsphase jegliches okklusale Trauma zu vermeiden, wurde die Schienung regio 34 bis 36 mehrfach kontrolliert und ggf. nachgebessert. In den restlichen Quadranten erfolgten ebenfalls diverse parodontologische sowie parodontalchirurgische Maßnahmen, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden soll. Weitere 18 Monate später erfolgte eine einfache Implantation (Straumann Bone Level 4,8 x 10), regio 37. Vier Monate später erfolgte die Anfertigung der endgültigen Vollkeramik-Kronen im dritten Quadranten (Abb. 6 und 7). Der Parodontalstatus nach fast sieben Jahren zeigt ein überzeugendes Ergebnis (Abb. 8).

  • Abb. 4: Röntgenkontrollbild neun Monate nach regenerativem Eingriff.
  • Abb. 5: PA-Status nach neun Monaten.
  • Abb. 4: Röntgenkontrollbild neun Monate nach regenerativem Eingriff.
  • Abb. 5: PA-Status nach neun Monaten.

  • Abb. 6: OPG zur Implantatplanung 37.
  • Abb. 7: Röntgenkontrollbild nach erfolgreicher Abheilung des Implantats 37.
  • Abb. 6: OPG zur Implantatplanung 37.
  • Abb. 7: Röntgenkontrollbild nach erfolgreicher Abheilung des Implantats 37.

  • Abb. 8: PA-Status nach fast sieben Jahren.
  • Abb. 8: PA-Status nach fast sieben Jahren.

Danksagung an Dr. Dirk Steinmann und Dr. Michael Bauer für die exzellente Therapie.


Wir fragen – Experten antworten!

DI: Wie hätte der dramatische Ausgangsbefund vermieden werden können?

Bernd Heinz: Bei diesem Fall liegen im Ausgangsbefund sowohl fortgeschrittene parodontale als auch endodontische Probleme vor, wobei es sich insbesondere bei 26 um eine Paro-Endo-Problematik handeln könnte. Zum wiederholten Mal sei darauf hingewiesen, dass eine fortgesetzte Parodontaldiagnostik-Therapie eine unabdingbare Voraussetzung ist, solche Befunde zu vermeiden.

Daniel Engler-Hamm: Sicherlich gibt es in solchen Fällen zumeist zahlreiche ätiologische Faktoren, die diskutiert werden können. Es kommt nicht selten vor, dass Patienten eine unzureichende Compliance in der Vergangenheit gezeigt haben, und erst wenn der Leidensdruck sehr groß ist, gewillt sind, diese dramatisch zu verbessern, entsprechend der Aussage des Patienten, alles tun zu wollen, um seine Zähne zu retten. Neben der Frage der Compliance ist hier aber sicherlich auch eine unterlassene und unzureichende Therapie (insuffiziente Wurzelbehandlung 36) als Erklärung für den nun sehr ausgeprägten Schweregrad möglich.

DI: In welcher Reihenfolge muss dieser Fall therapiert werden, damit er schlussendlich erfolgreich ist?

  • Dr. Bernd Heinz, Hamburg

  • Dr. Bernd Heinz, Hamburg
Bernd Heinz: Die endodontische Akutbehandlung bei 26, die Umsetzung der Initialtherapie I/II inklusive der Schienungsmaßnahmen sowie die Endo- Revision 36 erfolgten in der korrekten zeitlichen Abstimmung. Erst nach erfolgreichem Abschluss dieser erforderlichen Behandlungen ist eine regenerative Parodontaltherapie sinnvoll durchführbar.

Daniel Engler-Hamm: Wenn eine Paro-Endo-Läsion vorliegt, muss die endodontische Komponente immer zuerst behandelt werden. Entsprechend dem richtigen Vorgehen in diesem Patientenfall ist das Vorgehen auch bei analogen Fällen immer gleich zu wählen: Wurzelbehandlung oder Revisionsbehandlung zuerst und im Anschluss kommt erst die parodontale Therapie.

DI: Glauben Sie, die Therapie ist in diesem Fall vorhersehbar?

Bernd Heinz: Der Erfolg einer endodontischen sowie regenerativen Parodontaltherapie ist nicht planbar, jedoch von der Kompetenz der Behandler durchaus beeinflussbar, was hier eindrucksvoll belegt wird.

Daniel Engler-Hamm: Die Therapie von Paro-Endo-Läsionen ist nie wirklich vorhersehbar. Der Zahn hat zum Ausgangszeitpunkt vor Beginn der Revisionsbehandlung sicherlich eine sehr fragwürdige bis hoffnungslose Prognose. Unter diesen Umständen wäre es absolut korrekt, Zahn 36 und evtl. auch 35 zu extrahieren und eine anderweitige prothetische Lösung für den Patienten in Betracht zu ziehen. Wenn aber der Patient den Wunsch äußert, alles tun zu wollen, um seine Zähne zu retten, und ihm gleichzeitig die Unvorhersehbarkeit einer solchen Therapie eindeutig erklärt wird, spricht nichts dagegen, diesen Rettungsversuch zu unternehmen. Wenn Sie dies gelegentlich tun und auf eine perfekte endodontische und parodontologische Therapie zurückgreifen können, werden Sie überrascht sein, dass diese Fälle häufiger, als man glaubt, erfolgreich behandelt werden können.

DI: Wie schätzen Sie das Verhältnis von Kosten zum Nutzen bei diesem Fall ein?

Bernd Heinz: Gelingt es, langfristig parodontale Gesundheit sicherzustellen und somit eine Periimplantitis zu vermeiden und bleibt die endodontische Behandlung ebenfalls stabil, dann ist ein absolut optimales Ergebnis auch aus einer Kosten-Nutzen-Betrachtung erzielt worden.

Daniel Engler-Hamm: Diese Frage ist wieder schwierig zu beantworten, da dies eine Frage nach sozialem Background, Compliance, Wertschätzung der Therapie und guter Aufklärung ist. Sicherlich kommt es in solchen Fällen immer wieder zu dem sehr unglücklichen Umstand, dass eine Paro-Endo-Läsion behandelt wird und der Zahn schlussendlich doch extrahiert werden muss. Meiner Erfahrung nach ist dies aber vor allem dann der Fall, wenn zusätzlich ausgeprägte Furkationsbeteiligungen vorliegen, was bei diesem Fall eher nicht so war. Mein Rat an dieser Stelle wäre, sich auf Paro-Endo-Läsionen zu beschränken, die eine Klasse-III-Furkation ausschließen. Solche, so glaube ich, können doch sehr häufig zu einem erfolgreichen Behandlungsergebnis gebracht werden.

DI: Welche alternative Therapie könnten Sie sich für diesen Fall gut vorstellen?

Bernd Heinz: Es gibt keine Alternative zu einer geschlossenen Zahnreihe, doch wenn diese nicht gesichert werden kann, dann ist festsitzender Zahnersatz das nächste anzustrebende Behandlungsziel. Durch die Paro-Endo- sowie Implantatbehandlung ist dies in diesem Fall vorzüglich gelungen. Es steht außer Frage, dass aus sozialen Gründen auch über herausnehmbaren Zahnersatz gesprochen werden muss, jedoch kann man dann nicht von einer alternativen Lösung sprechen.

Daniel Engler-Hamm: Wenn ich mir das Ausgangsröntgenbild anschaue, sehe ich hier primär erst einmal zwei, vielleicht aber auch drei Implantate (37 bis 35), die alternativ zu der durchgeführten Therapie auch zu einem guten Ergebnis geführt haben könnten. Hier stellt sich für mich immer die Frage, wann mache ich den Knochenaufbau. Führt man den Knochenaufbau gleichzeitig mit der Extraktion durch, kann man die Knochenspitzen gut nutzen, um einem vertikalen Kollaps vorzubeugen. Dies hat lediglich eine leicht erhöhte postoperative Infektionsgefahr sowie einen Mukogingivaldefekt (weniger keratinisierte Mukosa) zur Folge. Das alternative Vorgehen wäre, dass man die Zähne extrahiert, die Situation abheilen lässt, ein größerer Knochendefekt auftritt und man dann beginnt, diesen zu regenerieren. Diese zweite Vorgehensweise führt zu weniger Verlust an keratinisierter Mukosa und hat ein geringeres Risiko einer postoperativen Infektion, allerdings ist das Ausmaß, welches dann insbesondere vertikal regeneriert werden muss, sicherlich etwas größer, als wenn man in einem solchen Fall gleich mit der Ridge Preservation, dem Kieferkammerhalt, begonnen hätte.

DI: Welche Voraussetzungen sind notwendig, damit der Fall langfristig stabil bleibt?

Bernd Heinz: Gebetsmühlenartig wiederhole ich, dass nur durch gesicherte Compliance von Seiten des Patienten, aber auch von Seiten der betreuenden Praxis, parodontale und periimplantäre Folgeprobleme vermieden oder im Ernstfall doch rechtzeitig erkannt und dann therapiert werden können.

Daniel Engler-Hamm: Dies ist wieder die Frage nach dem supportive periodontal treatment (SPT). Da der Patient ein Parodontitispatient ist, muss die Compliance- Therapie als Teil der Phase-I-Therapie erfolgreich zu Ende gebracht worden sein, vor der allerersten chirurgischen Intervention. Geht man davon aus, dass dies der Fall ist, sollte nun in regelmäßigen Abständen und abhängig vom Risiko eine Dentalhygienesitzung durchgeführt und einbis zweimal im Jahr ein kompletter parodontaler Befund erhoben werden. Alle zwei Jahre machen wir bei diesen Patienten vier (posterior) vertikale Bissflügelaufnahmen, die uns eine gute und standardisierte Aussage über das Ausmaß an fortschreitendem Knochenverlust und den Mineralisationsgrad der Lamina dura geben. Eine Endo-Nachkontrolle gehört selbstverständlich auch dazu. Führt man diese Diagnostik im SPT durch, kann man sehr gut beurteilen, wie häufig eine Dentalhygienesitzung oder aber auch ein Recall-Scaling unter Zuhilfenahme von adjuvanter Therapie (PerioChip oder Ligosan) notwendig ist.

DI: Eine Frage aus dem Blickwinkel eines Allgemeinzahnarztes: Wenn Sie kein Spezialist wären, zu wem hätten Sie den Fall überwiesen?

Bernd Heinz: Auch diese Antwort ist hinlänglich bekannt – wer sich nicht berufen fühlt, solche Fälle in eigener Regie zu lösen, ist gut beraten, Spezialisten der Fachbereiche Paro-Endo-Implantologie einzubeziehen.

Daniel Engler-Hamm: Ich glaube, ich hätte als Allgemeinzahnarzt primär die Zähne extrahiert, wahrscheinlich nur den Zahn 36, und hätte mal geschaut, was mit 35 passiert. Als Spezialist hätte ich alternativ wahrscheinlich zusätzlich den Zahn 35 extrahiert. Der Vorteil, wenn man beide extrahiert, ist ein besseres Bridging bei der Ridge-Preservation-OP.

DI: War ein Okklusionstrauma vorhanden, und wenn ja, wie wurde es festgestellt und therapiert?

Bernd Heinz: Ein okklusales Trauma verursacht keine Parodontitis. Es kann zwar zu einer Demineralisation des Knochens führen, diese aber ist nach Ausschaltung des Traumas reversibel. Dennoch ist eine präoperative Schienung gelockerter Zähne unumgänglich, da sonst eine Regeneration parodontaler Defekte auch chirurgisch nicht möglich ist.

  • Dr. Daniel Engler-Hamm, München

  • Dr. Daniel Engler-Hamm, München
Daniel Engler-Hamm: Ein okklusales Trauma war wohl vorhanden und wurde entsprechend der Fallbeschreibung umfangreich behandelt und auch nachbehandelt. Die okklusale Komponente ist, wie der Kollege Heinz richtig darstellt, niemals der Verursacher einer Parodontitis. Es gibt jedoch zahlreiche Hypothesen, dass in Fällen, in denen ein Okklusionstrauma vorhanden ist und gleichzeitig eine schwere unbehandelte Entzündung/Parodontitis vorliegt, diese beim Vorhandensein von okklusalen Traumata schneller voranschreiten kann. Anders ausgedrückt: Bei zwei Patienten mit dem gleichen Schweregrad einer Parodontitis und dem gleichen schweren Entzündungsausmaß, wobei der eine ein schweres okklusales Trauma hat, der andere nicht, beobachtet man hier häufig bei den Patienten mit einem schweren okklusalen Trauma und einem gleichzeitig schweren parodontalen Befund mit assoziierter starker Entzündung einen schnelleren Fortschritt oder auch einen größeren Schweregrad der Parodontitis.

DI: Welche zusätzlichen klinischen Befunde oder Komplikationen könnten bei der Eingangsdiagnostik von einem solchen Fall zusätzlich festgestellt werden?

Bernd Heinz: Zweistellige Sondiertiefen und Lockerung Grad II sind immer Alarmsignale dafür, dass irgendetwas „schiefgelaufen“ ist. In der Parodontologie ist Schmerz ein Synonym für drohenden Zahnverlust, da fortgeschrittener Attachmentverlust ohne Einschreiten von Paro- und Endo-Experten nicht reversibel ist. Und eine Regeneration von Wurzelzement, parodontalem Ligament sowie alveolärem Knochen ist nur dann erzielbar, wenn eine mechanische Stabilisierung der gelockerten Zähne durchgeführt wurde und außerdem funktionelle Vorkontakte ausgeschaltet wurden.

Daniel Engler-Hamm: Die Frage ist immer sehr wichtig, da sich der Kliniker über alle möglichen Komplikationen im Klaren sein sollte. Der Zahn 36 könnte beispielsweise eine Fraktur aufweisen, welche durch eine Untersuchungs- OP festgestellt werden könnte. Auch ist es nicht unüblich, dass die Patienten einen tiefen, dumpfen Schmerz empfinden, der durch den großen chronischen Entzündungsreiz der schweren marginalen Parodontitis verursacht wird. Häufig sind derartige Zähne (35 und 36) auch perkussionspositiv. Ein akuter Abszess ist bei solchen Fällen eher selten, da das Sekret durch die Tasche der marginalen Parodontitis in den Mund abfließen kann. Häufiger sieht man aber chronische Fistelgänge, die dann aber eher auf die endodontische Komponente zurückzuführen sind. Auch sollte man die Füllungen der Zähne genau unter die Lupe nehmen, da häufig unter den alten Füllungen eine Sekundärkaries ist, die zu der endodontischen Komponente initial geführt haben könnte. Hier könnte beispielsweise eine Vorschädigung des Zahnes 35 bereits vorhanden sein, welche sich durch ein Nachziehen (Lingern) beim Vitalitätstest darstellt und nur bei diesem Befund schon eine Empfehlung sein könnte, eine Wurzelbehandlung vor der parodontalen Intervention durchzuführen, wenngleich der Zahn noch vitalitätspositiv (aber zieht stark nach und ist sehr empfindlich) reagiert.

DI: Vielen Dank. Lassen Sie mich Ihnen noch ein paar allgemeine Fragen stellen: Findet die Endo-Therapie bei schweren Parodontalerkrankungen zu selten statt?

Bernd Heinz: Endo-Therapie orientiert sich immer am aktuellen Schmerzgeschehen. Wenn bei einer fortgeschrittenen Parodontitis einzelne Zähne typische endodontische Beschwerden zeigen, müssen die erforderlichen diagnostischen Untersuchungen durchgeführt werden: Vitalitätsprüfung, Röntgenkontrolle, Aufbisskontrolle, ggf. auch myofunktionelle Testungen. Bei korrekter Auslegung der histologischen Ergebnisse von Bender & Seltzer müssten im Rahmen der chirurgischen Therapie einer fortgeschrittenen Parodontitis eigentlich wesentlich mehr Zähne endodontisch behandelt werden.

Daniel Engler-Hamm: Ich glaube, dass von beiden Seiten hier erheblicher Aufklärungsbedarf besteht. Die für die Parodontologie verantwortlichen Gesellschaften sollten regelmäßiger Endodontologen in ihre Fortbildungen integrieren, die die Kollegen speziell zu dem Thema Paro-Endo-Läsionen aufklären. Umgekehrt ist es, glaube ich, auch sehr sinnvoll, bei den Endodontologen über Parodontalerkrankungen aufzuklären und darauf hinzuweisen, dass bei schweren Parodontitiden eine starke Vorschädigung des Nervs vorhanden sein kann und beispielsweise eine endodontische Therapie unter Umständen früher angezeigt ist, als wenn der Zahn die gleichen Symptome zeigt, aber parodontal gesund ist.

DI: Wie wichtig ist die Compliance des Patienten in Bezug auf den Langzeiterfolg?

Bernd Heinz: 1981 veröffentlichten Axelsson und Lindhe ihre über sechs Jahre durchgeführte Studie zur Bedeutung der Compliance nach chirurgischer Behandlung einer fortgeschrittenen Parodontitis. Ohne Recall entwickelten sich zunehmender Attachmentverlust und im Studienzeitraum bis zu 14 neue kariöse Läsionen, wohingegen bei zwei- bis dreimonatlicher professioneller Zahnreinigung so gut wie keine neue Karies und zudem Attachmentgewinn beobachtet werden konnte. Dem ist nichts hinzuzufügen!

Das stimmt allerdings doch nicht ganz! Denn wenn von Compliance die Rede ist, dann denken wir nur an das Verhalten der Patienten und fordern Compliance von ihnen ein. Aber Compliance ist keine Einbahnstraße! Solange die Zahnärzteschaft nicht auch Compliance zeigt und bereit bzw. personell und räumlich in der Lage ist, flächendeckend professionelle parodontologische Betreuung zu realisieren, dann bleibt die Erkenntnis aus der oben zitierten Studie reine Theorie.

Daniel Engler-Hamm: Wilson hat verschiedene Studien zur Patientenmotivation (Compliance) durchgeführt und festgestellt, dass durch ein gut organisiertes Recall- Programm sich die Compliance der Patienten deutlich verbessern lässt. Dazu gehören heute sicherlich SMSTerminerinnerungen, Anschreiben an die Patienten, dass der nächste Dentalhygienetermin ansteht, sowie jegliche Art von Kundenbindungsprogrammen, die dazu führen, dass der Patient die Notwendigkeit erkennt, einen Recall-Besuch bei seinem Zahnarzt in Kombination mit einer Dentalhygiene durchführen zu lassen.

DI: Wie häufig beobachten Sie endodontische Komplikationen (Hypersensibilität, Perkussionsoder Aufbissempfindlichkeit oder das Absterben eines Zahnes) nach einer parodontalen Therapie bei fortgeschrittener Parodontitis?

Bernd Heinz: Hypersensibilität ist ein unvermeidbares Problem immer dort, wo es schon durch eine konsequente Vorbehandlung zu einer „Gesundschrumpfung“ der vormals entzündeten Gingiva und damit zum massiven Freilegen einzelner oder multipler Wurzelflächen kommt. In erhöhtem Maße gilt dies für die chirurgische Parodontaltherapie. Die anderen angesprochenen Symptome können dann auftreten, wenn umfangreiche Schienungsmaßnahmen verbunden mit Excavationen profunder kariöser Läsionen erforderlich sind.

Daniel Engler-Hamm: Wenn Zähne durch eine langjährige schwere Parodontalerkrankung vorgeschädigt sind, aber keine kariösen Läsionen vorweisen, ist es oft unvorhersehbar, ob solche Zähne kurz- bis mittelfristig absterben und entsprechend auf dem Weg dorthin endodontologische Befunde (Perkussions- oder Aufbissempfindlichkeit) zeigen. Hier wäre es sehr interessant, mal eine Untersuchung durchzuführen, da ich glaube, dass gerade schwere Parodontitiden, die, wenn sie behandelt werden, im Anschluss stärkere Rezessionen aufweisen, häufiger, als man denkt, zu einem Absterben des Zahnes führen. Sicherlich ist dies immer noch sehr selten und vielleicht kommt es zu so etwas nur in vielleicht 0,1 % der Fälle. Wenn wir allerdings über die Prävalenz von aggressiver Parodontitis sprechen, sollte man auch über die Prävalenz von absterbenden Zähnen nach erfolgter Therapie bei langjähriger schwerer Parodontitis sprechen.

DI: Wie häufig, glauben Sie, wird eine Paro-Endo- Läsion nicht erkannt und der Behandler erlebt dadurch einen Misserfolg?

Bernd Heinz: Symptomlose endodontische Probleme treten selten auf und werden im Akutfall zeitnah therapiert. Treten im Rahmen einer Parodontitisbehandlung lokalisierbare anhaltende Schmerzen auf, führt die Diagnostik in der Regel zu der erforderlichen Endotherapie ? möglicherweise kann jedoch ein verspätetes Eingreifen den Erfolg der Parodontaltherapie mindern.

Daniel Engler-Hamm: Ich glaube, dies kommt häufi ger vor, als wir meinen. Auch hier wäre es interessant, Untersuchungen durchzuführen, die entsprechend Prävalenzen aufzeigen und die Zahnärzteschaft bzw. die Spezialisten für die Befunde auf der jeweils anderen Seite sensibilisiert.

DI: Wie viele derartige Fälle behandeln Sie regelmäßig in Ihrer Praxis?

Bernd Heinz: Der Anteil parodontal schwer erkrankter Patienten liegt in meiner Praxis bei ca. 20 bis 30%.

Daniel Engler-Hamm: Paro-Endo-Läsionen kommen relativ selten vor. Bei den Patienten, die für eine Parodontaltherapie überwiesen werden, vielleicht in 1 bis 5 % der Fälle. Da ich in diesen Fällen den Patienten immer die Unvorhersehbarkeit der Therapie vorab erkläre, werden derartige Fälle häufig mittels einer Extraktionstherapie behandelt. Es freut mich entsprechend umso mehr, dass Dr. Heinz und ich Ihnen hier Fälle vorstellen konnten, die aufzeigen, dass auch solche Zähne unter Umständen erfolgreich behandelt werden können.

DI: Mit welchen regenerativen Techniken lassen sich parodontal schwer erkrankte Zähne stabilisieren?

Bernd Heinz: Historisch betrachtet fanden zunächst autogener und allogener Knochen, später xenogene und alloplastische Knochenersatzmaterialien Einsatz in der regenerativen Parodontalchirurgie. In den achtziger Jahren führte die Entwicklung der zunächst nicht resorbierbaren Membranen zu einem neuen Ansatz der parodontalen Regeneration, indem durch Ausschluss des Epitheltiefenwachstums sowie der Stabilisierung des Wundbereichs den langsam proliferierenden Zellen des parodontalen Attachments (Alveolarknochen, PDL, Wurzelzement) die erforderliche Zeit zur ? zumindest partiellen ? Wiederherstellung verlorengegangener Strukturen gegeben wurde. Durch die Einführung resorbierbarer Membrane konnte diese Technik patientenfreundlicher weiterentwickelt werden.

Einen Quantensprung in der parodontalen Regeneration stellt seit den neunziger Jahren die Einsatzmöglichkeit der Schmelzmatrixproteine dar. Dies betrifft zum einen die im Vergleich zu Membranen erheblich einfachere Applikationstechnik und zum anderen die weitaus höhere Kosten-Nutzen-Relation, verglichen mit allen vorgenannten Techniken.

Inwieweit BMPs, Stammzell- sowie genetische Techniken und Entwicklungen in der regenerativen Parodontologie in der Zukunft Einsatz finden werden, bleibt abzuwarten.

Daniel Engler-Hamm: Zunächst einmal muss man differenzieren, ob ein lokalisierter Knocheneinbruch, der sich regenerieren lässt, vorhanden ist, oder aber ein horizontaler Knochenabbau, bei dem eine regenerative Therapie nicht mehr möglich ist. Sofern ein lokalisierter tiefer Knocheneinbruch vorhanden ist, kann man mit zahlreichen verschiedenen Methoden den Defekt relativ vorhersehbar regenerieren. Persönlich verwende ich immer gerne Schmelzmatrixproteine sowie allogenes Knochenaufbaumaterial (Puros Allograft Spongiosa, Zimmer Dental), da dies ein einfaches Vorgehen ist und wissenschaftlich eine gute Evidenz zeigt.

DI: Welche Materialien verwenden Sie bei der regenerativen Therapie?

Bernd Heinz: Da die Membrantechnik insbesondere im Seitenzahnbereich immer mit Komplikationen verbunden und zudem in jeder Weise aufwendig ist, setze ich Membranen nur noch selten ein. Grundsätzlich verwende ich bei allen chirurgischen Eingriffen das Schmelzmatrixprotein Emdogain (Straumann), bei entsprechender Defektmorphologie auch in Kombination mit autogenem Knochen oder Knochenersatzmaterial.

Daniel Engler-Hamm: Wie bereits angedeutet, greife ich gern zu Schmelzmatrixproteinen in Kombination mit allogenem Knochen. Sofern Defekte groß oder nicht mehr unterstützt durch eine Knochenwand sind, ziehe ich gerne noch eine Membran hinzu. Die zusätzliche Membrantechnik sehe ich allerdings wirklich nur für nicht unterstützte Defekte oder eventuell Furkationsdefekte als notwendig an.

DI: Warum verwenden Sie gerade diese Materialien bei der regenerativen Therapie?

Bernd Heinz: Alle Materialien, die ich bei meinen Patienten einsetze, müssen der Anforderung evidenzgerecht- basiert zu sein, entsprechen. Das gilt für den Einsatz von Knochenersatzmaterialien gleichermaßen wie für Emdogain. Bei beiden Materialien belegen Humanhistologien ihre Wirksamkeit sowie histochemische Untersuchungen ihre Unbedenklichkeit.

Daniel Engler-Hamm: Wir haben mittlerweile zahlreiche Materialien zur Verfügung, die eine ausreichende wissenschaftliche Evidenz vorzuweisen haben. Grundsätzlich sollte der Kliniker versuchen, darauf zu achten, dass er zu solchen Produkten greift und nicht die Vielzahl der Materialien in Anspruch nimmt, die eine unzureichende wissenschaftliche Evidenz vorzuweisen haben. Wenn man dies berücksichtigt, spielt die Auswahl der Materialien für die Vorhersehbarkeit und den Erfolg der Therapie eher eine untergeordnete Rolle.

DI: Macht Ihnen die Parodontologie bis heute Spaß, und wenn ja, warum?

Bernd Heinz: Meine Antwort darauf ist es ein klares JA! Vielleicht, weil sich bei mir Beruf und Berufung vereinen und weil ich sehr frühzeitig in meinem Berufsleben Lehrern wie Dr. Dr. Heinz Erpenstein und Prof. Lavin Flores-de-Jacoby begegnen durfte, die meine Begeisterung für diesen Fachbereich weckten und förderten. So fand und finde ich nach wie vor Freude daran, diese Begeisterung weiterzugeben, und hatte das große Glück, in Prof. Dr. Dr. Søren Jepsen einen Freund zu finden, mit dem ich Praxis, Forschung und Lehre nahezu über 30 Jahre in diesem faszinierenden Fachbereich betreiben konnte.

Daniel Engler-Hamm: Das Schöne an der Parodontologie heute ist, dass sie sehr umfangreich ist und man immer wieder damit konfrontiert wird, Fälle zu behandeln, wo man länger darüber nachdenkt, was für die individuelle Person wirklich das Beste ist. Da, wie in den USA, die Implantologie auch immer stärker in die Parodontologie Einzug hält, wird das Spektrum des Parodontologen in Deutschland zusätzlich erweitert. Auch dies führt dazu, dass das Spektrum interessant ist und bleibt. Da wir durch diese Fallserie auch festgestellt haben, dass gerade die endodontische Komponente auch sehr bedeutsam ist und hier sicherlich noch ein erheblicher Aufklärungsbedarf besteht, bleibt allein aus diesem Grund auch das Fachgebiet weiterhin spannend und interessant.

DI: Haben Sie noch etwas auf dem Herzen, was Sie gerne an unsere insbesondere junge Leserschaft weitergeben wollen?

Bernd Heinz: Jeder jungen Kollegin und jedem jungen Kollegen möchte ich folgenden Rat für den Berufsweg geben: Setzen Sie sich stellvertretend für Ihren neuen Patienten mit schwerer Parodontitis auf den Behandlungsstuhl und stellen Sie sich die Frage, welche Behandlung Sie in dieser Situation für sich gerne in Anspruch nehmen wollten. Für mich wäre ganz klar, dass ich so lange wie irgend möglich um den Erhalt meiner Zähne kämpfen würde, auch unter Inanspruchnahme aller Möglichkeiten der regenerativen Parodontaltherapie und der Endodontie – und dieses würde ich meinen Patienten genau so vermitteln. Sie, liebe Kolleginnen und Kollegen, werden erfahren, dass über 90 % der betroffenen Patienten Ihrer Empfehlung zur Zahnerhaltung dankbar folgen werden und Sie selbst damit den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen zum Thema Zahnerhalt versus Implantat beim Parodontitispatienten gerecht werden.

Daniel Engler-Hamm: Da die Parodontitis-Prävalenz international sehr hoch ist und wir sehr weit davon entfernt sind, flächendeckend eine gute parodontologische Versorgung gewährleisten zu können, will ich die Chance nutzen, die jungen Kollegen zu motivieren, sich im Bereich der Parodontologie zu engagieren. Als Beispiel möchte ich die Anzahl der Parodontologen in Massachusetts mit denen in Deutschland vergleichen. In Massachusetts arbeiten ca. 200 Parodontologen bei ca. 9 Mio. Einwohnern. In Deutschland gibt es ungefähr die gleiche Anzahl an Parodontologen bei 83 Mio. Einwohnern. Dieser Vergleich zeigt, wie absolut und dringend notwendig unsere jungen Kollegen sich für die Parodontologie engagieren und begeistern sollten.

DI: Vielen Dank für das Gespräch.

Näheres zum Autor des Fachbeitrages: Dr. Daniel Engler-Hamm M.Sc. - Dr. Bernd Heinz

Bilder soweit nicht anders deklariert: Dr. Daniel Engler-Hamm M.Sc. , Dr. Bernd Heinz